Wenn die Gondeln Trauer tragen

Ein trauerndes Ehepaar in Venedig, Visionen und Todesahnungen: „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, als Erzählung und Kinofilm ein Klassiker des Unheimlichen, ist nun auf der Bühne in Saarbrücken zu sehen.

Am Ende hat sich für John, den trauernden Vater, Venedig aufgelöst – in ein Mit- und Gegeneinander von Eindrücken, Erinnerungen, verwirrenden Visionen. „Verstehen Sie mich?“, fragt Darsteller Roman Konieczny ins Publikum. Die Figuren um ihn herum tun das längst nicht mehr – und er selbst versteht die Welt auch nicht mehr.

Um das Unvermögen, Zeichen zu deuten, Dinge wirklich zu erkennen, geht es, unter anderem, in Daphne Du Mauriers Erzählung „Dreh Dich nicht um“, in Nicolas Roegs Verfilmung „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ – und in der Bühnenfassung, die am Sonntag in der Alten Feuerwache ihre Uraufführung erlebte. Dramaturg Holger Schröder und Regisseur Christoph Diem haben Erzählung und Film adapiert (auch wenn das Programm nur du Maurier nennt, nicht die Drehbuchautoren Chris Bryant und Allan Scott).

Das britische Ehepaar John und Laura (Christiane Motter) hält sich in Venedig auf, er arbeitet als Restaurator, gemeinsam versuchen sie nach dem Unfalltod ihrer kleinen Tochter irgendwie weiterzuleben. In einem Restaurant lernen sie zwei Schwestern kennen (Vanessa Czapla und Saskia Petzold); eine ist blind, wird von Visionen heimgesucht und erzählt Laura, er habe die Tochter beim Ehepaar mit am Tisch sitzen sehen – glücklich, wenn auch nicht sichtbar für die Lebenden. Die Mutter glaubt das mit aller irrationalen Dankbarkeit, für John ist das Hokuspokus. Als der Sohn der Baxters in England einen Unfall hat, reist die Mutter zurück, John bleibt zurück – glaubt seine Frau aber wenig später wieder in Venedig zu sehen, von weitem, noch trauriger als sonst. Er irrt durch die Stadt, verliert sich in den Gassen und seinen Visionen; immer wieder sieht er eine Gestalt im roten Regenmantel (Gertrud Kohl). Das Bild seiner ertrunkenen Tochter?

Trauer, Verlust, eine wohl zerbrechende Ehe, Rationalität contra Glauben an (und Hoffnung in) das Übersinnliche – es geht im Stück um viel. Und Regisseur Diem setzt viel ein, gewinnt dabei ungemein viel Atmosphäre: Diaprojektionen, Videoeinspieler, Klangeffekte, Musik und ein komplexes Bühnenbild. Florian Barth (auch Kostüme und Video) hat es entworfen, nutzt dabei die Feuerwache bis unters Dach aus, wenn die rote Gestalt unter der Saaldecke entlang huscht. Ein schräggestellter Spiegel, vor dem die beiden schottischen Schwestern agieren, lassen die Momente, in denen sie von der Tochter erzählen, noch merkwürdiger wirken. An die Wand gestrahlte Szenen, gedreht in Venedig, versetzen den Zuschauer vordergründig an die Lagune, lassen ihn aber rätseln: Ist die reale Laura auf der Bühne nicht etwas anders gekleidet als die Laura auf den Projektionen? „Nichts ist, wie es scheint“, ist einer der ersten Sätze Johns, dessen Abdriften in die Verwirrung wir zusehen. Untermalt wird sie auf der Bühne von der schwedischen Band „Next Step: Horizon“: zur Einstimmung mit ätherischer Melancholie und Morricone-Aroma, später mit Synthie-Klängen, die an die Filme John Carpenters denken lassen.

Die Band spielt auch mit: Sänger Pär Hagström in Nick-Cave-Optik gibt einen Geistlichen (nicht jedes Wort ist verständlich), Sängerin Jenny Roos eine Polizistin – auf der Bühne im goldschimmernden Anzug, im parallel laufenden Videoeinspieler im weißen Hemd mit Schulterklappe.

Wer will da sagen, was real ist, was Vision, was fake news, was nicht? John am allerwenigsten, der langsam untergeht in einer Reizüberflutung, die manchmal auch aufs Publikum überschwappt: Die Inszenierung lässt gegen Ende hin die Personen einige Male gleichzeitig reden und schreien, durcheinander, in verschiedenen Sprachen, dazu erscheinen übersetzende Übertitel. Es gibt Momente, in denen das bemüht und auch redundant wirkt, Momente des „zu viel des Guten“; wirkungsvoller sind manchmal die leiseren, ruhigeren Passagen, wenn das Ehepaar verzweifelt und vergeblich versucht, zu einer Normalität zurück zu finden. Nach einer erotischen Szene – angelehnt an die offenherzige und eigenwillig geschnittene Sequenz in Roegs Film – brechen sofort wieder Trauer und Frustration hervor, die in einem ganz ruhig formulierten Satz gipfelt: „Du hast sie doch zum Pool gehen lassen“, sagt Laura zu John und gibt ihm so eine Mitschuld am Tod des gemeinsamen Kindes. Ein Satz, so tödlich wie das, was John in Venedig erwartet.