Über Film und dieses & jenes

Schlagwort: House of cards

Charlie Muffin“ von Jack Gold

David Hemmings mit Füßen auf dem Schreibtisch in einer Szene des Films "Charlie Muffin", erschienen bei Pidax Film.

Füße hoch, gerne auch im Büro: David Hemmings als Charlie Muffin. Foto: Pidax

 

Lange ist das her, aber die Älteren werden sich erinnern – die ARD hat früher mal Themenreihen angeboten (etwa über den Science-Fiction-Film) und auch Retrospektiven über Filmemacher. Einer  davon war damals der Brite Jack Gold (1930-2015), vor allem in den 1970ern ein Könner in vielen Genres: ob in dem utopisch angehauchten Polit-Thriller „Der Mann aus Metall“, dem Kriegsfilm „Die Schlacht in den Wolken“ oder im Genre des Übersinnlichen bei „Der Schrecken der Medusa“. Golds langlebigster  Erfolg ist der TV-Film „Der kleine Lord“, der seit 1980 in jedem Advent die Zuschauerherzen zuverlässig wärmt.

Ikone der Swinging Sixties

Einen der schönsten Gold-Filme hat nun die Riegelsberger DVD-Firma Pidax ausgegraben: „Charlie Muffin“, ein Fernsehfilm von 1979. David Hemmings, 13 Jahre zuvor durch Antonios „Blow Up“ zu einer Ikone der Swinging Sixties geworden, spielt einen Mann mittleren Alters, bei dem es nun weniger swingt. Er ist ein britischer Agent, den seine Vorgesetzten wegen seiner fachlich begründeten Arroganz mit Inbrunst hassen; da er den gemütlichen Durchschnitts-Dilettantismus des britischen Geheimdienstes durch seine Präsenz stört, versuchen seine Vorgesetzten schon mal, ihn beim Berliner Grenzübergang vom Osten in den Westen der DDR zuzuspielen. In Muffin köchelt es, doch seine große Stunde könnte schlagen, als eine russische Politgröße (Pinkas Braun) in den Westen überlaufen will – da kommen Muffins Chefs nicht an ihm vorbei.

Charlie Muffin David Hemmings Pidax House of Cards

Die Bürohengste, allen voran Cuthbertson (Ian Richardson, vorne). Foto: Pidax

Gold findet eine schöne Mischung aus Spannung und Komik. Hier geht es ebenso um den Kalten Krieg wie ums alltägliche Büro-Klein-Klein, um Hierarchien, Besserwisserei und die Kombination Buckeln/Treten. Die Dialoge sind ausgefeilt und bissig, die Darsteller in Form: Hemmings gibt den Weltmüden in schmutzigen Schuhen, seinen ihm in herzlicher Abneigung verbundenen Vorgesetzten spielt der brillante Ian Richardson. Er verkörperte ein paar Jahre später in „House of Cards“ (der Vorlage fürs US-Remake) lustvoll den größten Intriganten der britischen Regierung. Hier konnte er schon mal üben – es ist ein Genuss.

Erschienen bei Pidax Film.

Schlecht, und doch gut: „Marseille“ mit Gérard Depardieu

 

Gerrad Dépardieu als Bürgermeister von Marseille. Fotos: Polyband Marseille mit Gérard Depardieu

Gérard Dépardieu als Bürgermeister von Marseille. Fotos: Koskas/Netflix/Polyband

Marseille scheint ein Dorf zu sein – zumindest in dieser französischen Serie. Nun sind ja nicht wenige Film- und Seriendrehbücher dramaturgisch förmlich am Reißbrett konstruiert. Aber man sollte es ihnen nicht anmerken. Aber in „Marseille“ kommt es filmisch dann mitunter knüppeldick. In einer Szene werden beispielhaft alle losen Drehbuchfäden miteinander verknüpft, dass die Episode filmisch fast stolpert. Also:  Da kauft ein Mann in einer Kneipe eine ordentliche Portion Koks – so weit nichts gänzlich Ungewöhnliches. Der Käufer aber ist der Chauffeur/Berater des Marseiller Bürgermeisters (Gérard Depardieu), der gerade unter anderem mit der Mafia im Clinch liegt, da er ein Casino mit legalem Glücksspiel am Hafen plant. Der Verkäufer des Kokains ist im Nebenberuf allerdings auch Handlanger eben jener  Mafiosi, die wiederum mit des Bürgermeisters politischem Ziehsohns (Benoit Magimel) unter einer Decke stecken, der gerade den politischen Tod des Mentors plant. Der Handlanger des Dealers, der bei dem Drogenkauf dabei ist, ist  wiederum ein alter Kindheitsfreund der Bürgermeistertochter (und in sie, auch das noch,  unglücklich verliebt). Deren beste Freundin wiederum arbeitet im Wahlkampfbüro des Bürgermeister-Gegenspielers, der unter anderem den homosexuellen Chef der örtlichen Zeitung umgarnt, wo wiederum die Bürgermeistertochter arbeitet, aber unter falschem Namen, damit ihre Identität nicht bekannt wird.

Mies geschrieben, dennoch sehenswert

Also viel „wiederum“, „zugleich“, viele dramaturgisch bequeme Zufälle: „Marseille“, die erste französische Eigenproduktion des Streaming-Anbieters Netflix,  ist zweifelsohne eine mies geschriebene Serie. Zumal sie zwei ziemlich dümmlich-naiv-erotisierte Frauenrollen aufbietet und noch ein paar familiäre Verwicklungen bereit hält, die hier nicht verraten werden sollen und die sich ein Drehbuchautor erstmal trauen muss.

 

Gerrad Dépardieu, Marseille. Fotos: Polyband Marseille mit Gérard Depardieu

Der politische Ziehsohn und große Gegenspieler (Benoit Magimel).

Nur – warum ist es trotzdem ein ziemlich großer Spaß, sich die Serie anzusehen (auch wenn man sich für den Spaß etwas schämt?) Von dem französischen und ungleich raffinierteren Serien-Konkurrenten „Baron Noir“ (kürzlich hier vorgestellt) oder „House of Cards“ ist „Marseille“ meilenweit entfernt; die Reihe liegt viel näher an „Dallas“, der klassischen  Seifenoper der 80er Jahre, einem wohlig überschaubaren, aber auch etwas miefigen  Intrigantenstadl. Der große Reiz von „Marseille“ ist, nicht ganz überraschend, sein Hauptdarsteller: Gérard Depardieu, der gallische Wuchtbrummer, räumt mit seiner Präsenz alle Drehbuchhindernisse aus dem Weg, Klischees walzt er wie eine schnaufende Lokomotive platt und erschafft auf deren Trümmern, eine plastische, tragisch anmutende Figur. Ein Engel im Polit-Betrieb ist er nicht (wie könnte er das sein, nach 20 Jahren  als Bürgermeister?), aber an alten Überzeugungen hält er ebenso fest wie an der Zuneigung zum Arbeitsplatz („Verdammt, wie ich diese Stadt liebe“). Dennoch ist er nicht ganz unschuldig daran, dass sein politischer Ziehsohn ihn abservieren will – hatte der Bürgermeister doch geplant, auch aus der Rente heraus über ihn, seinen geplanten Nachfolger, mit- und weiter zu regieren. Den Gegenspieler, sozusagen den „J.R.“ („Dallas“-Kucker erinnern sich) spielt Benoit Magimel und zeigt sich Depardieu aufAugenhöhe. Magimel ist von seinen Zusammenarbeiten mit Michael Haneke („Die Klavierspielerin“) oder Claude Chabrol („Die Blume des Bösen“) bessere Drehbücher gewohnt, aber er wirft sich mit Schwung in die Rolle eines Mannes, der sich  höchst konsequent der Machtmechanik widmet, Sex ingebriffen (bevorzugt auf betont unromantische Weise). Und doch treibt auch ihn die Zuneigung zur Stadt an, die der amtierende Bürgermeister in seinen Augen „nicht mehr versteht, er ist zu alt“. Dass er seinen großen Mentor politisch absägen will, ist für ihn nur logisch: „Es ist Vatermord – das ist ganz normal“.

Erschienen bei Polyband, 326 Minuten.
Die zweite Staffel ist in Vorbereitung.

http://www.polyband.de

 

Marseille mit Gérard Depardieu Benoit Magimel

„Baron Noir“ mit Kad Merad – vom Tricksen im Polit-Dschungel

Baron Noir Kad Merad

 

 

„Wir sind alle keine Chorknaben. Aber das Gefängnis haben wir nicht verdient“, sagt einer der Polit-Strippenzieher in „Baron Noir“. Uneingeschränkt zustimmen mag man der zweiten Satzhälfte nicht – angesichts dieses Tableaus an Machenschaften, Tricksereien und Betrug, die diese französische TV-Serie, die bei uns jetzt auf DVD erscheint, höchst kunstvoll ausbreitet. Es herrscht Wahlkampf, der sozialistische Präsidentschaftskandidat Laugier (Niels Arestrup) steht kurz vor seinem großen Ziel – unterstützt wird er von seinem Berater und langjährigen Freund Rickwaert (Kad Merad), dem Bürgermeister von Dünkirchen. Der Weg in den Élyseé Palast scheint gut geebnet zu sein, bis Finanztricksereien der Sozialisten aufzufliegen drohen. Rickwaert rettet, was zu retten ist, doch Laugier lässt ihn fallen – und wird Präsident. Der Geschasste und tief Getroffene beginnt einen Rachefeldzug, der ihn vom Dünkirchener Flachland nach Paris bringen soll.

 

Baron Noir Kad Merad

Da sind sie noch Freunde, im weitesten Sinn:  Kad Merad (l.) als Philippe Rickwaert, Niels Arestrup als Francis Laugier, der auf dem Weg in den Élysée Palast ist. Foto: Studiocanal

 

Ist dies eine gallische Version der US-Serie „House of Cards“? Zwar verbindet der Schauplatz des politischen Dschungels die Reihen, „Baron Noir“ stellt aber eine besonders vielschichtige Figur ins Zentrum. Rickwaert ist  nicht zynisch und diabolisch wie der TV-Kollege Frank Underwood aus „House of Cards“; er ist ein Getriebener, er ist Täter wie Opfer, ein Pragmatiker, Opportunist und dabei auch eine tragische Figur, weder wirklich sympathisch noch verabscheuungswürdig. Ein Glücksgriff ist die Besetzung mit Kad Merad, bei uns vor allem als Postbeamter mit Nordfrankreich-Kulturschock in „Willkommen bei den Sch’tis“ bekannt – wie er seinen vertrauenerweckend onkeligen Charme einsetzt, um Menschen auf seine Seite zu ziehen, wie er steigenden Druck ausübt, sobald der Charme nicht ganz verfängt, ist famos anzusehen.

Autor der Serie ist der ehemalige Polit-Berater Eric Benzekri, der die Mechanismen von Wahl- und Machtkampf hier en detail herunterbricht: Mit einer TV-Debatte in einem gelackten Studio in Paris beginnt es, doch nach dem Bruch der Parteifreunde wird der Wahlkampf in Dünkirchen kleinteilig: Rickwaert lässt Konkurrenzplakate überkleben und   Tausende Flugblätter der Gegenseite aus den Briefkästen angeln, während er selbst Strippen zieht, Allianzen schmiedet und sich mit Notlügen durchwurschtelt – oder ein Wahllokal von seinen Getreuen bepöbeln lässt, um das den Rechten in die Stiefel zu schieben. Das alles geschieht mit viel Tempo, Wendungen,  geschliffenen Dialogen und plastischen, vielschichtigen Figuren – ein Vergnügen und zugleich ein großes menschliches Drama.

Die erste Staffel ist bei Studiocanal erschienen (acht Episoden à 50 Minuten auf 3 DVDs). Die  zweite Staffel wird zurzeit produziert.

 

 

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