Über Film und dieses & jenes

Kategorie: Interview (Seite 3 von 4)

Interview zu „Hitlers Hollywood“ mit Rüdiger Suchsland – Ist das NS-Kino besser als sein Ruf?

Hetzfilme wie „Jud Süss“, „Der ewige Jude“ und „Kolberg“ brachte das Kino der Nazis hervor, dazu unzähliche scheinbar unpolitische, dennoch propagandistische Unterhaltungsfilme – aber auch künstlerisch interessante Werke. Die behandelt Filmjournalist Rüdiger Suchsland in der Doku „Hitlers Hollywood“. Er plädiert für einen differenzierteren Blick aufs NS-Kino und sieht gleichzeitig Gefahren bei scheinbar unverfänglichen, bei uns frei erhältlichen Filmen der Nazizeit.

Herr Suchsland, war Propagandaminister Joseph Goebbels der mächtigste Filmproduzent der Kinogeschichte? Er hatte ja ein ganzes Land zur Verfügung.

Der mächtigste Filmproduzent Deutschlands war er jedenfalls, des „Dritten Reichs“ sowieso, denn dessen Kino war staatlich reguliert. Goebbels bestimmte die Themen, die Bearbeitung und die Endfassung der Drehbücher, die Auswahl der Schauspieler, und er nahm die fertigen Filme ab. Alles wurde kontrolliert. 1933 wurden durch die Gleichschaltung der Filmindustrie viele Künstler vertrieben, die Filmindustrie wurde dann 1942 vollends verstaatlicht. Goebbels hat von Anfang an versucht, seine politischen und propagandistischen Botschaften, teilweise auch seine ästhetischen Maßstäbe, über den Weg des Kinos unters Volk zu bringen. Er war ein Großproduzent. Zugespitzt gesagt, war er von seiner Machtposition her das, was damals David O. Selznick in Hollywood war, der unter anderem „Vom Winde verweht“ produzierte. Goebbels hat die deutsche Filmindustrie regiert.

 

Hitlers Hollywood

Ilse Werner in Helmut Käutners Film „Große Freiheit Nr. 7“, der 1943 entstand, aber erst nach dem Krieg öffentlich gezeigt wurde. „Hitlers Hollywood“ zeigt eine grandiose Traumsequenz aus dem Film.

Was war Goebbels’ Taktik bei der Propaganda? Viele Filme der Nazi-Zeit wirken an der Oberfläche ja unpolitisch.

Goebbels war sehr geschickt und flexibel, er hat schnell reagiert. Es gab ja ein NS-Spitzelsystem, gegen das die Stasi gar nichts war. So wusste Goebbels immer, was in der Kunst, in den Verlagen und Theatern los war, wie bestimmte Leute zum Regime stehen. Außerdem, und das ist vielleicht noch interessanter, hat er eine Art „Markt- und Publikumsforschung“ betrieben. Er schickte Leute in Kneipen, Kinos oder Fußballstadien, die sich ein Bild davon machen sollen, was die Leute denken, wie die Stimmung im Reich ist. Sie sollten etwa als „agent provocateur“ einen Hitler-Witz reißen und dann beobachten, wie die Leute reagieren. Goebbels hat sich regelmäßige Stimmungsberichte geben lassen. Beim Film brachte er in Erfahrung, was ankommt und was nicht – entsprechend hat er das Kino früh wegbewegt von allzu offensichtlichen Propagandafilmen wie „Hans Westmar“ oder dem viel besseren „Hitlerjunge Quex“ zu den vermeintlich unpolitischeren Filmen.

War die Situation im faschistischen Italien vergleichbar?

Unter Mussolini war die Kultur vergleichsweise relativ frei. Es gab sogar den oppositionellen Einaudi-Verlag, der ein positives Buch über den US-Präsidenten Roosevelt veröffentlichte. Mussolini rezensierte das Buch selbst und erklärte, was im Buch aus seiner Sicht alles falsch ist. Die Filmindustrie wurde von Mussolinis Sohn überwacht, aber es gab weniger Gleichschaltung als in Deutschland.

Und in der Sowjetunion?

Kurios ist, dass in der Sowjetunion Stalin als Figur in Filmen oft vorkam – in deutschen Filmen erschien Hitler als Figur gar nicht. Generell standen die Sowjets viel offener zu ihrer Ideologie, vielleicht weil es eine weniger offensichtliche Mord-Ideologie war – auch wenn der Stalinismus natürlich Terror bedeutete. Er verkündete aber nicht, dass man Leute vertreiben oder töten soll. Die Nazis sagten das ganz offen, wenn sie von „unwertem Leben“ und den Juden sprachen, die „vernichtet“ werden sollen. Vielleicht haben die Nazis den eigenen Tabubruch gespürt und wussten, dass sie das, was sie tun, nicht öffentlich sagen können. Das ist wohl der Grund dafür, dass das Kino der Nazis an der Oberfläche viel weniger politisch, viel weniger ein Agitprop-Kino ist. Abgesehen davon war das Sowjet-Kino stilistisch viel modernistischer – Goebbels hat das zwar bewundert, aber das hätte kein deutscher Regisseur machen dürfen.

In Ihrem Film sagen Sie, die NS-Filme seien besser als ihr Ruf. Wie ist das genau gemeint?

Sie sind künstlerisch interessanter, als man denkt. Man kann natürlich jeden propagandistischen Film schlecht nennen, eben weil es Propaganda ist. Man muss aber ehrlicherweise zugeben, dass etwa die Filme von Veit Harlan handwerklich und künstlerisch gute Filme sind, mit guten Schauspielerauftritten und kunstvollen Bildern. Gleichzeitig muss man zugeben, dass etwa einige Filme von US-Regisseur Frank Capra ebenfalls Propagandafilme sind, wenn auch für die „New Deal“-Sozialreformen unter Roosevelt. Rein von der Form her gesehen, gibt es kaum einen Unterschied zwischen einem Film, der etwa für die Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg wirbt und einem Film der Nazis. Der Begriff „Propaganda“ ist erstmal ein ganz apolitischer – in seinem modernen Verständnis wurde er in der US-Werbung entwickelt.

War Goebbels somit eine Art PR-Mann?

Ja, er hat Werbehandbücher gelesen, sich überlegt, wie man das „Produkt Politik“, in dem Fall NS-Politik, an den „Kunden“ bringen kann, also ans deutsche Volk. Man erkennt ja die Parallelen auch daran, dass umgekehrt Leni Riefenstahls Ästhetik bis heute gut in der Werbung funktioniert – ob in der „Armani“-Werbung, in einem Rammstein-Video oder generell in Schnitt- und Montagetechniken, die auf Riefenstahl zurück gehen – dass ist ja das, was Susan Sontag „fascinating fascism“ nennt und kritisiert.

War diese Faszination letztlich der Anstoß, diesen Film zu machen?

Es hat mich immer gewundert und gestört, dass selbst in guten Filmbüchern die Kapitel über den nationalsozialistischen und faschistischen Film sehr kurz und sehr holzschnittartig sind. Es wird da immer dasselbe gesagt: Es gab Riefenstahl, Harlan, „Jud Süss“ und „Kolberg“, eben die extremen Propagandafilme. Mehr findet man da nicht.

Hitlers Hollywood

Ingrid Bergman in ihrem einzigen Film in NS-Deutschland: „Vier Gesellen“ aus dem Jahr 1938.

Für wie gefährlich halten Sie diese offensichtlichen Propagandafilme?

Ich glaube nicht, dass „Jud Süss“ jemanden zum Antisemiten macht. Gefahren sehe ich eher bei anderen Filmen – durch einen Film wie „Opfergang“ könnte man durchaus fasziniert werden von der Todessehnsucht und der Todesverliebtheit der Nazis.

„Opfergang“ ist ja gerade erst schön restauriert auf DVD erschienen.

Diese Filme sind ja nicht alle künstlerisch belanglos – schließlich haben da auch Regisseure wie Helmut Käutner, Wolfgang Staudte und Detlef Sierck, der sich in Hollywood später Douglas Sirk nannte, in der Filmindustrie der Nazis gearbeitet – unbestritten große Filmemacher, auch wenn sie sich stellenweise moralisch fragwürdig verhalten haben. Die Filme insgesamt pauschal geringzuschätzen, wäre seinerseits ideologisch und zu sehr Schwarz-Weiß-Denken.

Geht es Ihnen um eine Ehrenrettung des NS-Films?

Nein, die kann es nicht geben. Mir geht es um eine Ehrenrettung unserer eigenen Intelligenz. Wir sind zu klug, um uns in Filmbüchern mit zwei, drei immergleichen Sätzen abspeisen zu lassen. Wir können uns trauen, wir sind mündig genug, um in diesen Abgrund hinein zu schauen. Es ist ja gerade die Schwierigkeit, dass die Filme gut gemacht sind, teilweise von großen Regisseuren, die sich moralisch fragwürdig verhalten haben.

Viele der offen propagandistischen Filme sind heute so genannte Vorbehaltsfilme – das heißt, man kann sie nur mit einer historische Einführung und eine Diskussion sehen, auf DVD gibt es sie offiziell und legal nicht. Wie stehen Sie dazu?

Die Frage der Vorbehaltsfilme, von denen es früher um die 400 gab, heute viel weniger, ist sehr wichtig und schwierig. Manche dieser Filme sind durchaus gefährlich, aber nicht alle: Ein Vorbehaltsfilm wie „Stukas“ von Karl Ritter, ein militärischer Protzfilm, ist uns heute sehr fremd – ich glaube nicht, dass von diesem Film eine Gefahr ausgeht, schon gar nicht die, dass wir jetzt alle Flieger werden und die Niederlande bombardieren wollen. Andererseits gibt es frei erhältliche Filme, die ich für gefährlich halte: „Verwehte Spuren“ etwa von „Jud Süss“-Regisseur Veit Harlan, der dem Normalbürger das Denunzieren und das Verraten der nächsten Angehörigen nahe legt, zugunsten der „Volksgemeinschaft“ als höheres Ziel. Der Film lief schon mehrmals im Fernsehen und ist gefährlich, weil er viel subtiler ist als etwas „Stukas“. „Der große König“ über Friedrich den Großen ist ein bösartig militaristischer Film, der eine ganz offensichtliche Analogie zwischen Friedrich dem Großen und Hitler zieht. Auch „Wunschkonzert“, der bei uns frei erhältlich auf DVD erschienen ist, ist ein faszinierender, gleichzeitig sehr boshafter Film, indem er den Angriffskrieg mit Unterhaltung übergangslos vermischt: Da sehen wir Stukas der „Legion Condor“ eine spanische Stadt bombardieren, vielleicht ist es Guernica. Dazu läuft das Stuka-Lied der Nazis; man sieht Carl Raddatz als Soldaten im Frankreichfeldzug, dazu hören wir Marika Rökk „Eine Nacht im Mai“ singen – im Mai 1940 fand der Frankreichfeldzug statt. Das ist offener Zynismus, verpackt in guter Laune. Es ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Nazi-Propaganda gearbeitet hat: Durch Verwischung moralischer Grenzen. Ein gefährlicher Film, weil er etwas Verführerisches hat.

Wie weit wirkt diese Vorbehaltsregelung überhaupt – man kommt an diese Film ja doch irgendwie ran, wenn man will.

Wir leben in einer Welt, in der ohnehin nichts unter Verschluss gehalten werden kann. Wollen wir einen Hetz-Film wie „Jud Süss“ zu einem Mythos machen, , indem wir ihm die Aura des Geheimnisvollen, Verbotenen geben – obwohl er das ja nicht ist? Wollen wir uns als Demokratie die Deutungshoheit über diese Filme von extremistischen Randgruppen nehmen lassen? Ihnen einen Vorwand geben für diese modischen Vorwürfe: Dass man bei uns nicht alles lesen, sehen, denken und sagen dürfte? Wer „Jud Süss“ heute auf DVD haben will, der muss ihn bei einem der Neonazi-Netzwerken kaufen – und diese damit finanziell unfreiwillig unterstützen – oder sich dubiose Fassungen im Ausland besorgen. Von denen weiß man dann nicht, ob sie überhaupt vollständig sind. „Olympia“ von Leni Riefenstahl oder auch „Großstadtmelodie“ sind in verfälschten Fassungen im Umlauf, bei denen die anstößigen Passagen herausgeschnitten sind. Riefenstahl hat ihren „Olympia“-Film nach dem Krieg ja selber umgeschnitten.

Sollte man die Filme dann einfach freigeben?

Nein, es müssten natürlich erstmal wissenschaftlich verbindliche Fassungen erstellt werden, die man dann mit Begleitkommentar und Bonusmaterial versieht, das den Film einordnet, ähnlich wie die jüngst hergestellte Ausgabe von „Mein Kampf“ – die kann man ja heute in jeder Bahnhofsbuchhandlung kaufen. Ich möchte den Verantwortlichen Mut machen, dass wir uns zumuten können, uns auch diesen Filmen zu stellen, gelegentlich auch auszusetzen. Dieser Mut wäre zeitgemäß.

 

Hitlers Hollywood

Hilde Krahl im Film „Großstadtmelodie“ (1943) von Wolfgang Liebeneiner.

 

Wie sehen sie manche Karrieren im „Dritten Reich“ und im Nachkriegskino? Regisseur und NS-Funktionär Wolfgang Liebeneiner etwa inszeniert 1941 den Film „Ich klage an“, der Euthanasie-Film befürwortet – und nach dem Krieg inszeniert er am Theater die Uraufführung von Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“. Das ist reichlich bizarr.

Liebeneiner ist ein Paradebeispiel dafür, dass es keine Stunde Null im deutschen Kino gab – er hat sofort weitergemacht. Veit Harlan hat sich ein, zwei Jahre bedeckt gehalten und dann weitergemacht. Es gab keine Stunde Null für die vielen Mitläufer, wobei Liebeneiner schon mehr war als das: kein überzeugter Nationalsozialist, aber ein eiskalter Opportunist, der zumindest symbolisch über Leichen gegangen ist, und der als Produktionschef der Ufa eine Schlüsselrolle gespielt hat. Die ersten 15 Jahre des deutschen Nachkriegsfilms waren dadurch gekennzeichnet, dass viele alten Nazis und viele alten Opportunisten noch da waren und weitergearbeitet haben.

Auch bewährte Stars wie Heinz Rühmann.

Ja, Rühmann war da besonders opportunistisch. Er hatte in den 1950er Jahren einen Karriereknick, weil sich die Deutschen mit seiner Figur des kleinen Mannes, der sich irgendwie so durchwuselt, nicht mehr identifizieren wollten. Er hat dann versucht, mit Hollywood in Kontakt zu kommen und wollte dort – hart gesagt – Juden spielen, um etwas für sein Image zu tun. Er hat sich auch sehr gehütet, Schurken zu spielen. Rühmann ist mindestens ein übler Opportunist, der dem Regime weitaus mehr Zugeständnisse gemacht hat, als andere Kollegen. Ein Beispiel: Er und Hans Albers waren beide mit einer Jüdin verheiratet. Rühmann hat seine Frau, zugespitzt gesagt, ins Ausland entsorgt, sich scheiden lassen und ihr regelmäßig Geld geschickt. Albers blieb einfach mit seiner Frau verheiratet – obwohl ihm die Trennung mehr als einmal nahe gelegt wurde. Das zeigt: Es ging auch anders, wenn man wollte.

Wie erging es den Emigranten, die zurück kamen?

Robert Siodmak etwa hat wieder viele Filme in Deutschland gemacht, Max Ophüls hat bald mehr in Frankreich gearbeitet, Fritz Lang drei Filme gemacht, aber er ist nicht dauerhaft wieder angekommen. Aber diese Situation – die Emigranten kommen zurück und die Nazis oder die Mitläufer sind noch da – ist natürlich sehr interessant. Leute wie Helmut Käutner oder Wolfgang Staudte haben, in einer sehr unterschiedlichen Form, andere Filme gemacht, als zuvor. Käutner hatte im Krieg ja mit „Auf Wiedersehen, Franziska“ einen klaren Nazi-Propagandafilm gedreht, seine anderen Filme halten eine deutliche Distanz. Staudte hatte im „Dritten Reich“ ja kaum als Regisseur gearbeitet, war aber als Darsteller in „Jud Süss“ dabei. Er hat nach dem Krieg entschiedenere Filme gedreht, die immer auch ein wenig moralisierend waren, didaktischer, ein bisschen schwarz-weiß. Käutner ist da ambivalenter und damit für mich auch interessanter. Er stellt viel mehr in Frage, auch sich selbst. Bei Staudte spürt man, dass er weiß, dass er immer auf der richtigen Seite steht.

Sie wollten in Ihrem Film auch Szenen aus der „Feuerzangenbowle“ zeigen und aus Leni Riefenstahls „Olympia“ – woran ist das gescheitert?

Bei „Olympia“ hätte man die Rechte an einigen Szenen kaufen können – aber sie waren sehr teuer, denn der Film gehört mittlerweile dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Riefenstahl hat den Film im persönlichen Auftrag von Adolf Hitler gedreht und hat die Rechte am Film behalten. Anfang der 50er Jahre hat sie den Film umgeschnitten, etwa Szenen von Hakenkreuzen oder von Nazi-Bonzen entfernt, und ist mit dem Film dann weltweit herumgetingelt. Die Rechte am Film hatte sie bis zu ihrem Tod, danach fielen sie an die Bundesregierung unter Kanzler Schröder. Die hat den Film dann nicht der Murnau-Stiftung oder dem Bundesarchiv überlassen, sondern an das IOC verkauft, das sehr viel Geld für einige Szenen haben wollte. Zu viel für uns.

Wie war das mit der „Feuerzangenbowle“?

Wir wollten einige Szenen zeigen, weil es dem Film darum geht, aus Naziperspektive mit dem deutschen Humanismus, der Institution Gymnasium und dem klassischen Bildungsgut abzurechnen, wenn auch in Komödienform. Der Film feiert die Revolte der Jugend – als die sich der Nationalsozialismus ja verstand – gegen das alte, aus ihrer Sicht überholte Deutschland. Er ist in diesem Sinn ein faschistischer Film. Bei diesem Film hätten wir die Rechte daher wohl selbst für viel Geld nicht bekommen. Nach einer ersten mail an die Dame, der die Rechte an dem Film gehören, schrieb sie uns recht unhöflich, dass es mit Deutschland bergab gehe, wenn man immer noch solche Filme drehe. Ich fand dann heraus, dass die Dame dem AfD-Vorstand in Münster angehört. Ich wollte für solche Leute keinen Cent ausgeben, da die Rechteinhaberin gerne Open-Air-Vorführungen oder in Uni-Kinos gestattet, womit sie sehr viel Geld verdient. Gleichzeitig verbietet sie jede Vorführung, die den Film historisch oder wissenschaftlich betrachtet, verbietet Einführungen – sie will offenkundig den Mythos eines unpolitischen Schülervergnügens pflegen – da müssten wir alle ihr in die Suppe spucken.

Im Fernsehen wird der Film ja immer wieder gerne gezeigt.

Leider läuft er da immer unkommentiert als scheinbar unpolitischen Schenkelklopfer – das ist der Film aber nicht.

Nach Ihren Filmen über das Kino der Weimarer Republik und über das der Nazizeit würde sich ja ein Film über das Nachkriegskino anbieten.

Sicher, ich will das sehr gerne machen, aber das wird wohl schwieriger als die beiden anderen Filme. Einmal wird das teurer, weil die Rechte an neueren Filmen auch teurer sind. Schwerer wiegt aber, dass das Thema, die 50er Jahre und die Demokratisierung für Leute, die Filme finanzieren, auf den ersten Blick weniger interessant wirken und vermutlich schlechter zu vermarkten sind. Ein Film über Deutschland unter den Nazis oder über das Scheitern der Demokratie scheint es da leichter zu haben. Ich freue mich aber, wenn ich eines Besseren belehrt werde.

„Hitlers Hollywood“ ist als DVD und VOD über Farbfilm Home Entertainment zu haben.

Der komplette Jacques Tati: Große Werkschau im Saarbrücker Kino Achteinhalb

Jacques Tati

Das Saarbrücker Kino Achteinhalb zeigt alle Filme von Jacques Tati. Kuratiert hat die Reihe  der Saarbrücker Filmwissenschaftler Nils Daniel Peiler.

Jetzt kann er es ja zugeben: Als Nils Daniel Peiler Jacques Tatis Film „Playtime“ zum ersten Mal sah, ist er sanft eingeschlummert. „Ich habe erstmal keinen Zugang gefunden“, sagt Peiler. Damals war er Student in Saarbrücken, heute ist er Filmwissenschaftler und mittlerweile ein großer Anhänger des Franzosen (1907-1982) und dessen „zeitloser, filmisch visionärer Komik“. Tati blickte in Filmen wie „Die Ferien des Monsieur Hulot“, „Mein Onkel“ und „Trafic“ humoristisch und kritisch auf die Welt (vor allem die französische), auf ihre Kuriositäten und Macken. Der damals dösende Peiler entdeckt heute „in diesen Zeitdokumenten der französischen Gesellschaft“ ständig Neues, „in jeder Einstellung gibt es kleine Raffinessen“, wenn Tati sich filmisch elegant über grenzenlose Fortschritts- und Technikgläubigkeit mokiert oder über seelenlose Architektur.

Filmwissenschaftler und Kurator Nils Daniel Peiler. Foto: Oliver Dietze

Peiler zeigt ab Donnerstag nächster Woche im Saarbrücker Kino Achteinhalb das Gesamtwerk Tatis. Das Kuratieren war für ihn eine Frage des „Jetzt oder nie“: Die Rechtelage eines filmischen Gesamtwerks ist oft zersplittert, erfordert viel Recherche und Verhandlungsarbeit. „Aber hier war die Lage luxuriös“, sagt Peiler. Die Rechte aller Filme Tatis (abgesehen vom posthumen Trickfilm „Der Illusionist“ nach einem Tati-Drehbuch) liegen zurzeit beim französischen Verleih Studiocanal. „Aus Kurator-Sicht ein Geschenk“, sagt Peiler, der einen „passablen Preis“ ausgehandelt hat. „In einem Jahr könnte die Rechtelage ganz anders sein.“

 

Jacques Tati

Eine Szene aus „Mon oncle“. Foto: Les films de Mon Oncle

Vor den Filmen gibt Peiler eine dreiviertelstündige Einführung, mit Filmausschnitten, Fotos und Querverweisen: Man könne etwa sehen, „was ein Film wie ‚Mr. Bean macht Ferien’ alles bei Tati geklaut hat“. Die Reihe zeigt auch die selten zu sehenden Kurzfilme Tatis, die oft einen Bezug zum Hauptfilm haben: „Schule der Briefträger“ etwa, in dem er 1946, drei Jahre vor „Schützenfest“, einige Ideen durchspielte. Oder „Abendschule“, den Tati 1967 in den Kulissen von „Playtime“ gedreht hat. Eine „rare Archivperle“ nennt Peiler „Spezialität des Hauses“, ein Kurzfilm von Tatis Tochter, den sie 1976 im selben Städtchen drehte, in der „Schützenfest“ entstand: Sainte-Sévère-sur-Indre.

Mit sechs Spiel- und sieben Kurzfilmen wirkt das Lebenswerk Tatis schmal – was aber täuscht, wie Peiler erklärt. „Er hat immer wieder an Filmen gearbeitet, oft Jahre nach ihrer Premiere.“ Was ist dann die definitive Version? Peiler zeigt die jeweils jüngste Version, „die für Tati letztgültige Fassung“ – von „Die Ferien des Monsieur Hulot“ (1953) etwa die Fassung von 1978, von „Schützenfest“, Premiere 1949, die Fassung von 1964.

Jacques Tati

Kein schöner Arbeitsplatz. Ein Szenenfoto aus „Playtime“. Foto: Les films de Mon Oncle

Es ist nicht Peilers erste Retrospektive im Achteinhalb. An die These „Das Thema Werkschau im Kino ist tot“ glaubt er nicht und hat einige beachtete und gut besuchte Reihen kuratiert: über den US-Regisseur Wes Anderson („Grand Budapest Hotel“) etwa oder über Louis de Funès. Billige oder einfache Unternehmungen sind das nicht, für „Playtime“ etwa musste Peiler deutsche Untertitel erstellen; überrascht ist er darüber, dass „es diesmal wirklich schwer war“, Unterstützer abseits der traditionellen Begleiter wie der Uni Saarbrücken oder der Volkshochschule Regionalverband Saarbrücken zu finden. „Die Bereitschaft zur Förderung ist allgemein rückläufig.“ Dass dies Peilers vorerst letzte Reihe ist, liegt an seiner anstehenden Doktorarbeit, aber eben auch am schwierigen Finanzieren. „Wenn man wegen 50 Euro Zuschuss endlos telefonieren muss, fragt man sich schon, ob die Rahmenbedingungen noch stimmen.“

 

Die Termine:

Donnerstag, 9. März: „Tatis Schützenfest“ und Kurzfilm „Die Schule der Briefträger“.

Freitag, 10. März: „Die Ferien des Monsieur Hulot“ und „Raufbold gesucht“.

Samstag, 11. März: „Mein Onkel“ und „Halte Deine Linke hoch“.

Sonntag, 12. März: „Playtime“ und „Abendschule“.

Montag,13. März: „Trafic“ und „Fröhlicher Sonntag“.

Dienstag, 14. März: „Parade“ und „Spezialität des Hauses“.

Mittwoch, 15. März: „Der Illusionist“ und „Forza Bastia 78“.

Einführung jeweils um 19 Uhr, Filme (Original mit Untertiteln) ab 20 Uhr.

http://www.studiocanal.de/

 

Jacques Tati

Citroens legendäre DS in Bewegung. Eine Szene aus „Trafic“. Foto: Les films de Mon Oncle

 

 

 

Tarek Ehlail über seinen Film „Volt“ mit Benno Fürmann

Benno Fürmann Volt Tarek Ehlail

Der Homburger Regisseur Tarek Ehlail legt nach „Chaostage“ (2007) und „Gegengerade“ (2011) seinen dritten Spielfilm vor: „Volt“ erzählt von einem Deutschland, das Flüchtlinge in Transitzonen sperrt. Der Polizist Volt (Benno Fürmann) tötet bei einem Einsatz einen Flüchtling – und versucht dann, die Tat zu vertuschen.

 

„Volt“ zeigt einen Staat, der am Ende ist. Wie weit liegt das für Sie in der Zukunft?

Im Film blenden wir den Satz „In naher Zukunft“ ein. Ich wollte nicht von einer bestimmten Zukunft an einem bestimmten Ort erzählen. Unsere heutige Gegenwart sollte noch erkennbar sein, der Film ist sozusagen eine mögliche Konsequenz des heutigen Szenarios.

Der Film reduziert die Welt auf wenige Schauplätze.

Er ist stilistisch vollkommen überhöht, ich wollte das so darstellen wie im Comic. Es gibt wahnsinnig viele Dinge, die wir nicht zeigen. Die nahe Zukunft entsteht für mich durch die Reduktion. Man hört von außen das Gegrolle und das Gedonner der Welt, man sieht aber nur die Welt der Polizisten und die der Transitbewohner. Ansonsten sieht man nur rauchende Schlote, Industrie, Maschinerie. Man kann sich vorstellen, wie sich die Zustände verhärtet haben und wie diese Welt ist, in der die Leute leben. Ich wollte auf keinen Fall ein Flüchtlingsdrama machen, da gibt es ja schon so viele. Es geht um eine Welt, in der sich viele Menschen Wohnraum, Bildung und Gesundheit nicht mehr leisten können, diese Tendenz gibt ist ja da. Das schafft klare Fronten, die wir hier zeigen. Da gibt es die Transitzone, dann die „gated communities“, in der die Leute versuchen, das sogenannte normale Leben zu konservieren, und die Polizisten. Die sind eigentlich arme Schweine, aber weil sie ihren Kopf hinhalten, bekommen sie auch ihr Häuschen mit Gartenparzelle und dürfen Teil dieses konservierten Lebens sein.

Was werden Polizisten von dem Film halten? Sie sind arme Würstchen, manchmal wirken sie aber auch abgestumpft und rassistisch.

Die Frage wurde auf den Festivals, wo der Film lief, schon öfter gestellt – und ich habe keine Ahnung. In München war einer von einer USK-Spezialtruppe bei einer Vorführung dabei, der fand den Film ziemlich gut. Ich will die Polizisten auf keinen Fall per se als Rassisten bezeichnet sehen. Der Jargon ist natürlich krass – Blackies, Bimbos, Zigeuner – das sind rassistische Begriffe. Aber da die Polizisten täglich sozusagen an der Front sind, ist das ein Automatismus. Ich glaube auch nicht, dass bei der Polizei nicht manchmal so gesprochen wird. Das ist aber nicht Ausdruck einer politischen Haltung.

Am Ende geht Volt und lässt das ganze System zurück – was wird denn aus ihm?

Schwer zu sagen. Er hat ja nichts anderes gelernt. Es gibt für ihn keine wirkliche Läuterung, keine neue Perspektive. Er ist ein Geächteter, aber wichtig ist es, wie es emotional für ihn weitergeht. Volts Welt ist eine völlig erkaltete ohne Emotionen, was die Tat nicht weniger schrecklich macht. Im Grunde ist es allen egal, ob da noch ein weiterer Transitbewohner sein Leben verliert. Hätte Volt den Mord am Anfang gestanden, wäre vielleicht gar nicht viel passiert. Aber das Schuldgefühl hat ihn nicht mehr losgelassen – in dieser Welt ist Schuldgefühl für ihn enorm irritierend. So grausam das klingen mag – aber durch sein Martyrium hat er am Ende spüren können, dass er doch noch ein Mensch ist. So verroht die Welt sein mag, empathische Gefühle können sich immer durchsetzen.

Kritik zu „Die Theorie von allem“

Gab es einen speziellen Ausgangspunkt für den Film?

Es dauert ja ewig, bis so ein Film fertig ist, was vor allem an der langen Drehbuchentwicklung liegt. Aber nach „Gegengerade“ wollte ich unbedingt einen bewusst politischen Film machen, auch wenn Filme im Grunde ja immer politisch sind. Ich wollte ursprünglich, wegen der Lage meiner saarländischen Heimat an der französischen Grenze, ein Szenario schreiben, dass sich an die Pariser Unruhen 2005 anlehnt. In meinem Entwurf bringt ein Mann an der Grenze einen Mann um und löst in Deutschland dadurch soziale Unruhen aus wie in Paris 2005. Die Gegenwart hat das aber immer wieder eingeholt, so dass wir es angleichen mussten. Die Grundidee war aber immer, dass in Deutschland wieder Grenzzäune errichtet werden, dass kontrolliert wird und man von dem offenen Europa wieder wegkommt. Ich kam immer wieder zu dem Thema, wenn ich in Saarbrücken an den alten Grenzstationen an der Goldenen Bremm vorbeigekommen bin und mir vorstellt habe, wie das wäre, wenn die die wieder öffnen.

Ausschließen kann man da ja nichts.

Die politischen Verhältnisse sind abgefahren, die Stimmung generell total aufgeheizt. Die Wahl von Donald Trump ist natürlich furchtbar, aber es nervt mich, dass alle so tun, als hätte man das nicht ahnen können. Alle sind jetzt wahnsinnig pikiert über den grassierenden Hass – aber ist doch klar, wenn sich jeder Idiot bei Facebook auskotzen kann. Der Hass und die Gewalt waren ja immer schon da.

„Die Weibchen“ – Uschi Glas und die brennenden BHs

Gab es filmische Vorbilder für „Volt“? Ich musste ein paar Mal an John Carpenter denken, an „Assault“ oder „Die Klapperschlange“.

„Die Klapperschlange“ ist natürlich großartig, den Film würde ich immer als Vorbild akzeptieren. Die Figur Snake Plissken ist ein Mega-Antiheld. Den zweiten Teil, den viele ja nicht mögen, finde ich auch gut. Allein für den letzten Satz „Willkommen in der Steinzeit“ lohnt der sich. Was mich aber auch inspiriert hat, war „Children of Men“ mit einer Welt, in der keine Kinder mehr geboren werden. „Blade Runner“ ist auch fantastisch, weil er eine Welt in völliger Dunkelheit entwirft. Meinen Film wollte ich stilistisch auch überhöhen – die Möglichkeit, fliegende Autos wie in „Blade Runner“ zu bauen, hatten wir natürlich nicht. Wir wollten eine Art Retro-Futurismus erschaffen, nicht auf Grundlage der Frage „Was werden wir in der Zukunft noch alles haben“, sondern: „Was werden wir alles nicht mehr haben?“.

Die elektronische Musik und das Sound-Design von Alec Empire sind sehr effektiv.

Das war eine spektakuläre Arbeit. Er ist ein Wahnsinniger im besten Sinne des Wortes. Er hat das in vier Wochen durchkomponiert und der Welt des Films wirklich einen ganz eigenen Klang gegeben.

Wie groß war die Produktion?

Das Ganze war extrem sportlich. Wir haben gut drei Wochen gedreht, das ist sehr wenig, da muss man schon kämpfen. Aber ich bin der Letzte, der sich bei einer Kinovorführung hinstellt und jammert, wie hart die Bedingungen waren. Am Ende ist man immer nur dem Werk Rechenschaft schuldig – und dem Publikum ist die Zahl der Drehtage ja egal. Man muss mit dem auskommen, was man hat.

Das Gebäude am Ende mit dem Bundesadler – wo steht das denn?

Danach fragen so viele. Das ist das ehemalige Flughafengebäude in Ossendorf in Köln. Das Ende der Welt liegt also in Nordrhein-Westfalen.

Es wurde auch in Neunkirchen gedreht, an den alten Hochöfen?

Ja klar, als Saarländer erkennt man das – aber, wie gesagt, ich wollte den Film nirgendwo verorten.

 

„Volt“ ist bei einigen Streaming-Anbietern zu sehen.
DVD und Bluray bei Lighthouse Home Entertainment 

 

 

Alec Empires Filmmusik ist auf CD erschienen.

Alle Fotos: Felix Gemeiner/Augenschein Filmproduktion

 

Benno Fürmann Volt Tarek Ehlail

Benno Fürmann Volt Tarek Ehlail

Benno Fürmann Volt Tarek Ehlail

Regisseur Jochen Alexander Freydank über „Der Bau“

kafkas der bau

Der Regisseur Jochen Freydank, aufgenommen am 21.01.2015 beim 36. Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken.
Foto: Oliver Dietze

„Den Film muss nicht jeder mögen. Aber ich musste ihn einfach machen“, sagt Jochen Alexander Freydank. „Der Bau“ ist ein schwerer Brocken – und ein Herzensprojekt für den Regisseur, Autor und Produzenten. Mit 16, 17 hatte er Kafkas Erzählung „Der Bau“ gelesen, die ihn nie los ließ, und die er lange in ein Drehbuch umzuformen versuchte. „Vor zehn Jahren hatte ich endlich eine Fassung, bei der ich glaubte, den Stoff geknackt zu haben.“ Aus dem dachsartigen Tier bei Kafka wird bei ihm ein Mensch, das Thema bleibt: Rückzug, Angst, Isolation.

Kein Stoff für eine Sommerkomödie – entsprechend mühselig war die Finanzierung, bei der Freydank auch sein Oscar von 2009 für den Kurzfilm „Spielzeugland“ nicht entscheidend weiterhalf. „Es ist eben ein ungewöhnliches Projekt – und mein Entschluss, viel von Kafkas Sprache mithineinzunehmen, hat die Sache nicht einfacher gemacht.“

Nach Jahren hatte Freydank, der 2010 den SR-Tatort „Heimatfront“ inszenierte, das Budget zusammen, nachdem zuletzt noch das Saarland als Unterstützer und der SR als Ko-Produzent mit einstiegen. Um die 750 000 Euro hat der Film nun gekostet. „Ein Fernsehspiel kostet das Doppelte“, sagt Freydank, der hier gegen die klassische Kino-Regel verstieß, nie das eigene Geld zu investieren: In die letzte Lücke hat er „sein Erspartes rinjesteckt“, sagt der Berliner. „Darum habe ich mich nicht gerissen, aber jetzt denke ich nicht mehr darüber nach – es musste sein.“

Vor genau vier Jahren begannen die Dreharbeiten auf dem Gelände der Industriekultur Saar in Göttelborn, wo der Film fast vollständig entstand, abgesehen von einem Tag in Luxemburg und einem Ausflug in die Völklinger Hütte. „Irre kalt war es“, sagt Freydank, „es gab keinen Moment mit Sonnenschein“. Erfreulicher war die Logistik: „Im Umkreis von einem Kilometer hatten wir 20 Drehorte, zum Teil natürlich, zum Teil gebaut. Normalerweise geht ein Drittel der Drehzeit ja für den Umzug von Ort A nach B drauf – da haben wir viel Zeit gespart.“

Die Hauptrolle des Films spielt Axel Prahl, der jene überraschen wird, die ihn vor allem aus dem Münsteraner „Tatort“ kennen – man begleitet Prahl, in jeder Einstellung zu sehen, beim Abgleiten in die Paranoia, beim Zusammenbruch, beim Mord. „Er spielt ja sonst anderes, aber ich wusste, dass er das kann“, sagt Freydank, „er hat schnell zugesagt, meinte aber selbst , dass das ein harter Brocken ist, Kafkas Sprache ist ja nicht ohne“. Auch Josef Hader als Hausmeister war schnell dabei – solche Zusagen seien Glücksmomente gewesen in einer Planungsphase mit „dunklen Momenten, auch wenn ich jetzt keine Sekunde bereue“.

1.2.,  23.35 Uhr, Arte.

 

kafkas der bau

Franz (Axel Prahl) in seinem Bau. © Mephisto Film/Manuela Meyer/Foto: SR

Christoph Hochhäusler über Max Ophüls, Dirk Bogarde, James Mason und „Toni Erdmann“

Christoph HochhäuslerRegisseur Christoph Hochhäusler.        Foto: Goethe-Institut/Foto Caroline Lessire

Christoph Hochhäusler, Regisseur von „Falscher Bekenner“, „Unter dir die Stadt“ und „Die Lügen der Sieger“, stellt beim Max-Ophüls-Festival einen seiner Lieblingsfilme des Festival-Namensgebers vor: „Madame de…“, am Samstag um 15 Uhr im Cinestar. Ein Gespräch vorab über Max und Marcel Opüls, Dirk Bogarde, James Mason und „Toni Erdmann“.

 

Wie kommt es zu Ihrem Besuch?

Oliver Baumgarten vom Festival hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, eine Brücke zu bauen zu Max Ophüls für ein jüngeres Publikum. Ich liebe Max Ophüls, da habe ich gerne zugesagt.

In Paris haben Sie vor einiger Zeit einen anderen Ophüls-Film vorgestellt.

Ja, das war „Der Reigen. Man könnte eigentlich jeden Ophüls-Film zeigen, die sind ja alle großartig. Aber „Madame de…“ ist schon ein besonderer Lieblingsfilm von mir.

Wieso?

Ophüls verbindet da eine höchste Meisterschaft der Form mit einem großen Thema, das hier so brutal zu Tage tritt wie in fast keinem anderen Werk der Filmgeschichte. Es geht letztlich um Besitz im Zusammenhang mit Gefühlen und darum, inwieweit etwa eine Ehe eine Form von Besitzgemeinschaft ist. Es ist ganz unerhört, wie der Film so kalt wirkt, beim Zuschauer aber induktiv große Gefühle erweckt. Wir sehen viel gesellschaftliche Konventionen, Fesseln, niemand schreit seine Gefühle heraus. Aber wir erfahren durch Ophüls’ Präzision in der Bildsprache genau, was die Figuren fühlen – und über diesen Gegensatz erfährt man die Gefühle noch einmal stärker.

Filmmagazin „Revolver“

Das ist vielleicht eine steile These – aber findet sich diese Dreieckskonstruktion und die Frage nach Besitz so auch in Ihrem Film „Unter dir die Stadt“ wieder?

Nicht im entferntesten bewusst, aber man hat ja immer tolle Filme im Kopf und denkt daran, wie filmische Meister bestimmte Dinge gelöst haben. Aber die reine Konstellation des Films, die hat ja auch Ophüls nicht erfunden, die ist ja immer schon da gewesen. Kritiker haben ihm ja oft vorgeworfen, Ophüls hielte sich mit Äußerlichkeiten auf, alles gehe nur darum, dass das Dekor schön ist, ich finde diesen Vorwurf aber völlig verfehlt. Es gibt kaum andere Regisseure, die so sehr wissen, was sie eigentlich erzählen. Ophüls’ formale Meisterschaft kann einen blenden, aber dahinter steht eine Lebensweisheit. Er war jemand, der die Menschen kennt und ihnen nichts vergibt – aber er war dennoch nicht bitter. Ophüls war einer der großen Menschenkenner des Kinos, einer der größten deutschen Regisseure, zusammen mit Lubitsch, Murnau, Lang. Viel mehr als die Filme dieser Vier braucht man nicht.

Sie wollen eine Brücke schlagen von Ophüls zum jungen Publikum. Haben Sie das Gefühl, er ist bei dem vergessen?

Ja, schon. Ich glaube, dass die meisten jungen Leute keine Ahnung haben, wer der Namensgeber des Festivals ist und welche Filme der gemacht hat. Das ist nur noch so ein Hörensagen. Seine Filme sind in Deutschland relativ selten zu sehen. Das hat auch mit seiner verflixt zersplitterten Karriere zu tun, mit der Flucht aus dem „Dritten Reich“. Es gibt ja kaum jemanden, der in so vielen unterschiedlichen Systemen Filme gemacht hat. Als Schauspieler hat er in Deutschland begonnen, dann hat er Theater- und Radioregie gemacht, kam darüber zum Film und musste nach seinen ersten vier Filmen schon wieder gehen. Dann hat er in Holland, Frankreich und Italien gearbeitet, ist nach Hollywood, wo er lange nicht Fuß gefasst hat. Dort hat er einige seiner besten Filme gedreht, kam wieder zurück nach Frankreich, am Ende auch wieder nach Deutschland – wobei der Flop von „Lola Montez“ seine Karriere eigentlich beendet hat. Dann ist er früh gestorben. Eine verrückte Karriere voller Hindernisse. Seinen Filmen sind die Widrigkeiten nicht anzusehen. Sie trotzen der Schwerkraft sozusagen.

Ist Ophüls’ Nachruhm in Frankreich größer?

In jedem Fall. Das liegt natürlich auch daran, dass er viele seiner Meisterwerke in Frankreich gedreht hat, mit französischen Stars wie Danielle Darrieux oder Charles Boyer. Die Franzosen verehren ihn als einen der Ihren. Er ist da schon angekommen, auch wenn er durchaus Sehnsucht nach der deutschen Sprache hatte und nach dem Krieg in Deutschland auch an Projekten gearbeitet hat, aus denen dann aber leider keine Filme wurden. „Berta Garlan” zum Beispiel, eine Schnitzler-Bearbeitung, die er dann „nur” als Hörspiel verwirklichen konnte.

Werden Sie Marcel Ophüls beim Festival treffen?Ich hoffe es sehr, vielleicht wird es ein Gespräch geben, das würde ich gerne machen, ich bin ein Verehrer seiner Filme. Er ist auch so jemand, der zwischen Kulturen hin- und hergerissen wurde. Zwangsläufig gewissermaßen, als Ophüls’ Sohn. Das ist an Bitterkeit kaum zu übertreffen, wenn man etwa an seinen Film „Das Haus nebenan – Chronik einer französischen Stadt im Kriege“ denkt, der in Frankreich zunächst verboten wurde und wirklich sehr lange nicht gezeigt wurde. Das ist schon ein schwieriger Weg gewesen.

Sie nehmen regelmäßig an Filmdiskussionen teil, schreiben über Film, auch in der Zeitschrift „Revolver“, die Sie mitherausgeben – wie wichtig ist Ihnen diese Sekundärbeschäftigung mit Film?

Sehr. Als wir die Zeitschrift „Revolver“ gegründet haben, vor 19 Jahren, waren wir alle noch Studenten. Da hatten wir das Gefühl, wir müssten das eigene Lernen irgendwie selbst organisieren. Die Neugier darauf, wie das andere machen, wie andere mit den gleichen Problemen umgehen, ist bis heute geblieben. Ich glaube auch, dass es dafür ein Publikum gibt, eine cinephile Szene, die hungrig ist nach solchen Formaten.

Sind das eher junge Leute?

Nicht nur. Zu unseren Veranstaltungen in Berlin kommen Leute so zwischen 20 und 50 Jahren, das ist gut durchgemischt.

Was bedeutet der Erfolg von „Toni Erdmann“ insgesamt für deutsche Filmemacher wie Sie, die man nicht dem Kommerz zurechnet?

Ich habe keine Ahnung. Ich finde, man sollte die Filme in Schutz nehmen vor solchen Erwartungen. Mich freut ihr Erfolg. Maren Ade hat nicht ahnen können, dass der Film ein so überwältigendes Echo finden würde. Und ob wir, alle anderen sozusagen, davon etwas haben werden – das ist wirklich zweitrangig. Diese Heilserwartungen an den deutschen Film sind etwas lästig. Es ist einfach ein Film – und im Übrigen muss der deutsche Film auch nicht gerettet werden.

Wenn einem Film der zehnte, der elfte Preis verliehen wird, kann das einen Film ja auch erschlagen, oder?

Hypes sind zwiespältig. Man hat natürlich etwas von ihnen – „Toni Erdmann“ hätte sonst nicht diese enormen Zuschauerzahlen. Eine Drei-Stunden-Dramödie, die in Rumänien spielt – der Erfolg war ja wirklich unwahrscheinlich. Aber manchmal verstellen sie eben auch den Blick.

In Ihrem Blog nennen Sie Dirk Bogarde einen der besten Schauspieler des 20. Jahrhunderts. Was schätzen Sie so an ihm?

Das ist ein Schauspieler, den Ophüls gut hätte gebrauchen können. Er hätte gut zu ihm gepasst. Ich mag das generell sehr, wenn es da ein Spiel im Spiel gibt: Ich bin ein Skeptiker des Naturalistischen und habe bei Bogarde das Gefühl, dass man bei ihm immer zwei Schichten hat: ein extrem virtuoses Außen, aber es wird immer auch klar, dass das nicht alles ist –– da bleibt ein Geheimnis, gleichzeitig wird nicht verschwiegen, dass das gemacht ist. Es gibt nicht, sozusagen, die Prätention des Prätentionslosen.

Sie erwähnen in dem Zusammenhang auch James Mason.

Ja, mit dem hat Ophüls den wunderbaren Film „Gefangen“ gedreht. Ich mag die Schauspieler vor dieser „Method“-Revolution am liebsten, da hat das Spiel noch stärker etwas Allegorisches. Anton Wohlbrück etwa im „Reigen“ hat so etwas Künstliches, was eine Innerlichkeit aber nicht ausschließt, das ist großartig. Ähnlich wie Vittorio De Sica in „Madame De…“ – das ist kein psychologisches Spiel, wo alles in irgendwelche Backstorys aufgeht, es ist viel komplexer als das. „Method“ mit Brando und Co. hat viel Schaden angerichtet, auch wenn es da tolle Schauspieler gibt. Aber es fehlt dieses archaische Moment. Andererseits: Brando ist eine Naturgewalt – und für die Folgen seiner Kunst darf man ihn nicht verantwortlich machen.

Christoph Hochhäuslers Notizbuch:
http://parallelfilm.blogspot.de

 

Interview mit Ophüls-Leiterin Svenja Böttger

Svenja Böttger

Am Montag beginnt das 38. Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken. Es ist das erste für die neue Leiterin Svenja Böttger. Ein Interview vorab.

 

Wie geht es Ihren Nerven vor dem ersten Festival?

Die Nerven sind in Ordnung, aber ich bin froh, dass es jetzt losgeht.

Wenn man als neue Festivalleiterin zu wenig ändert, kann der Eindruck entstehen, man habe zu wenig Ideen. Ändert man zu viel, verschreckt man eventuell das Stammpublikum. Hatten Sie die Angst, nicht das richtige Maß zu finden?

Diese Angst sitzt einem natürlich immer im Nacken. Aber wir haben uns als Team Zeit und Ruhe genommen, uns alles anzuschauen, über das Festival zu reden, sein Fundament und die Eckpfeiler.

Was ist das Fundament?

Der Wettbewerb. Und der ist gut, so wie er ist. Aber über einige Änderungen abseits des Wettbwerbs freuen sich schon viele Filmemacher – etwa dass wir jetzt einen Animationsblock in der MOP-Shortlist haben und dass wir dort auch Kurzdokumentarfilme zeigen. Ob das Ganze Erfolg hat, kann man aber erst nach dem Festival beurteilen.

Trotz der Unruhe des vergangenen Jahres sind die Sponsoren dem Festival treu geblieben, wonach es erst einmal nicht ausgesehen hat.

Wir haben uns in Ruhe kennengelernt, es waren gute, herzliche Gespräche, da gibt es gegenseitiges Vertrauen.

Schätzen Sponsoren vor allem die medial gut zu nutzenden Glamour-Momente mit Rotem Teppich und Stars?

Nein, das halte ich für ein Klischee. Wir haben sehr viele Unterstützer, die sehr filmaffin sind, sehr aufmerksam der Sache gegenüber. Die schauen sich die Ophüls-Filme auch wirklich an.

Gibt es im Spielfilmwettbewerb einen Trend?

Die großen Themen – Erwachsenwerden, den Platz in der Gesellschaft finden, Flucht und Migration – sind verpackt in kleinere, persönliche Geschichten. Das ist ein neuer Ansatz. Auffallend sind auch viele Elternthemen, viele Eltern-Kind-Konstellationen in den Filmen.

In diesem Jahr sind auch mehr Filme von Regisseurinnen zu sehen als sonst.

Das Angebot war dankenswerterweise groß. Es tut den Geschichten gut, dass sie mal aus dieser Sicht erzählt werden. In diesem Jahr hat sich da viel verändert.

Sie haben also bei der Auswahl nicht darauf geachtet, eine Art Frauenquote zu erfüllen?

Überhaupt nicht. Wir fanden das Angebot gut und können mit den Produktionen zeigen, dass sich da in der Filmlandschaft etwas ändert. In den Filmhochschulen werden mehr Frauen als Männer ausgebildet – lange Zeit stammten die Debütfilme, die zweiten und dritten Filme aber eher von Männern. Das ändert sich langsam, und wir sind froh, das abbilden zu können.

Der Festivalclub „Lolas Bistro“ ist diesmal im alten C&A-Gebäude, das sieben Jahre lang leer stand. Wie kamen Sie darauf?

Wir haben uns generell viele Event-Orte angeschaut. Der Charme des E-Werks ist für die Preisverleihung genau passend. Bei der Suche nach „Lolas Bistro“ wurde uns klar, dass es in Saarbrücken nicht viele Orte gibt, die unsere Anforderungen erfüllen: Raum für Gespräche, Platz für viele Leute, zentrale Lage in der Stadt. Das C&A fanden wir auf Anhieb toll.

Ist der Ort auch für nächstes Jahr geplant?

Dazu ist es viel zu früh. Das Publikum muss den Ort ja erst einmal annehmen. Und vielleicht tut sich mit dem Haus ja etwas, so dass wir es 2018 nicht mehr nutzen können.

Das Gloria als Ort kam 2016 nicht bei allen gut an.

Ja, aber diesem Ort muss man eine Chance geben. Dort geschieht gerade einiges, die alten Separees werden abgerissen, und der alte Kinoboden ist zum Teil wieder hergestellt, was sehr schön ist.

Das Festival vergibt 15 Preise, dotiert insgesamt mit über 100 000 Euro. Sinn das nicht zu viele Preise?

Nein – wir haben vier Wettbewerbe, für die es jeweils mindestens zwei Preise gibt. Im Spielfilmwettbewerb muss man in jedem Fall die Regie auszeichnen, den besten Film sowieso. Dass man Nachwuchsdarsteller mit einem Preis in den Fokus stellt, ist selbstverständlich. Das man mit dem Preis der Jugendjury schaut, was den jungen Zuschauern gefällt, auch. Jeder Preis hat seine Daseinsberechtigung für das, was wir hier tun – Nachwuchs präsentieren und Talente auszeichnen.

Was machen sie am Montag nach Ihrem ersten Festival?

Der Montag ist unser Abbau-Kampftag. Am Dienstag machen wir ein Frühstück mit dem ganzen Team, dann schlafen wir alle mal aus. Ein paar Tage später geht es zur Berlinale, wo der Ophüls-Gewinnerfilm laufen wird. Und im Februar bekommen wir schon die erste Filmeinreichung für 2018.

 

„Ich meine es ja nicht böse“ – Jessica Hausner über ihren Film „Amour Fou“

 Jessica Hausner Amour Fou  Jessica Hausner Amour Fou

1811 erschießt sich der Dichter Heinrich von Kleist gemeinsam mit Henriette Vogel in Berlin – sie hatten sich dazu verabredet. Die Regisseurin Jessica Hausner („Lovely Rita“, „Lourdes“) nimmt diesen Freitod als Anlass, in ihrem Film „Amour fou“ über die klassische Idee der Liebe zu spekulieren, über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, gemeinsam zu leben und zu sterben. Ihr Film gewinnt den Gesprächen in den preußischen Salons (über die Steuer oder auch die „bedrohliche“ französische Demokratie) eine unerwartete Komik ab. Ich habe  mit Jessica Hausner  beim Saarbrücker Ophüls-Festival 2015 gesprochen, wo sie den Film vorgestellt hat.

 

 

Der ein oder andere Kritiker wirft ihrem Film vor, er sei kein umfassendes Porträt Heinrich von Kleists. Aber hatten Sie das überhaupt im Sinn?

Nein, „Amour fou“ ist kein biografischer Film, nicht einmal ein psychologischer Film. Es ist eher eine Versuchsanordnung, vielleicht eine Parabel, ein Gedankenspiel über den gemeinsamen Selbstmord.

Dann hätten Sie Kleist als Figur gar nicht unbedingt gebraucht?

Doch, das schon, weil ich wesentliche Teile der Komik des Films aus seiner Biografie gewinne. Ich hatte früher schon einmal vor, einen Film über Doppelselbstmord aus Liebe zu drehen. Dieser erste Entwurf hatte aber keinen Humor. Aber der war für mich wichtig. Dazu inspiriert hat mich die Geschichte von zwei Teenagern, die sich verabredet hatten, von einer Klippe zu springen. Jahre später habe ich einen Artikel über Kleist gelesen, der beschrieb, wie er auf der Suche nach einem Partner für den Selbstmord so lange verschiedene Leute fragte, bis er endlich jemanden gefunden hat – Henriette Vogel. Ich fand es interessant, dass diese Idee ihm letztlich wichtiger war als sein Gegenüber, die Person, die mit ihm stirbt.

Der Kleist Ihres Films ist ein grauenvoller Narziss, oder?

Ja, aber mein Film ist, wie gesagt, keine Biografie. Er beleuchtet nicht den Fall eines besonders narzisstischen oder auch depressiven Menschen. Ich drösele nicht auf, warum er sterben will, das bleibt knapp gehalten.

Warum?

Weil ich zu einem allgemein menschlichen Punkt kommen will – dieses in sich selbst verwoben Sein, das jeder besitzt. Jeder wünscht sich irgendetwas von seinem Partner und legt diese Wünsche in den anderen hinein. Aber was der andere wirklich denkt oder empfindet, das weiß man nicht.

Das hieße auch, dass wir jemand anderen eigentlich nur um unserer selbst Willen lieben.

Ja, in jedem Fall. In der Liebe herrschen grundsätzlich Missverständnisse. Liebe ist nichts Altruistisches, sondern etwas Egoistisches, man will die eigenen Bedürfnisse bei dem Partner, den man sich aussucht, befriedigen.

Im Film bewerten Sie das nicht.

Nein, denn ich meine es ja nicht böse. Man ist einfach nicht in der Lage, sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen. Ich glaube, dass meine Bildsprache – diese Tableaus und der Mangel an Nahaufnahmen – auch damit zusammen hängt. Filme suggerieren ja mit Nahaufnahmen von Gesichtern, dass man weiß, was in den Menschen vorgeht. Aber man weiß es eben nicht.

Die Kamera in Ihrem Film verharrt unbeweglich auf Tableaus. War das für Ihren Kameramann frustrierend, dass er keine kunstvollen Kamerafahrten unternehmen konnte?

Nein, Martin Gschlacht, mit dem ich bisher jeden Film gemacht habe, zieht seine Lust aus dem Inhalt. Wir suchen die Bildsprache, die die Geschichte nahe legt. Er ist Gott sei Dank frei von diesen technischen Gelüsten, dass er etwa unbedingt mal eine Kranfahrt ausprobieren muss. Gegen die habe ich ja nichts, aber der Inhalt gibt den Stil vor.

Die Komik des Films funktioniert auch über die Sprache und die Sprechweise und ist dabei sehr subtil. Funktioniert das bei jedem Publikum?

Bis jetzt haben alle gelacht – auch die Untertitel-Leser in anderen Ländern. Bei den französischen und englischen Untertiteln habe ich mitgearbeitet, wir wollten das Trockene, Lapidare, das absurd Witzige übertragen. Und in der Bildsprache ist es witzig, dass die Person da stehen, so aufgefädelt wie Marionetten – das ist skurril und ermuntert den Zuschauer, dass er durchaus schmunzeln kann.

Wie kamen sie auf den spezifischen Sprachklang Ihres Films?

Ich habe mich in Briefe und Tagebücher jener Zeit eingelesen, habe Sätze abgeschrieben, bis ich das Gefühl hatte, jetzt meine eigenen Dialoge schreiben zu können, weil ich das Gefühl für die Sprache dieser Zeit besitze.

Manche Szenenbilder sehen aus wie Gemälde. Hat die Kunstgeschichte Sie dabei inspiriert?

Ich habe mir einige Bilder aus dem 19. Jahrhundert angesehen. Was mich an historischen Filmen oft stört, ist, dass alles leicht angeschmuddelt aussieht, das hat so etwas Pseudohistorisches. Das wollte ich nicht sehen, sondern lieber einen eigenen Stil entwickeln und zeigen, dass es damals tatsächlich neue Möbel gab. Und nicht jedes Kleid war zerschlissen, nicht an jeder Straßenecke ist ein Huhn vorbeigelaufen. Wir wollten, dass alles alltäglich und neu zugleich ausschaut – wie Ikea im Jahre 1811.

Ist „Amour fou“ ein Antifilm gegen die üblichen bildungsbürgerlichen Dichterbiografien und Historienfilme?

Das kann schon sein. Auf ästhetischer Ebene ist es eben kein hübsch gemachter Historienfilm. Die meisten Filme tappen in die Falle, dass man so akkurat sein will wie möglich, weil es eben historisch ist. Wenn man in der Vergangenheit erzählt, sollte man eine eigenwillige Ästhetik wählen. Am Anfang hatten wir ein Szenenbild eingerichtet, wie man es aus Bildern der Epoche kannte. Ich hatte das Gefühl, das schon 1000 Mal gesehen zu haben – und das Ganze nicht mehr geglaubt. Da haben wir einige Dinge geändert, Zufälle und Asymmetrisches hinein gebracht. Das verbindet die Bilder mit unserer Gegenwart.

„Amour fou“ ist auf DVD bei good!movies erschienen.
Die Bildrechte liegen bei Stadtkino Filmverleih, das Porträt von Jessica Hausner stammt von Gianmaria Gava/Stadtkino.

Regisseurin Sylke Enders über ihren Film „Schönefeld Boulevard“

Sylke Enders Schönefeld Boulevard

Regisseurin/Autorin Sylke Enders. Foto: rbb/Benedict Neuenfels/credo:film

 

 

 

 

 

 

Sylke Enders Schönefeld Boulevard

Julia Jendroßek als Cindy. Fotos: rbb/Claudia Rorarius/credo:film

Sylke Enders Schönefeld Boulevard

 

Die Regisseurin und Autorin Sylke Enders („Kroko“, „Mondkalb“) erzählt in ihrem  Film „Schönefeld Boulevard“ von der jungen Cindy (gespielt von Julia Jendroßek): Pummelig, vom Leben eingeschüchtert und in ihrer Klasse von ähnlich frustrierten Mitschülerinnen gehänselt, sucht sie auf der ewigen Baustelle des Berliner Großflughafens nach ein wenig Freiheit und nach einer Perspektive für ihr Leben.

 

 

„Schönefeld Boulevard“ spielt auf einem Flughafen, der nicht fertig wird, einem Ort des ewigen Wartens – auch eine Metapher für das Leben Ihrer Heldin. War die Baustelle der Grundstein des Drehbuchs oder bot sich der BER später einfach als sinniger Schauplatz an?

Nein, das Drehbuch war längst fertig. Die Idee, es am BER zu verfilmen, kam mir, als ich zum sicher 5000. Mal dort vorbeikam, aber mal anhielt und mir die ganze Szenerie in Ruhe angeschaut habe – etwa den Friedhof am Flughafen, dann das Örtchen, das von einer Schnellstraße geteilt ist, die Motels, die ganze geballte Langeweile. Für mich war Schönefeld schon immer, auch als ich noch ein Kind war, das „Tor zur Welt“. Aber das heißt ja nicht, dass auch jeder durch dieses Tor hindurchgeht – manchmal ist die Angst vor dem Neuen größer als die Neugier selbst.

Davon erzählt Ihr Film, aber auch vom Erwachsenwerden und dem Leben von Außenseitern. Dazu gibt es viele Filme. Hatten Sie keine Angst, einen weiteren unter vielen sogenannten „coming of age“-Filmen zu drehen?

Nein, denn so würde ich meinen Film gar nicht definieren. Für mich geht es um eine ungewöhnliche Freundschaft und um Bedürfnisse, die leider verleugnet werden. Die gibt es in der Erwachsenenwelt ja genauso, mir ging es nicht um einen Blick nur auf Jugendliche. Es geht um fehlende Zugehörigkeiten, um Halt- und Orientierungslosigkeit. Diese Themen findet man wohl in all meinen Filmen.

Ihr Film verläuft am Anfang in erwarteten Bahnen, aber irgendwann kommt ein Bruch, und alles scheint im Film möglich, die Grenzen zwischen Tragik und Komik fließen. War das immer die Idee gewesen?

Ja, aber der Anfang des Films scheint das Publikum wirklich stärker zu polarisieren, als ich gedacht hätte. Manche Zuschauer nehmen die Figuren an, manche nicht.

Cindy widersetzt sich auf stille Weise, sie ist keine klassische Rebellin.

Ich finde sogar, sie rebelliert gar nicht – sie entzieht sich vor allem. Sie empfindet Scham über sich selbst, und Scham verhindert oft, dass man in die Opposition oder Rebellion tritt. Cindy hat etwas Stoisches, was mir sehr gefällt. Für mich ist sie letztlich kein typisches Opfer.

Die Konflikte treiben Sie nicht auf die Spitze, es gibt auch keine große Konfrontation am Ende. Das könnte gängige Erwartungen enttäuschen.

Ja, aber ich mache so etwas eben anders. Ich wollte Cindy eine gewisse Größe geben – auch durch ihr Schweigen. Denn das signalisiert: Sie lässt sich nicht aus der Reserve locken, sie ist den Sticheleien auf ihre Art gewachsen. Das hat eine ungeheure Kraft.

War die Suche nach einer Hauptdarstellerin schwierig?

Es war eine Katastrophe – ich war frustriert und hochgradig genervt. Ich fragte mich: Wo sind sie denn, unsere Theaterschauspielerinnen, die jünger aussehen, als sie sind? Und was soll dieser Schlankheitswahn? Ich habe viele junge Frauen gecastet, die nicht das Lebensbejahende hatten, das ich für diese Figur brauchte. Als ich Julia Jendroßek sah, sagte ich: „Immerhin gehen bei der nicht die Mundwinkel nach unten.“ Wir haben sie zwei Monate vor den Dreharbeiten gefunden. So kurz vor dem Drehstart ohne Hauptdarstellerin dazustehen, wünsche ich keinem.

Warum heißt das Mädchen Cindy? Ein Verweis auf die Kunstfigur „Cindy aus Marzahn“?

Nein, überhaupt nicht – das Drehbuch war schon abgeschlossen, als ich zum ersten Mal von ihr hörte. Eines Tages las ich dann in der „Bild“ sogar von „Cindy und Danny aus Berlin-Hellersdorf“, also genau die Vornamen meiner Hauptfiguren. Da habe ich sehr gelacht und dachte: Na gut, dann ist und bleibt das eben so.

„Schönefeld Boulevard“ läuft am 5. Januar, 0.10 Uhr, auf RBB.
Die DVD ist bei Farbfilm erschienen.

Interview mit Regisseur Christian Schwochow über seinen Film „Westen“

Christian Schwochow WestenChristian Schwochow Westen Jördis TriebelChristian Schwochow Westen Jördis Triebel

In Saarbrücken ist Regisseur Christian Schwochow, dessen neuer Film „Paula“ gerade gestartet ist,  ein guter Bekannter: Sein Debüt „Novemberkind“ gewann 2008 den Publikumspreis des Ophüls-Festivals, sein zweiter Film „Die Unsichtbare“ erhielt 2012 eine lobende Erwähnung. Sein neuer Film „Westen“ erzählt die Geschichte der Mutter Nelly, die 1978 von der DDR in die BRD flieht. Dort setzt der US-Geheimdienst sie unter Druck, und Nelly kommt der goldene Westen gar nicht mehr so golden vor. Ein Gespräch mit dem Regisseur über seinen Film, der auch etwas mit Schwochows Biografie zu tun hat.

 

In einem Interview sagten Sie, dass Sie nach „Novemberkind“ und dem TV-Film „Der Turm“ nicht auf das Thema DDR festgelegt werden möchten. Jetzt haben Sie aber „Westen“ gedreht. Weil die Handlung auch Ihre Biografie berührt?

Zum Teil. Der Film basiert ja auf Julia Franks Roman „Lagerfeuer“, den ich 2003 gelesen habe. Damals machte eine neue Generation von Schriftstellern auf sich aufmerksam wie eben Julia Frank oder Clemens Meyer, die die ostdeutsche und deutsch/deutsche Wirklichkeit aus einem ganz unideologischen Blick heraus beschrieben haben. Die Konflikte in „Lagerfeuer“ kamen mir sehr vertraut vor. Meine Eltern haben ja selbst einen Ausreiseantrag gestellt, der am 9. November 1989 genehmigt wurde. Die Sehnsucht nach einem neuen, anderen Leben war ein ganz großes Thema in meiner Familie. Dieses Ankommen in der neuen Welt mit all seinen Problemen kannten wir auch. Da gibt es viele autobiografische Anteile, das hat mich sehr interessiert.

Wie war das damals, als Sie aus Ostberlin nach Hannover kamen? Wurden Sie beäugt wie ein Marsmensch?

Es war nicht so wie im Film, wo der Junge als „Ostpocke“ bezeichnet wird. Aber man wusste einige Zeit nichts mit mir anzufangen. Ich habe den Herbst 1989 ja ganz direkt erlebt in Berlin, ich hatte viel gesehen von den Demonstrationen und Montags-Andachten, es gab Verfolgungsjagden direkt unter meinem Fenster – das vergisst man nie. Diesen ganzen innerlichen Aufbruch hatte ich in mir und bin dann ins beschauliche Hannover gekommen. Ich kam aus dieser aufgeladenen Zeit und konnte das Erlebte schlecht vermitteln.

Ihr Film zeigt den Westen nicht als das gelobte Land, eher als Ort einiger enttäuschter Hoffnungen. Üblicherweise ist der Kontrast zwischen der BRD und der DDR im deutschen Kino ja viel deutlicher.

Das stimmt schon, aber ich wollte damit nicht aussagen, dass die BRD auch nicht besser wäre als das Regime der DDR – das wäre falsch. Aber mich ärgert immer diese einseitige Sicht vom dunklen kommunistischen System und von der anderen Seite, auf der immer alles richtig gemacht worden ist. Wir wissen ja spätestens seit Edward Snowden, welche Rolle westliche Geheimdienste spielen. Deshalb soll mein Film erzählen, dass auch eine westliche Demokratie sehr eigene Mechanismen besitzt, die erstmal nichts mit Freiheit zu tun haben.

Eine BRD-Amtsstube im Film, in dem der Hauptfigur Nelly das Leben im Westen gestattet wird, zeigen Sie so grau und muffig, wie es sonst im Kino nur die DDR-Büros sind. Ironie?

Nein, das Büro ist originalgetreu nachgebaut. Aber kurios ist es schon, wie ähnlich sich damals doch manches war. Als ich am 10. November 1989 über die Bornholmer Straße nach Westberlin gelaufen bin, dachte ich: Das ist jetzt auch nicht weniger schmuddelig als der Prenzlauer Berg, auch wenn mehr Leuchtreklamen brannten. Aber so anders hat sich das alles gar nicht angefühlt.

Ihr Film lässt inhaltlich einiges in der Schwebe, nicht alles wird aufgelöst.

Ich weiß, dass das manchen Zuschauer frustrieren könnte, mir war es aber sehr wichtig – die Figuren werden nie alles erfahren, aber sie müssen sich dennoch für etwas entscheiden, auch wenn die großen Fragen des Lebens noch nicht beantwortet sind.

Sie haben den Film „Die Täter – heute ist nicht alle Tage“ über die NSU-Morde geschrieben und inszeniert – ist das auch eine typisch ostdeutsche Geschichte, die es ohne die DDR nicht gegeben hätte?

Natürlich haben der Zusammenbruch der DDR und der schwierige Neuanfang ganz viel mit der Entwicklung des Rechtsextremismus zu tun, keine Frage. Die Drei und ihre Mitstreiter gehören zu der besonderen Generation der Wendekinder. Aber wir müssen aufhören, den Rechtsextremismus in Deutschland als ein ostdeutsches Problem zu behandeln. Er ist seit vielen Jahren ein gesamtdeutsches Problem. Der NSU-Komplex hat eine gesamtdeutsche Tragweite, vieles ist nicht gesehen worden oder man wollte es nicht sehen. Den Boden für diese Bewegung hätte man überall in Deutschland finden können.

 

Die DVD ist bei Senator erschienen.

Die Szenenfotos stammen von Senator, das Bild von Christian Schwochow machte Iris Maurer.

 

Camera Zwo – wie geht es dem Saarbrücker Kino am zehnten Geburtstag?

 

Camera Zwo

Vor zehn Jahren hat Kinobetreiber Michael Krane das alte Scala-Filmtheater in der Saarbrücker Futterstraße in die Camera Zwo umgewandelt. Hat sich das Rezept, anspruchsvolle Filme an der Schwelle zum Mainstream zu zeigen, bewährt?

Die düstere Treppe nach unten wirkt wie eine Edgar-Wallace-Requisite. Doch statt Kinski oder Fuchsberger wandelte hier, in den Projektionsräumen der Camera Zwo, einst der Filmvorführer. Einen separaten Eingang hatte er – und keinen Zugang zum eigentlichen Kino, ein Stockwerk tiefer. Des Brandschutzes wegen, erklärt Kinobetreiber Michael Krane, der durch seine Camera Zwo führt, die früher einmal, von 1951 bis 2005, das selige Scala-Kino war – in der Region eines der größten „Filmtheater“, wie man Kinos damals so verheißungsvoll nannte.
Die schmalen Gänge über den Kinosälen sind voller Historie: Plakate, Bud-Spencer-Aufkleber und Brandschutzklappen aus der Kinosteinzeit, als hitzige Kohlebogenlampen das Licht auf die Leinwand warfen. Heute ist das anders – hier stehen moderne Digitalbeamer, denen Krane nicht ganz traut. „Wenn die alten Projektoren mal nicht liefen, hat ein Fußtritt Wunder gewirkt“, sagt der 55-Jährige, die Beamer seien empfindlicher, voll mit teurer Technik. „Niemand weiß, wie lange die halten.“ Ein Damoklesschwert über allen Kinos sei das. Jüngst versagte eine kleine Platine ihren Dienst – mit 2000 Euro Kosten. Immerhin: 25 Kilo schwere Kinokopien muss heute niemand mehr schleppen, der Film auf Festplatte wiegt nur ein Pfund.

Ein Stockwerk tiefer liegt die Theke mit Kasse – und Popcorn-Maschine: für besonders gestrenge Cineasten ein Sakrileg, Symbol des bösen Kommerzkinos. Krane nimmt es gelassen. „Anfangs dachte ich, wenn die Maschine kaputt geht, repariere ich sie nicht mehr.“ Aber die Mini-Gastronomie bringt Geld in einem Geschäft der knappen Kalkulation. Acht Jahre lang hat Krane keine Werbung gezeigt, „darauf war ich sehr stolz“, aber das ließ sich finanziell nicht halten: 2012 kam die Digitalisierung – für 250 000 Euro, wenn auch bezuschusst von der Filmförderung und vom Land. Klassisch geschulte Vorführer sind heute überqualifiziert, PC-Kenntnisse reichen aus. „Man muss mittags die Systeme hochfahren und abends auf ein paar Knöpfe drücken.“
Einer der Vorteile der Digitalisierung: Filme auch in der Originalfassung zu zeigen, ist technisch kein Problem; früher musste man eine eigene Kopie anfordern. Im US-Original hat Krane gerade einen Film gezeigt, den man hier nicht erwartet hätte: das jüngste „Star Wars“-Spektakel. „Das war vor allem für mich“, sagt er, „mit den alten Filmen bin ich aufgewachsen.“ Generell aber passen Blockbuster nicht zum Image des Kinos. „Den jüngsten Bond hätte ich auch spielen können – aber da muss man aufpassen.“

Es läuft überwiegend gut in der Camera Zwo. 2012 bis 2014 seien „goldene Jahre“ gewesen. „Doch 2015 war ein Desaster, da sind wir abgestürzt.“ Keine wirklich guten Filme, keine großen Hits. „Beruhigend war aber, dass wir ein Katastrophenjahr ganz gut überstanden haben.“ Mit studentischen Aushilfen führt Krane das Kino und mit zwei Festangestellten: er selbst und Kinoleiterin Anna Reitze (32), die laut Krane „den Laden eigentlich besser kennt als ich“. Wohlhabend werde man nicht, „man muss privat alles stemmen, subventioniert werde ich ja nicht“. Apropos: In Konkurrenz zum städtischen Filmhaus sieht er sich nur bedingt, „ich bin ja deutlich mainstreamiger“, während das Filmhaus ganz bewusst auch sperrigere Filme zeige. „Was mir nicht unrecht ist.“

Das Verleihgeschäft, das Einschätzen von Erfolgschancen und bisweilen das Gerangel um Filme, ist nicht einfach. „Zumal man Filme nicht einfach nur für eine Woche buchen kann und je nach Erfolg verlängert oder absetzt.“ Manchmal sitze man auf einem Ladenhüter, den man vertraglich mehrere Wochen zu spielen habe. Nur wenn Filme gnadenlos floppen – aktuell der Sandra-Bullock-Film „Die Wahlkämpferin“ – haben die Verleihe, die täglich durch die vernetzte Kinokasse über die Einnahmen informiert werden, Verständnis und lassen den Film aus dem Programm nehmen. Bei kleineren Verleihen gibt Krane dem Film aber nochmal eine Chance, „sonst wäre das unfair“, oder Werken, die er mag. Der Trickfilm „Anomalisa“ läuft schlecht bei ihm. „Aber ich zeige ihn weiter, weil er gut ist“, sagt Krane, der sich dennoch weniger als Cineast versteht denn als pragmatischer Kinobetreiber. „Würde ich nur spielen, was mir gefällt, wäre der Laden zu.“
Dass die Camera Zwo viele ältere Leute anlockt, freut Krane – es ist ein treues und angenehmes Publikum, das nicht mit Popcorn um sich wirft. Manche Stammgäste kämen, ohne zu wissen, was läuft. „Eine andere Gruppe kommt immer mittwochs, aber nur bei schlechtem Wetter“ – eine Boule-Truppe, die bei Sonnenschein lieber ihre Kugeln wirft. Berühmt-berüchtigt ist ein Kinogänger, der stets zwei Minuten zu spät den Saal betritt und zielgerichtet seinen Stammplatz ansteuert. Wenn der dann schon besetzt ist, schätzt der Stammgast das gar nicht. „Aber er ist harmlos.“

HINTERGRUND
Im Januar 2006 hat Michael Krane, zuvor Geschäftsführer der Saarfilm (Passage- und UT-Kinos) das Scala-Kino in Camera Zwo umbenannt – als Reminiszenz an das Camera-Kino auf der Berliner Promenade (1967-1999). 100 000 Euro steckte er in die Modernisierung und stellte das Programm auf „mainstreamigen Kunstfilm“ um, wie er sagt. Sechs Säle bieten Platz für 456 Kinogänger. Der erfolgreichste Film bisher war „Ziemlich beste Freunde“, der um die 20 000 Zuschauer anzog, gefolgt von „Monsieur Claude und seine Töchter“ und „Willkommen bei den Sch’tis“.

Das Foto von Michael Krane und Theaterleiterin Anna Reitze stammt von Oliver Dietze.

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