Über Film und dieses & jenes, von Tobias Keßler

Schlagwort: Nine Inch Nails

Gary Numan in Luxemburg, 9.3. 2018, Kulturfabrik Esch

Gary Numan Savage Tour Esch Luxemburg Kulturfabrik Tubeway Army Cars

 

Böse und mysteriös blicken – ja, das kann er immer noch, als wäre es 1979. Da begann Gary Numan seine Popkarriere, eine der merkwürdigsten: mit Millionenverdiensten und Millionenschulden, mit Haartransplantationen, einem Flug um die Welt im eigenen Flugzeug und einem Flug in die Pleite mit der eigenen Plattenfirma. Aber Numan ist immer noch da, seit Donnerstag 60 Jahre alt, und einen Tag später zum ersten Mal in Luxemburg. Und als altem Fan geht einem das Herz auf, wie er da auf die Bühne der Kulturfabrik in Esch wandelt, blutrot beleuchtet, umwabert von Kunstnebel, umdröhnt von einem Synthesizer-Intro.

Er und seine Electromusik haben so manche Lebensläufe über Dekaden begleitet. 1979 ist er ein Phänomen – mit zwei britischen Nummer-Eins-Singles verhilft der Londoner, gerade 21, dem Synthie-Pop zum kommerziellen Durchbruch: mit der kühlen Ballade „Are friends electric?“ und „Cars“, einer Ode an das Sich-Zurückziehen. Über Nacht ist Numan reich, berühmt – und verhasst. Denn die britische Musikpresse mag weder das bewusst „Unauthentische“ an seiner Musik (keine Jeans, kein Männerschweiß, keine Gitarrensoli) noch seine bombastischen Bühnenshows und auch nicht seinen Neureichen-Gestus, mit dem er sich Sportwagen kauft und ein Flugzeug, mit dem er als Freizeitpilot um die Welt fliegt (in Indien wird er kurzzeitig wegen Spionageverdachts verhaftet).

Gary Numan Savage Tour Esch Luxemburg Kulturfabrik Tubeway Army Cars

 

Nach drei britischen Nummer-1-Alben in Folge verkündet ein überarbeiteter Numan 1981 mit großer Geste den Abschied von der Bühne (nur um 1982 kleinlaut zurückzukommen). Aber da haben sich viele Fans schon verabschiedet, nur ein beinharter Kern bleibt ihm treu. So treu, dass die ihm sogar Geld schicken, als sein eigenes Plattenlabel in die Pleite schlittert. In dieser Zeit versucht Numan alles, verbindet seine Electromusik mit Funk, lässt Backgroundsängerinnen jaulen. Nichts hilft. Anfang der 90er spielt er dann in Freizeitzentren in der Provinz.

Kritik zum Album „Savage“

Erst als Numan nicht mehr auf Radioeinsätze schielt, kommt die Wende. Die Musik verdüstert sich, er lässt sich von Weggefährten wie Depeche Mode und dem knirschenden Industrial Rock von Nine Inch Nails inspirieren und beginnt einen jahrelangen Wiederaufstieg. Als sein 2017er Album „Savage“ es in England auf Platz zwei schafft, weint Numan nach eigenen Angaben „wie ein Kleinkind“. In Luxemburg weint er nicht, auch wenn in die Halle noch ein paar Menschen hineingepasst hätten, sondern liefert eine beeindruckende Show mit Material vor allem aus den jüngsten beiden Alben.

Textlich sind die nur mäßig originell. „Black“, „dark“, „bleed“ und „broken“ sind Numans Lieblingsworte, entweder geht es um Seelenkrisen oder Weltuntergänge, und wenn Numan es noch finsterer als finster haben will, dichtet er von „a darker shade of darkness“. Aber das alles kleidet er in eingängige, wuchtige Refrains mit manchmal arabisch anmutenden Melodien, getragen von bombastischen Synthie-Klangflächen, nach vorne getrieben von bisweilen elefantös dahin donnernden Gitarrenbreitseiten mit Rammstein-Aroma. Subtil ist das nun nicht – in der Mischung aber grandios effektiv. Numan gibt dazu den Bühnenderwisch, orchestriert die Melodien mit rudernden Armen und scheint in seine Songs geradewegs hineinzuspringen. Gekleidet sind er und seine drei Begleiter in einer Art beigen Nomadenkluft, geht es auf „Savage“ doch im weitesten Sinne um eine ausgetrocknete Welt nach dem Klimawandel. Projektionen zeigen Wüstenbilder, wabernde Muster, Farben. Musikalisch gibt es nur einen Durchhänger – das balladeske „Mercy“ war schon auf dem jüngsten Album ein Langweiler, da ist auch auf der Bühne nichts zu retten. Anders bei anderen Songs: Eine Nummer wie „Love hurt bleed“ mag auf CD fast wie eine Parodie auf Nine Inch Nails wirken, auf der Bühne wird daraus eine große, scheppernde Faustreck- und Headbang-Nummer.

Gary Numan Savage Tour Esch Luxemburg Kulturfabrik Tubeway Army Cars

Dass Numan die alten Hits auf ein Minimum beschränkt – das vielbejubelte „Cars“ wirkt fast wie ein allzu nostalgischer Fremdkörper – zeigt sein begründetes Vertrauen in die Livetauglichkeit des neuen Materials. Wer hätte in den 80ern oder 90ern gedacht, dass Numan mit 60 noch auf der Bühne steht und eben nicht die 40 Jahre alten Hits spielen, nicht mit Nostalgie tingeln muss? Vielleicht ist auch das ein Grund, dass bei Numan die dramatische Mimik bei den Stücken zwischendrin immer öfter einem enorm breiten Grinsen weicht? Er freut sich einfach – an diesem Abend gönnt es ihm jeder.

 

Gary Numan Savage Tour Esch Luxemburg Kulturfabrik Tubeway Army Cars

 

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Dunkle Schönheit: Das Album „The Vietnam War“ von Trent Reznor und Atticus Ross

Eine Zweitkarriere nebenbei kann man das nicht mehr nennen. Der Amerikaner Trent Reznor ist Kopf des Bandprojekts Nine Inch Nails und als solcher bekannt für harschen, knirschenden, beklemmenden Industrial-Rock. Doch er hat auch die Filmmusik für sich entdeckt. Mit dem britischen Kollegen Atticus Ross hat er 2010 die Musik zu David Finchers Facebook-Film „The social network“ geschrieben – mehrere Preise gewann ihre Arbeit, darunter einen Oscar. Auch David Finchers folgende Filme „Verblendung“ und „Gone Girl“ (2011 und 2014) untermalte das Duo kongenial.

Nun haben Reznor und Atticus an einer TV-Reihe gearbeitet, der zehnteiligen Kriegs-Dokumentation „The Vietnam War“ (kürzlich bei Arte zu sehen). Dabei gelingt dem Duo das Kunststück, eine Musik zu erschaffen, die die TV-Bilder atmosphärisch verstärkt, aber auch ohne diese eine enorme Wirkung entfacht, einen großen Sog. Auf Doppel-Albumlänge von 90 Minuten skizzieren sie sphärische Klanglandschaften, Rhythmen pulsieren sachte, Keyboards spielen karge Melodien in grauschwarzem Moll, dissonante Töne schleichen sich ein. In seltenen Momenten steigert sich die Musik zu albtraumhaften Eruptionen, um wieder abzuschwellen und in den melancholischen Fluss des Albums zurückzufinden. Keine Musik für den akustischen Hintergrund ist das, aber enervierend sind diese Klänge auch nicht, sondern  voll dunkler Schönheit.

Trent Reznor & Atticus Ross:
The Vietnam War (Universal Music).

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