Über Film und dieses & jenes

Monat: Oktober 2017

Kino trifft Musik: der 3. Cinefonie-Tag in Saarbrücken (14.10.17)

Marcus Stiglegger bei der Vertonung von "Vortex". Alle Fotos: Tobias Keßler 3. Cinefonie-Tag

Marcus Stiglegger bei der Vertonung von „Vortex“. Alle Fotos: Tobias Keßler

Weiche Knie bei einem fast 90 Jahre alten Film? Der einem dabei zwar nicht ganz, aber doch ziemlich neu erscheint? Das kann passieren: Am Samstag hat das Bandprojekt Vortex Carl Theodor Dreyers Klassiker „Vampyr“ untermalt. Ein Stummfilm ist der nicht, wurde es aber hier: Der Originalton war abgedreht, die spärlichen Dialogsätze konnte man als Untertitel lesen, während der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger (Schlagwerk/Mundorgel/Mikro für ominöses Hauchen), Gitarrist Oliver Freund und düster dräuende Sounds aus dem Rechner den Film in ein tiefschwarzes Klangkleid hüllten – die Geschichte um Vampirismus und eine trügerische Realität, von Dreyer in einer traumartigen Atmosphäre und mit heute noch verblüffenden Kamerabewegungen erzählt, hat mit der Musik eine ungeheure Wucht entwickelt.

https://www.facebook.com/Vortex.music.official/

Cinefonie Marcus Stiglegger Vampyr Foto: Tobias Keßler Kino trifft Musik: der 3. Cinefonie-Tag in Saarbrücken (14.10.17)

 

Ein Erlebnis war das und ein Höhepunkt des durchweg gelungenen 3. Cinefonie-Tages am Samstag in Saarbrücken. In den ersten beiden Jahren hatte Veranstalter Jörg Mathieu, Herausgeber des Saarbrücker Filmmagazins „35 Millimeter“, seine Verbindung von Konzert und klassischem Kino erst ins Kino Achteinhalb und dann ins Saarbrücker Filmhaus gebracht; diesmal zog er ins Garelly-Haus in die Eisenbahnstraße, wo abwechselnd die Musik im Erdgeschoss spielte und die Filme im ersten Stock liefen. Etwa die selten gezeigte Stummfilmperle „The Wind“ von Victor Sjöström, einem schwedischen Filmemacher (1879-1960), der auch in Hollywood gearbeitet hat. Stummfilmexperte Günter A. Buchwald begleitete das schicksalssatte Werk von 1928, in dem eine Frau (Lillian Gish) in einer lebensfeindlichen Natur strandet und dort ebenso mit der Männerwelt zu kämpfen hat.  Buchwald agierte überwiegend in klassischer Stummfilmmusik-Manier, mit pianistisch hoher Schlagzahl – doch in manchen Sequenzen legte er den Schalter am Keyboard um und untermalte Bilder eines dramatischen Sandsturms mit schrillen elektronischen Tönen, ließ es wabern und kreischen – ein schöner Kontrast und ein imposanter Film, der den Beginn des Cinefonie-Tages wieder aufnahm: Er hatte mit einer Lesung des Filmwissenschaftlers Jens Dehn aus seinem Buch „Film can be Art“ über den Regisseur Sjöström begonnen, das Mathieu herausgegeben hat.

Cinefonie Günter A. Buchwald Foto: Tobias Keßler Kino trifft Musik: der 3. Cinefonie-Tag in Saarbrücken (14.10.17)

Musiker Günter A. Buchwald

www.stummfilmmusiker.de

 

Auch einen Einblick in die Medienpraxis gab es: Der Saarlouiser Musiker und Sounddesigner Sebastian Heinz stellte seine Arbeit vor, zeigte seine musikalische und klangliche Untermalung eines PC-Spiel-Trailers und demonstrierte, dass diese Arbeit technisch ein ziemliches Gefummel ist: 173 Tonspuren musste er befüllen, mit Schritten auf Gras, Explosionen, klirrenden Schwerten und allerlei mehr. Ein „Puzzle von 100 000 Teilen“ ist das, sagte er, und beim Soundesign habe man höchst selten den Luxus, solche Geräusche selbst aufzunehmen und zu bearbeiten – eher müsse man sich bei Soundbibliotheken greifen und die Funde wiederum bearbeiten, denn „man hat nicht immer das perfekte Material“. Und auch dem eigenen Ausdruck sind manchmal Grenzen gesetzt, berichtete er, gerade im „Imagefilm“, sprich Werbung, sei man weniger ein Künstler denn ein Dolmetscher, der ein Produkt emotional übersetzen müsse – ob nun einen Mülleimer oder etwa eine Dusche: Für eine solche musste Heinz einmal eine einprägsame Musik komponieren, wobei der erste Entwurf – eher intim und lyrisch – die Auftraggeber nicht überzeugte. Die zweite Fassung – mit episch-heroischem Hans-Zimmer-Rumms – wurde genommen. Heinz gefällt die erste Fassung besser, aber in solchen Situationen sei man eben Dienstleister.

http://www.heinz-sebastian.com/

Heinz hat eine Firma zusammen mit Markus Trennhäuser, auch bekannt als Rapper Drehmoment; der kümmert sich um die Produktion von Werbefilmen, die Heinz dann vertont. Trennhäuser sprach von der Schwierigkeit, Aufmerksamkeit erregen zu wollen in einer digitalen Welt, die ohnehin schon reizüberflutet sei. Auffallen könne man da nur mit „gutem Storytelling“, orginellen Geschichten, von denen man hofft, dass sie sich im Internet verbreiten – „eine potenzielle Viralität“. Der technische und finanzielle Aufwand sei gar nicht so wichtig, „aber gerade im Saarland wissen das zu wenige“.

 

 

Cinefonie Sebastian heinz Foto: Tobias Keßler Kino trifft Musik: der 3. Cinefonie-Tag in Saarbrücken (14.10.17)

Sebastian Heinz und ein paar von 173 Tonspuren.

Cinefonie Markus Trennhäuser Foto: Tobias Keßler Kino trifft Musik: der 3. Cinefonie-Tag in Saarbrücken (14.10.17)

Markus Trennhäuser.

 

Danach ging es vom ersten Stock ins Erdgeschoss, wo der heimische Künstler Volker Schütz eine Wand mit Mustern bestrahlte und Im Namen des Volkes auftraten – und das war ein Vergnügen. Pochende, pulsierende, manchmal piepsende und quietschende Synthesizer-Musik, dazu die lässige Bühnenpräsenz dieses fulminanten Duos: Sänger/Keyboarder Matthias Schuster, mit wallendem Haarschweif, kämpfte ein wenig mit einem antiken Korg-Keyboard, versprach aber, „irgendwann mal einen Ton rauszukriegen“. Trautonia Capra spielte neben den Keyboards ein Theremin – jenes Instrument, das einem  halben Fahrradlenker mit Antenne ähnelt und dem die jaulenden Töne berührungslos per Handbewegung entlockt werden – gerne benutzt in Gruselfilmen der 50er Jahre bei Auftritten von Außerirdischen. Schuster freute sich an einigen satt donnernden Sounds („das ist aber fett“) und griff am Ende zu einem Blasinstrument, dem er mal ein Zischen, mal Trompetenverwandtes entlockte. Ein wundersamer Auftritt mit ein wenig Nostalgie (Schuster: „das nächste Stück ist von 1979, so alt sind wir schon“), viel Witz und unerwartet viel Wärme in dem synthetischen Setting.

Cinefonie Im Namen des Volkes Foto: Tobias Keßler Kino trifft Musik: der 3. Cinefonie-Tag in Saarbrücken (14.10.17)

Vorsicht, Blasinstrument von rechts: Im Namen des Volkes.

https://www.facebook.com/Im-Namen-Des-Volkes-127496800665598/

 

 

Danach hatte es das deutsche, Englisch singende Duo Lower Synth Department erst einmal schwerer mit einer etwas kühleren Elektro-Musik, die aber eine funktionale Pop-Eleganz ausstrahlte. Der Kontrast zwischen der herben Weltschmerzstimme von Sebastian H. und der wärmeren Intonation von Kyounmg-Hi R. (zeitweise auch am Bass) hatte durchaus seinen Reiz.

https://www.facebook.com/Lower-Synth-Department-143123642372556/

Cinefonie Lower Synthe Department Foto: Tobias Keßler Kino trifft Musik: der 3. Cinefonie-Tag in Saarbrücken (14.10.17)

Lower Synth Department

 

Musikalisch ging es nicht gänzlich synthetisch zu. Matt Howden, Geiger, Dozent, Studio- und Labelbetreiber war aus Shefield angereist, mit Violine und einem Effektgerät, das er mit den Füßen bediente. Kurze Motive nahm er auf, ließ sie als Dauerschleife laufen, legte neue daneben, fiedelte sich langsam in Eksase  und knüpfte sich einen mal flauschigen, mal eher struppigen Klangteppich, wandelte mit seinem Instrument ins Publikum hinein – ein herzerwärmender Auftritt mit stimmlicher Melancholie, die zumindest von daher bisweilen an Bands wie The Blue Nile oder It’s Immaterial erinnerte. Howden, der sein violinistisches Solo-Projekt Sieben nennt, spielte einige frisch komponierte Stücke, eines davon gerade drei Tage alt – kein Wunder, dass er da mittendrin abbrach, um in sein Notizbuch zu schauen, wie es denn nun weitergeht. Ein famoser Aufritt mit hypnotischen Momenten.

www.matthowden.com

Cinefonie Matt Howden Sieben Foto: Tobias Keßler Kino trifft Musik: der 3. Cinefonie-Tag in Saarbrücken (14.10.17)

Matt Howden alias Sieben.

 

Etwas Warmlaufzeit brauchte man bei Siegfrid Kärchers „Gedanken zum Film ‚Metropolis‘“. Während hinter dem Künstler collagenhaft Momente aus Fritz Langs Film projiziert wurden, mit Menschenmassen, die in unterirdischen Fabriken zur Arbeit trotten, drehte und drückte Kärcher an allerlei blinkenden Tasten und Rädchen, ließ es wummern, wabern, dröhnen – das wirkte anfangs wie eine Mischung aus Improvisation und Technik-Test, hatte er doch, wie er sagte, ein Instrumentarium vor sich, das gerade erst vor drei Tagen aus Japan angekommen sei. In der zweiten Hälfte des Programms bat er Sängerin Pia Lamusica und Trautonia Capra von im Namen des Volkes dazu – Thereminklänge, wummernde Elektronik und Lamusicas starke Stimme, die Texte aus dem Film in Englisch deklamierte, schraubten sich kraftvoll hoch zu dramatischer Theatralik.

http://siegfried-kaercher.de

Cinefonie Siegfried Kärcher Foto: Tobias Keßler Kino trifft Musik: der 3. Cinefonie-Tag in Saarbrücken (14.10.17)

Siegfried Kärcher

 

Der  Tag im Garelly-Haus ging mit der heimischen Band Control um Stefan Ochs, Architektur-Professor an der HTW Saar, zu Ende. Ochs, Schlagzeuger Vincenzo Gangi, Bassist Dirk Mauel und Gitarrist/Keyboarder Stefan Strauss führten mit Coverversionen der Band Joy Division zurück in die späten Siebziger und frühen Achtziger, als der Punk an sich tot war, seine Energie sich aber in minimalistisch-rumpeligen New Wave-Klängen kanalisiert hatte. Ein nostalgieseliger Auftritt mit viel Energie und lässiger Bühnentheatralik von Ochs, der zwischendurch das Hemd wechselte und sich nach besonders lebhaften Tanzbewegungen im eckigen Ian-Curtis-Stil kräfteschonend hinkniete.

http://www.control-division.com/

 

Cinefonie Control Foto: Tobias keßler Kino trifft Musik: der 3. Cinefonie-Tag in Saarbrücken (14.10.17)

Control

Ein guter langer Kino- und Musiktag zwischen Konzert- und Werkstattcharakter war das, bei dem man in den Räumen immer genug Auslauf hatte – denn der Brandschutz verlangt, erklärte Mathieu, dass nicht mehr als 99 Menschen sich im Garelly-Haus aufhalten. 2018 steht ein neuer Standort an: die eli.ja – Kirche der Jugend in der Hellwigstraße.

„Flying Clipper“: Fernweh in 70 Millimeter

Fernweh in 70 Millimeter: Der alte Reisefilm "Flying Clipper"

 

Was für ein Zeitdokument – und was für Farben! Das Blau des Meeres leuchtet, das Weiß des Segelschiffs strahlt, und angesichts des knalligen Rots eines Rennwagens in Monaco möchte man zur Sonnenbrille greifen. „Flying Clipper“ ist ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 1962, der auch mit 55 Jahren noch spektakulär ist: Zwei Regisseure und vier Kameramänner haben mit eigens konstruierten 70-Millimeter-Kameras die Reise eines schwedischen Schulschiffs begleitet, von der Nordsee bis zum Nil.

Besuch bei der Firma Pidax – Nostalgie als Programm

Zweieinhalb Stunden dauert dieser Film (mit Ouvertüre und Pausenmusik!), der jetzt fürs Heimkino erscheint und eine Entdeckung ist: Weil die Bilder durch das hochauflösende Filmformat kristallklar wirken, aber vor allem durch den Zeitgeist, der den Film durchweht. Der Massentourismus lag in weiter Ferne, Erzähler Hans Clarin beschwört weihevoll „die Sehnsucht nach dem Süden“, nach Rhodos, Capri und den Pyramiden, „aber für viele Menschen wird diese Sehnsucht lebenslang ein Traum bleiben“. Es gab eben noch keine Billigflieger.

„Beirut, das Paris des nahen Ostens“

Keine Darsteller im strengen Sinne gibt es, man verfolgt die Arbeit der Matrosen und des Kapitäns, sie „segeln hart am Wind“, wie Clarin intoniert, und gemeinsam erreicht man unter anderem Nazaré, Barcelona, „Beirut, das Paris des nahen Ostens“, „den Libanon mit seinen Zedern“ und auch Afrika, „den schwarzen Erdteil“. Da fühlt man sich als Zuschauer bisweilen wie ein Entdecker, der als erster den Fuß auf fremde Kontinente setzt. Manchmal hat der Film seine Längen, aber immer wieder gelingen fantastische Bilder: etwa die Starts von Maschinen auf einem US-Flugzeugträger und die Aufnahmen vom Straßenrennen in Monaco. Am Ende, im Heimathafen, wird Erzähler Clarin melancholisch; die Welt sei so hektisch geworden, dass solche Segelschiffe wie die „Flying Clipper“ von gestern seien. Da will man sich seinem finalen weihevollen Wunsch vollen Herzens anschließen: „Möge sie bestehen bleiben, die edle Seefahrt unter weißen Segeln.“

Bonus:

Interviews mit Jürgen Brückner, Kameramann und Verleiher (30 Min.), Herbert Born, Inhaber des Schauburg-Kinos in Karlsruhe (11 Minuten) und Marcus Vetter, Theaterleiter und Vorführer in der Schauburg (14 Minuten).

Aushangfotos

Trailer

Erschienen bei Busch Media Group.

 

Dominique Goblets Comic „So tun als ob heißt lügen“

 

Dominique Goblet: So tun als ob heißt lügen. Avant-VerlagDominique Goblet: So tun als ob heißt lügen. Avant-Verlag

 

Was für ein Angeber. „Mein Nachbar vergöttert mich“, trompetet der Mann mit dem Seepferdschnurrbart; sein Hund habe ihn auch vergöttert (bevor er ihn einschläfern ließ, weil er „durchdrehte“); und die Ex-Kollegen von der Feuerwehr, die lieben ihn bis heute, sagt er und fläzt sich mit Schmerbauch aufs Sofa. Es ist also kein leichter Nachmittag für die Tochter des Mannes, die ihren Vater zum ersten Mal seit vier Jahren wiedersieht, begleitet von ihrer kleinen Tochter. Die hat den Opa zwar noch nie getroffen, stellt aber die naheliegende Frage: „Wieso hast Du deinen Papa so lange nicht gesehen, Mama?“

Es ist eine schwierige Familiengeschichte, die die belgische Künstlerin Dominique Goblet (50) hier erzählt – es ist, im Großen und Ganzen, ihre eigene. Um die zerbrechende Ehe der Eltern geht es, um die Auswirkung auf die Eheleute und vor allem auf die Tochter. Sie ist als Kind im Innersten erschüttert und wird es wieder sein, als sie sich verliebt – aber betrogen wird.

Verliebtheit und Alltag

Goblet kleidet diese Geschichte in unterschiedliche Stile. Einmal, weil sie verschiedene Zeitebenen und auch Gefühlszustände illustriert; aber auch, weil sie über einen Zeitraum von zwölf Jahren an dem Band arbeitete und sich der künstlerische Zugang über die Zeit wohl verändert hat. Mal sind  sepiacolorierte Kohlezeichnungen zu sehen, mal uncolorierte Bleistiftzeichnungen mit fein ausgearbeiteten Details, mal mit ausholenden Schraffuren.  Das Gefühl frischer Verliebtheit und Intimität fangen die Bildfolgen ebenso atmosphärisch wie Motive eines vor sich hin schleichenden Alltags, wenn ein Hund einige Bilder lang über einen Hinterhof schleicht und am Himmel ein Jet vorbeizieht.  Aus der Vergangenheit der Hauptfigur steigen immer wieder fast körperlose Gestalten wie böse Geister hervor, Rückblenden führen in diese angeschlagene Kindheit, aufgerieben zwischen zwei kreuzunglücklichen Eheleuten, in der das Vertrauen in die Welt schwindet, die Angst vor der Lüge wächst und sie auch begleitet, als Dominique längst eine erwachsene Frau ist – und ihr neuer Freund noch von seiner alten Flamme erwärmt wird.

Der Comicband  ist dabei weder Psycho-Nabelschau noch Seelenpein-Grau-in-Grau (beziehungsweise -Sepia), sondern eine ästhetische Freude mit einer anrührenden und abwechslungsreichen Optik. Am Ende weichen die Zeichnungen und Sprechblasen mehrfarbigen, grob gepinselten Farbseiten mit einzelnen Sätzen – der Nebel aus alten Ängsten scheint zu verfliegen, das Leben klart sich auf.

Dominique Goblet: So tun als ob heißt lügen. Aus dem Französischen von Annika Wisniewski. Avant-Verlag, 148 Seiten, 29,95 Euro.

www.avant-verlag.de

 

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