Film und dieses & jenes, von Tobias Keßler

Schlagwort: DDR

„Alle reden übers Wetter“ von Annika Pinske

Alle reden übers Wetter

Clara (Anne Schäfer) im Lebensmittelladen ihrer Jugend.

 

Es ist wohl nur schlüssig, dass ein Film, der vom Gefühl des Nichtdazugehörens erzählt und von ständig spürbarer Distanz, sein Publikum auch auf Abstand hält – zumindest am Anfang. Ohne große Erklärung oder Exposition wird man hineingeworfen in eine etwas heruntergekühlte und spröde Welt, in der sich Gemeinheiten hinter wohlgedrechselten Formulierungen verbergen und Machtverhältnisse in scheinbar dahingesagten Nebensätzen zementiert werden. Willkommen in der akademischen Welt von „Alle reden übers Wetter“: Clara (Anne Schäfer) geht auf die 40 zu, promoviert gerade über Hegels Freiheitsbegriff, arbeitet an der Uni und müht sich redlich, es sich mit ihrer resoluten Doktormutter nicht zu verderben; mit ihrem Assistenten hat sie eine Affäre, trifft ihn bloß im Hotel und ist befremdet, als der liebeskrank bekennt: „Mir reicht das einfach nicht mehr.“​

Für Clara reicht es vollkommen, mehr will sie nicht, denn in dieser Welt scheint sie nicht angekommen zu sein. Ursprünglich kommt sie aus der ostdeutschen Provinz, in ihrer elitären Universitätswelt schämt sie sich dafür und erfindet, um beim Geplauder bei Sektempfängen scheinbar zu bestehen, eine Diplomatenlaufbahn für ihren Vater. Zugleich schämt sie sich für die eigene Scham und sprengt eine wohlfeile Konversation westdeutscher Akademikerinnen und Akademiker über die biografischen Umbrüche in der DDR mit der Bemerkung, ihr Vater habe sich nach dem Fall der Mauer erschossen.​

Eine Atmosphäre der Kälte und der Spröde zieht sich durch das erste Filmdrittel. Die Dialoge (Regie und Buch: Annika Pinske) sind wunderbar doppelbödig, da verbergen sich hinter simplen Dienstbesprechungen kleine bis große Spitzen, hier werden ständig Pfründe abgesteckt. Und, das wird mehr als einmal klar, hier haben es Frauen schwer in Männerseilschaften; aber auch die Frauen untereinander schonen sich nicht – etwa in einer markanten Szene mit einem Mini-Auftritt von Sandra Hüller. Ob der Film in der Darstellung der akademischen Welt übertreibt? Pinske jedenfalls kennt das Milieu gut, hat Philosophie und Literaturwissenschaften studiert, bevor sie an der Volksbühne arbeitete und zeitweise als Assistentin von Regisseurin Maren Ade („Toni Erdmann“). „Alle reden übers Wetter“ ist ihr Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB).​

Es brodelt bei Clara, die nach außen hin immer beherrscht und etwas kühl auftritt, und so fährt sie gerne von Berlin zu ihrer Mutter aufs Land in die ehemalige DDR (gedreht wurde in der Gemeinde Krackow im Süden Mecklenburg-Vorpommerns). Nur: Anders als in Hollywoodfilmen, in der in der alten Heimat die Welt noch viel mehr in Ordnung ist als in der hektischen bösen Großstadt, findet Clara hier auch keinen wirklich heimischen Ort mehr. Ihre Mutter (famos: Anne-Kathrin Gummich) liebt sie, aber schon ihr flapsiger Satz „Na, was macht die Hauptstadt?“ ist ein Fingerzeig dafür, wie die alten Bekannte und Freunde ihren Weggang vom Land nach Berlin empfinden: als Verrat, als Zurücklassen.​

Die Mutter flüchtet sich gerne in Floskeln („Wie die Zeit vergeht“), vieles bleibt hier unausgesprochen, höchstens angedeutet. Kein Wunder, dass Claras alter Jugendfreund und aktuell Kneipenwirt (Max Riemelt), bekennt, dass er jemanden vermisst, mit dem er wirklich mal reden kann. Ein großes Thema des Films ist Kommunikation – hier zählt jedes Wort, jede Andeutung (und auch jedes Schweigen).​

Das Drehbuch spitzt zu und ist manchmal wenig subtil: Da schneidet der Film von Rechtsextremen, die im Auto „Deutschland erwache!“-Rockmusik hören, zu den Älteren der Gemeinde, die sich zu muffiger Schlagermusik vor der „Parkschenke“ in den Armen liegen. Ist der Alkoholgehalt hoch genug, wird über das Versagen der Politik gespottet und dass es doch nicht überraschend sei, „wenn hier die Hütte mal brennt“. Ist das vielleicht übertrieben gezeichnet? Regisseurin Pinske ist in Frankfurt/Oder aufgewachsen, vieles verbindet ihre Biografie mit der Figur Clara.​

Vieles wird im Film angesprochen: Heimat, Freiheit, Identität, Ost-West-Distanz und das Frausein in einer männerdominierten Welt. Da droht der Film manchmal, ein wenig didaktisch zu wirken. Aber er gleicht das aus durch seine dichte Atmosphäre – man spürt förmlich, wie Luft steht – und seine famose Darstellerin Anne Schäfer, die nicht um die Sympathie des Publikums buhlt.​

Die Stasi, dein Freund und Helfer: das Fernsehspiel „Filmemacher“ auf DVD

Filmemacher Studio Hamburg Jenny Gröllmann

 

 

Lange Gesichter (von den langen Koteletten ganz zu schweigen) bei der „Bild“-Zeitung im Jahre 1971. Da will man gezielt gegen die Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland anschreiben, aber es fehlen die Argumente. Schließlich, das legt uns der Film nahe, will ja niemand von Ost nach West fliehen. Und internationale Besucher, denen die kapitalistische Westpresse einbläut, bei der DDR habe man es mit einem Staat des Schreckens zu tun, finden den vor Ort einfach nicht. Und selbst das Ost-Bier sei so gut wie das des Westens. Was also tun? Im Axel-Springer-Hochhaus und seinem eigens eingerichteten „Public Relations“-Büro findet man eine Lösung: Wenn schon kein Ossi fliehen will, dann muss man eine Republikflucht eben inszenieren.

„Filmemacher“ heißt diese Produktion des DDR-Fernsehens aus dem Jahr 1971, die jetzt auf DVD erscheint und eine hoch interessante Ausgrabung ist – kann man hier doch genau beobachten, wie ein Staat sich inszeniert, was er nicht einmal verschleiert: „Mitarbeit: Pressestelle des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR“ vermerkt der Abspann dieses Films, in dem der Westen eine Mischung ist aus Hinterhältigkeit und Dekadenz. In einer Filmhochschule des Westens beginnt es, wo ein bizarres Schwarzweißwerk begutachtet wird (ein Mann ohrfeigt eine Frau und sagt „Ich liebe Dich“). Die vornehmlich männliche und schnauzbärtige Studentenschaft fabuliert vom „heterogenen Partizipieren“ und „der neuen Dimension“ – so sind sie halt, die Verpeilt-Verkopften. Zwei Männer belauschen das und urteilen: „liberale Scheißer“. Sie sind nur hier, um sich den aufgedonnerten Künstler-Duktus für ihren nächsten Geheimauftrag anzutrainieren: Im Auftrag der „Bild“ sollen sie im Osten zwei Frauen finden, die sie zur Flucht aus der DDR überreden können – sie geben sich als Filmemacher aus, die sie im goldenen Westen ganz groß rausbringen wollen.

„Bei Jungfilmern schlafen mir die Füße ein.“

Doch der vorgeblich antikapitalistische Anmachspruch „Wir suchen ein sauberes, neues Gesicht – nicht angekränkelt von der Konsumgesellschaft“ zündet erstmal nicht: Denn die Pseudo-Filmer aus dem Westen sprechen in einem Ost-Lokal ausgerechnet zwei Frauen an, die sich beim Film bestens auskennen – sie sind Schnittmeisterinnen und stammen aus dem künstlerisch eher konservativen Lager: „Bei Jungfilmern schlafen mir die Füße ein.“ Das West-Duo landet mit „der Filmemachertour“ dann aber doch – bei zwei jungen Frauen, die gesellschaftlich noch nicht ganz gefestigt sind und aus ihrer Erziehungseinrichtung getürmt sind. Die Wessis wollen sie nach Hamburg locken und fädeln eine raffinierte Flucht ein. Aber längst weiß das  Ministerium für Staatssicherheit Bescheid,  da der Bruder eines der Frauen und der freundliche Volkspolizist aus der Nachbarschaft genau hinschauen. Ein Stasi-Major, Typus väterlich-korrekter Mathematiklehrer, schaltet sich ein, rettet die Lage, rückt den Fast-Flüchtigen den Kopf zurecht („Ich hoffe , Sie haben etwas gelernt“) und bietet galant zwei West-Frauen, die Teil des Plans waren, noch ein Abendessen vor dem Eskort in deren Heimat an. Die Stasi, Dein Freund und Helfer.

Man mag die Bedächtigkeit des Films belächeln, seine trampelige Polit-Didaktik und angestaubte 70er-Jahre-Sätze wie „Sag mal, Du bist ja wohl völlig verschmort!“ – aber durch alles zieht sich ein Grusel angesichts der Schamlosigkeit, wie sich die Stasi hier als kollektiver guter Onkel in Szene setzt. Im Finale tritt der böse Westen noch einmal nach. Die „Berliner Zeitung“ titelt „Neuer Terror“, obwohl doch gar nichts passiert ist. So ist sie eben, die Lügenpresse des Westens.

Erschienen bei Studio Hamburg.  

 

Filmemacher Studio Hamburg Jenny Gröllmann

Wolfgang Staudte, der ungeliebte Moralist

Wolfgang Staudte

Eine wechselvolle, schwierige Karriere: Er spielte als Komparse im berüchtigten NS-Hetzfilm „Jud Süss“, drehte dann mit „Die Mörder sind unter uns“ den ersten deutschen Nachkriegsfilm. Für die ostdeutsche Defa, das volkseigene Filmunternehmen der DDR drehte er unter anderem „Der Untertan“; in der jungen Bundesrepublik entstanden Filme wie „Rosen für den Staatsanwaltschaft“ oder „Kirmes“, wegen denen er oft als „Nestbeschmutzer“ angefeindet wurde – einen „verwirrten Pazifisten“ nannte ihn nicht etwa ein rechtes Blatt, sondern der „Spiegel“, zumindest noch 1951. In der Unterhaltungs-Filmindustrie hatte Staudte es schwer, während das junge deutsche Kino ihn als Repräsentant von „Opas Kino“ ignorierte. Später verschuldete sich Staudte als sein eigener Produzent so sehr, dass er fortan fast ausschließlich fürs Fernsehen arbeitete,  „Tatort“ und „Der Seewolf“ drehte – auch wenn ihn die „Zwergenschicksale“ des TV, wie er es sagte, nicht sonderlich interessierten.

Staudte, 1906 in Saarbrücken geboren und 1984 bei Dreharbeiten in Slowenien gestorben, gilt neben Helmut Käutner als wichtigster Regisseur des deutschen Nachkriegskinos – seine besten Filme verbinden präzise Gesellschaftskritik mit Filmkunst und, nicht zu vergessen, Unterhaltungswert; manchmal kann Staudte aber auch etwas didaktisch und moralisierend wirken.

Wolfgang Staudte Götze George Kirmes

Eine Szene aus „Kirmes“ mit Götz George und Juliette Mayniel.

An den Filmemacher erinnert nun ein neues, lesenswertes Buch, das in Zusammenarbeit mit der Saarbrücker Wolfgang-Staudte-Gesellschaft entstanden ist. „Nachdenken, warum das alles so ist“ (der Titel entstammt einem Zitat aus dem 1949er Film „Rotationen“) ist kein chronologisches Lesebuch von Karrierebeginn bis -ende, bietet auch keine komplette Filmografie, sondern setzt mit verschiedenen Beiträgen collagenhaft ein Bild Staudtes zusammen.

Der Saarbrücker Psychologe Siegfried Zepf beschäftigt sich mit „Der Unteran“, den Staudte 1951 in der DDR drehte und der erst sechs Jahre später im Westen lief, gekürzt um zehn Minuten – geschnitten war etwa das Ende, mit dem Staudte (losgelöst von der Vorlage Heinrich Manns) eine Verbindung vom deutschen Kaiserreich zum Zweiten Weltkrieg zieht.

Uschi und Andreas Schmidt-Lenhard von der Staudte-Gesellschaft beschreiben die kontroverse Wirkung jener Filme, die als Staudtes wichtigste gelten: neben dem „Untertan“ auch „Rosen für den Staatsanwalt“, „Kirmes“ und „Herrenpartie“, die allesamt das verdrängungswillige Deutschland kritisierten und, nicht überraschend, immer schwieriger zu finanzieren waren. Staudte drückte es so aus: Es sei schwer, „die Welt verbessern zu wollen mit dem Geld von Leuten, die die Welt in Ordnung finden.“ Und so nahm Staudte für seinen Polit-Krimi „Heimlichkeiten“ (1968) einen hohen Kredit auf – an dem Schuldenberg nach dem Misserfolg des Films schaufelte er bis zu seinem Tod.

 

Wolfgang Staudte Götze George Kirmes

Auch eine Szene aus „Kirmes“, den es bis heute nicht auf DVD gibt. Foto: Filmmuseum Berlin

Zu seinen sieben „Tatorten“ zählt auch „Tote tragen keine Wohnung“ (1973), den der Saarbrücker Psychologe Alf Gerlach exemplarisch untersucht; auch von der kontroversen Reaktion berichtet er: Durch die Geschichte von der Gentrifizierung eines Wohnviertels fühlten sich viele Immobilienmakler als monetäre Gierschlunde diffamiert – erst nach 19 Jahren strahlte der produzierende Bayerische Rundfunk den Film noch einmal aus.

Der Saarbrücker Filmwissenschaftler Nils Daniel Peiler beleuchtet Staudtes Arbeit im Synchrongeschäft: Er war Sprecher in der deutschen Fassung von „Im Westen nichts Neues“ (1930) und überwachte 1945 die Synchronisierung von Eisensteins „Iwan, der Schreckliche“; 25 Jahre später verpflichtete ihn der legendär wählerische Regisseur Stanley Kubrick, der den „Untertan“ schätzte, für die Synchronregie dreier seiner Filme: „Uhrwerk Orange“ (1971), „Barry Lyndon“ (1975) und „Shining“ (1980). Staudte berichtete damals lapidar von einem sehr überzeugenden Anruf Kubricks: „Er meinte, ich sollte.“ Er tat’s.

Eine gute Ergänzung der Beiträge sind die Erinnerungen an Staudte, die das Magazin „Filmdienst“ vor zehn Jahren zu Staudtes 100. Geburtstag sammelten und die hier nochmal abgedruckt sind:

Götz George, der mit 21 Jahren in „Kirmes“ spielte, erinnert sich an die erste Begegnung mit dem bekannt linken Staudte: an dessen nicht gerade antikapitalistisch wirkendem neuen Swimmingpool.

Oskar Lafontaine würdigt Staudte als „politischen Moralisten“, der „gegen den Strom der allgemeinen Geschichtsverdrängzung schwamm“.

Filmjournalist Peter W. Jansen beschreibt eine zufällige Begegnung mit Staudte Ende der 70er in der Kantine des Südwestfunks in Baden-Baden: einen „einsamen, verbitterten Mann“ traf er dort, der sich wunderte, dass „Münchner Bubis“ wie Fassbinder oder Alexander Kluge Filmförderung bekämen und er nicht.

Das Buch schließt mit einer Gegenüberstellung von Staudtes Werken und dem, was politisch in der jeweiligen Zeit geschah – sinnvoll und zwingend, sind seine Filme vom Zeitgeist ihrer Entstehung nicht zu trennen. Zeitlos macht sie das nicht, aber zu Zeitdokumenten.

 

Wolfgang Staudte – „Nachdenken, warum das alles so ist“. Herausgegeben von Alf Gerlach und Uschi Schmidt-Lenhard. Schüren Verlag, 256 Seiten, 24.90 Euro.

Buchvorstellung: Sonntag, 19. März, 15 Uhr, Camera Zwo (Sb). Es läuft Staudtes Bürokratie-Satire „Der Mann, dem man den Namen stahl“ aus dem Jahr 1944.

Informationen: www.wolfgang-staudte-gesellschaft.de

 

Wolfgang Staudte Götze George Kirmes

 

Zwei Filme Staudtes neu auf DVD

Nicht alle der wichtigsten Filme Staudtes sind auf DVD erschienen: „Herrenpartie“ und „Kirmes“, mit seine galligsten Gesellschaftskommentare“, fehlen bis heute; aber zumindest im Nebenwerk füllen sich die Lücken. „Gift im Zoo“ (1951) ist ein solider Krimi (DVD bei Filmjuwelen) mit interessanter Produktionsgeschichte: Staudte wurde während der Dreharbeiten auf staatlichen Druck hin entlassen, weil er sich nicht völlig von der Defa der DDR lossagen wollte (Hans Müller drehte zuende). Bezeichnend dabei: Während der Regisseur wegen DDR-Verbindungen entlassen wird, spielen Carl Raddatz und Irene Meyendorff die Hauptrollen – die Stars von Veit Harlans todesseligem NS-Prestigemelodram „Opfergang“ (1944).

 

1958 drehte Staudte „Madeleine und der Legionär“, der jetzt in einer DVD-Box (Studio Hamburg) mit fünf anderen deutschen Filmen erscheint (etwa „Romanze in Moll“). Staudte erzählt von drei Deserteuren der Fremdenlegion, die aus dem Algerienkrieg fliehen. Hildegard Knef spielt eine französische Ärztin, die dem Trio auf der Flucht begegnet. Der Film spricht sich deutlich gegen Krieg und Kolonialismus aus, vermittelt seine Botschaften aber nicht immer subtil, wenn etwa die Knef als Symbol eines guten Frankreichs (und Deutschlands) laut über die Welt nachdenkt: „Moderne heutige Menschen – sind wir das?“. Da stehen sich Handlung und Didaktik manchmal im Weg. Dennoch spannend und sehenswert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Staatskunst und Underground: Trickfilme aus der DDR

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Eine gelungene DVD-Zusammenstellung wirft einen Blick auf die Trickfilmproduktion in der DDR: Insgesamt 14 Filme aus dem staatseigenen Defa-Studio und Werke, die abseits staatlicher Kontrolle entstanden – und künstlerisch wie politisch gewagter zu Werke gingen.

Ein steinernes Monument wird feierlich enthüllt, die Menge klatscht enthusiastisch Beifall und eilt von dannen. Der Mann aus Stein zeigt arbeiterdenkmalmäßig mit einer Pranke visionär gen Himmel – bis das Telefon klingelt und dem Monument neue Anweisungen erteilt. Flugs dreht es sich, zeigt in die entgegengesetzte Richtung und wird erneut heftig beklatscht. „Das Monument“ heißt dieser Trickfilm, der 1989 in den staatlichen Defa-Studios der DDR entstand. Eine satirische Vision kommender „Wendehälse“? Ein trickfilmgewordener Wunsch nach Veränderung?

„Das Monument“ ist einer der Filme der exzellenten DVD-Sammlung „Zwischen Staatskunst und Underground – Animation in der DDR“. Ulrich Wegenast, Programmgestalter des Internationalen Trickfilmfestivals in Stuttgart, hat 14 Filme zwischen 1959 und 1990 zusammengestellt. Den ersten Teil machen Produktionen des volkseigenen Defa-Studios aus: verspielt Utopisches wie die Weltraum- und Märchenland-Reise „Gleich hinterm Mond“ (1959) und Gewitztes wie die Groteske „Ein gemachter Mann“ von 1978. Dieser Film spielt im dekadenten Westen, einem Hochhausmoloch, durch den unablässig Werbebotschaften schallen – über die Vorzüge, sich neue Schuhe oder gleich mal einen neuen Kopf kaufen zu können. In dieser grellbunten Welt bringt ein Polizist eine Geldfälscherbande zur Strecke und nimmt einen Teil der Scheine an sich. Fortan kann er das tun, was man im Westen eben gerne tut: konsumieren.
Das alles erzählt der Film optisch gewitzt, mit Puppentricks und knalligen Bildcollagen. Vordergründig bedient der Film dabei die staatlich angeordnete Kritik am Westen; manche Bilder kann man aber ganz anders deuten: Wände voller Augen, die alles genau beobachten, lassen durchaus an das Überwachungssystem der DDR Films denken.

Den zweiten Teil der DVD machen freie Produktionen aus, die abseits staatlicher Kontrolle entstanden, meist auf Super-8-Material, das leichter zugänglich war als der teurere 35-Millimeter-Film. Wo sich die DEFA-Filme auf technisch hohem Niveau in formal klassischen Grenzen bewegten, operierte der Untergrund avantgardistisch: In Produktionen wie „Action Situation“ sind die Bilder verzerrt, zerkratzt, übermalt, von merkwürdigen Toncollagen begleitet. Diese Filme zeichnen ein ganz anderes Bild ihrer Heimat. Eine Filmsammlung, in der sich viel entdecken und interpretieren lässt – manchmal in jede Richtung.

DVD erschienen bei AbsolutMedien. 115 Minuten, dazu ein ausführliches Booklet über die Geschichte des DDR-Trickfilms.

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Interview mit Regisseur Christian Schwochow über seinen Film „Westen“

Christian Schwochow WestenChristian Schwochow Westen Jördis TriebelChristian Schwochow Westen Jördis Triebel

In Saarbrücken ist Regisseur Christian Schwochow, dessen neuer Film „Paula“ gerade gestartet ist,  ein guter Bekannter: Sein Debüt „Novemberkind“ gewann 2008 den Publikumspreis des Ophüls-Festivals, sein zweiter Film „Die Unsichtbare“ erhielt 2012 eine lobende Erwähnung. Sein neuer Film „Westen“ erzählt die Geschichte der Mutter Nelly, die 1978 von der DDR in die BRD flieht. Dort setzt der US-Geheimdienst sie unter Druck, und Nelly kommt der goldene Westen gar nicht mehr so golden vor. Ein Gespräch mit dem Regisseur über seinen Film, der auch etwas mit Schwochows Biografie zu tun hat.

 

In einem Interview sagten Sie, dass Sie nach „Novemberkind“ und dem TV-Film „Der Turm“ nicht auf das Thema DDR festgelegt werden möchten. Jetzt haben Sie aber „Westen“ gedreht. Weil die Handlung auch Ihre Biografie berührt?

Zum Teil. Der Film basiert ja auf Julia Franks Roman „Lagerfeuer“, den ich 2003 gelesen habe. Damals machte eine neue Generation von Schriftstellern auf sich aufmerksam wie eben Julia Frank oder Clemens Meyer, die die ostdeutsche und deutsch/deutsche Wirklichkeit aus einem ganz unideologischen Blick heraus beschrieben haben. Die Konflikte in „Lagerfeuer“ kamen mir sehr vertraut vor. Meine Eltern haben ja selbst einen Ausreiseantrag gestellt, der am 9. November 1989 genehmigt wurde. Die Sehnsucht nach einem neuen, anderen Leben war ein ganz großes Thema in meiner Familie. Dieses Ankommen in der neuen Welt mit all seinen Problemen kannten wir auch. Da gibt es viele autobiografische Anteile, das hat mich sehr interessiert.

Wie war das damals, als Sie aus Ostberlin nach Hannover kamen? Wurden Sie beäugt wie ein Marsmensch?

Es war nicht so wie im Film, wo der Junge als „Ostpocke“ bezeichnet wird. Aber man wusste einige Zeit nichts mit mir anzufangen. Ich habe den Herbst 1989 ja ganz direkt erlebt in Berlin, ich hatte viel gesehen von den Demonstrationen und Montags-Andachten, es gab Verfolgungsjagden direkt unter meinem Fenster – das vergisst man nie. Diesen ganzen innerlichen Aufbruch hatte ich in mir und bin dann ins beschauliche Hannover gekommen. Ich kam aus dieser aufgeladenen Zeit und konnte das Erlebte schlecht vermitteln.

Ihr Film zeigt den Westen nicht als das gelobte Land, eher als Ort einiger enttäuschter Hoffnungen. Üblicherweise ist der Kontrast zwischen der BRD und der DDR im deutschen Kino ja viel deutlicher.

Das stimmt schon, aber ich wollte damit nicht aussagen, dass die BRD auch nicht besser wäre als das Regime der DDR – das wäre falsch. Aber mich ärgert immer diese einseitige Sicht vom dunklen kommunistischen System und von der anderen Seite, auf der immer alles richtig gemacht worden ist. Wir wissen ja spätestens seit Edward Snowden, welche Rolle westliche Geheimdienste spielen. Deshalb soll mein Film erzählen, dass auch eine westliche Demokratie sehr eigene Mechanismen besitzt, die erstmal nichts mit Freiheit zu tun haben.

Eine BRD-Amtsstube im Film, in dem der Hauptfigur Nelly das Leben im Westen gestattet wird, zeigen Sie so grau und muffig, wie es sonst im Kino nur die DDR-Büros sind. Ironie?

Nein, das Büro ist originalgetreu nachgebaut. Aber kurios ist es schon, wie ähnlich sich damals doch manches war. Als ich am 10. November 1989 über die Bornholmer Straße nach Westberlin gelaufen bin, dachte ich: Das ist jetzt auch nicht weniger schmuddelig als der Prenzlauer Berg, auch wenn mehr Leuchtreklamen brannten. Aber so anders hat sich das alles gar nicht angefühlt.

Ihr Film lässt inhaltlich einiges in der Schwebe, nicht alles wird aufgelöst.

Ich weiß, dass das manchen Zuschauer frustrieren könnte, mir war es aber sehr wichtig – die Figuren werden nie alles erfahren, aber sie müssen sich dennoch für etwas entscheiden, auch wenn die großen Fragen des Lebens noch nicht beantwortet sind.

Sie haben den Film „Die Täter – heute ist nicht alle Tage“ über die NSU-Morde geschrieben und inszeniert – ist das auch eine typisch ostdeutsche Geschichte, die es ohne die DDR nicht gegeben hätte?

Natürlich haben der Zusammenbruch der DDR und der schwierige Neuanfang ganz viel mit der Entwicklung des Rechtsextremismus zu tun, keine Frage. Die Drei und ihre Mitstreiter gehören zu der besonderen Generation der Wendekinder. Aber wir müssen aufhören, den Rechtsextremismus in Deutschland als ein ostdeutsches Problem zu behandeln. Er ist seit vielen Jahren ein gesamtdeutsches Problem. Der NSU-Komplex hat eine gesamtdeutsche Tragweite, vieles ist nicht gesehen worden oder man wollte es nicht sehen. Den Boden für diese Bewegung hätte man überall in Deutschland finden können.

 

Die DVD ist bei Senator erschienen.

Die Szenenfotos stammen von Senator, das Bild von Christian Schwochow machte Iris Maurer.

 

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