Club Europa von Franziska Hoenisch

Die Regisseurin Franziska M. Hoenisch. Foto: Thomas Georg

Über eine bessere Welt philosophieren, möglicherweise beim Rotwein an einem gemütlichen WG-Küchentisch, das ist eine Sache. Die andere ist das tatsächliche Engagement, mit Mühe, möglicherweise mit Risiko. Wo zieht man für sich die Grenze? Wie weit geht man – und wie schnell zieht man sich wieder zurück ins geschützte Schneckenhaus des letztlich nicht Betroffenen? Um diese Fragen dreht sich der Film „Club Europa“. Franziska Margarete Hoenisch hat den Film inszeniert, der von einer WG in Kreuzberg erzählt: Martha, Yasmin und Jamie nehmen den Flüchtling Samuel aus Kamerun auf – sie wollen „etwas Gutes tun“, vielleicht auch ihr Gewissen erleichtern, da ihnen nur zu bewusst ist, wie privilegiert ihr sorgenfreies Leben dahinschnurrt. Groß ist die gegenseitige Neugier, und schnell entwickelt sich freundschaftliche Bande, die Integrationswelt scheint in Ordnung. Doch dann wird Samuels Asylantrag abgelehnt. Was tun? Ihn illegal in der WG wohnen lassen, auch wenn das juristische Konsequenzen für alle haben kann – etwa für die Lehramtsstudentin Yasmin, die sich so den Weg in den Staatsdienst verbauen würde? Die Diskussionen untereinander beginnen und führen zu einem Ende, das schlüssig, beiläufig grausam und zwingend ist.

„Helfen macht keinen Spaß“

Drei Jahre insgesamt hat Hoenisch an dem Film gearbeitet, dessen Stoff sich während der Recherche immer wieder verändert hat. „Wir wollten anfangs eine erfolgreiche Integrationsgeschichte erzählen“, sagt Hoenisch. Doch bei der Recherche lernte sie eine junge Frau kennen, die selber einen Flüchtling aufgenommen hatte und zu ihr einen Satz sagte, der das ganze Konzept umwarf: „Helfen macht keinen Spaß, wenn immer jemand da ist, der einem vor Augen führt, wie gut es einem selbst geht und wie schlecht dem anderen.“ Für Hoenisch war das der Wendepunkt bei der Recherche: „Wir wussten, dass wir diesen Satz nicht ignorieren können, sonst erzählen wir keine authentische Geschichte mehr. Wir mussten uns selbst mehr ans Leder, mussten überlegen, wie weit man zu gehen bereit ist, bevor es unbequem wird.“

 

Hoenischs Abschlussfilm im Fach Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg, gedreht in einem Haus in Potsdam, fängt meisterlich die klassische Stimmung des an sein natürliches Ende kommendes WG-Lebens ein: Man hat noch Zeit zum Philosophieren und Pläne schmieden, aber der klassische Ernst des Lebens (Arbeit finden, behalten und sicher in die Rente kommen) lauert schon im Treppenhaus. „Es prallen Lebensmodelle aufeinander, die alle in sich selbst relativ bieder sind. Letztendlich sind alle mit sich selbst beschäftigt.“ Anfangs hatte Hoenisch die Sorge, dass die Figur der Lehrerin, die sich am klarsten gegen die illegale Hilfe ausspricht, „der Sündenbock wird, die Spießerin – aber eigentlich hat sie die konsequenteste Argumentationslinie.“
Die eigene Generation hält die Hoenisch für unpolitisch – ein Vorwurf, den man sonst eher von Älteren hört. Die 32-Jährige, in Zweibrücken geboren, lebt in Berlin-Kreuzberg, wo „alle über Politik reden und sich jeder über Trump beklagt – aber ich erlebe, zumindest in meinem Umfeld, wenig direktes politisches Engagement, aber viel Beschäftigung mit sich selbst. Was esse ich, wo kaufe ich gesund ein – das ist eine Art Öko-Fairtrade-Welle. Es geht wenig über den eigenen Radius hinaus.“

Club Europa von Franziska Hoenisch

Yasmin (Maryam Zaree) und Samuel (Richard Fouofié Djimeli) – im Hintergrund Martha (Sylvaine Faligant). Foto: Filmakademie Baden-Württemberg

Eine Stärke des preisgekrönten Films (unter anderem beim Ophüls-Festival) ist, dass er sich nicht über seine Figuren erhebt, deren Argumentationen nachvollziehbar bleiben. „Der Zuschauer kann sich nicht distanzieren, darum ging es uns. Man soll sich fragen: Was ist meine eigene Position?“ Um die Figuren so plastisch und nachvollziehbar zu machen, wodurch der Film auch der Gefahr der Thesenhaftigkeit entgeht, hat Hoenisch lange mit den sehr guten Darstellern gearbeitet, zwei Wochen lang vor dem Dreh geprobt (beim Film eher ein Luxus) und die Dialoge als Improvisation erarbeitet – es gab keine aufgeschriebenen Sätze. Aufwändig war auch die Recherche der juristischen Details, „regelmäßig hat sich die Gesetzeslage verändert, das Dublin II-Abkommen wurde zu Dublin III, wir haben uns immer wieder mit Anwälten getroffen, um das Ganze abzuklopfen.“
Hoenisch hat ihren Film oft mit dem Publikum diskutiert, das sich gegen das Ende, wie sie sagt, „überraschend selten aufbäumt. Manche Zuschauer erwarten von mir eine Antwort, was denn die Lösung wäre. Aber in letzter Konsequenz weiß ich sie ja auch nicht.“ Wichtig für Hoenisch ist, dass man nicht „in einem politisch-korrekten Rahmen ein wenig über Politik redet, sondern sich fragt: In was für einer Welt wollen wir leben? Wie weit wollen wir uns einsetzen? Die einzige Macht, die wir haben, ist das Engagement des Einzelnen. Dessen müssen wir uns bewusst werden – und das ist vielleicht die Botschaft des Films.“

 

27.  Juli, 23 Uhr, ZDF

 

 

Informationen:

http://www.club-europa-der-film.de

https://www.arbeitskammer.de/aktuelles/aktionen-und-kooperationen/ak-filmtage-2017-mit-kritischem-blick.html