Über Film und dieses & jenes, von Tobias Keßler

Schlagwort: Ophüls

Ophüls: Rezensionen zu „Jetzt. Nicht“, „Einmal bitte alles“, „Der Körper der Astronauten“ und „Marija“

 

Ophüls Godehard Giese

„Jetzt.Nicht“ von Julia Keller

Es ist die klassische Frage: „Warum ich?“. Marketing-Mensch Walter ist gekündigt, er wird nicht mehr gebraucht, nur der nachtschwarze Dienstwagen, sein Ganzkörperpanzer, bleibt ihm noch ein paar Tage. Was tun? Die „Kündigung als Chance sehen“, wie seine Frau empfiehlt? In „Jetzt. Nicht“ nimmt uns Julia Keller (auch Co-Drehbuch und Schnitt) mit auf eine innere Bildungsreise, deren Ende in der Schwebe bleibt. Godehard Giese spielt diesen Walter, ist in jeder Szene zu sehen, das nervöse Herz dieses exzellenten Films: Wie seine Figur Smalltalk-Fassaden errichtet („Du weißt ja, schlechten Menschen geht es immer gut“ oder auch „Ja – awesome!“), wie nach einer Besprechung seine siegessichere Mimik absackt und er sich erstmal am Kopierer abstützen muss – das ist präzises, intensives Schauspiel. Da sind selbst Szenen, in denen Walter stumm aus dem Auto blickt oder durch die Nacht kurvt, packend.
Walters Reise, führt ihn gar zu einem Vorstellungsgespräch – letzteres mit einem konstruierten Drehbuchkniff, den man aber gerne hinnimmt. Janis Mazuchs Kamera kleidet die Geschichte in herbstliche Erd- und Metallfarben, kühle und strenge Architektur dominiert. Und nebenbei zeichnet der Film, in berührenden Szenen mit Giese und Loretta Pflaum als seiner Frau, das Bild einer guten, intimen Ehe.

Donnerstag 10 Uhr: CS 5 und 17.30 Uhr. CS 8; Freitag 22.15 Uhr: FH; Sonntag 13.15: CS 4.

 

 

„Einmal bitte alles“ von Helena Hufnagel

So, wie Godegard Giese im Zentrum von „Jetzt.Nicht“ steht, tut dies Luise Heyer in „Einmal bitte alles“ – und verteidigt den Film mit aller Kunst gegen die Klischee-Knüppel, die ihm das Drehbuch zwischen die Beine wirft. Heyer spielt Isi, eine glücklose Illustratorin und ewige Praktikantin. Ein Fels in der Brandung der Verlags-Absagen ist Freundin Lotte. Doch ihre WG-Gemeinschaft gerät aus der Balance, als ein schöner Italiener nicht nur das Klo repariert, sondern auch Lottes Herz erobert. Da darf man schon mal in die linke Leinwandecke schauen, ob da nicht ein Sat.1-Logo prangt.
Isi flüchtet in eine halb schimmelige WG und werkelt weiter an ihrem Traum. Flott gemacht ist das, mit bunten, oft sonnengefluteten Bildern, vor allem, wenn Isi durch München radelt, was sie oft tut. Das Drehbuch aber trägt dick auf und wirkt manchmal so, als unterschätze es sein Publikum. Das ist die Schwäche des Films – doch Regie und die famose Luise Heyer halten dagegen.

Donnerstag 14 Uhr: CS 1; Freitag 12.15: CS 5, 17.30 Uhr: FH; Sonntag 12.30 Uhr, CS 1.

 

 

„Die Körper der Astronauten“ von Alisa Berger

Vom großen Schweben, Auseinanderdriften, auch Flüchten erzählt „Die Körper der Astronauten“ von Alisa Berger. Eine Familie in der Auflösung ist thematisch nichts Neues bei Ophüls. Aber Berger (auch Buch und Schnitt) erzählt das berührend und mit einer Bildsprache im weiten Feld zwischen ungeschönt und entrückt. Der Vater (Lars Rudolph) säuft, erzählt die üblichen Alkoholiker-Lügen, seine Kinder Linda und Anton üben, mit Abi in der Tache, den Absprung – sie im Nachtleben, er bei einer Bettruhe-Langzeitstudie, die die Auswirkungen von Schwerelosigkeit auf Astronautenkörper testet. Doch die kleine Schwester ist zu jung, um zu fliehen – sie ist dem mal liebevollen, mal tyrannischen Vater ausgeliefert. Derweil driftet Anton in Raumfahrerfantasien durchs imaginäre All, der Erde entgegen und seinem Verglühen. Der Film wirft Schlaglichter auf seine Figuren, strebt dabei keiner dramaturgisch konventionellen Konfliktlösung entgegen, sondern findet eigenwillige Bilder für die Mitglieder dieser Familie – ob im erträumten All, in der eisig-sterilen Versuchsklinik oder im Schlafzimmer des Vaters, der sich mal wieder eingenässt hat – als er deswegen zum Teppichreiniger greift, wirft sich dessen Schaum zu kleinen Landschaften auf. Ein eigenwilliger, sehenswerter Film.

 Donnerstag 15 Uhr: CS 5; Fr, 20 Uhr: CS 8; Samstag 10.30 Uhr: CS 4; Sonntag 15.30: CS 2.

 

 

„Marija“ von Michael Koch

Die Leinwand ist noch schwarz, da hört man schon ihren schnellen Schritt auf dem Asphalt. Sehr oft wird man die Ukrainerin in „Marija“ hasten sehen, die Kamera im Rücken, immer vorwärts – ob nun auf dem Weg in ihre ranzige Wohnung oder quer durch ein Hotel, um sich bei einer Putzkollegin zu rächen, die sie beim Stehlen verraten hat. Die junge Frau träumt von einem Frisiersalon, doch der Weg dahin ist schwierig: Als sie ihre Miete nicht zahlen kann, unterwirft sie sich dem Vermieter – der Anfang eines relativen Aufstiegs in der Kleinkriminalität. Sie drängt alle Gefühle zurück, will funktionieren.
Das hätte ein Sozialrührstück werden können, doch Michael Kochs Film (Drehbuch: Koch und Juliane Großheim) ist differenziert: Marija ist ein Opfer ihrer Situation, aber mittlerweile auch so zielgerichtet, dass man sich vor ihr hüten muss. „Bei dir kommt keine ungestraft davon, das mag ich“, sagt der kriminelle Georg (famos: Georg Friedrich als sensibler Windhund), der die Wahrheit dieses Satzes noch schmerzhaft spüren wird. Margarita Breitkreiz ist in jeder Szene zu sehen (was den Film mit „Nicht.Jetzt“ und „Einmal bitte Alles“ verbindet) und bietet eine vielschichtige Darstellung. Mitgefühl hat man mit Marija, möchte ihr aber nicht zu nahe kommen, auch wenn man weiß, warum sie so ist, wie sie ist.

Donnerstag 15 Uhr, FH; Freitag 19.30 Uhr, CS1; Samstag 22.15 Uhr: CS 2; Sonntag 14 Uhr: CS 3.

Interview mit Produzent Peter Rommel

Peter Rommel

Peter Rommel. Foto:, MOP

Der Produzent Peter Rommel (61) ist 2017 Ehrenpreisträger des Ophüls-Festivals und zeigt auch einige Filme.  Bekannt ist er vor allem für die Filme von Andreas Dresen und gilt in der Branche als einer, der sich von sperrigen Stoffen nicht abschrecken lässt. Er war immer wieder mit Filmen beim Festival vertreten und produzierte viele eigenwillige Debüts, etwa „Storno“ von Elke Weber-Moore oder „Sehnsucht“ von Valeska Griesebach. Ein Gespräch über seine Arbeit.

 

Sind Sie manchmal überrascht, dass Sie als unabhängiger Produzent so lange überlebt haben?

Ja, ständig. Das ist meine eigentliche Leistung. Nicht die Filme selbst, sondern 25 Jahre Überleben mit freien Spielfilmen und Dokumentationen, ohne Fernsehproduktionen.

Der Begriff Produzent ist ja ein weites Feld – zwischen kreativem Co-Autor und reinem Geldbeschaffer. Ist Ihre Rolle vor allem im Kreativen?

Nein, das ist eher eine Mischform. Ein Produzent kann ohne die Autorenschaft eines Regisseurs oder des ganzen Teams keinen Film herstellen. Und die Kreativen brauchen einen vertrauenswürdigen Spielpartner – es ist ein bisschen wie beim Fußball. Man bildet eine starke Achse, mit der man ein Spiel bestimmen kann.

Ist es über die Jahre schwieriger geworden, Filmprojekte auf den Weg zu bringen? Hat sich die Filmlandschaft in dieser Hinsicht verändert?

Die Möglichkeiten, Filme herzustellen, sind, auch durch die Digitalisierung, größer geworden. Gleichzeitig haben Aufmerksamkeit und Bedeutsamkeit über die Jahre mehr und mehr nachgelassen.

Liegt das an einem Überangebot von Filmen?

Das hat verschiedene Ursachen. Einmal die Verbreiterung des Freizeitangebotes allgemein, und auch in der Studentenschaft hat sich etwas getan: Die geht gar nicht mehr so gern ins Kino, sondern schaut lieber TV-Serien. Und die ganz Jungen bedienen sich übers Internet und haben so gut wie keinen Bezug mehr zum Kino. Als ich blutjung war, war das Kino ja eine Art Sozialisationsstation, mit „Godzilla“ und den „Winnetou“-Filmen. Und in den 70zigern und frühen 80zigern war es eine lebensinspirender Zufluchtsort aller Schichten. Das ist es heute nicht mehr. Heute wird es eher als ein Zerstreuungsort für die Masse genutzt.

Wie muss das Kino darauf reagieren?

Es hätte schon längt reagieren müssen. Man hätte viel früher, wie das in Frankreich ja schon immer geschieht, den kulturellen Wert des Kinos stärker betonen müssen – etwa in der schulischen Bildung. In Frankreich nimmt man das Kino genauso ernst wie die klassische Musik, Kunst, Literatur, Theater und Oper. In Deutschland galt das Kino immer als Unterhaltungs- und Ablenkungsort. Wir haben das Kino nicht so fundamental in unsere Kultur integriert, wie es hätte sein sollen.

Woran ist das gescheitert?

Das Kino bei uns wurde nach dem Krieg maßgeblich von den Amerikanern bestimmt, deswegen sind auch heute 90 Prozent der Leinwände vom US-Kino besetzt. Die zehn Prozent Rest, das europäische und das deutsche Kino, haben es natürlich dann schwer, kommerziell erfolgreich und in der Breite gut aufgestellt zu sein. Wenn TTIP gekommen wäre oder noch kommt, dann würden die amerikanischen Medientransportunternehmen wie zB Amazon, Netflix, Apple und vielleicht auch noch die Studios in Hollywood alle Leinwände und Vertriebswege vollends übernehmen und alle Formate der Medienverbreitung konkurrenzlos abdecken. Denn dann würden diese Unternehmen schlicht gegen Wettbewerbsverzerrung in Europa klagen, also gegen unsere staatlich subventioniere Förderung von Medien bis hin zum ollen Kinofilm. Es geht bei allem ausschliesslich um den freien Zugang zum Markt und letztlich um Wettbewerbsverdrängung.

Tut die Filmförderung da zuwenig für das heimische Kino?

Sie tut eigentlich genug, wenngleich die Werkzeuge nicht mehr richtig greifen. 50 Prozent der Filme, die bei uns laufen, müssten doch einfach aus Europa kommen, die Hälfte davon vielleicht auch aus Deutschland, aber als Kinofilm definiert und nicht als aufgeblasenes Fernsehspiel als Zwitter erzeugt – so wie die Franzosen das für ihr Kino mal festgeschrieben haben. Diesen Schritt hat Deutschland leider nicht gemacht, wohl unter dem Eindruck des gut ausgestatteten und bislang funktionierenden öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Aber auch der in Abhängigkeit und endlosen Dankbarkeit zur großen deutsch-amerikanischen Freundschaft für die Kaugummis, die damals nach dem Krieg abgeworfen wurden. Standortpolitik eben.

Muss ein deutscher Film wie „Vier gegen die Bank“, besetzt mit den größten Stars Deutschlands, verliehen vom Hollywood-Major Warner Brothers, 600 000 Euro deutsche Filmförderung bekommen?

Ich finde das in der Tat eher unangebracht und fast gar geschmacklos, denn ich glaube schon, dass gerade die Majors doch mächtig genug sind, rein kommerziell orientierte Filme aus eigener Kraft herzustellen und auf die grosse Leinwand zu bringen. Aber die Politik fordert natürlich Beweise erfolgreicher Förderpolitik. Und wo sieht man die Erfolge? In den Medien, wo solche großen Filme, die den Markt beherrschen, auch wahrgenommen werden. Die Förderer betreiben da manchmal eine fadenscheinige Mitfahrpolitik bei Projekten, die es eigentlich nicht nötig haben. Bei einem kommerziellen Erfolg möchte ja sollte man unbedingt dabei sein. Lieber da als bei einem kleinen Film, der vielleicht auf den Festivals in Cannes oder in Venedig zwar für grosses Aufsehen erregt, aber am Markt naturgemäß kein großes Publikum finden kann, weil das die Programmschienen im Kino dicht sind und das Publikum über die Sehgewohnheiten des  Fernsehens schon völlig entwöhnt worden sind.

Macht da nicht der auch kommerzielle Erfolg von „Toni Erdmann“ etwas Hoffnung?

Solche Ausnahmen und Beispiele von tollen, zeitgemäßen und international erfolgreichen deutschen Filmen hat es immer mal wieder gegeben – aber grundsätzlich hat dies bisher nichts in der Breite verändert. „Toni Erdmann“ könnte dieses Bewusstsein vielleicht erneut befruchten. Zumal die Politik von Kulturstaatsministerin Grütters ja dahin geht, verstärkt den qualitativ hochwertigen, unabhängigen Film mehr zu fördern, eben übers das Ministerium für Kultur und Medien (BKM). Das ist ein erstes deutliches Signal und ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung

Sie haben auch als Dozent gearbeitet – wie hat sich der Filmnachwuchs über die Jahre verändert?

Ich habe ja in den 70er Jahren angefangen in einer Zeit, in der es bei aller Konkurrenz viel Austausch gab. Mitte der 80er Jahre hat sich eine Art Ego-Kultur herausgearbeitet, die sicher auch mit der sogenannten Kohl-Ära zu tun hat. Und die hat sich sukzessive in die Filmhochschulen eingeschlichen. Im Moment ist es ein ziemlich verbissener Kampf um die Plätze, die es da gibt zu erobern gilt – einen Sender und die Förderer für Einen zu gewinnen. Es ist bald wie bei ner Olympiade – und alle dopen sich mitzuhalten. Ich hatte echt noch das Glück, ohne diesen auferlegten Erfolgsdruck früh Partner und Freunde zu finden, mit denen ich seit langem intensiv zusammenarbeite.

Vor allem Andreas Dresen?

Ja, das ist ein Geschenk des Lebens. Ich hatte ihn über seine Studentenfilme kennen gelernt, da hatte ich noch gar keine Produktionsgesellschaft. Später habe ich ihn dann gefragt, ob wir nicht mal einen Film zusammen herstellen wollen – das war dann „Nachtgestalten“. Dass diese Verbindung aus Ost und West sowohl auf inhaltlicher wie persönlich, zutiefst menschlicher Ebene über all die Jahre gehalten hat, ist in dieser schrägen Branche wohl einmalig.

Sie waren oft beim Saarbrücker Ophüls-Festival – hat es sich für Sie über die Jahre verändert?

Was immer gleich geblieben ist, ist das große Herz des Festivals – von den Machern wie von den Saarbrückern. Die unterschiedlichen Leiter haben dem Festival ihren Stempel aufgedrückt, aber das hat dieses gesunde Fundament zum Glück nie verändert, nie beschädigt. Und Eines hat sich über die Jahre auch nie verändert – das Lokal „Woll“ in Spicheren. Da sind wir immer mit größter Leidenschaft hin und ‚wollig‘ betrunken wieder zurück ins Kino gebraust– das war schon geil.

Manche Kritiker sagen, es gäbe mittlerweile zu viele Filmfestivals in Deutschland. Würden Sie da zustimmen?

Das kann man schon so sehen. Andererseits sind die Festivals bitter nötig, weil die Kinoverwertung so beschränkt ist und weil es so viele, auch wirklich gute Filme gibt. Die meisten Filme, die man auf Festivals sehen kann, sieht man später ja nie wieder, es sei denn, auf youtube. Ein Dokumentarfilm wird heute von einem Kinobesitzer in Deutschland nicht mehr um 20.15 Uhr gespielt oder gar auf allen Schienen, sondern bestenfalls um 17 Uhr. Das war früher anders. Bei dieser Stückelung, die der Kinobesitzer wohl machen muss, weil er einfach zu viele Filme angeboten bekommt, kann es keinen kommerziellen Erfolg für solche Filme geben. Ich kann mich noch erinnern, dass wenn etwa ein neuer Film von Aki Kaurismäki oder Jarmusch im Kino anlief, dass er auf allen Schienen einfach durchgespielt wurde, vier, fünf Wochen lang. Das gibt es heute kaum mehr im fetten Spielplan der Kinobesitzer. Und das Publikum kommt nicht mehr hinterher, bei all der ‚Vielfalt‘.

Manche Arthouse-Kinobetreiber sagen ja selbst, dass es zu viele Filme gibt und dass es das Publikum es zunehmen leichter liebt.

Die Kinogänger sind weniger neugierig als früher. Das liegt vielleicht an der Weltlage – das Publikum ist unsicher und verängstigt, was ich gut nachvollziehen kann. Dann wollen sich die Menschen in ihrer Freizeit nicht mit noch schwereren, noch komplexeren Themen beschäftigen. Sondern sie suchen die Zertreuung, die Unterhaltung. Der Erfolg eines Films wie etwa „La La Land“ zeigt auch, wie groß letztlich die Sehnsucht nach famoser Unterhaltung in der Welt ist. Ich freue mich sehr über den spirit und den Erfolg des Films – wenn Unterhaltung, dann bitte inspiriende!

 

Interview mit Ophüls-Leiterin Svenja Böttger

Svenja Böttger

Am Montag beginnt das 38. Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken. Es ist das erste für die neue Leiterin Svenja Böttger. Ein Interview vorab.

 

Wie geht es Ihren Nerven vor dem ersten Festival?

Die Nerven sind in Ordnung, aber ich bin froh, dass es jetzt losgeht.

Wenn man als neue Festivalleiterin zu wenig ändert, kann der Eindruck entstehen, man habe zu wenig Ideen. Ändert man zu viel, verschreckt man eventuell das Stammpublikum. Hatten Sie die Angst, nicht das richtige Maß zu finden?

Diese Angst sitzt einem natürlich immer im Nacken. Aber wir haben uns als Team Zeit und Ruhe genommen, uns alles anzuschauen, über das Festival zu reden, sein Fundament und die Eckpfeiler.

Was ist das Fundament?

Der Wettbewerb. Und der ist gut, so wie er ist. Aber über einige Änderungen abseits des Wettbwerbs freuen sich schon viele Filmemacher – etwa dass wir jetzt einen Animationsblock in der MOP-Shortlist haben und dass wir dort auch Kurzdokumentarfilme zeigen. Ob das Ganze Erfolg hat, kann man aber erst nach dem Festival beurteilen.

Trotz der Unruhe des vergangenen Jahres sind die Sponsoren dem Festival treu geblieben, wonach es erst einmal nicht ausgesehen hat.

Wir haben uns in Ruhe kennengelernt, es waren gute, herzliche Gespräche, da gibt es gegenseitiges Vertrauen.

Schätzen Sponsoren vor allem die medial gut zu nutzenden Glamour-Momente mit Rotem Teppich und Stars?

Nein, das halte ich für ein Klischee. Wir haben sehr viele Unterstützer, die sehr filmaffin sind, sehr aufmerksam der Sache gegenüber. Die schauen sich die Ophüls-Filme auch wirklich an.

Gibt es im Spielfilmwettbewerb einen Trend?

Die großen Themen – Erwachsenwerden, den Platz in der Gesellschaft finden, Flucht und Migration – sind verpackt in kleinere, persönliche Geschichten. Das ist ein neuer Ansatz. Auffallend sind auch viele Elternthemen, viele Eltern-Kind-Konstellationen in den Filmen.

In diesem Jahr sind auch mehr Filme von Regisseurinnen zu sehen als sonst.

Das Angebot war dankenswerterweise groß. Es tut den Geschichten gut, dass sie mal aus dieser Sicht erzählt werden. In diesem Jahr hat sich da viel verändert.

Sie haben also bei der Auswahl nicht darauf geachtet, eine Art Frauenquote zu erfüllen?

Überhaupt nicht. Wir fanden das Angebot gut und können mit den Produktionen zeigen, dass sich da in der Filmlandschaft etwas ändert. In den Filmhochschulen werden mehr Frauen als Männer ausgebildet – lange Zeit stammten die Debütfilme, die zweiten und dritten Filme aber eher von Männern. Das ändert sich langsam, und wir sind froh, das abbilden zu können.

Der Festivalclub „Lolas Bistro“ ist diesmal im alten C&A-Gebäude, das sieben Jahre lang leer stand. Wie kamen Sie darauf?

Wir haben uns generell viele Event-Orte angeschaut. Der Charme des E-Werks ist für die Preisverleihung genau passend. Bei der Suche nach „Lolas Bistro“ wurde uns klar, dass es in Saarbrücken nicht viele Orte gibt, die unsere Anforderungen erfüllen: Raum für Gespräche, Platz für viele Leute, zentrale Lage in der Stadt. Das C&A fanden wir auf Anhieb toll.

Ist der Ort auch für nächstes Jahr geplant?

Dazu ist es viel zu früh. Das Publikum muss den Ort ja erst einmal annehmen. Und vielleicht tut sich mit dem Haus ja etwas, so dass wir es 2018 nicht mehr nutzen können.

Das Gloria als Ort kam 2016 nicht bei allen gut an.

Ja, aber diesem Ort muss man eine Chance geben. Dort geschieht gerade einiges, die alten Separees werden abgerissen, und der alte Kinoboden ist zum Teil wieder hergestellt, was sehr schön ist.

Das Festival vergibt 15 Preise, dotiert insgesamt mit über 100 000 Euro. Sinn das nicht zu viele Preise?

Nein – wir haben vier Wettbewerbe, für die es jeweils mindestens zwei Preise gibt. Im Spielfilmwettbewerb muss man in jedem Fall die Regie auszeichnen, den besten Film sowieso. Dass man Nachwuchsdarsteller mit einem Preis in den Fokus stellt, ist selbstverständlich. Das man mit dem Preis der Jugendjury schaut, was den jungen Zuschauern gefällt, auch. Jeder Preis hat seine Daseinsberechtigung für das, was wir hier tun – Nachwuchs präsentieren und Talente auszeichnen.

Was machen sie am Montag nach Ihrem ersten Festival?

Der Montag ist unser Abbau-Kampftag. Am Dienstag machen wir ein Frühstück mit dem ganzen Team, dann schlafen wir alle mal aus. Ein paar Tage später geht es zur Berlinale, wo der Ophüls-Gewinnerfilm laufen wird. Und im Februar bekommen wir schon die erste Filmeinreichung für 2018.

 

Ophüls: „Konstruktion“ von Helena Lucas im Mittellangen Wettbewerb

Helena Lucas

Beim Ophüls-Festival läuft als Uraufführung  im Wettbewerb des Mittellangen Films „Konstruktion“ – ein sehenswerter Film über ein Paar, das langsam auseinanderdriftet, bis es eine – digitale – Lösung gibt. Ein origineller Film, der drohende Klischees umgeht und seine Figuren nicht vorschnell bewertet. Helena Lucas (25) hat den Film inszeniert – ein Gespräch dazu vorab.

Gut läuft es nicht bei Leon und Jennifer. Der Architekt arbeitet Tag und Nacht an einem Großentwurf, sie designt eher im Kleinen ein Sofa aus Gras. Er sagt beim Skizzieren einer „gated community“ dass er „Verantwortung übernimmt“ und „das alles doch nur für uns“ macht. Sie sagt, „ich verkaufe nicht meine Seele, indem ich Zäune baue“. Die Distanz wächst, Leon versinkt immer öfter (und tiefer) in seinen raumgreifenden 3D-Entwürfen aus dem Rechner, bis ihm aus denen etwas Wunderbares erwächst – eine digitale Kopie von Jennifer (für die reale Jennifer unsichtbar), aber etwas  verständnisvoller, etwas mütterlicher – statt Protesten gibt es für ihn ein Pflaster. Aber wie soll das gutgehen, ist die reale Jennifer doch auch noch da?

Diese Geschichte erzählt „Konstruktion“ von Helena Lucas, zu sehen im Mittellangen Wettbewerb. Ihr halbstündiger Film weicht drohenden Klischees aus, erweckt Verständnis für beide Figuren, macht die frustrierte Frau nicht zur Nervensäge, den Architekten nicht zum Opfer, der sich schließlich zu einer digitalen Männerfantasie flüchtet – es bleibt ambivalent. „Diese Ambivalenz war mir sehr wichtig“, sagt Lucas, die es im letzten Bild zu einer Art Synthese kommen lässt, denn „es muss keine Konkurrenz zwischen Technik und Mensch geben – sie können sich ergänzen“. Der Film ist die praktische Abschlussarbeit von Helena Lucas an der Internationalen Filmschule Köln. 1991 in Saarbrücken geboren, in St. Ingbert aufgewachsen, begann sie an der Saar-Uni ein Studium der Psychologie. „Ich hatte das Gefühl, dass ich das gut gebrauchen kann – egal, was ich mal werde. Mich interessiert, warum der Mensch sich so verhält wie er sich verhält. Das ist die Grundmotivation, die mich in der Wissenschaft so interessiert wie in der Kunst als Filmemacherin. Ich habe jetzt nur die Perspektive gewechselt. Ich will verstehen, wie der Mensch tickt.“

Als Lucas sich parallel an der Internationalen Filmhochschule Köln bewarb und dort angenommen wurde, brach sie das Studium ab, ohne lange zu grübeln. „Das Kreative hat mir im Wissenschaftsstudium schon gefehlt.“ In Köln war sie „ein Kuriosum, ein kompletter Quereinsteiger ohne Vorerfahrung. Das war damals die einzige der renommierten Filmschulen, die keine filmische Vorerfahrung verlangt hat. Ich hatte nie einen Film vorher gedreht.“ Das tat sie dann dort – erste Kurzfilme entstanden, die, wie Lucas erklärt, nicht immer linear von Anfang bis Ende erzählten, dabei oft ein Element des Fantastischen besaßen und mit Möglichkeiten der Realität spielten, damit, was real, was fiktiv ist.

Helena Lucas

Zur Idee von „Konstruktion“ brachte sie der Blick auf eine „Generation, die sich daran gewöhnt hat, dass man bei digitalen Daten, Fotos, Musik, Filmen, alles so verändern kann, wie man es gerne hätte. Alles steht offen, alles kann man sich so machen wie man es möchte. Aber wie gehen wir mit Menschen um, die so undigital sind, die ihre eigenen Widerstände haben, die man nicht einfach so an- und ausschalten kann? Es stellt sich die Frage, ob wir nicht die Fähigkeit verlieren, uns mit so etwas Widerständigem wie dem Menschen auseinanderzusetzen.“
Nur – war der Mensch nicht immer schon so, dass er versucht hat, sich die Welt so zu verändern, wie er will, sozusagen untertan zu machen? „Das schon“, sagt Lucas“, aber die Digitalisierung sei jetzt das Werkzeug dazu, das sie allerdings nicht verdammen will. „Aber der Mensch ist keine Technik und kann auch nicht so behandelt werden wie Technik.“ Dass Leons Freundin gar nicht merkt, dass sie ihren Freund mit einer digitalen Version ihrer selbst teilt, „ist nicht der klassische Betrug“, sagt Lucas. „Er hat ein Komplement gefunden, was ihm Rückendeckung gibt und die Schulter zum Anlehnen. Dadurch geht es ihm besser und damit auch der Beziehung.“ Ist nun moralisch oder nicht? „Darüber kann und soll man diskutieren.“

Der Film bietet einige knifflige Effekte, die Computersimulation eines Architektur-Computerprogramms und vor allem Doppelgänger-Bilder, die völlig real erscheinen. Wie macht man das bei einem Studentenfilm ohne Budget? „Es war eine Riesenherausforderung und hat viel mehr Raum eingenommen, als wir vorher gedacht hatten“, erzählt Lucas. Ein Student des Fachbereichs „Visual Arts“ – Dimitri Makrinic – stieg ins Team ein, „wir mussten viel planen, viel testen – der Schauspieler arbeitet in der Kulisse mit nichts“. Der Aufwand war groß, die Nachbearbeitung lang: ein halbes Jahr, während die Drehzeit nur zehn Tage lang dauerte – aber es hat sich sichtlich gelohnt.

 

Für „Konstruktion“ konnte Lucas bekannte Darsteller gewinnen: Jacob Matschenz, 2005 bei Ophüls als bester Nachwuchsdarsteller ausgezeichnet, und Luise Helm, nebenbei die deutsche Synchronstimme von Scarlett Johansson. Selbstverständlich ist das nicht. „Als Filmstudent kann man ja keine Gage zahlen“, sagt Lucas, „das ist für viele Darsteller natürlich unattraktiv – aber coole Schauspieler machen mit, wenn ihnen das Drehbuch gefällt oder sie mal eine Rolle spielen können, für die sie sonst nicht besetzt werden.“ Harmonisch sei die Arbeit vonstatten gegangen erzählt Lucas, mit einem besonderen Glücksmoment für die Regisseurin, als nämlich beide Darsteller Anspruch erhoben auf die Gestaltung der digital erträumten Jennifer – Helm als ihre Darstellerin, Matschenz als Darsteller, der sich die Figur erträumt. „Das war ein bisschen absurd und großartig zugleich – beide haben sich sehr reingehängt.“

Zurzeit bereitet Lucas ihr Langfilmdebüt vor, Arbeitstitel „Doppelspiel“, es wird wieder ein Blick in die Zukunft. „Ich mache ja gerne ‚Was wäre wenn’-Filme“, sagt Lucas, „die mit einer Prämisse spielen, die jetzt noch nicht ist, aber in ein paar Jahren gesellschaftlich so sein könnte.“ Um ein Schulsystem der Zukunft soll es gehen, „alle Kinder besuchen dieselbe Schule, lernen dasselbe. Am Ende gibt es kein Abitur, sondern einen Test, bei dem es nicht nur um das Wissen geht, sondern der den Menschen in seiner Gänze erfassen soll – inklusive Gesundheit, Körper, Gene.“ Dieser Test glaubt voraussagen zu können, womit der Getestete später Erfolg haben wird – und schreibt ihm deshalb die Berufswahl vor.  „Der Film beschreibt ein System, das die Leistungsgerechtigkeit erprobt: Wie funktioniert eine Gesellschaft, die weiß, was die Menschen leisten können – und sie dann darauf drängt, das auch zu leisten.“ Ist das gerecht oder nicht? „Das ist die Frage.“

Regie: Helena Lucas; Buch: Sebastian Köthe; Kamera: Björn Weber; Schnitt, Musik: Marco Heibach; Darsteller: Jacob Matschenz, Luise Helm.

Termine: „Konstruktion“ läuft am Dienstag, 22.45 Uhr, im Cinestar 3; Mittwoch 19.45 Uhr Kino Achteinhalb, Freitag 14 Uhr Cinestar 4, Sonntag 15.30 Uhr Filmhaus.

www.facebook.com/konstruktionfilm

 

Helena Lucas

„Eine neue Zeit“: Luxemburg und die Kollaboration – Interview mit Regisseur Christophe Wagner zu seinem Film „Eine neue Zeit“

 luxemburg eng nei zait
 
„Eine neue Zeit“ von Christophe Wagner erzählt vom Luxemburg nach dem Krieg. Ein Gendarm ermittelt im Mordfall an einem deutschen Bauern und stößt überall auf Widerstand – niemand hat Interesse an den Nachforschungen, die die Kollaboration während der deutschen Besatzung aufzudecken drohen. Der Film, der im Januar 2016 beim Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken lief, ist gerade beim Festival des frankophonen Kinos ausgezeichnet worden. Das Interview mit dem Regisseur habe ich vor dem Ophüls-Festival geführt.
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Ihr Film zeigt Luxemburg als Land, das nach dem Krieg jegliche Kollaboration verdrängt, um zur Normalität zurückzufinden. Ihre Hauptfigur wählt einen ungewöhnlichen Weg.

Wie er reagiert, ist nur konsequent. Er ist nicht einverstanden mit der Art, wie das Land mit seinen Problemen umgeht. Einige Luxemburger Intellektuelle haben nach dem Krieg so gehandelt – Menschen wie etwa der Filmemacher Gordian Troeller, die das Thema angesprochen haben und dafür massiv kritisiert wurden. Sie haben das Land verlassen.

Wie waren die Reaktionen auf Ihren Film in Luxemburg?

Er hat einen Historikerstreit  wieder angefacht, den es schon eine Zeit lang gibt. Vor ein, zwei Jahren hatte die Regierung einen Historiker beauftragt, einen Bericht über die Rolle der Luxemburger Verwaltung während des Krieges zu schreiben, über ihre Rolle etwa bei der Mithilfe der Deportierung von Juden. Der Bericht hat eine Auseinandersetzung unter Historikern ausgelöst: Die einen, meist die jüngeren, haben sich für die Aufklärung und Aufarbeitung entschieden, die konservativen vertraten die These „Die Verwaltung hat nicht kollaboriert, so schlimm war es auch nicht.“ Wir hatten nach Filmvorstellungen einige Gespräche mit Menschen, die diese Zeit erlebt haben. Sie haben die Ambivalenz des Films gelobt. Nichts ist nur schwarz oder weiß. Auch unser Held hat Schattenseiten, eigentlich jede Figur im Film.

Der Polizeichef nennt den integren Helden naiv und verantwortungslos, weil der glaubt, dass Wahrheit wichtiger ist als politische Stabilität. Das mag zynisch klingen, ist aber nicht ganz abwegig, oder?

Diese Frage ist das Hauptthema des Films. Mir war wichtig, dass der Gegenspieler des Helden ganz schlüssige Argumente hat, ich wollte auch nicht über ihn urteilen. Viele Regierungen in Westeuropa haben sich nach dem Krieg dieser Frage stellen müssen: Schauen wir zurück und riskieren, Spannungen wieder aufleben zu lassen, oder vergessen wir alles und fangen wieder von vorne an? Letzteres wurde ja oft praktiziert – mit der Konsequenz, dass politisch kritische Menschen größere Schwierigkeiten bekamen als ehemalige Kollaborateure.

Luxemburg hat eine bestens ausgestattete Filmförderung. War Ihr Film also leicht zu finanzieren?

Der Film hatte ein Budget von 3,8 Millionen Euro, das ist sehr knapp für einen historischen Film mit Bauten und Kostümen. Aber mehr konnte ich nicht bekommen. Luxemburgische Filme auf Luxemburgisch sind schwer zu finanzieren. Der Markt ist eben sehr klein.

Wollten Sie nicht in Englisch für den internationalen Markt drehen?

Auf keinen Fall. Es ist eine Luxemburger Geschichte, der Film hätte in einer anderen Sprache viel verloren. Meine nächsten zwei Projekte spielen nicht in Luxemburg, die werde ich auch in anderen Sprachen drehen – aber hier war das unmöglich.

Wie geht es weiter mit dem Film?

Es gibt eine französische Synchronfassung, die auch die Bedingung der belgischen Filmförderung war, die uns unterstützt hat. Wir wollen jetzt direkt die Kinos der Großregion ansprechen, Bitburg, Trier, Metz, Arlon in der Wallonie. „Eine neue Zeit“ im Ausland zu zeigen, ist nicht einfach, da Luxemburger Kino für viele eine unbekannte Größe ist, da gibt es manche Vorurteile und Mauern zu durchbrechen.

Die Bilder stammen von Samsa Film.

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