Über Film und dieses & jenes

Schlagwort: Soundtrack

„Ennio Morricone – Der Maestro“ von Giuseppe Tornatore

Ennio Morricone

Ennio Morricone beim Dirigieren imaginärer Musik in seinem Arbeitszimmer.     Foto: Plaion Pictures

 

Erstaunlich ist einiges an diesem Film über Ennio Morricone: Zum Beispiel, dass dieses Porträt eines so unkonventionellen Künstlers formal so  überraschend konventionell gemacht ist; erstaunlich ist aber zugleich, dass der Film seine elefantöse Länge von zweieinhalb Stunden nicht spüren lässt – zu mitreißend ist der Film, zu berührend. Und erstaunlich ist ebenso, dass man den Maestro, eher ein Mann der Zurückhaltung und Diskretion, bei der Morgengymnastik auf seinem römischen Wohnzimmerteppich sehen kann.​

Übermotivierter Beginn

Damit beginnt die Dokumentation „Ennio Morricone – Der Maestro“ von Giuseppe Tornatore. Für dessen Film „Cinema Paradiso“ hatte Morricone 1988 die Musik geschrieben – der Beginn einer langen Arbeitsbeziehung plus Freundschaft. Basis des Films sind Interviews, die Tornatore mit Morricone (1928-2020) führte, dazu viele Filmausschnitte, Sätze von Kolleginnen und Kollegen, Filmemachern. Zum Einstieg von „Ennio“ prasseln deren lobende Mini-Zitate etwas hektisch herab, als müsse man die Bedeutung des Musikers nochmal betonen; dann aber findet der Film schnell zu einem ruhigen Rhythmus und zeichnet Morricones Leben nach, das der Maestro aus seinem Wohnzimmersessel heraus kommentiert.​

Die Karriere beginnt ungewöhnlich und konträr zu anderen Musikerbiografien: Der junge Ennio möchte Arzt werden, aber der Vater will, dass er Trompeter wird – wie er selbst. Morricone fügt sich, findet Gefallen am Instrument, studiert Trompete und Chormusik am Konservatorium von Santa Cecilia unter dem Komponisten Goffredo Petrassi. Der interessiert sich erstmal wenig für den jungen Musiker;  der wiederum empfindet das Konservatorium als „elitär“, wie er im Film sagt.​

„Schuldgefühl“ wegen Filmmusik?​

Schon damals ist Morricone ein Mann der Avantgarde, besucht die „Internationalen Ferienkurse für Neue Musik“ in Darmstadt (der Film zeigt einen wundersamen Auftritt von Neutöner John Cage) – zugleich ist er aber Pragmatiker, der seine Miete zahlen muss: Als Arrangeur arbeitet er, durchaus mit ungewöhnlichen Ideen, fürs italienische Fernsehen, für Pop-Produktionen, schreibt erste Filmmusiken. Damit etabliert sich bei Morricone ein merkwürdiger Schuldkomplex: Eigentlich empfindet er die Filmmusik als Kompositionsarbeit zweiter Klasse. Er ist sich auch nur zu bewusst, dass die ehemaligen Kollegen am Konservatorium und vor allem sein früherer Lehrer Petrassi das auch so sehen. Das gibt dem Film neben dem Musikalischen und Filmhistorischen auch eine bittersüße biografische Note mit. Dieser Komplex habe ihn bei der Arbeit angetrieben, sagt Morricone, „ich wollte siegen – gegen das Schuldgefühl“.​

 

Mit der Musik zu Sergio Leones Western „Für eine Handvoll Dollar“ beginnt 1964 die große Karriere – Morricone operiert mit verzerrter E-Gitarre, lässt pfeifen, lässt Chöre Kojoten imitieren; fortan werden ihn viele vor allem als Italowestern-Komponisten sehen, auch wenn er bloß um die 30 Filme dieses Genres untermalt hat (und um die 470 andere Produktionen). Allein im Jahr 1969 ist er an 21 Filmen beteiligt, „er schreibt Musik so schnell, wie andere einen Brief schreiben“, sagt eine Kollegin im Film. Das Verhältnis zur eigenen Arbeit scheint bisweilen zwiespältig: Morricone bekennt, dass er sich jeweils 1970, 1980, 1990 (und so weiter) vornahm, nach zehn Jahren mit den Filmen aufzuhören, um danach wieder ganz seriös zu komponieren. Bei dem Vorsatz blieb es dann.​

Machen Experimente arbeitslos?​

Parallel zu konventionelleren Arbeiten wagt er sich gerne an Experimente: Einige Ausschnitte aus Elio Petris Film „Das verfluchte Haus“ von 1968 mit Franco Nero zeigen, wie Morricone mit Geräuschen und Klangeffekten operiert, die Grenzen zwischen Musik und Sounddesign auflöst. Auch römische Krimis wie „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ untermalt er experimentell – mit dem Ergebnis, dass ihm Kollegen ankündigen: „Wenn Du so weitermachst, bist Du bald arbeitslos“. Das wird er dann doch nicht.​

Kubrick wollte Morricone

Im Film erfährt man manch Überraschendes: Etwa, dass Stanley Kubrick Morricone für seinen Film „Uhrwerk Orange“ engagieren wollte, was aber wohl Regisseur Sergio Leone intrigant und mit etwas Wahrheitsbeugung verhinderte – möglicherweise wollte er nicht, dass sein liebster Komponist (und Klassenkamerad) nicht für einen anderen Kinogiganten schreibt. Morricone lästert im Film ein wenig über Regisseur Brian DePalma, für den er 1987 „The Untouchables“ komponierte; er habe immer gewusst, welche seiner Ideen den Filmemacher am meisten begeistern würden – jene, die er selbst am schwächsten fand. Die Doku illustriert das mit einem Ausschnitt aus dem Kevin-Costner-Mafiakrimi, der zeigt, dass Morricone manchmal durchaus Edelkitsch und Pathos produzierte.​

Ein paar „talking heads“ zu viel

„Ennio Morricone – Der Maestro“ erzählt konventionell: Der Komponist spricht, man sieht Filmausschnitte, hört Musik und Statements von Wegbegleitern und prominenten Fans. Die sind manchmal so kurz und nichtssagend, wirken so, als sollten sie vor allem demonstrieren, wen man alles vor die Kameras bekommen hat: Hans Zimmer, John Williams, Bruce Springsteen, Joan Baez, James Hetfield von Metallica sind dabei, sagen aber kaum mehr, als dass sie Morricone bewundern. Selbst Clint Eastwood, den wegen seiner Italowestern-Phase einiges mit Morricone verbindet, ist bloß mit einem nichtssagenden Satz vertreten. Aber geschenkt: Der Film lässt auf ein ungemein fruchtbares Künstlerleben blicken (das Private bleibt außen vor), führt durch ein großes Stück Filmgeschichte – und lässt in wunderbarer Musik schwelgen.  ​

Auf DVD und Bluray bei Plaion Pictures.

Flirren und Brummen: Das Filmmusikalbum „The Childhood of a leader“ von Scott Walker

Scott Walker

Einst war Scott Walker als Stimme der Walker Brothers ein Teeniestar, dann begann er eine Solo-Karriere, die ihn vom melancholischen Edelpop zur Avantgarde führte. Sein jüngstes Album ist Filmmusik, die den Hörer herausfordert.

Verlässlich unberechenbar bleibt er. Musste man früher manchmal eine Dekade warten auf ein neues Album von Scott Walker, so ist der Amerikaner (der seit Jahrzehnten in London lebt) heute so produktiv wie seit den 60er Jahren nicht mehr: Damals legte er, nachdem er mit den Walker Brothers kurzfristig zum Teeniestar geworden war („The sun ain’t gonna shine anymore“), rasch seine melancholischen Solo-Meisterstücke „Scott“ bis „Scott 4“ (1967-1969) vor – Edelpop mit Orchester, bittersüßen Texten und Walkers göttlichem Bariton. Wem da nicht heute noch das Wasser in die Augen steigt, der muss gefühlskalt sein.

50 Jahre später klingt Walker (73 inzwischen) ganz anders, den Pop hat er lange hinter sich gelassen, seine Musik hat sich verfinstert; auf nachtschwarzen Alben wie „Tilt“ oder „The Drift“ singt er abstrakte Texte zu avantgardistischen Streicher- und Percussion-Klängen – letztere schon mal durch Schläge auf rohes Fleisch erzeugt. Dass er zuletzt mit der US-Düsterrockband Sunn O))) ein Album aufnahm („Soused“), war nur eine milde Überraschung; denn Walker ist alles zuzutrauen – außer dem, was sich manche alten Fans wünschen: ein spontan zugängliches Album.

Ein solches ist „The childhood of a leader“ auch nicht geworden: 18 rein instrumentale Stücke, manche kürzer als eine Minute, begleiten den gleichnamigen Film von Brady Corbet. Bei uns ist das Werk, das vom Faschismus des 20. Jahrhunderts erzählt, noch nicht gelaufen; die Musik ist nicht mit Bildern verbunden, steht für sich selbst – und verlangt ein offenes Ohr. Selten erklingt ein Schlagzeug oder ein Tasteninstrument, Walker lotet die Möglichkeiten der Streicher aus: Die lässt er manchmal in höchsten Tönen fast flirren und rauschen, perkussiv donnern, dann wieder in tiefsten Tönen brummen und dröhnen. Manchmal schält sich überraschend ein keckes Motiv heraus, manchmal ist es ein Soundtrack der Verzweiflung. Keine Musik für nebenher ist das, es bieten sich Kopfhörer und ein dunkler Raum zum Hören an. Im letzten Stück, „New Dawn“, klart sich die Düsternis dann doch noch auf, mit der freundlichsten Melodie dieses Albums, das einen fordert und letztlich doch belohnt.

Scott Walker: The childhood of a leader (4AD/XL).
Das Foto stammt von David Evans / 4AD.

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