Film und dieses & jenes

Monat: März 2024

„Jesus shows you the way to the highway“ von Miguel Llansó

Szene aus "Jesus shows you the way to the Highway". Foto: REM

Redford und Stalin. Foto: REM

Hat man diesen Film hinter sich, muss man erst einmal seine Hirnwindungen sortieren – sie könnten verquirlt sein nach diesen 79 Minuten voller bizarrer Ideen, grotesken Humors, Satire und Jux. Die Handlung von „Jesus shows you the way to the highway“nachzuerzählen, kann dann auch nur eine vage Annäherung sein: Nach einer Titelsequenz in der Ästhetik piepsiger PC-Spiele der 1980er Jahre geht es flott hinein in die Handlung, die ein bisschen wie „Matrix“ ohne Budget, aber mit viel Spaß am Surrealen wirkt. Zwei CIA-Agenten müssen in eine virtuelle Welt eintauchen, um dort einen PC-Virus zu bekämpfen: Denn der stört das System, das den Betrieb einer futuristischen Stadt steuert, aufs Empfindlichste.

Das Wandeln der Agenten namens Palmer und Gagano durch diese virtuelle Welt zeigt der Film auf wunderbar bizarre Weise – mit Personen, die sich so ruckartig bewegen, als seien sie durch Einzelbild-Trick animierte Kunststoff-Figuren wie in einem alten „King Kong“- oder Dinosaurier-Film. Zudem tragen die Agenten im virtuellen Raum Papiermasken, die eine mit dem Antlitz von US-Komiker Richard Pryor, die andere mit dem von Robert Redford.

PC-Virus namens „Sowjetunion“​

Nach Feierabend, zurück in der realen Welt will Agent Gagano – gespielt vom kleinwüchsigen Darsteller Daniel Tadasse Gagano – allerdings seinen Dienst quittieren und mit seiner Frau eine Kickboxschule eröffnen. Dazu kommt es nicht, denn es droht noch mehr Ungemach. Ein PC-Virus namens „Sowjetunion“ (mit dem Antlitz von Stalin, dessen Helfershelfer allerdings mit Bundesadler-Armbinde geschmückt sind) bedroht das Betriebssystem der CIA. Gagano muss noch einmal ran – und findet aus der virtuellen Welt nicht mehr heraus. Derweil strahlt „Sowjetunion“ in die Welt hinaus, zettelt Verschwörungen an, und auch eine Art afrikanischer Batman namens „Batfro“ kommt ins Spiel – nicht zu vergessen einige Kampfsportkünstler. Über Insekten in Menschengestalt, aus denen dann die menschlichen Darsteller herausschlüpfen, wundert man sich schon nicht mehr.​

Die Geschichte der „Cannon“-Schundschmiede

Es ist eine Wundertüte, die der spanische Regisseur/Autor Miguel Llansó hier auskippt. Dabei ist diese spanisch-estländisch-äthiopisch-lettisch-rumänische Koproduktion kein wahllos bunter Trash, sondern kunstvoll zusammengesetzt – als wolle der Spanier der allgegenwärtigen Blockbuster-Glätte ein raues Gegenbild unter die Nase halten (oder reiben). Drehorte in einer Fabrik sollen das Innere eines U-Bootes simulieren, das fast schon antike Computer-Mobiliar erschafft eine mal wohlige, mal ärmliche Retro-Atmosphäre, unterfüttert mit Low-Budget-Flair. Die Schnitte sind bisweilen bewusst holprig, und sogar in der Originalfassung sind die Dialoge nachsynchronisiert, was dem Ganzen einen weiteren Verfremdungs-Effekt kredenzt; sinnigerweise hatte man sich für die deutsche Fassung ebenfalls Ungewöhnliches ausgedacht: Da sprechen die Musiker der Berliner Band „Stereo Total“ – Brezel Göring und die im Februar 2021  gestorbene Françoise Cactus – gleich alle Rollen. Warum auch nicht?​

Auf DVD bei Rapid Eye Movies , online bei Amazon Prime.

„Das Boot“, „Starship Troopers“, Showgirls“; Kameramann Jost Vacano im Interview

Das Interviewbuch "Jost Vacano - Die Kamera als Auge des Zuschauers" von Marko Kregel ist nur noch antiquarisch zu haben, lohnt sich aber sehr.

Das Interviewbuch „Jost Vacano – Die Kamera als Auge des Zuschauers“ von Marko Kregel ist nur noch antiquarisch zu haben, lohnt sich aber sehr.

Kameramann Jost Vacano ist gerade 90 Jahre alt geworden. Grund genug, ein altes Interview auszugraben, das ich 2005 mit ihm führte – anlässlich der Buchveröffentlichung „Die Kamera als Auge des Zuschauers“ über „Das Boot“, aber auch über seine Zusammenarbeit mit Paul Verhoeven, die Kritik an „Starship Troopers“ und vor allem an „Showgirls“.

Herr Vacano, Literatur über Kameramänner ist selten – im Vorwort des Buchs über Sie schreiben Sie „wir stehen im Schatten“. Das klingt etwas resigniert.

Kritiker übersehen oft unsere Arbeit oder sie schreiben sie dem Regisseur zu. Das liegt bei uns an der Zeit des Autorenfilms, in der die Regisseure fast alles selbst gemacht haben. Die kreativen Mitarbeiter hat man da ganz gerne übersehen.

Ihre Arbeit ist frei von Manierismen – gab es keine Versuchung, ein Markenzeichen einzusetzen, das Ihre Arbeit sofort erkennbar macht?

Michael Ballhaus hat mal gesagt, er sucht seine Filme danach aus, ob er wieder seine berühmte Kreisfahrt unterbringen kann. Das ist nicht so ganz mein Stil. Ideale Kamera-Arbeit bedeutet für mich, den Fluss der Geschichte zu unterstützen.

Interview mit Sandra Hüller

Im Film „Panic Room“ fährt die Kamera dank Tricktechnik durch den Henkel einer Kaffeekanne. Wäre das was für Sie?

Ich bin kein Freund dieser Hypertechnisierung. Filmtricks waren früher ein Mysterium. Heute weiß das Publikum sehr genau, dass tricktechnisch so gut wie alles möglich ist – und deshalb hat vieles keine tatsächliche Wirkung mehr.

Hat ein Kameramann in optisch aufwändigen Filmen überhaupt noch eine gewisse Freiheit?

Bei „Starship Troopers“ habe ich Szenen gedreht, in denen die Darsteller erst später eingearbeitet wurden – in diesem Fall gigantische Käfer. Man muss immer das fertige Bild vor Augen haben und mit den Trickspezialisten engen Kontakt halten. Filme, in denen es um Gesichter und Emotionen geht, drehe ich schon lieber. Aber einen 100-Millionen-Dollar-Film zu drehen, ist spannend – und es schmeichelt dem Ego.

„Der Hauptmann“ – Interview mit Robert Schwentke

Verdient man da entsprechend?

Das wäre schön. Immerhin habe ich in den USA das Dreifache von dem verdient, was ich in Deutschland bekam. Das ist nicht so viel, dass man größenwahnsinnig wird, aber man kann wählerischer werden.

In „Das Boot“ haben Sie den optischen Stil durchgesetzt – vernebelte Luft, wenig Licht, Enge. Das war damals neu und kommerziell durchaus riskant.

Ich wollte einen dokumentarischen Stil und habe nur mit den Schiffslampen beleuchtet, die ohnehin zum Boot gehören. Regisseur Wolfgang Petersen fragte mich immer wieder: „Bist Du von Sinnen, wir drehen für den Weltmarkt.“ Doch ich habe mich durchgesetzt, und letztlich war das die Stärke des Films.

Nach dem „Boot“ sahen auch US-Filme anders aus. Die Optik etwa im Kriegsfilm „U-571“ erinnert an Ihre Arbeit.

Drei Viertel aller Einstellungen dort sind platte Kopien meiner Ideen. Einer aus dem Team dieses Films hat mir erzählt, dass der Regisseur bei den Dreharbeiten regelmäßig die DVD vom „Boot“ angeschaut hat.

Bei „Total Recall“ haben Sie mit Arnold Schwarzenegger und Sharon Stone gearbeitet. Wie ist der Umgang mit Stars?

Sharon Stone war sehr unbeliebt, weil sie ständig Extrawürste wollte. Der Arnold aber ist kein Star im US-Sinne, bei dem etwa festgelegt ist, wer ihn ansprechen darf. Wir haben uns bestens verstanden.

Wie war es denn 1978 mit Helmut Berger im Krimi „Das fünfte Gebot“?

Überhaupt nicht angenehm. Nicht nur menschlich unappetitlich.

Ihre fruchtbarste Zusammenarbeit hatten sie mit Regisseur Paul Verhoeven – sieben gemeinsame Filme. Was für ein Verhältnis ist das, wenn man so viel zusammen arbeitet?

Eine sehr intensive Arbeitsfreundschaft, die aber nicht zu einer Lebensfreundschaft werden muss. Als ich mit dem Film aufhörte, haben wir uns voneinander verabschiedet.

Kaum ein Film wurde so aggressiv attackiert wie der freizügige „Showgirls“ – haben Sie das beim Dreh geahnt?

Wir wussten, dass wir zur Sache gehen – über die Reaktionen waren wir aber dennoch erstaunt. Wir hatten nicht bedacht, dass Las Vegas etwas ganz Exotisches für Amerikaner ist. Im Kino vor der Haustür wollen die das nicht sehen. Das Publikum schlich sich verschämt aus dem Kino wie aus einem Sex-Shop. Meine Arbeit im Film mag ich aber sehr. Diese Stadt des Lichts – das passte einfach wunderbar.

„Showgirls“ ist auch nur einer von zwei Filmen, die Sie im Breitwand-Format gedreht haben – dabei verbindet man dieses Format doch eher mit Kino-Ästhetik als das dem Fernsehbild ähnlichere 1:1,85-Format.

Tanzszenen wie in „Showgirls“ schreien nach dem breiten Format. Sonst finde ich aber, dass das 1:1,85-Format viel eher der natürlichen Wahrnehmung entspricht. Cinemascope hat eher Ausstellungscharakter.

Irritiert es bei der Arbeit, wenn die Darsteller wie in „Showgirls“ oft nackt sind?

Nach einem Tag ist das vergessen. Bei „Starship Troopers“ gab es eine Duschszene, doch die Darsteller wollten sich nicht ausziehen. Da haben Paul Verhoeven und ich damit angefangen, und dann war die Kuh vom Eis.

„Starship Troopers“ ist eine Satire auf Militarismus – wurde aber als faschistischer Film angegriffen.

Diese Kontroverse war zu erwarten, für uns war die Kritik dennoch sehr kränkend. Mittlerweile wird der Film aber besser verstanden. Im Grunde wurde der Film aber für die falsche Zuschauergruppe gedreht. Junge Leute mochten den Film nicht, Erwachsene habe ihn kaum gesehen, weil sie dachten, es sei ein reiner Action-Popcornfilm.

„55 Tage in Peking“ auf Bluray

Er kleckerte nicht, er klotzte. Bei Madrid baute US-Produzent Samuel Bronston (1908-1994) Studios und gigantische Kulissen, eine Art Klein-Hollywood in einem Land der niedrigeren Löhne und weniger strengen Gewerkschaften. In Spanien entstanden so 1961 die Epen „König der Könige“ und „El Cid“, letzteres mit Charlton Heston. Der spielte zwei Jahre später auch in Bronstons „55 Tage in Peking“. Im Jahr 1900 spielt der Film – die Bewegung der Boxer bringt China in Unruhe, sie ermorden chinesische Christen und Ausländer. Als sie das Diplomatenviertel der Stadt stürmen wollen, sind vor allem US-Soldat Lewis (Heston mit gerecktem Heldenkinn) und der britische Diplomat Robertson (David Niven mit gezwirbeltem Schnurrbart) gefragt.

Nostalgie: Die Serie „Stingray“ von Gerry Anderson

Diese sichtlich teure Mischung aus Massen- und Dialogszenen in edel ausgestatteten Studiokulissen ist Großkino von gestern, mit vielen Glatzenkappen und Nicht-Asiaten, die Asiaten spielen; der Film lässt sich nostalgisch anschauen, verlangt aber auch etwas Geduld – nicht zuletzt wenn es mit Ava Gardner glamourös und romantisch werden soll. Doch Heston, Niven, die Actionsequenzen und das exzellente Bild der Bluray reißen es heraus. 1964 war es aber schon vorbei mit Bronstons Imperium: Der Misserfolg von „Der Untergang des Römischen Reichs“ begrub ihn unter einem Schuldenberg.

Bluray von Black Hill / WVG, 158 Minuten. Extras: Deutscher Trailer.

„Radical – eine Klasse für sich“ mit Eugenio Derbez

Szene aus "Radical": Eugenio Derbez als Lehrer Sergio. Foto: Ascot Elite

Eugenio Derbez als Lehrer Sergio. Foto: Ascot Elite

Im Kino ist manches ja zu schön, um wahr zu sein. Was aber, wenn es schön und auch tatsächlich wahr ist (abzüglich ein wenig künstlerischer Freiheit)? „Radical – eine Klasse für sich“ ist so ein Fall. Um einen Lehrer geht es, der sich gegen ein starres Bildungssystem wendet, dabei Talente entdeckt und fördert, die sonst unbeachtet blieben – darunter eine nahezu geniale Schülerin, die an einem Müllplatz lebt.​

Diesen Lehrer und seine hochbegabte Schülerin gibt es tatsächlich, der Film von Christopher Zalla erzählt ihre Geschichte, die sich 2011 zutrug. Matamoros ist eine mexikanische Küstenstadt, eher staubig als blühend. Was blüht, ist der Drogenhandel; was staubt, sind die alten Bücher in der Bibliothek der lokalen Grundschule. Dort hat man sich damit abgefunden (teilweise bequem damit eingerichtet), dass allzu viel Ehrgeiz beim Lehren ohnehin nichts bringt: Wer die Schule nicht vorzeitig verlässt, weil er Geld für die verarmte Familie verdienen muss, wird von den Drogengangs angeheuert, mit Versprechungen einer finanziell gesicherten Zukunft oder schlicht mit Drohungen. Die Lehrkräfte deklamieren schnarrend Sätze über Disziplin, haben aber längst aufgegeben. Eine letzte Initiative war vor Jahren, Gelder für Schul-PCs einzuwerben, diese wurden bewilligt, versickerten aber im Korruptionsdickicht, bevor sie die Schule erreichten.​

„Wir lassen uns nicht begraben“​

Ein neuer Lehrer namens Sergio geht die Sache anders an, dreht (ziemlich symbolisch) die Tische im Klassenzimmer um, erklärt sie zu Rettungsbooten und versucht, Themen wie Masse, Volumen und Dichte lebensnah zu vermitteln. Sein Credo für die Klasse und für sich: „Wir lassen uns nicht begraben. Wir werden die beste Klasse der Welt sein.“ Das Kollegium ist befremdet bis entsetzt, nur der Schulleiter ahnt langsam, was der Lehrer vorhat. Aber die beiden stehen ziemlich alleine da.​

„Gondola“ von Veit Helmer

 

Szene aus Film "Radical": Paloma (Jennifer Trejo) und Nino (Danilo Guardiola). Foto: Ascot Elite

Paloma (Jennifer Trejo) und Nino (Danilo Guardiola). Foto: Ascot Elite

Wohlfühl-Formel​

Eugenio Derbez ist ein großer Star des mexikanischen Kinos und mit seiner integren Ausstrahlung eine passende Besetzung. Den beseelten Pädagogen nimmt man ihm jederzeit ab, auch die jugendlichen Darstellerinnen und Darsteller leisten Erstaunliches. Natürlich hört man gerne ein filmisches Hohelied auf Bildung und Individualismus, auf Menschlichkeit und Hoffnung. Und doch fällt dabei auf, wie formelhaft der Regisseur, zugleich Ko-Autor, erzählt. Man könnte den Film Szene für Szene nach Kalifornien verpflanzen, die Hauptrolle mit Robin Williams besetzen (der einst Vergleichbares in „Der Club der toten Dichter“ spielte) – und man hätte einen perfekten, stromlinienförmigen Hollywood-Wohlfühlfilm.​

Gedämpfter Realismus​

So gesehen hat es etwas Ironisches, dass der Film sich „Radical“ nennt, ist er doch so un-radikal wie möglich erzählt – wenn auch rundum kompetent. Und so geht er ans Herz, obwohl man spürt, wie kalkuliert er das tut, inklusive einer großen Krise kurz vor Schluss, aus der sich die Figuren zum Finale wieder erheben können. In der Zeichnung der Tristesse im Ort will „Radical“ nicht gänzlich realistisch werden – das tragischste Geschehnis des Films wird bewusst nicht im Bild gezeigt. Das kann man als gnädig empfinden oder auch als allzu zurückhaltend, als wolle man nicht mit zu viel Realität verschrecken. Seine Geschichte will der Film eben einem möglichst großen Publikum erzählen, was legitim ist.​

 

 

Dreharbeiten zum Film „[T]oxygen“

Dara Lalo als Gal in einer Szene des Films "[T]oxygen", der im Weltkulturerbe Völklinger Hütte entsteht.

Dara Lalo als Gal in einer Szene des Films „[T]oxygen“, der im Weltkulturerbe Völklinger Hütte entsteht. Foto: Moritz Reitmann / [T]oxygen

Dreharbeiten im Weltkulturerbe Völklinger Hütte: Hier entsteht der Film „[T]oxygen“ über eine Welt, in der die Luft zum Atmen knapp wird.

Im nebligen Halbdunkel geht ein wenig die Sonne auf. „Gekauft! Danke!“, ruft Regisseur John Never erleichtert und sieht ziemlich glücklich aus. Vor zwei Monitoren sitzt er, in einem dunklen Gang der Völklinger Hütte, neben ihm Ko-Regisseurin Sabrina Döpp. Auf dem Bildschirm schauen sie sich an, was ein paar Meter weiter gefilmt wird: Maskierte Menschen mit klobigen Tornistern auf dem Rücken traben durch die Brennerbühne in der Sinteranlage, diffus ist das Licht, man riecht die alten Anlagen. Die Kamera von Vincent Schulist zieht in tiefer Position an den Menschen vorbei – was man auf den Monitoren sieht, ist beeindruckend: düster und atmosphärisch, als hätten sich die Filme „Blade Runner“, „Dark City“ und „Metropolis“ in Völklingen getroffen.​

Eigens ein „Nebelbeauftrager“ ist dabei​

„[T]oxygen“ heißt der Kurzfilm, der hier entsteht und eine knappe halbe Stunde lang werden soll. Es ist der dritte Drehtag von neun, erst einmal – und zugleich der aufwändigste, mit 20 kostümierten Komparsen, 50 Teammitgliedern und, wie Produzent Lukas Weishaar erzählt, einem offiziellen „Nebelbeauftragen“. Der Film führt in eine erschreckende Welt der Zukunft, in der sogar die Luft knapp wird. Damit die Menschen im Smog ihrer von Industrieanlagen zugewachsenen Welt nicht ersticken, gibt es noch ein paar Fabriken mehr; in denen wird die verrußte Luft gefiltert und wieder atembar gemacht. Der Lohn für die Arbeiterinnen und Arbeiter in diesen Sauerstoff-Kläranlagen: Luft zum Überleben.​

 

Gruppenbild mit Team, Statistinnen und Statisten bei den Dreharbeiten von "[T]oxygen". Foto: Moritz Reitmann / [T]oxygen

Gruppenbild mit Team, Statistinnen und Statisten.     Foto: Moritz Reitmann / [T]oxygen

Regisseur Never, Mediengestalter und Künstler, studiert „Media Art & Design“ an der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK); er hat das Drehbuch geschrieben, kümmert sich um das Sounddesign und komponiert die Musik. Erste Eindrücke, auch einen filmischen Teaser, gibt es auf der Internetseite des Films, der unter dem Dach der HBK entsteht, aber doch um einiges aufwändiger ist als ein klassischer Hochschulfilm. Die Saarland Medien fördern mit 8000 Euro, die Hochschule Offenburg ist beteiligt, auch das Technik Museum Sinsheim unterstützt.​

 

Multitasking: Regisseur/Autor/Komponist John Never mit dem Heißkleber an einer Requisite. Foto: Moritz Reitmann / [T]oxygen

Multitasking: Regisseur/Autor/Komponist John Never mit dem Heißkleber an einer Requisite. Foto: Moritz Reitmann / [T]oxygen

Zudem haben die rührigen Filmemacher um Never und Co-Regisseurin Döpp, die an der HBK diplomiert hat, 5265 Euro per Crowdfunding angeworben, um das ambitionierte Projekt zu stemmen, das ohne eine gewisse Selbstausbeutung nicht möglich wäre. Jeder hier arbeitet auf Rückstellung, Geld gibt es keins zu verdienen – möglich ist das höchstens, wenn sich der Traum einer Fortführung erfüllen würde. Zwar sei „[T]oxygen“ in sich abgeschlossen, könnte zugleich aber auch der Beginn einer seriellen Erzählung sein, sagt Döpp. Also Stoff eventuell für einen Streaming-Anbieter oder TV-Sender? Alle hoffen es.​

 

Ko-Regisseurin Sandra Döpp. Foto: Moritz Reitmann / [T]oxygen

Ko-Regisseurin Sandra Döpp. Foto: Moritz Reitmann / [T]oxygen

Stahl aus Styropor​

Derweil schaut Ralf Beil in der Halle vorbei, Direktor des Weltkulturerbes, und ist sichtlich angetan von dem, was hier passiert. In der Mitte des Raums steht das Modell der Völklinger Hütte, ist nun aber abgedeckt von scheinbaren Eisenplatten. Doch die klingen beim Draufklopfen weniger massiv denn merkwürdig schmalbrüstig – kein Wunder, es sind Styroporplatten der Filmkulisse. Auf denen liegen Requisiten, die einen gewissen Retrofuturismus ausstrahlen. Die klobigen Bohrmaschinen und blinkenden Messgeräte wirken, als kämen sie aus der Zukunft und der Ära der industriellen Revolution zugleich.​

Von links: Set Designer und Executive Producer Martin Lambrecht, Regisseur/Autor John Never und Produzent Patrick Müller. Foto: tok

Von links: Set Designer und Executive Producer Martin Lambrecht, Regisseur/Autor John Never und Produzent Patrick Müller. Foto: tok

Der Nebel über der Brennerbühne lichtet sich langsam; die Komparsen traben an die frische Luft für ein Erinnerungsfoto, vorbei an einem kleinen Berg Schnittchen und einer Sauerstofftornister-Requisite, die an einer Wand lehnt; fünf Kilo schwer und mit einem blinkenden Display, das Regisseur Never selbst „gestaltet und zusammengelötet“ hat, wie er sagt.​

Kulissen in der Handwerkergasse​

Zeit für eine kurze Mittagspause und ein paar Schritte weiter in Richtung Handwerkergasse auf dem Hüttengelände. An einer Tür klebt ein Blatt Papier mit dem Hinweis „[T]oxygen Base“, neben einem Schild, das vermutlich mit dem Film nichts zu tun hat: „Bitte Pferde nicht füttern und anfassen.“ Hier in der Gasse ist unter anderem eine Kulisse des Films aufgebaut: Eine karge Schlafkammer mit minimal verputzten Backsteinwänden, einem staubigen Plattenspieler, Bücherregal und einem Bett, dem man den ein oder anderen Floh zutrauen würde. Eine kunstvoll abgewohnte Kulisse, gebaut von Martin Lambrecht, zuständig für Set Design, zugleich einer der Produzenten. Multitasking eben.​

Im Kulissenzimmer nebenan steht ein staubiges Keyboard mit allerlei kleinen Anbauten auf einer Werkbank. Hier lebt im Film die Hauptfigur Gal (gespielt von Dara Lalo), ein Arbeiter in einer Fabrik für Energiegewinnung und Luftfilterung. Sein Vater ist bei ihm, auf den Rollstuhl angewiesen und ohne Unterstützung – in dieser Zukunftswelt gibt es ebenso wenig frische Luft wie Sozialsysteme. Der Vater wird im Film auf der staubigen E-Orgel spielen, für ihn und den Sohn „eine Zuflucht aus der Einförmigkeit der Fabrik und der Welt“, wie Never sagt. Durch einen Zwischenfall in der Fabrik wird sich die Situation für Vater und Sohn weiter zuspitzen.​

Hoffen auf Festivals​

Nach diesen neun Drehtagen am Stück wird es im Sommer einen zweiten Drehblock geben, erklärt Produzent Patrick Müller: „In diesem Jahr soll der Film abgedreht sein, nach der Postproduktion werden wir ihn bei Festivals einreichen.“ Auch beim Saarbrücker Filmfestival Max Ophüls Preis. Und die Idee einer Weiterführung? „Ob das klappt, ist schwer abzuschätzen“, sagt Regisseur Never, „aber wir wollen die Geschichte unbedingt weiter erzählen.“ Wenn nicht filmisch, dann eben als Buch. „Aber es wäre sehr schade, wenn wir das nicht visuell machen können. Unsere Geschichte geht noch deutlich weiter – am Ende des Kurzfilms könnte es gleich mit dem Abenteuer weitergehen.“​

 

Ein Kulissenraum mit der antiken Heimorgel. Foto: tok

Ein Kulissenraum mit der antiken Heimorgel. Foto: tok

Doch die Muße, von Fortführung und einer Serie zu träumen, haben die Filmemacher zurzeit kaum. Die aktuelle Produktion ist ambitioniert, trotz Rückstellung der Beteiligten ist sie eng kalkuliert, Geld und Zeit sind so knapp wie der Sauerstoff im Film. „Wir hatten eine Diskussion, ob wir das Ganze nicht komplett runterbrechen und eine Nummer kleiner machen“, gibt Never zu, „aber das würde nicht gut aussehen. Das wollen wir nicht.“ So versucht man es eben mit vollem Einsatz. „Wir wollen ja auch zeigen, dass man so etwas im Saarland verwirklichen kann“, sagt Never. „Mein Fazit zurzeit wäre aber eher, dass es nicht wirklich funktioniert.“ Denn Never und auch Döpp haben letztlich eigenes Geld zugeschossen, Never nahm einen Kredit auf, wie er sagt, damit die Produktion so läuft, wie es in seinen Augen nötig ist. So sind Geldgeber, Sponsoren und Unterstützer aller Art weiterhin sehr willkommen. Die Mittagspause ist inzwischen vorüber – von der sonnigen Handwerkergasse geht es wieder ins Halbdunkel der Brennerhalle, die Zukunft wartet.​

Infos, Fotos, Musik und Produktionsentwürfe gibt es unter https://toxygen-film.de

„America“ von Ofir Raul Graizer

Szene aus "America": Oshrat Ingedashet als Iris. Foto: Laila Films

Oshrat Ingedashet als Iris. Foto: Laila Films

Liebe, Freundschaft, Verlust, Aufopferung – es sind keine kleinen Themen, von denen der Film „America“ erzählt. Der israelische Regisseur und Autor Ofir Raul Graizer webt in seiner zweiten Kinoproduktion (nach „The Cakemaker von 2017) ein dichtes Netz der Gefühle; dabei ist ihm ein anrührender Film gelungen.

In Chicago geht Eli (Michael Moshonov) seinem geregelten Alltag nach – Frühstück, Trimmdich und dann die Arbeit in einem Schwimmbad, wo er unter anderem einem ängstlichen Jungen die Furcht vor Wasser zu nehmen versucht. Ein Anruf aus der alten Heimat Tel Aviv stört die Routine des zurückhaltenden Mannes: Elis Vater ist gestorben, seine Mutter lebt schon lange nicht mehr. Nun muss er wegen des geerbten Hauses zurück an einen Ort, den er hinter sich lassen wollte – so hat er mittlerweile sogar seinen Familiennamen Greenberg abgelegt, nennt sich nun Cross.​

Engste Freundschaft aus der Jugend​

Warum das Verhältnis zum Vater schwierig war, wird im Lauf des Films klar – man versteht den immer etwas dunkel umrandeten Blick aus Elis Augen. In der alten Heimat trifft er seinen engsten Kindheitsfreund wieder, Yotam (Ofri Biterman); wie platonisch oder unplatonisch ihre Freundschaft einst war, darüber mag man spekulieren, der Film hält dies in der Schwebe. Yotam führt einen Blumenladen mit seiner Freundin Iris (Oshrat Ingedashet). Für Eli ist Yotam so etwas wie eine Rettungsinsel in der ungeliebten alten Heimat; doch als sie zusammen einen Wasserfall in Haifa besuchen, einen gemeinsamen geliebten Ort der Kindheit, ändert sich alles: Yotam stürzt unglücklich, verletzt sich schwer – ob er aus dem Koma jemals aufwachen wird, ist ungewiss.​

Andreas Pflügers Buch „Herzschlagkino“

In vier Kapitel, zwischen denen jeweils einige Monate liegen, hat Regisseur Graizer seinen Film gegliedert. So erzählt er im großen Bogen von Eli und Iris, die sich in Abwesenheit des komatösen Yotam näherkommen – verbunden vielleicht auch durch die gemeinsame Liebe zu dem schmerzlich Vermissten. Doch als Yotam nach Monaten wieder seine Augen öffnet und langsam ins Leben zurückfindet, empfinden Eli und Iris eben nicht nur große Freude und Erleichterung. Was tun? Yotam alles erklären und damit eventuell seine fragile Gesundheit bedrohen? Die Liebesbeziehung lösen?​

 

Szene aus "America": Ofri Biterman als Yotam (links), Michael Moshonov als Eli. Foto: Laila Films

Ofri Biterman als Yotam (links), Michael Moshonov als Eli. Foto: Laila Films

Manchmal überdeutlich​

„America“ (ein Titel, der unklar bleibt, auch wenn man das Land als Elis Flucht- oder Sehnsuchtsort begreift) umgeht dabei das große Melodram. Was andere Filme möglicherweise zur großen Seifenoper hochgeschäumt hätten, bleibt hier bodenständig und kitschfrei. Zwar gibt es die eine oder andere etwas überdeutliche Metapher und ein, zwei etwas zu bewährte Bilder (etwa zwei Hände, die schüchtern tastend zueinander finden). Insgesamt aber ist das ein sehr gut gespieltes, berührendes Drama der eher leisen Töne und der Dialoge, bei denen sich zwischen den Zeilen viel tut.​

„Gondola“ von Veit Helmer

Szene aus "Gondola" von Veit Helmer. Iva (Mathilde Irrmann) in ihrer Raketengondel. Foto. Jip Film

Iva (Mathilde Irrmann) in ihrer Raketengondel. Foto: Jip Film

 

Veit Helmer? Da klingelt es – wenn auch aus größerer Entfernung: Im Jahr 2000 war sein Film „Tuvalu“, eine märchenhafte und bildgewaltige Geschichte um ein altes Hallenbad, eine Schiffsreise und einiges mehr, ein Liebling beim Filmfestival Max Ophüls Preis; Helmer gewann mit seinem ersten langen Film in Saarbrücken den Publikumspreis.​

Seitdem hat der Regisseur aus Hannover, Jahrgang 1968, eine Handvoll Spielfilme gedreht (dazu auch Dokus und Werbespots): stets voller Fantasie und filmischer Verspieltheit, gerne poetisch überhöht, stets eigenwillig – und somit Produktionen, die eher in kleinen als großen Kinos zu sehen sind. Jetzt startet sein jüngster Film gleich in zwei Kinos im Saarland: im Filmhaus in Saarbrücken und in der Kinowerkstatt St. Ingbert, die zur Einstimmung auch den 2018er Helmer-Film „Der Lokführer, der die Liebe suchte…“ zeigt – über einen Bahnangestellten, an dessen Zug eines Tages ein BH hängen bleibt und der dann eine Odyssee auf der Suche nach der Besitzerin beginnt.​

Parallelwelt mit eigener Logik​

Auch „Gondola“, unterstützt unter anderem vom Saarländischen Rundfunk, ist ein echter Helmer, der Filmemacher bleibt seinem Stil und seiner Perspektive treu. Auch „Gondola“ spielt in einer Parallelwelt zu der unsrigen, die ihre ganz eigene Logik und Poesie hat. Sie wirkt ein wenig nostalgisch, zugleich zeitlos wie aus der Zeit gefallen. In den georgischen Bergen verbindet eine Seilbahn ein Dorf auf dem Berg mit einer kleinen Stadt im Tal. Als ein alter Schaffner stirbt und standesgemäß im Sarg per Seilbahn seine letzte Reise ins Tal antritt, kehrt seine Tocher Iva zurück ins Dorf, wo ihr erstmal eine gewise Feindschaft entgegenschlägt; sie übernimmt nun den Dienst in einer der beiden alten Gondeln und schwebt mehrmals täglich über das wolkenverhangene Tal.​

 

Regisseur Veit Helmer. Foto: Boryana Pandova

Regisseur Veit Helmer. Foto: Boryana Pandova

Jede halbe Stunde fährt sie an der zweiten Gondel vorbei, gesteuert von der Kollegin Nino. Ein paar Tage lang grüßt man sich knapp, dann etwas länger. Und aus dem Ganzen wird eine Art Flirt in luftiger Höhe, eifersüchtig beobachtet vom grobschlächtigen Seilbahn-Chef, der auch ein sprichwörtliches Auge auf Nino geworfen hat – vergeblich und sehr zu seinem Verdruss.​

„Perfect days“ von Wim Wenders

Ohne Dialoge, aber kein Stummfilm​

Eine kleine große Geschichte erzählt Helmer hier in seiner deutsch-georgischen Produktion – ohne Dialoge. Ein schlichtes „Okay“ ist mal am Rande zu hören, ansonsten erklingt auf der Tonspur vor allem die Mechanik der Seilbahn: Sie quietscht, knarzt, rattert, gibt auf Knopfdruck merkwürdige Geräusche von sich und ist so etwas wie eine eigene Figur im Film.​ Die Annäherung der beiden Frauen hat seinen Charme – Iva und Nino bauen, um das Gegenüber zu beeindrucken, ihre Gondeln mit Pappkulissen unter anderem in ein Schiff um, eine Rakete sogar, mit Mars als Reiseziel. Zudem spielen sie miteinander ein Schachspiel, das auf dem Berg auf den jeweils nächsten Zug der hochfahrenden Frauen wartet. Gäbe es in der Welt dieses Films Handys, wäre das alles nicht nötig – wie schade das wäre.​

„Ich versuche, Kritiken nicht zu lesen“: Interview mit Sandra Hüller

Bei der Annäherung der beiden Frauen gelingen dem Film herzerwärmende Bilder (Kamera: Goga Devdariani), wenn die Frauen etwa eine der Gondeln weihnachtlich schmücken und dort feiern. Die Darstellerinnen Mathilde Irrmann und Nino Soselia sind ausdrucksstark, was bei der Dialogfreiheit des Films sehr willkommen ist – aber sie übertreiben es nicht, eine exaltierte Stummfilm-Mimik muss man nicht fürchten.​

Zu minimalistische Handlung?​

Und doch muss man sich ein wenig einlassen auf den Film, denn die Geschichte ist für seine 83 Minuten ein wenig zu luftig – vielleicht hätte sich da auch ein knackiger Kurzfilm von einer halben Stunde angeboten? Einlassen muss man sich auch auf die betonte Niedlichkeit des Ganzen – die Musik von Malcolm Arison und Sóley Stefánsdóttir erinnert mitunter an Yann Tiersens Untermalung von „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Das Ganze hat eine filmische Wohlfühligkeit, die je nach Geschmack sehr willkommen ist oder doch manchmal etwas zu lieblich wirkt. Kino- oder Lebens-Zyniker sollten sich den Film also nicht anschauen. Aber für die dreht Veit Helmer seine Filme auch nicht – sondern für Anhängerinnen und Anhänger einer großen Lebensromantik.​

Seit dem 7 März unter anderem im Saarbrücker Filmhaus und Samstag bis Montag, 9. bis 11. März,  in der Kinowerkstatt St. Ingbert.

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