Über Film und dieses & jenes

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Die grünen Männchen sind lila: „Die Farbe aus dem All“ von Richard Stanley

 

Color out of space nicolas cage farbe aus dem All Koch Media

Noch ist alles in Ordnung in Neuengland (gedreht wurde wegen Filmfördergelder in Portugal): Joely Richardson und Nicolas Cage als Ehepaar. Foto: Koch Media

 

Irgendwo in den Verträgen von Nicolas Cage muss er wohl stehen, Schwarz auf Weiß, vielleicht dick unterstrichen: der Passus, laut dem der Darsteller im Film mindestens eine Szene des kompletten Ausrastens spielen darf (oder muss), des Zusammenbruchs, des Durchdrehens, Augenrollen inklusive. Bei Youtube findet man minutenlange Montagen aus verschiedenen Filmen, in denen Cage sozusagen dem Affen des Ausrastens Zucker gibt, kiloweise.

So ist über die Jahre der Cage-Kollaps ein wenig zum filmischen Klischee geworden, man erwartet ihn, manchmal wirkt er beinahe pflichtschuldig. Im Film „Die Farbe aus dem All“ dagegen ist er dankenswerterweise ein schlüssiger Teil der Handlung – denn wer würde nicht an seine Nervengrenze kommen, wenn im Vorgarten ein kleiner Meteor einschlägt und alsbald alles aus den Fugen gerät – die Natur, die eigene Wahrnehmung, sogar die Zeit. Doch erst einmal beginnt dieser sehenswerte Film in aller Ruhe mit märchenwaldigen Naturbildern, ominös brummender Musik. Wir sind im tiefsten Grün Neuenglands, wohin sich die Familie Gardner zurückgezogen hat vor der Hektik der Großstadt. Hier ist der Rest der Welt ganz weit weg.

Doch das Familienquintett hadert noch mit der geballten Idylle: Der Vater (Cage) will als Ökobauer und Alpaka-Züchter reüssieren, wirkt aber etwas glücklos; seine Frau leidet an den seelischen Folgen einer Brustkrebs-Operation; die drei Kinder, die sich erst an das Übermaß an Ruhe gewöhnen müssen, trösten sich unter anderem mit dem Hineinarbeiten in die Hexenkunst und ins gepflegte Haschrauchen mit einem Eremiten in der Nachbarschaft, der ein Onkel des „Dude“ aus „The Big Lebowski“ sein könnte. Regisseur Richard Franklin erzählt da, vage nach einer Erzählung des Phantastik-Literaten H.P. Lovecraft (1890-1937), mit einigem schwarzen Humor von einer Familie, die sich zwar liebt, aber durchaus von der Gefahr eines Budenkollers in freier Natur bedroht ist; zugleich baut er mustergültig und fast klassisch Grusel auf, da der dampfende Meteorit vor dem Haus Merkwürdiges mit sich bringt: Das Obst im Garten wächst ungewohnt schnell, außerirdisch-fremdartige Insekten surren umher, der jüngste Spross der Familie hört die Stimme eines imaginären „Freundes“ aus dem Brunnen vorm Haus. Sogar die Tageszeiten scheinen zu verschwimmen. Die Realität ist nicht mehr das, was sie einmal war – ist sie vielleicht längst ein Traum?

Unmerklich steigert der Film das Unbehagen und wird dann nach einer Stunde wirklich grausig – und optisch psychedelisch. Das ganze Grundstück scheint sich langsam aufzulösen in lila Licht, in Visionen eines anderen Planeten (die Heimat des Meteors?), tote Figuren leben wieder (sind sie Erinnerungen ihrer selbst?) – da geht der Film in die Vollen, übertreibt es vielleicht ein wenig, aber erklärt das Grauen erfreulicherweise nicht rational. Handelt es sich um eine außerirdische Invasion? Oder um einen Besuch, der schrecklich schief geht? Wer will das sagen? Zurück bleibt buntes Chaos, schimmernd in der titelgebenden „Farbe aus dem All“ – ein schönes Lila, das an den außerirdischen Schimmer in Alex Garlands meisterlichem Film „Auslöschung“ (zurzeit bei Netflix zu sehen), der ebenfalls von einem Besuch aus dem All erzählt und sich als wunderbarer Partner für ein Doppelprogramm eignete.

 

Richard Stanley Color out of space Nicolas Cage

Regisseur Richard Stanley. Foto: Koch Media

 

„Die Farbe aus dem All“ markiert auch die Wiederkehr eines lange Verschollenen: Es ist die erste Spielfilmregie von Richard Stanley seit 1996. Damals wurde der Filmemacher nach drei chaotischen Drehtagen bei seinem jahrelang vorbereiteten Herzensprojekt „Die Insel des Dr. Moreau“ mit Marlon Brando geschasst und ersetzt – eine traumatische Erfahrung, über die ein Kollege von Stanley 2014 eine abendfüllende Dokumentation drehte. Die vergangenen Jahre verbrachte Stanley in einer Hütte in den Pyrenäen und führte Touristen durch die Berge – das zumindest erzählt er in Interviews.

Zu sehen ist der Film auf DVD und Bluray bei Koch Media und bei Amazon Prime.

„Auslöschung“ von Alex Garland

Natalie Portman (vorne) und Gina Rodriguez. im Film "Auslöschung" "Annihilation" Netflix Horror Alex Garland The Thing

Natalie Portman (vorne) und Gina Rodriguez.                 Foto: Universal

Kommunikation ist eine komplizierte und entscheidende Angelegenheit. Ob nun die zwischen Liebenden oder die zwischen irdischem und außerirdischem Leben. Mit beiden, unter anderem, beschäftigt sich „Auslöschung“, ein Film zwar mit Science-Fiction- und mit Horror-Elementen, der aber dennoch in keine Genre-Schublade passt. Das macht die Vermarktung schwierig, und so hat das US-Studio Paramount nach einem kommerziell mäßigen Start in den USA und China den Film zügig für den Rest der Welt an Netflix verkauft – nun erscheint er bei uns auch auf DVD und Blu-ray. Schade, eine große Leinwand hätte man Alex Garlands Film und seinen oft faszinierenden, immer atmosphärischen Bildern gewünscht.

Grusel aus Deutschland: „Im Nachtlicht“

Kühl und rätselhaft beginnt es: Eine Frau (Natalie Portman) sitzt in einem Laborraum, um sie herum tragen die Menschen Schutzanzüge, man befragt sie, wie sie wieder „herausgekommen“ ist. Woraus genau, das erzählt der Film in Rückblenden, manchmal gar mit Rückblenden in Rückblenden oder mit kurzen Einschüben. Ein Meteor ist in einem Nationalpark in Florida heruntergegangen, seitdem breitet sich von dort langsam ein pulsierender, schlierenhafter Schimmer in Regenbogenfarben aus – was im Inneren des stetig wachsenden Gebiets geschieht, weiß man nicht, denn kein Forscher- oder Militärteam ist zurückgekehrt – außer dem Ehemann (Oscar Isaac) der Frau vom Filmbeginn; doch er ist merkwürdig verändert, scheint verwirrt und fällt ins Koma.

 

Auslöschung Annihilation Netflix Horror Alex Garland The Thing

Lena (Natalie Portman) im Inneren des Leuchtturms.          Foto: Universal

Seine Frau Lena, als Biologin mit Militärvergangenheit prädestiniert, beginnt eine Expedition in den „Schimmer“, begleitet von vier weiteren Wissenschaftlerinnen. Sie finden eine Natur vor, die sich verändert. Pflanzen und Tiere zeigen bizarre, manchmal wunderschöne, manchmal erschreckende Mutationen, scheinen manchmal die Gestalt des Menschen nachahmen zu wollen. Zugleich verändern sich die Frauen, Erinnerungslücken klaffen, Misstrauen bricht aus – und das nackte Grauen, als sie eine Botschaft der vorigen Expedition entdecken.

Der britische Regisseur und Autor  Alex Garland (nach der Buchvorlage von Jeff VanderMeer) stellt meisterlich das Schöne neben das Schreckliche, lyrische Naturbetrachtungen neben Horrormomente: Eine Konfrontation mit einem mutierten Bären ist eine wahrhaft grausige und dabei tragische Szene, viel mehr  als schlichter Monster-Grusel. Der Rhythmus des Films ist langsam, Garland (sein Debüt war 2014 der gefeierte „Ex Machina“) lässt sich Zeit für die Expedition  – man kann sich manchmal an die beinahe meditative Stimmung in Andrei Tarkovskys „Stalker“ erinnert fühlen, der auch durch eine „verbotene Zone“ führte. Kurze Rückblenden setzen dabei ein komplexes Bild Lenas zusammen, die ihre Ehe zwischenzeitlich aufs Spiel gesetzt hat.

Die Doku „The Frankenstein Complex“

Im Leuchtturm begegnet sie der außerirdischen Intelligenz, deren Ausbreitung die Welt bedrohen könnte. Dieses Finale ist dabei weder friedliebend wie bei „E.T.“ noch so aggressiv wie bei „Alien“, sondern ganz und gar ungewohnt; es treibt das Motiv der Veränderung und der  Nachahmung auf die Spitze. Der Film denkt die Außerirdischen einfach weiter. Was wäre, wenn sie einfach da sind, kein Ziel haben und eine völlig andere Form der Kommunikation besitzen? Vielleicht so etwas wie ein Pilz oder Tumor sind, ohne etwas Böses zu wollen – und dennoch tödlich? „Ich weiß nicht, was sie wollen“, sagt Lena, „ich weiß nicht ob sie überhaupt etwas wollen.“

Erschienen bei Universal.
Extras: Drei längere Berichte von den Dreharbeiten, die ohne die gegenseitige Lobhudelei der Beteiligten interessanter wären.

 

Auslöschung Annihilation Netflix Horror Alex Garland The Thing

Natalie Portman und Regisseur Alex Garland.      Foto: Universal

Die Doku „The Frankenstein Complex“

The Thing Frankenstein Complex Alec Gillis und Tom Woodruff Jr. CGI Animatronics Amalgamated Dynamics

Alec Gillis und Tom Woodruff Jr. – mit ihrer Firma Amalgamated Dynamics schufen sie mechanische Effekte für „The Thing“ (2011), die dann letztlich durch nur mäßig überzeugende CGI-Tricks ersetzt wurden. Foto: Capelight

Rick Baker. Stan Winston. Rob Bottin. Wer sich im Kino für bizarre Wesen, Monster und Mutanten interessiert, für den sind diese Namen legendär. Wer die Namen noch nie gehört hat, den sollte die Doku „The Frankenstein Complex“, die jetzt bei uns auf DVD erscheint, dennoch faszinieren.

Die Franzosen Gilles Penso und Alexandre Poncet beschäftigen sich mit dem Beruf des „Creature Designers“, der Kreaturen entwirft und baut: ob nun aus Ton, Gummi oder Stahl, voller Elektronik oder einfach nur mit Platz für fünf Finger, die ein Wesen steuern – Prinzip Handpuppe. Kein Beruf, den man wählt, weil einem sonst nichts einfällt, sondern weil es kreativ in einem rumort. „Man fühlt sich wie ein Schöpfer“, sagt etwa Steve Johnson, der für den Unterwasserfilm „The Abyss“ quallen­artige Außerirdische baute, nachdem Regisseur James Cameron seine Wünsche recht vage formuliert hatte: „Ich will die himmlischsten Wesen, die man je gesehen hat – und sie  müssen wasserfest sein.“

Der große Umbruch mit den Dinosaurieren

Der Film zeichnet die Entwicklung des Berufs nicht detailliert nach, ein kleiner Abriss der Make-Up-Effektekunst muss genügen, die einst Darsteller Lon Chaney mit seinen selbstentworfenen Masken begründete und auch Jack Pierce mit seiner unsterblichen „Frankenstein“-Maske. Die Doku lässt viele Künstler in ihren Werkstätten zu Wort kommen und interessiert sich vor allem für die Brüche und Umbrüche der Branche. Als etwa Rick Baker 1981 in „American Werewolf“ die Verwandlung eines Menschen in einen zotteligen Vierbeiner derart realistisch gelingt, dass sich die Nackenhaare des Publikums kollektiv sträuben – und die Branche einen neuen Boom erlebt. Der größte Umbruch aber kommt Anfang der 90er Jahre, wie die Beteiligten (und Leidtragenden) hier erzählen: Steven Spielberg plant einen Dinosaurierfilm; Phil Tippett, ein Effektkünstler, der seine Kreaturen gerne mit Einzelbildtrick animiert –  Bewegung für Bewegung, die, hintereinander projiziert – eine fließende Bewegung ergeben, macht sich an die Arbeit mit kunstvollen Kunststoffdinos.

Greg Nicotero am Telefon. Foto: Capelight

Zugleich bastelt ein anderes Trickteam heimlich an ersten Computer-Animationen (CGI). Spielberg ist begeistert. Tippetts Dinos sind passé, Tippett sagt in der Doku: „Meine ganze Welt verschwand“, ihm blieben nur Depressionen und eine Lungenentzündung. „Jurassic Park“ wird ein Meilenstein der Computer-Animation – aber das Merkwürdige dabei: Bis heute wird gerne übersehen, wie oft die Dinos in dem Film lebensgroße Puppen sind, die elektronisch gesteuert sind (oder von Menschen, die in ihnen stecken). Die Kreaturen stammten von Stan Winston, der a) entsetzt war, dass Publikum und Presse das komplett ignorierten  und b) eine Wagenladung Computer kaufte, um bei dieser Entwicklung nicht abgehängt zu werden.

CGI contra praktische Effekte – siehe „The Thing“

Und heute? Die Künstler plädieren dafür, dass ihre praktischen Effekte mit CGI ergänzt, aber nicht von ihnen verdrängt werden. Ob das Hoffen hilft? Tom Woodruff Jr. und Alec Gillis berichten von ihrer „schrecklichen Erfahrung“, dass beim Horrorfilm „The Thing“ (2011) ihre aufwändigen  Kunststoffkreationen (teilweise in der Doku zu sehen)  kurz vor Filmstart ersetzt wurden  – durch schwache Computertricks. Melancholisch klingt der Film aus, wie ein Abgesang. Rick Baker ist immerhin dankbar, „noch die goldene Zeit der Branche“ erlebt zu haben. Rob Bottin, dessen surreale Monstereffekte in „Das Ding aus einer anderen Welt“ (1982) legendär sind, hat dem Geschäft so konsequent den Rücken gekehrt, dass kaum jemand weiß, wo er lebt und was er tut.

Erschienen bei Capelight.
Sehr gutes Bonusmaterial mit Werkstattbesuchen und längeren Interviews.

 

 

 

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