Christian Schwochow WestenChristian Schwochow Westen Jördis TriebelChristian Schwochow Westen Jördis Triebel

In Saarbrücken ist Regisseur Christian Schwochow, dessen neuer Film „Paula“ gerade gestartet ist,  ein guter Bekannter: Sein Debüt „Novemberkind“ gewann 2008 den Publikumspreis des Ophüls-Festivals, sein zweiter Film „Die Unsichtbare“ erhielt 2012 eine lobende Erwähnung. Sein neuer Film „Westen“ erzählt die Geschichte der Mutter Nelly, die 1978 von der DDR in die BRD flieht. Dort setzt der US-Geheimdienst sie unter Druck, und Nelly kommt der goldene Westen gar nicht mehr so golden vor. Ein Gespräch mit dem Regisseur über seinen Film, der auch etwas mit Schwochows Biografie zu tun hat.

 

In einem Interview sagten Sie, dass Sie nach „Novemberkind“ und dem TV-Film „Der Turm“ nicht auf das Thema DDR festgelegt werden möchten. Jetzt haben Sie aber „Westen“ gedreht. Weil die Handlung auch Ihre Biografie berührt?

Zum Teil. Der Film basiert ja auf Julia Franks Roman „Lagerfeuer“, den ich 2003 gelesen habe. Damals machte eine neue Generation von Schriftstellern auf sich aufmerksam wie eben Julia Frank oder Clemens Meyer, die die ostdeutsche und deutsch/deutsche Wirklichkeit aus einem ganz unideologischen Blick heraus beschrieben haben. Die Konflikte in „Lagerfeuer“ kamen mir sehr vertraut vor. Meine Eltern haben ja selbst einen Ausreiseantrag gestellt, der am 9. November 1989 genehmigt wurde. Die Sehnsucht nach einem neuen, anderen Leben war ein ganz großes Thema in meiner Familie. Dieses Ankommen in der neuen Welt mit all seinen Problemen kannten wir auch. Da gibt es viele autobiografische Anteile, das hat mich sehr interessiert.

Wie war das damals, als Sie aus Ostberlin nach Hannover kamen? Wurden Sie beäugt wie ein Marsmensch?

Es war nicht so wie im Film, wo der Junge als „Ostpocke“ bezeichnet wird. Aber man wusste einige Zeit nichts mit mir anzufangen. Ich habe den Herbst 1989 ja ganz direkt erlebt in Berlin, ich hatte viel gesehen von den Demonstrationen und Montags-Andachten, es gab Verfolgungsjagden direkt unter meinem Fenster – das vergisst man nie. Diesen ganzen innerlichen Aufbruch hatte ich in mir und bin dann ins beschauliche Hannover gekommen. Ich kam aus dieser aufgeladenen Zeit und konnte das Erlebte schlecht vermitteln.

Ihr Film zeigt den Westen nicht als das gelobte Land, eher als Ort einiger enttäuschter Hoffnungen. Üblicherweise ist der Kontrast zwischen der BRD und der DDR im deutschen Kino ja viel deutlicher.

Das stimmt schon, aber ich wollte damit nicht aussagen, dass die BRD auch nicht besser wäre als das Regime der DDR – das wäre falsch. Aber mich ärgert immer diese einseitige Sicht vom dunklen kommunistischen System und von der anderen Seite, auf der immer alles richtig gemacht worden ist. Wir wissen ja spätestens seit Edward Snowden, welche Rolle westliche Geheimdienste spielen. Deshalb soll mein Film erzählen, dass auch eine westliche Demokratie sehr eigene Mechanismen besitzt, die erstmal nichts mit Freiheit zu tun haben.

Eine BRD-Amtsstube im Film, in dem der Hauptfigur Nelly das Leben im Westen gestattet wird, zeigen Sie so grau und muffig, wie es sonst im Kino nur die DDR-Büros sind. Ironie?

Nein, das Büro ist originalgetreu nachgebaut. Aber kurios ist es schon, wie ähnlich sich damals doch manches war. Als ich am 10. November 1989 über die Bornholmer Straße nach Westberlin gelaufen bin, dachte ich: Das ist jetzt auch nicht weniger schmuddelig als der Prenzlauer Berg, auch wenn mehr Leuchtreklamen brannten. Aber so anders hat sich das alles gar nicht angefühlt.

Ihr Film lässt inhaltlich einiges in der Schwebe, nicht alles wird aufgelöst.

Ich weiß, dass das manchen Zuschauer frustrieren könnte, mir war es aber sehr wichtig – die Figuren werden nie alles erfahren, aber sie müssen sich dennoch für etwas entscheiden, auch wenn die großen Fragen des Lebens noch nicht beantwortet sind.

Sie haben den Film „Die Täter – heute ist nicht alle Tage“ über die NSU-Morde geschrieben und inszeniert – ist das auch eine typisch ostdeutsche Geschichte, die es ohne die DDR nicht gegeben hätte?

Natürlich haben der Zusammenbruch der DDR und der schwierige Neuanfang ganz viel mit der Entwicklung des Rechtsextremismus zu tun, keine Frage. Die Drei und ihre Mitstreiter gehören zu der besonderen Generation der Wendekinder. Aber wir müssen aufhören, den Rechtsextremismus in Deutschland als ein ostdeutsches Problem zu behandeln. Er ist seit vielen Jahren ein gesamtdeutsches Problem. Der NSU-Komplex hat eine gesamtdeutsche Tragweite, vieles ist nicht gesehen worden oder man wollte es nicht sehen. Den Boden für diese Bewegung hätte man überall in Deutschland finden können.

 

Die DVD ist bei Senator erschienen.

Die Szenenfotos stammen von Senator, das Bild von Christian Schwochow machte Iris Maurer.