Jessica Hausner Amour Fou  Jessica Hausner Amour Fou

1811 erschießt sich der Dichter Heinrich von Kleist gemeinsam mit Henriette Vogel in Berlin – sie hatten sich dazu verabredet. Die Regisseurin Jessica Hausner („Lovely Rita“, „Lourdes“) nimmt diesen Freitod als Anlass, in ihrem Film „Amour fou“ über die klassische Idee der Liebe zu spekulieren, über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, gemeinsam zu leben und zu sterben. Ihr Film gewinnt den Gesprächen in den preußischen Salons (über die Steuer oder auch die „bedrohliche“ französische Demokratie) eine unerwartete Komik ab. Ich habe  mit Jessica Hausner  beim Saarbrücker Ophüls-Festival 2015 gesprochen, wo sie den Film vorgestellt hat.

 

 

Der ein oder andere Kritiker wirft ihrem Film vor, er sei kein umfassendes Porträt Heinrich von Kleists. Aber hatten Sie das überhaupt im Sinn?

Nein, „Amour fou“ ist kein biografischer Film, nicht einmal ein psychologischer Film. Es ist eher eine Versuchsanordnung, vielleicht eine Parabel, ein Gedankenspiel über den gemeinsamen Selbstmord.

Dann hätten Sie Kleist als Figur gar nicht unbedingt gebraucht?

Doch, das schon, weil ich wesentliche Teile der Komik des Films aus seiner Biografie gewinne. Ich hatte früher schon einmal vor, einen Film über Doppelselbstmord aus Liebe zu drehen. Dieser erste Entwurf hatte aber keinen Humor. Aber der war für mich wichtig. Dazu inspiriert hat mich die Geschichte von zwei Teenagern, die sich verabredet hatten, von einer Klippe zu springen. Jahre später habe ich einen Artikel über Kleist gelesen, der beschrieb, wie er auf der Suche nach einem Partner für den Selbstmord so lange verschiedene Leute fragte, bis er endlich jemanden gefunden hat – Henriette Vogel. Ich fand es interessant, dass diese Idee ihm letztlich wichtiger war als sein Gegenüber, die Person, die mit ihm stirbt.

Der Kleist Ihres Films ist ein grauenvoller Narziss, oder?

Ja, aber mein Film ist, wie gesagt, keine Biografie. Er beleuchtet nicht den Fall eines besonders narzisstischen oder auch depressiven Menschen. Ich drösele nicht auf, warum er sterben will, das bleibt knapp gehalten.

Warum?

Weil ich zu einem allgemein menschlichen Punkt kommen will – dieses in sich selbst verwoben Sein, das jeder besitzt. Jeder wünscht sich irgendetwas von seinem Partner und legt diese Wünsche in den anderen hinein. Aber was der andere wirklich denkt oder empfindet, das weiß man nicht.

Das hieße auch, dass wir jemand anderen eigentlich nur um unserer selbst Willen lieben.

Ja, in jedem Fall. In der Liebe herrschen grundsätzlich Missverständnisse. Liebe ist nichts Altruistisches, sondern etwas Egoistisches, man will die eigenen Bedürfnisse bei dem Partner, den man sich aussucht, befriedigen.

Im Film bewerten Sie das nicht.

Nein, denn ich meine es ja nicht böse. Man ist einfach nicht in der Lage, sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen. Ich glaube, dass meine Bildsprache – diese Tableaus und der Mangel an Nahaufnahmen – auch damit zusammen hängt. Filme suggerieren ja mit Nahaufnahmen von Gesichtern, dass man weiß, was in den Menschen vorgeht. Aber man weiß es eben nicht.

Die Kamera in Ihrem Film verharrt unbeweglich auf Tableaus. War das für Ihren Kameramann frustrierend, dass er keine kunstvollen Kamerafahrten unternehmen konnte?

Nein, Martin Gschlacht, mit dem ich bisher jeden Film gemacht habe, zieht seine Lust aus dem Inhalt. Wir suchen die Bildsprache, die die Geschichte nahe legt. Er ist Gott sei Dank frei von diesen technischen Gelüsten, dass er etwa unbedingt mal eine Kranfahrt ausprobieren muss. Gegen die habe ich ja nichts, aber der Inhalt gibt den Stil vor.

Die Komik des Films funktioniert auch über die Sprache und die Sprechweise und ist dabei sehr subtil. Funktioniert das bei jedem Publikum?

Bis jetzt haben alle gelacht – auch die Untertitel-Leser in anderen Ländern. Bei den französischen und englischen Untertiteln habe ich mitgearbeitet, wir wollten das Trockene, Lapidare, das absurd Witzige übertragen. Und in der Bildsprache ist es witzig, dass die Person da stehen, so aufgefädelt wie Marionetten – das ist skurril und ermuntert den Zuschauer, dass er durchaus schmunzeln kann.

Wie kamen sie auf den spezifischen Sprachklang Ihres Films?

Ich habe mich in Briefe und Tagebücher jener Zeit eingelesen, habe Sätze abgeschrieben, bis ich das Gefühl hatte, jetzt meine eigenen Dialoge schreiben zu können, weil ich das Gefühl für die Sprache dieser Zeit besitze.

Manche Szenenbilder sehen aus wie Gemälde. Hat die Kunstgeschichte Sie dabei inspiriert?

Ich habe mir einige Bilder aus dem 19. Jahrhundert angesehen. Was mich an historischen Filmen oft stört, ist, dass alles leicht angeschmuddelt aussieht, das hat so etwas Pseudohistorisches. Das wollte ich nicht sehen, sondern lieber einen eigenen Stil entwickeln und zeigen, dass es damals tatsächlich neue Möbel gab. Und nicht jedes Kleid war zerschlissen, nicht an jeder Straßenecke ist ein Huhn vorbeigelaufen. Wir wollten, dass alles alltäglich und neu zugleich ausschaut – wie Ikea im Jahre 1811.

Ist „Amour fou“ ein Antifilm gegen die üblichen bildungsbürgerlichen Dichterbiografien und Historienfilme?

Das kann schon sein. Auf ästhetischer Ebene ist es eben kein hübsch gemachter Historienfilm. Die meisten Filme tappen in die Falle, dass man so akkurat sein will wie möglich, weil es eben historisch ist. Wenn man in der Vergangenheit erzählt, sollte man eine eigenwillige Ästhetik wählen. Am Anfang hatten wir ein Szenenbild eingerichtet, wie man es aus Bildern der Epoche kannte. Ich hatte das Gefühl, das schon 1000 Mal gesehen zu haben – und das Ganze nicht mehr geglaubt. Da haben wir einige Dinge geändert, Zufälle und Asymmetrisches hinein gebracht. Das verbindet die Bilder mit unserer Gegenwart.

„Amour fou“ ist auf DVD bei good!movies erschienen.
Die Bildrechte liegen bei Stadtkino Filmverleih, das Porträt von Jessica Hausner stammt von Gianmaria Gava/Stadtkino.