Bolschoi

 

Es war ein Verbrechen, das medial um die Welt ging: Am 17. Januar 2013 wird Sergej Filin, künstlerischer Leiter des Bolschoi-Balletts, von einem Maskierten mit Säure überschüttet – Filin erleidet Verätzungen im Gesicht, nur mit Glück verliert er nicht sein gesamtes Augenlicht. Die Polizei findet den Auftraggeber – einen Solotänzer am Bolschoi, einen von unzähligen Feinden Filins, der früher selbst Solotänzer war und dann zum Leiter aufstieg, deswegen beneidet und gehasst von vielen.

Der Anschlag ist Ausgangspunkt der Dokumentation „BolschoiBabylon“ des britischen Regisseurs Nick Read. Seinem Film, der jetzt auf DVD erscheint, geht es nur am Rande um die Rekonstruktion des Kriminalfalls; Read sieht ihn als Symptom an für das Bolschoi, in dessen Welt – mal zum Bestaunen, mal zum Gruseln – er tief eintaucht. Der Film zeigt grandiose Bilder von Aufführungen (oft in Zeitlupe), die künstlerische Klasse, den güldenen Pomp – und die Gänge hinter der Bühne, einen Ort von Ambition und Angst. Da ist eine Tänzerin, gejagt von der Furcht vor dem Altern und der Jugend vieler Kolleginnen. Da ist Nikolay Tsiskaridze, lange Solotänzer mit enormem Ego, der seine Kündigung mit Machenschaften des Stalinismus vergleicht. Der Film zeigt Sitzungen, in denen der Bolschoi-Direktor Wladimir Urin den verletzten Filin kritisiert, weil er ihm die Kraft für den Ballettleiter-Posten nicht zutraut – Filin nimmt die dunkle Brille ab und zeigt, dramatisch geschickt und mitgefühlheischend, sein verätztes Auge. Hinter den Kulissen liegt also ein Schlachtfeld, das Read detailliert zeigt. Ein optisch ausgefeilter Film, an dessen Ende Filin noch am Bolschoi arbeitet. Mittlerweile hat er das Theater verlassen. Urin hat seinen Vertrag nicht mehr verlängert.

Erschienen bei Polyband.