Vicky Krieps als Chris, Tim Roth als Tony. Weltkino Bergman Island

Vicky Krieps als Chris, Tim Roth als Tony. Foto: Weltkino

Man kann das Beziehungs-Schicksal auch herausfordern. Will man wirklich seinen Sommerurlaub auf der Insel Farö in jenem Haus verbringen, wo Ingmar Bergman Teile seines Films „Szenen einer Ehe“ drehte? Ein Werk, das Millionen Paare dazu brachte, sich scheiden zu lassen, wie es im Film „Bergman Island“ heißt? Das Künstlerpaar Chris und Tony (Vicky Krieps und Tim Roth) lässt sich nicht abschrecken. Im Gegenteil: Hier wollen sie einen Sommer lang leben und arbeiten – sie ist Drehbuchautorin, er Drehbuchautor und Regisseur. Er will etwas schreiben über jenes „Unsichtbare“, was zwischen Liebenden zirkuliert, und kommt mit der Arbeit gut voran. Sie dagegen quält sich mit ihrer Geschichte, in der es auch um Liebe geht. Zudem sei die „Ruhe und Perfektion hier bedrückend“.

Zu Beginn ist „Bergman Island“ ein trügerisch leichter Film. Chris und Tony leben sich schnell ein in diesem malerischen Flecken in der Ostsee. Während der Wind zart durch die Bäume streicht, schreibt er im Haus, sie in der Mühle nebenan, bei der Arbeit können sie sich zuwinken, abends können sie sich austauschen. Doch die Künstler- und Ehe-Idylle ist nicht ganz so stabil, wie es den Anschein hat, auch wenn das nicht ausgesprochen wird – es sind die kleinen Blicke und Gesten, die eine gewisse Spannung unter der Oberfläche verraten. Hat diese Ehe ihre erste romantische Sturm-und-Drang-Phase hinter sich und steuert nun ruhigere Gewässer an – wobei Chris dafür im Gegensatz zu ihrem Jahrzehnte älteren Lebenspartner etwas zu jung wirkt? Und welche Wirkung hat der Umstand, dass Tony im Filmgeschäft deutlich etablierter ist als seine Frau?

Das Alles lässt die französische Autorin und Regisseurin Mia Hansen-Love behutsam anklingen, formuliert es filmisch aber nicht überdeutlich aus. Vieles bleibt ungesagt, ist aber spürbar. Wunderbar ist es, wie die Luxemburger Schauspielerin Vicky Krieps ihre Figur zwischen jugendlicher Stärke und einer gewissen Unsicherheit anlegt, während Tim Roth seinen Autor in einer Grauzone zwischen gesetzter Selbstsicherheit und  leichter Arroganz platziert.

Film-Im-Film

Diesem Tony fehlt das letzte Fünkchen wortwörtliches Mitgefühl, als Christine ihm von ihren Schreibqualen angesichts ihres Drehbuchs erzählt – worin es darin geht, erzählt „Bergman Island“ in einer überraschenden Film-im-Film-Konstruktion. Plötzlich geht es, ebenfalls auf Farö, um eine andere Liebesgeschichte: Da trifft die Filmemacherin Amy (Mia Wasikowska) ihre alte, aber verflossene Liebe Joseph (Anders Danielsen Lie) bei einer geplanten Hochzeit auf der Insel. Die alten Gefühle köcheln schnell wieder, es folgt das Absehbare: Annäherung, Liebesschwüre, eine gemeinsame Nacht, dann prompt Zweifel, Schuldgefühle, Verlassenwerden, Tränen.

Mia Wasikowska und Anders Danielsen Lie in "Bergman Island".

Mia Wasikowska und Anders Danielsen Lie im Film-im-Film. Foto: Weltkino

Diese Liebesgeschichte ist trotz aller Liebesglut weniger interessant als die Hauptgeschichte: Diese beiden (Amy und Joseph) möchte man bei ihrer wortreichen, aber etwas banalen Liebes- und Sinnsuche („Warum sie, warum nicht ich.“ – „Ich weiß es nicht. So ist das Leben.“) mal an den Schultern packen, ordentlich durchrütteln und ihnen raten, sich klarzumachen, was sie eigentlich wollen, und dementsprechend zu handeln. Da verliert „Bergman Island“ vorübergehend etwas von seiner Kraft, schlägt aber einen eleganten (und überraschenden) Bogen zurück zu Tony und Chris – und bleibt dabei weiter reizvoll zurückhaltend.

Und Ingmar Bergman, der große Schwede, der auf Farö lebte, arbeitete, starb und sein Haus plus Heimkino einer Stiftung überließ? Dem huldigt der Film in gewisser Weise – sein Werk mit einem gnadenlosen Blick auf die menschliche Natur und die Liebe strahlt durchaus ab, aber es geht auch um die Rolle der Kunst in einer Familie. Bergman, fünfmal verheiratet, hatte neun Kinder mit sechs Frauen, eine Tochter erfuhr erst spät, wer ihr Vater ist; ein Familienleben interessierte ihn weniger als Filmemachen. „Kann man nicht gleichzeitig ein großes Werk schaffen und sich trotzdem um seine Familie kümmern?“, fragt Autorin Chris im Film – beantwortet von kollektivem Achselzucken und dem Hinweis, wenn man Film und Theater macht, könne man eben keine Windeln wechseln. Ob man das bei einer Regisseurin auch so gesehen hätte? „Bergman war im Leben so grausam wie in seinen Filmen“, heißt es im Film.

Los geht’s auf „Bergman-Safari“

Im Werk von Bergman, der posthum auf der Insel ein Hochkulturtourismus-Magnet mit einer jährlichen „Bergman-Safari“ ist, muss man sich dennoch nicht auskennen, um „Bergman Island“ zu schätzen. Vielleicht macht sich die Regisseurin ja auch ein bisschen lustig über die oft tränenschweren Werke des Schweden, wenn das Verlieren bei einem Brettspiel zu Sätzen führt wie „Du magst es eben nicht, wenn Dir die Dinge entgleiten“. Auch muss man nicht zwingend wissen, dass dieser bittersüße Film starke autobiografische Bezüge zur Regisseurin/Autorin  Mia Hansen-Love und ihrer Beziehung zum Kollegen Oliver Assayas („Die Wolken von Sils Maria“) besitzt. Die Geschichte von Chris und Tony trägt auch so – bis zum letzten Moment, einem vielsagenden Blick.