Über Film und dieses & jenes, von Tobias Keßler

Schlagwort: WDR

„Luzie, der Schrecken der Straße“ auf DVD und Bluray

Luzie, der Schrecken der Straße

Luzie (Žaneta Fuchsová) und ihre Freunde aus Knet. Foto: WDR

 

Schlittschuhfahren in der Küche? Oder durch das überflutete Wohnzimmer paddeln – auf dem überraschend schwimmfähigen Fernsehsessel? Im Leben von Luzie eigentlich keine große Überraschung, denn turbulent geht es zu bei ihr in den letzten Wochen vor dem ersten Schultag. Zu gerne wäre sie Mitglied in der Rabaukenbande des Nachbarjungen Oswald, deren Mitglieder bei ihren garstigen Aktionen nicht einmal davor zurückschrecken, dem Stofftier eines kleinen Mädchens die Zunge herauszustrecken. Doch für die höheren Weihen muss Luzie erst einige Mutproben bestehen – darunter ein Ladendienstahl von Knetmasse, die ein überraschendes Eigenleben entwickelt: Aus ihr formen sich zwei kleine Gestalten, die Luzie fortan bei einigen Abenteuern begleiten, mit denen sie sich den Ehrentitel „Luzie, der Schrecken der Straße“ verdient.

Ein wonniges Vergnügen ist diese tschechisch-deutsche Serie, die jetzt auf DVD und Blu-ray erscheint; frisch ist sie geblieben, auch wenn sie mit 40 Jahren dem Vorschulalter ihrer Heldin lange entwachsen ist. Im Oktober und November 1980 liefen die sechs halbstündigen Episoden erstmals in der ARD und atmen jenen Geist, der so viele Kinderfilme aus der damaligen Tschecheslowakei ausgezeichnet, ob klassische Märchen-Adaptionen, Filme wie „Wie soll man Dr. Mráček ertränken? oder Das Ende der Wassermänner in Böhmen“ oder auch Serien wie die selige „Märchenbraut“: Ein großes Herz für das junge Publikum haben diese Produktionen, nehmen dessen seelische Innenwelt ernst und erzählen nicht von oben herab. Die Schöpfer von „Luzie“ sind zwei Schlüsselfiguren dieser Ära: Regisseur Jindrich Polak und Autor Ota Hofman, die sich unter anderem die exzellente utopische Kinderserie „Die Besucher“ (1981/83) ausdachten und natürlich den melonentragenden „Pan Tau“, einen Klassiker des Kinderfilms.

Die Serie „Luzie“ ist flott erzählt, die per Einzelbildtrick animierten Begleiter Friedrich und Friedrich (benannt nach der Firma des Knets) besitzen den Charme des Handgemachten, und die menschlichen Figuren sind ebenso plastisch: ob nun die resolute Luzie, Bandenchef Oswald, der zuhause elterlicherseits mit Klavierstunden gepiesackt wird, und Luzies wohlmeinende, aber manchmal überforderte und durch ihre Berufe oft abwesenden Eltern. Dass die Serie mit tschechischen Schauspielerinnen und Schauspielern besetzt ist (darunter Otto „Pan Tau“ Simanek alias „Pan Tau“), die Außenkulisse aber deutsch anmutet – ein Supermarkt mit „Achtung! Preissenkung!“-Schildern und ein Kino, in dem der Belmondo-Film „Der Windhund“ läuft – ist zu erklären: Die Studio-Aufnahmen der Ko-Produktion entstanden in den berühmten Prager Barrandov-Studios, die meisten Außenaufnahmen wurden in Bonn, Köln und Hamburg gedreht – wie man in Thorsten Hanischs gelungenem Beiheft der DVD nachlesen kann.

Das Bild dieses TV-Klassikers wurde für die Heimkino-Veröffentlichung noch einmal überarbeitet, zudem gibt es nostalgische und wertvolle Extras: einmal Kostproben der Serie, wie sie in der Kindersendung „Spaß am Montag“ zu sehen waren (manche werden sich an Moderator Thomas Naumann im Dialog mit dem leuchtenden Ball namens Zini erinnern). Zudem kann man die Köpfe hinter „Luzie“ bei der Verleihung des Grimme-Preises sehen: Autor/Regisseur Polak und den zuständigen WDR-Redakteur Gert K. Müntefering, einen Pionier des Kinderfernsehens („Die Sendung mit der Maus“): Er kritisiert in dem Gespräch von 1981, dass es den meisten Kinderprogrammen an erzählerischer Fantasie mangele und „Luzie“ da ganz anders konzipiert sei. Das allerdings goutierte nicht jeder: Luzie erhielt in jenem Jahr den Grimme-Preis, allerdings bloß in Bronze (Gold und Silber wurden nicht vergeben). Die Begründung der Jury: Die Serie habe in seiner Gestaltung „zu sehr nach Hollywood“ geschielt. Kurios.

Erschienen auf Blu-ray und DVD bei Leonine.

„Offene Wunde deutscher Film“ von Dominik Graf und Johannes F. Sievert – am 14.2. bei Arte

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Wolfgang Petersen erinnert sich an  seine Produktion „Das Boot“. Foto: WDR

Blickt man nur höchst flüchtig auf das deutsche Nachkriegskino, kann sich dieser Eindruck einstellen: In den 1950ern und -60ern füllen Heimatschnulzen, Winnetou und Wallace die Filmtheater. Dann erklären langmähnige Jungfilmer „Opas Kino“ 1968 für tot und rufen den „Neuen Deutschen Film“ aus; fortan regiert der Autorenfilm, wenn auch manchmal in leeren Sälen.

So weit, so klischeehaft zugespitzt. Diesem Klischee wirken seit Jahren einige rührige Kinoforscher entgegen und werben für vergessene Perlen des deutschen Films und einen differenzierteren Blick auf das hiesige Kino: etwa die Herausgeber der Zeitschrift  „Sigi Götz Entertainment“ und nicht zuletzt Dominik Graf. Der Regisseur („Die geliebten Schwestern“), dessen „Tatorte“ und „Polizeirufe“ stets herausragen, schreibt über Kino und dreht auch immer wieder Filme zum Thema. 2016 legte er zusammen mit Johannes F. Sievert die Doku „Verfluchte Liebe deutscher Film“ über vergessene Perlen des deutschen Kinos vor. Morgen läuft deren Fortsetzung zum ersten Mal im Fernsehen: „Offene Wunde deutscher Film“ – eine Liebeserklärung an Querköpfe, die sich beherzt zwischen alle filmischen Stühle setzen, weder den reinen Kommerz noch das Arthaus-Kino bedienten und es entsprechend schwer hatten oder haben.

Interview mit Dominik Graf

Wolfgang Petersen, der erste Gesprächspartner im Film, fällt da  mit seiner US-Karriere zwar heraus; mit einigen anderen zu Wort kommenden Regisseuren verbindet ihn aber die Liebe zum US-Kino, über die man damals an der Filmhochschule besser nicht redete, erzählt er, sonst galt man als unpolitischer „Kuchenfilmer“; Klaus Lemke („Rocker“) etwa träumte ebenfalls nicht vom europäischen Kino, sondern „vom US-Jungensfilm“. Lemke (77) dreht bis heute, so wie der gleichaltrige Kollege Rudolf Thome – wenn auch meist ohne jede Filmförderung.

Von der fühlt sich auch Robert Sigl ignoriert – trotz des frühen Erfolgs mit dem stilvollen Gruselfilm „Laurin“ vor 29 Jahren müht er sich seit Jahren um Förderung und Finanzierung. Kollege Wolfgang Büld, der einst „Gib Gas, ich will Spaß“ mit Nena drehte, hatte es etwas besser – in London realisierte er einige blutig-erotisch Filme, „bis der DVD-Markt dann zusammenbrach“.

 

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Filmemacher Jürgen Goslar spricht über seine Zeit und Filme in Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, und Südafrika. Foto: WDR

Interessante Einblicke in meist schwierige Karrieren sind das. Schade nur, dass der 90-MinutenFilm sich wenig Zeit gönnt: Vieles wird kurz angeschnitten, schon geht es weiter zum nächsten Film und Gesprächspartner. Die Musiker Klaus Doldinger, Eberhard Schoener und Irmin Schmidt von Can tauchen kurz auf, Filmjournalisten wie Olaf Möller und Rainer Knepperges – oft mit wenigen Sätzen. Mehr Zeit nimmt sich der Film immerhin bei Jürgen Goslar, einer festen Darsteller/Regie-Größe im „Kommissar“, bei „Der Alte“ und „Derrick“: Mitte der 1970er Jahre inszenierte er im damaligen Rhodesien zwei knallig-brutale, filmisch radikale  Abenteuerfilme – einen mit Horst Frank als schwarzem Albino.

In seiner Rastlosigkeit mag „Offene Wunde deutscher Film“ manchmal frustrieren – die enorme Materialfülle aber fasziniert, die  offensichtliche Liebe zum Thema ist ansteckend,  und man erhält viele Anregungen für den nächsten Heimkino-Abend.

Mittwoch, 14.2., ab 21.35 Uhr bei Arte.

 

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Regisseur Nikolai Müllerschön spricht über seinen Gangsterfilm „Harms“ von 2011. Foto: WDR

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