Dominique Goblet: So tun als ob heißt lügen. Avant-VerlagDominique Goblet: So tun als ob heißt lügen. Avant-Verlag

 

Was für ein Angeber. „Mein Nachbar vergöttert mich“, trompetet der Mann mit dem Seepferdschnurrbart; sein Hund habe ihn auch vergöttert (bevor er ihn einschläfern ließ, weil er „durchdrehte“); und die Ex-Kollegen von der Feuerwehr, die lieben ihn bis heute, sagt er und fläzt sich mit Schmerbauch aufs Sofa. Es ist also kein leichter Nachmittag für die Tochter des Mannes, die ihren Vater zum ersten Mal seit vier Jahren wiedersieht, begleitet von ihrer kleinen Tochter. Die hat den Opa zwar noch nie getroffen, stellt aber die naheliegende Frage: „Wieso hast Du deinen Papa so lange nicht gesehen, Mama?“

Es ist eine schwierige Familiengeschichte, die die belgische Künstlerin Dominique Goblet (50) hier erzählt – es ist, im Großen und Ganzen, ihre eigene. Um die zerbrechende Ehe der Eltern geht es, um die Auswirkung auf die Eheleute und vor allem auf die Tochter. Sie ist als Kind im Innersten erschüttert und wird es wieder sein, als sie sich verliebt – aber betrogen wird.

Verliebtheit und Alltag

Goblet kleidet diese Geschichte in unterschiedliche Stile. Einmal, weil sie verschiedene Zeitebenen und auch Gefühlszustände illustriert; aber auch, weil sie über einen Zeitraum von zwölf Jahren an dem Band arbeitete und sich der künstlerische Zugang über die Zeit wohl verändert hat. Mal sind  sepiacolorierte Kohlezeichnungen zu sehen, mal uncolorierte Bleistiftzeichnungen mit fein ausgearbeiteten Details, mal mit ausholenden Schraffuren.  Das Gefühl frischer Verliebtheit und Intimität fangen die Bildfolgen ebenso atmosphärisch wie Motive eines vor sich hin schleichenden Alltags, wenn ein Hund einige Bilder lang über einen Hinterhof schleicht und am Himmel ein Jet vorbeizieht.  Aus der Vergangenheit der Hauptfigur steigen immer wieder fast körperlose Gestalten wie böse Geister hervor, Rückblenden führen in diese angeschlagene Kindheit, aufgerieben zwischen zwei kreuzunglücklichen Eheleuten, in der das Vertrauen in die Welt schwindet, die Angst vor der Lüge wächst und sie auch begleitet, als Dominique längst eine erwachsene Frau ist – und ihr neuer Freund noch von seiner alten Flamme erwärmt wird.

Der Comicband  ist dabei weder Psycho-Nabelschau noch Seelenpein-Grau-in-Grau (beziehungsweise -Sepia), sondern eine ästhetische Freude mit einer anrührenden und abwechslungsreichen Optik. Am Ende weichen die Zeichnungen und Sprechblasen mehrfarbigen, grob gepinselten Farbseiten mit einzelnen Sätzen – der Nebel aus alten Ängsten scheint zu verfliegen, das Leben klart sich auf.

Dominique Goblet: So tun als ob heißt lügen. Aus dem Französischen von Annika Wisniewski. Avant-Verlag, 148 Seiten, 29,95 Euro.

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