Über Film und dieses & jenes, von Tobias Keßler

Schlagwort: Philippe Noiret

„Das malvenfarbene Taxi“ von Yves Boisset

Verlorene Seelen an der irischen See: Gepflegte Melancholie zieht sich durch Yves Boissets 1977er-Film, in dem jede Figur ihre Abgründe hat – und ihre Gründe, sich hierher verkrochen zu haben. Da ist ein Pariser Schriftsteller, anscheinend in der Midlife-Krise. Ihn verbindet eine stille Männerfreundschaft mit einem jungen Amerikaner, anscheinend auf der Flucht vor seiner Familie. Ein extrovertierter Exilrusse mit scheinbar verstummter Tochter ist auch mit von der Partie.


Sie leben von einem auf den anderen Tag, man jagt und trinkt – und trauert irgendwie, jeder mit eigenem Motiv. In diese Runde der angeschlagenen Mannsbilder bringt eine Frau ziemliche Unruhe: die adelige Schwester des Amerikaners, die sich dem Personal ihres Hotels mit einem grandiosen Arroganz-Auftritt vorstellt, dem Pariser Schriftsteller mit einem ebenso grandiosen Oben-Ohne-Auftritt. Charlotte Rampling spielt die Prinzessin mit unnahbarer Unberechenbarkeit; auch sonst kann sich Boisset auf seine Darsteller verlassen, vor allem Philippe Noiret als Autor und Peter Ustinov als Exilrusse. Bittersüß ist dieser Film, in dem sich einige Lebenslügen entfalten. Der Off-Kommentar des Schriftstellers mag etwas prätentiös klingen, aber ansonsten hat dieses langsam vor sich hin köchelnde Drama einigen Reiz.

DVD von Pidax.

Schöne Ausgrabung: „Alexander, der Lebenskünstler“ erstmals auf DVD

Pidax Film Alexander der Lerbenskünstler Philippe Noiret

Keine schlechte Ernte für Alexandre (Philippe Noiret), aber glücklich ist er nicht. Foto: Pidax

Was ist das für ein schönes Frankreich, das sich dieser Film erträumt: Ein süßer Hund hechelt in einer blühenden Wiese, umspielt von zartem Wind und umflort von einem charmanten Chanson. Man kennt und mag sich in diesem Dorf, die böse Großstadt ist weit weg, in der Kneipe sitzen gemütliche Franzosen und trinken Wein, der fast so rot leuchtet wie ein 2CV, der um die Ecke tuckert.

Ein ruhiges Paradies also, nur nicht für den Landwirt Alexandre (Philippe Noiret). Denn der leidet an und unter einer Gattin, die ihn von morgens bis nachts antreibt und auf dem Feld sogar per Funk überwacht. Seine gelegentlichen Rebellionsversuche verpuffen ohne Wirkung – es rettet ihn nur der Unfalltod der Gattin in ihrem schneeweißen Citroen DS. Mit verträumtem Lächeln flaniert der Witwer nun hinter dem Sarg her und beschließt die kommende Lebensplanung: nach zehn Jahren dröger Ehe erstmal auszuschlafen und danach so selten aus dem Bett auszusteigen wie menschenmöglich. Den Dörflern sagt er: „Ich muss mich von Euch erholen!“

 

Pidax Film Alexander der Lebenskünstler Philippe Noiret

Tut er’s? Alexandre (Philippe Noiret) und seine Angebetete (Marlène Jobert). Foto: Pidax

 

Wie gut, dass sein hochbegabter Hund ihm das Essen bringt. Das könnte nun das Paradies sein. Aber Alexandres Weltverweigerung bringt das scheinbar stabile Dorfleben ins Wanken – was, wenn das jeder täte? Die Angst vorm kollektiven Zusammenbruch ist groß – und der Neid der Dörfler spielt auch mit, denn Alexandre kann sich die Frührente leisten, hat er mit seinem großen Hof doch über Jahre eine reiche Ernte eingefahren.

Die Riegelsberger DVD-Firma Pidax, Spezialist für nostalgische filmische Ausgrabungen, hat hier eine besondere Perle gefunden: „Alexandre, der Lebenskünstler“. Regisseur Yves Robert, der auch den Klassiker „Krieg der Knöpfe“ inszeniert hat, drehte diesen Film 1968, was durchaus passt. Von einem hippiesken Generalstreik erzählt er mit leichter Hand, Hintersinn und viel Situationskomik: Das Heranpirschen der Dorfbewohner an den Frührentner, der mit seiner alten Schrotflinte droht, wird zu einer köstlichen Kriegsfilm-Parodie mit dem jungen, damals noch wenig bekannten Pierre Richard  („Ich war in Indochina dabei!“ – „Aber doch nur in der Küche“); langsam stellt sich heraus, dass die Dorfgemeinschaft nicht ganz so gallisch-solidarisch ist wie gedacht. Einer zugereisten jungen Frau (Marlène Jobert) schlägt vor allem seitens der Dorfdamen viel Misstrauen entgegen, zumal sie das Herz des Lebenskünstlers gewinnt. Wie diese Romanze ausgeht, soll nicht verraten werden – aber man kann diesem lässig dahinfließenden und sonnig bebilderten Film durchaus eine Skepsis gegenüber Frauen attestieren.

 

DVD erscheinen bei Pidax.
Der Film liegt in der ungekürzten Fassung vor. Eine in Deutschland einst geschnittene Szene ist jetzt eingefügt, im Original mit Untertiteln.

 

http://www.pidax-film.de/

 

 

Pidax Film Alexander der Lebenskünstler Philippe Noiret

 

„Das alte Gewehr“ mit Romy Schneider und Philippe Noiret

Das alte Gewehr Romy Schneider

 

In Frankreich gilt der Film als Klassiker, bei uns ist er weniger bekannt. „Das alte Gewehr“ mit Romy Schneider von 1975 erscheint jetzt fürs Heimkino mit zwei deutschen Synchronfassungen – aus der DDR und aus dem Westen.

Vielleicht wird er nicht mit den ganz großen Regisseuren des französischen Kinos in einem Atemzug genannt – dennoch hat es Robert Enrico (1931-2001) einige fulminante Werke zu verdanken. Mit „Die Abenteurer“ (1966, mit Alain Delon und Lino Ventura) drehte er einen der schönsten Filme über Freundschaft und die Sehnsucht nach einem freien Leben; „Das Netz der tausend Augen“ (1974, mit Jean-Louis Trintignant) ist ein Meisterstück über Paranoia und die Macht des Staates.

1975 drehte Enrico einen Film, der in Frankreich einer seiner größten Erfolge ist, bei uns aber vergleichsweise unbekannt – umso willkommener ist jetzt die Veröffentlichung auf Blu-ray und DVD. „Das alte Gewehr“ ist ein verstörender Film, der vage Bezug nimmt auf das Massaker von Oradour 1944, als die Waffen-SS in einem französisches Dorf 642 Menschen ermordete. Philippe Noiret spielt einen Arzt, der seine Frau und Tochter während der letzten Kriegsmonate ins Hinterland auf den alten Landsitz seiner Familie bringt, um sie zu vor den deutschen Soldaten zu schützen – ein tragischer Fehler, denn dort wütet eine SS-Einheit. Deren Taten und die Rache des Arztes schildert der Film in erschütternden Bildern – zugleich zeigt er in Rückblenden immer wieder die Geschichte des Ehepaares, das Kennenlernen, ihre große Liebe, ihr Familienleben. Noiret und Schneider als Paar sind herzergreifend, der Kontrast zwischen den glücklichen Erinnerungen und der unmenschlichen Gegenwart macht den Film beklemmend. Anders als in üblichen Filmen, die sich um Rache drehen, bleibt ein Gefühl der Läuterung oder Genugtuung aus – wie könnte es sich auch einstellen bei diesem persönlichen Untergang?

Vielsagend ist der Umgang mit dem Film in Deutschland 1975. Die deutsch-französische Ko-Produktion wurde im Westen um einige Gewaltszenen gekürzt und in der Synchronisierung und durch eine zusätzliche Szene etwas entschärft: Dort beklagen die deutschen Soldaten – wie oft im Kriegsfilm – die bösen Befehle von oben; die Synchronisation durch die Defa in der damaligen DDR ist textgetreuer, zumal lief der Film dort ungekürzt. DVD und Blu-ray bieten nun beide deutschen Tonspuren – ein interessanter Vergleich bietet sich an.

Erschienen bei Studio Hamburg.

© 2023 KINOBLOG

Theme von Anders NorénHoch ↑