
Der Killer (Michael Fassbender), der sich gerne kleidet wie ein deutscher Klischee-Tourist, damit er nicht angesprochen wird. Foto: Netflix
Wie eisig kann ein Film sein? Und zugleich, auf grimmige Weise, ziemlich witzig? Trotz Mord und Totschlag, trotz Gewalt und Leid? „The Killer“ ist mühelos beides. Regisseur David Fincher („Fight Club“, „Gone Girl“) ist ein Mann des distanzierten Blicks auf die Welt – auch in seinem jüngsten Film, einer Produktion für Netflix. The Killer“ erzählt eine scheinbar schlichte Geschichte: Ein Berufsmörder versagt bei einem Auftrag, gerät ins Visier seiner Auftraggeber, wehrt und rächt sich. Das hat man schon oft gesehen, in zahllosen vergessenen Filmen, aber auch in Klassikern wie Jean-Pierre Melvilles „Der eiskalte Engel“ mit Alain Delon (1967) oder in John Woos wiederum von Melville beeinflusstem „The Killer“ (1989) mit Chow Yun-Fat – einer melancholischen Baller-Oper der großen Kaliber und ganz großen Gefühle.
Finchers Film ist anders. So wie die Titelfigur stets versucht, den Puls vor dem tödlichen Schuss zwecks Treffsicherheit zu senken, erzählt der Film unterkühlt, als wolle Fincher auch den Puls seines Films senken. Nach einem Titelvorspann, der uns verschiedene Möglichkeiten aufzeigt, Menschen ins Jenseits zu befördern, sitzen wir mit dem Killer in Paris in einem leerstehenden Büro mit Blick auf die Suiten des Hotels gegenüber. Der Killer (Michael Fassbender) wartet – tagelang – auf sein Opfer.
Glückskeks-Nihilismus
Zeit genug, dem Publikum in einem inneren Monolog Weltsicht und Berufsauffassung zu erklären: Das Leben an sich sei banal – Geburt, Existenz, Tod. Und jeden Tag kämen so viele Menschen auf die Welt und so viele verließen sie per Tod wieder, dass seine Arbeit statistisch keinerlei Unterschied mache. Und da er nicht an Glück oder Gerechtigkeit glaube, sei es ihm egal, wen er da umbrächte und wieso. Hauptsache, das Honorar ist gut. „Ich bin, was ich bin.“ Es ist geballter Glückskeks-Nihilismus, den der Killer in der ersten Filmviertelstunde da vor sich hin raunt – möglicherweise hat er selbst zu viele Filme über Berufsmörder gesehen. Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass er nach so vielen Erklärungen über die Finessen seiner Arbeit in einer ziemlich einfachen Situation – sofern man das als Zuschauer ohne Mord-Erfahrung beurteilen kann – ganz banal versagt. Statt des geplanten Opfers im Hotel gegenüber trifft er mit seinem High-Tech-Gewehr dessen gemietete Gespielin.
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Eine flotte, meisterlich montierte Flucht durchs nächtliche Paris beginnt; ohnehin schnurrt dieser Film dahin wie eine gute geölte Maschine, der Schnitt ist präzise, die Bilder von Erik Messerschmidt (Oscar für Finchers „Mank“) atmosphärisch, besonders in den nächtlichen Szenen. Der Satz „Execution is everything“ auf dem Plakat zum Film bezieht sich ebenso auf die Arbeit des Killers wie die Arbeit des Regisseurs und seines Teams.
In seinem Zufluchtsort in der Dominikanischen Republik, einer gesichtslosen Luxusvilla, haben schon zwei Killerkollegen die Haushälterin des Flüchtigen überfallen und schwer verletzt, möglicherweise vergewaltigt. Der Killer, übrigens ein ehemaliger Jura-Student, öffnet sein Versteck mit Stapeln gefälschter Pässe und geladener Schusswaffen, um Rache zu nehmen.
Des Mörders To-do-Liste
Nun folgt keine Action-Orgie nach der Formel von „John Wick“ oder Ähnlichem, sondern eher ein Abarbeiten einer To-do-Liste seitens des Killers: Spuren aufnehmen, zuschlagen, weitersuchen; verbunden mit regelmäßigem Ein- und Aus-Checken in Flughäfen, an Hotelrezeptionen oder bei Auto-Verleihen. So alltäglich kann die Arbeit eines Auftragsmörders sein. Der Kniff des Films besteht darin, aus diesen Situationen einige Komik zu entwickeln: Der Killer, der sich nach eigenen Angaben gerne wie ein deutscher Tourist kleidet, damit er auf der Straße gemieden und nicht angesprochen wird, bedient sich bei seinen gefälschten Pässen nicht alltäglicher Namen wie John Smith oder Peter Jones – sondern zum Beispiel Felix Unger und Oscar Madison: die beiden WG-Genossen aus dem Kinofilm und der TV-Serie „Ein seltsames Paar“. Oder Lou Grant aus der gleichnamigen TV-Serie über einen grummeligen Journalisten. Oder Sam Malone aus der TV-Sitcom „Cheers“. Wer ist hier der Scherzkeks – der Killer selbst? Oder Drehbuchautor Andrew Kevin Walker, der für Fincher einst „Sieben“ schrieb?
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Wie auch immer – Walker und Fincher lassen den filmischen Mythos des Berufsmörders, des unbeirrbaren Profis, etwas bröseln. Bei einigen Aktionen, unter anderem beim Betäuben eines Kampfhundes und einer Erpressung durch Folter, unterlaufen ihm trotz seiner wohlklingenden Erklärungen auf der Tonspur einige Fehler. Und anders als in den erwähnten Filmen von Melville oder Woo ist der Killer hier tatsächlich ohne Gnade – ein kalter Handlungsreisender in Sachen Tod. Mit zumindest einer Figur dieses heruntergekühlten Films hat man beim Zuschauen großes Mitgefühl und hofft, dass sie verschont wird – doch das bleibt aus (dies ist der schmerzlichste Moment im Film), ebenso das übliche Romantisieren des kriminellen Profis. Manche Kritiken haben dem Film vorgeworfen, so könne man sich mit der Hauptfigur nicht identifizieren – aber muss man das überhaupt bei einem Mann, der davon lebt, dass er andere Menschen ermordet?

Tilda Swinton als Kollegin/Feindin des Killers. Foto: Netflix
Sehenswert ist auch eine Szene, in der der Mörder eine Kollegin konfrontiert – gespielt von Tilda Swinton: nahezu ein Monolog von ihr in einem Edelrestaurant, im Bewusstsein des drohenden Todes – während Fassbender fast stumm bleibt. Es scheint, dass Fincher einigen Spaß daran hat, die Erwartungen des Publikums zu unterlaufen. Er serviert eine Kampfszene, kernig brutal, exzellent choreografiert (Dave Macomber), die er bizarr untermalt und so verfremdet: Trent Reznor und Atticus Ross, die regelmäßig für Fincher komponieren, unterlegen die Prügel mit elektronischem Brummen und Fiepen, als habe ein Radio gerade seinen Geist aufgegeben. Auch sonst ist der Einsatz der Musik eigensinnig: Der Mörder hört zur Entspannung die britische Band The Smiths, deren eingespielte Songtitel dann einiges kommentieren: „Bigmouth strikes again“ angesichts der wortreichen inneren Monologe, „Girlfriend in a coma“ angesichts seiner Rache-Motivation.
Amazon, McDonalds, Starbucks
Diesen Weg der Rache macht der Mörder durch eine Welt der Waren – Fincher zeigt die Logos von Amazon, McDonalds, Starbucks und anderer Marken, die unser tägliches Leben mitbestimmen (was ihm manche Kritiken als Schleichwerbung ausgelegt haben). Der Killer, so scheint es, ist ebenso ein Teil dieser alltäglichen Warenwelt, der lange Arm von Machenschaften, in denen es um Geld und Macht geht. Als er den finalen Drahtzieher der Rache an ihm aufsucht, schaut der sich gerade die Börsennachrichten an und plaudert am Telefon über Steuererleichterungen. Filmisch subtil ist das nun nicht, aber durchaus witzig. Der Drahtzieher trägt auch keinen Nadelstreifenanzug, sondern eine onkelige Hipster-Weste und eine Schlumpfmütze wie von Torsten Sträter. Eine kuschelige Alternativ-Optik des Brutalo-Kapitalismus? Von dem jedenfalls ist der Killer ein Teil, ein kleines Rädchen, dazu passt auch sein Mantra „Empathie ist Schwäche“. Und so ist das Ende des Films, das hier nicht verraten wird, nur passend. Ist dieser Killer am Ende nichts anderes als ein ziemlich langweiliger Spießer, dessen Lebensziel eine Luxux-Kaffeemaschine ist und ein Blick aufs Meer?
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