Vortex Francoise Lebrun und Dario Argento

Francoise Lebrun und Dario Argento.  Foto: REM

 

„Bring mich heim – ich will nach Hause.“ „Du bist doch Zuhause.“ Viele solcher Dialoge und  Momente in „Vortex“ sind schmerzhaft, es ist ein Film, den man überstehen muss. Von einem alten Paar erzählt er, beide um die 80. Auf dem Balkon ihrer Pariser Wohnung prosten sich die beiden mit Weißwein zu, man spürt eine tiefe Verbundenheit durch ein gemeinsames Leben.

Doch die wird immer wieder zerrissen durch die Demenzkrankheit der Frau. Während der Mann seinem Tagewerk nachgeht – er arbeitet an einem Buch über das Verhältnis von Traum und Kino –, zieht sie unruhig und getrieben ihre Kreise durch die Wohnung;  die wirkt mit den bis an die Decke gestapelten Büchern zugleich anheimelnd wie muffig, beengt und labyrinthisch. Als Betrachter verliert man da so schnell die Orientierung wie die erkrankte Frau. Sie schlurft auf die Straße, weiß nicht mehr genau, wo sie ist, sucht in einem Geschäft nach Spielzeug. Vielleicht für den Enkel, dessen Namen sie sich nicht mehr merken kann?

Der französische Regisseur Gaspar Noé, Jahrgang 1963, hat mit Filmen wie „Menschenfeind“ und „Irreversible“ die Grenzen des auf der Leinwand gerade noch Ertragbaren ausgelotet – in „Irreversible“ mit einer neunminütigen Vergewaltigungsszene. Seitdem wird er gerne mit den Attributen „enfant terrible“ und „Skandalregisseur“ belegt.

Das langsame Entgleiten

„Vortex“ ist nun sein stillster, äußerlich ruhigster Film – und möglicherweise sein erschütterndster. In aller Ruhe beobachtet er das Leben dieses Paares, das sich langsam, trotzt aller Gegenwehr, langsam entgleitet. Die Frau driftet in ihre eigene Welt, hält ihren Ehemann manchmal für einen Fremden, der ihr in der Wohnung nachspioniert; der Mann kommt an seine körperlichen wie seelischen Grenzen und will eben nicht lediglich Pfleger und Kümmerer sein, sondern auch an seinem alten Leben festhalten: Die Arbeit an seinem Buch wirkt wie eine verständliche Kurzzeitflucht und wie das Symbol einer Existenz, die er nicht aufgeben will.

 

Francoise Lebrun und Dario Argento Vortex

Francoise Lebrun und Dario Argento.  Foto: REM

Noé hat mit zwei Kameras gefilmt, teilt die Leinwand in Hälften. So kann er das Leben der beiden gleichzeitig zeigen, wenn sie sich voneinander entfernen, wenn der Mann etwa – eine Szene mit einer gewissen Komik – badet und sie, wie sie sagt, seinen Schreibtisch aufräumt: nämlich Notizen von ihm in der Toilette hinunterspült. Die Darsteller, die auf Basis von Noés Drehbuch-Entwurf viel improvisiert haben, sind grandios: Dario Argento, 81, von Haus aus Regisseur des manchmal drastischen Grusels („Suspiria“) spielt den Mann, dem alles über den Kopf wächst. Françoise Lebrun, 77, ist sensationell. Sie macht Verwirrung und   Verunsicherung spürbar, ihre Ängste und ihre Trauer, wenn ihr in wachen Momenten bewusst wird, was ihr diese Krankheit unwiederbringlich entreißt.

Diese 135 manchmal brutalen Minuten gehen ans Herz, auch an die Nerven, sie schmerzen oft. Ein meisterlicher Film ohne Sentimentalität, aber voller Dankbarkeit dafür, am Leben zu sein.