Über Film und dieses & jenes

Monat: Februar 2017 (Seite 1 von 2)

Der komplette Jacques Tati: Große Werkschau im Saarbrücker Kino Achteinhalb

Jacques Tati

Das Saarbrücker Kino Achteinhalb zeigt alle Filme von Jacques Tati. Kuratiert hat die Reihe  der Saarbrücker Filmwissenschaftler Nils Daniel Peiler.

Jetzt kann er es ja zugeben: Als Nils Daniel Peiler Jacques Tatis Film „Playtime“ zum ersten Mal sah, ist er sanft eingeschlummert. „Ich habe erstmal keinen Zugang gefunden“, sagt Peiler. Damals war er Student in Saarbrücken, heute ist er Filmwissenschaftler und mittlerweile ein großer Anhänger des Franzosen (1907-1982) und dessen „zeitloser, filmisch visionärer Komik“. Tati blickte in Filmen wie „Die Ferien des Monsieur Hulot“, „Mein Onkel“ und „Trafic“ humoristisch und kritisch auf die Welt (vor allem die französische), auf ihre Kuriositäten und Macken. Der damals dösende Peiler entdeckt heute „in diesen Zeitdokumenten der französischen Gesellschaft“ ständig Neues, „in jeder Einstellung gibt es kleine Raffinessen“, wenn Tati sich filmisch elegant über grenzenlose Fortschritts- und Technikgläubigkeit mokiert oder über seelenlose Architektur.

Filmwissenschaftler und Kurator Nils Daniel Peiler. Foto: Oliver Dietze

Peiler zeigt ab Donnerstag nächster Woche im Saarbrücker Kino Achteinhalb das Gesamtwerk Tatis. Das Kuratieren war für ihn eine Frage des „Jetzt oder nie“: Die Rechtelage eines filmischen Gesamtwerks ist oft zersplittert, erfordert viel Recherche und Verhandlungsarbeit. „Aber hier war die Lage luxuriös“, sagt Peiler. Die Rechte aller Filme Tatis (abgesehen vom posthumen Trickfilm „Der Illusionist“ nach einem Tati-Drehbuch) liegen zurzeit beim französischen Verleih Studiocanal. „Aus Kurator-Sicht ein Geschenk“, sagt Peiler, der einen „passablen Preis“ ausgehandelt hat. „In einem Jahr könnte die Rechtelage ganz anders sein.“

 

Jacques Tati

Eine Szene aus „Mon oncle“. Foto: Les films de Mon Oncle

Vor den Filmen gibt Peiler eine dreiviertelstündige Einführung, mit Filmausschnitten, Fotos und Querverweisen: Man könne etwa sehen, „was ein Film wie ‚Mr. Bean macht Ferien’ alles bei Tati geklaut hat“. Die Reihe zeigt auch die selten zu sehenden Kurzfilme Tatis, die oft einen Bezug zum Hauptfilm haben: „Schule der Briefträger“ etwa, in dem er 1946, drei Jahre vor „Schützenfest“, einige Ideen durchspielte. Oder „Abendschule“, den Tati 1967 in den Kulissen von „Playtime“ gedreht hat. Eine „rare Archivperle“ nennt Peiler „Spezialität des Hauses“, ein Kurzfilm von Tatis Tochter, den sie 1976 im selben Städtchen drehte, in der „Schützenfest“ entstand: Sainte-Sévère-sur-Indre.

Mit sechs Spiel- und sieben Kurzfilmen wirkt das Lebenswerk Tatis schmal – was aber täuscht, wie Peiler erklärt. „Er hat immer wieder an Filmen gearbeitet, oft Jahre nach ihrer Premiere.“ Was ist dann die definitive Version? Peiler zeigt die jeweils jüngste Version, „die für Tati letztgültige Fassung“ – von „Die Ferien des Monsieur Hulot“ (1953) etwa die Fassung von 1978, von „Schützenfest“, Premiere 1949, die Fassung von 1964.

Jacques Tati

Kein schöner Arbeitsplatz. Ein Szenenfoto aus „Playtime“. Foto: Les films de Mon Oncle

Es ist nicht Peilers erste Retrospektive im Achteinhalb. An die These „Das Thema Werkschau im Kino ist tot“ glaubt er nicht und hat einige beachtete und gut besuchte Reihen kuratiert: über den US-Regisseur Wes Anderson („Grand Budapest Hotel“) etwa oder über Louis de Funès. Billige oder einfache Unternehmungen sind das nicht, für „Playtime“ etwa musste Peiler deutsche Untertitel erstellen; überrascht ist er darüber, dass „es diesmal wirklich schwer war“, Unterstützer abseits der traditionellen Begleiter wie der Uni Saarbrücken oder der Volkshochschule Regionalverband Saarbrücken zu finden. „Die Bereitschaft zur Förderung ist allgemein rückläufig.“ Dass dies Peilers vorerst letzte Reihe ist, liegt an seiner anstehenden Doktorarbeit, aber eben auch am schwierigen Finanzieren. „Wenn man wegen 50 Euro Zuschuss endlos telefonieren muss, fragt man sich schon, ob die Rahmenbedingungen noch stimmen.“

 

Die Termine:

Donnerstag, 9. März: „Tatis Schützenfest“ und Kurzfilm „Die Schule der Briefträger“.

Freitag, 10. März: „Die Ferien des Monsieur Hulot“ und „Raufbold gesucht“.

Samstag, 11. März: „Mein Onkel“ und „Halte Deine Linke hoch“.

Sonntag, 12. März: „Playtime“ und „Abendschule“.

Montag,13. März: „Trafic“ und „Fröhlicher Sonntag“.

Dienstag, 14. März: „Parade“ und „Spezialität des Hauses“.

Mittwoch, 15. März: „Der Illusionist“ und „Forza Bastia 78“.

Einführung jeweils um 19 Uhr, Filme (Original mit Untertiteln) ab 20 Uhr.

http://www.studiocanal.de/

 

Jacques Tati

Citroens legendäre DS in Bewegung. Eine Szene aus „Trafic“. Foto: Les films de Mon Oncle

 

 

 

Raunen, röhren, keuchen: Depardieu singt Barbara

Gérard Depardieu Barbara

 

Ob Gérard Depardieu jemals in Göttingen war? Zumindest besingt er die Stadt nun – über den Umweg von Barbara. Die französische Sängerin (1930-1997) feierte mit ihrem Chanson über die Unistadt, die sie Anfang der 60er Jahre bei einem Gastspiel besucht hatte, ihren zumindest hierzulande größten Erfolg. Nun ist der Klassiker eines von 13 Stücken Barbaras, die Depardieu auf CD gebannt hat. Vor 31 Jahren stand er mit der Kollegin im Musical „Lily Passion“ auf der Bühne; nach Depardieus Aussagen ein unvergessliches Erlebnis, wenn auch kein filmisch aufgezeichnetes – immerhin Fotos gibt es noch von diesem Gipfeltreffen. Der Motor der Hommage „Gérard Depardieu chante Barbara“  war aber nicht der Mime, sondern Pianist und Arrangeur Gérard Daguerre, lange der musikalische Vertraute von Barbara. Er arbeitete an einer überwiegend instrumentalen Hommage, Dépardieu hörte sich einige Aufnahmen an, wollte bei zwei Nummern singen, am Ende waren es 13 – Stück 14 ist ein instrumentaler Ausklang.

Werden sich nun Barbara-Fans und/oder Chanson-Puristen schwer tun mit dem gesanglichen Ausflug des großen Galliers? Wohl nicht. Denn das Album ist keine Hommage, die die Stücke gegen den Strich bürsten oder ganz neue Facetten herauskitzeln will, sondern eher eine traditionelle Huldigung. Zugleich ist es eine Liebeserklärung an die klassische Chansonkunst, die Assoziationen weckt an schwarze Bühnenroben und Rollkragenpullis, an große Gesten und kajalumrandete Sängerinnen-Augen.

Pianist Daguerre, manchmal begleitet von Streichern und Akkordeon, knüpft den Klangteppich, auf dem sich Depardieu genüsslich ausbreitet, dabei aber nicht versucht, sich als technisch versierter Sänger zu zeigen, sondern als gefühlvoller Interpret. Die Grenzen zwischen Gesang und Sprechgesang sind fließend, im Stück „Mémoire, mémoire“ etwa, wenn er bei „folie recluse“ das erste Wort noch melancholisch raunt, beim zweiten schon melodiös abhebt. Ein Ansatz, der sichs durch das gesamte Album zieht und ihm den Charme einer gewissen Unberechenbarkeit verleiht – auch wenn die musikalische Begleitung ganz traditionell ist. Mal beginnt Depardieu deklamierend und röhrt am Ende wie ein gallischer Tom Jones („Le soleil noir“), mal singt er ganz klassisch („La solitude“), mal keucht er: Beim rhythmisch hüpfenden „Une petite cantate“ gerät er außer Atem, dabei dauert das Stück nur zwei Minuten. Das sind wohl die Tücken des Wohllebens.

Nur einen Tiefpunkt gibt es: „L’aigle noir“ – glatt, melodramatisch, kitschig. Ein Höhepunkt ist das unsterbliche „Göttingen“: Diese Ode an die deutsch-französische Freundschaft geht ans Herz. Man glaubt Putin-Freund Depardieu die frohe Botschaft der Völkerverständigung – egal, ob er Göttingen nun kennt oder nicht.

Gérard Depardieu chante Barbara
(Erschienen bei Because/Warner).

 

Also doch: Mondlandung war „fake news“ – zumindest in „Operation Avalanche“

 

Operation Avalanche

 

Verschwörungs-Paranoiker haben es schon immer gewusst: Die USA waren nie auf dem Mond und haben Neil Armstrongs lunares Flanieren auf Mutter Erde getrickst. So erzählt es auch der wahnwitzige Film „Operation Avalanche“ von und mit dem kanadischen Regisseur Matt Johnson: Zwei kinoverrückte CIA-Agenten, die gerade bewiesen haben, dass Regisseur Stanley Kubrick trotz seiner USA-Veräppelung in „Dr. Seltsam“ kein russischer Spion ist, erhalten 1969 eine fast unmögliche Mission: Sie sollen sich bei der Nasa einschleichen, getarnt als Dokumentarfilmer, und dort einen russischen Agenten enttarnen. Den finden sie zwar nicht, decken aber Fatales auf: Die Nasa-Spitze weiß, dass die Mondlandung technisch für sie zurzeit unmöglich ist. Was tun? Den Weltraum-Wettlauf gegen die Russen verlieren? Die CIA-Agenten fassen einen kühnen Plan: Apollo 11 fliegt zwar real ins All, die Mondlandung aber wird getrickst. Überzeugen die ersten Test-Tricks nicht, hat der CIA-Leiter einen rustikalen Plan B: „Wir schießen Apollo 11 ab und schieben es den Russen in die Schuhe.“

Dreharbeiten bei der Nasa

Die Grundidee ist nicht neu, 1979 hat der Film „Unternehmen Capricorn“ Ähnliches schon einmal durchgespielt, die französische Pseudo-Doku „Kubrick, Nixon und der Mann im Mond“ (2002) verband gewitzt Fakten und Fiktion. Herausragend macht „Operation Avalanche“ aber seine Umsetzung. Der Film erzählt in einem Pseudo-Dokumentarstil, eine Wackelkamera begleitet die Figuren, wenn sie durch Nasa-Gänge schleichen oder ein Raumfähren-Duplikat zusammenzimmern. Johnson hat seine historisch anmutenden Bilder mit einer kleinen Taschenkamera tatsächlich bei der Nasa gedreht (unter dem Vorwand eines studentischen Dokumentarfilms) und fügt sie zu einer Collage zusammen, die nebenbei die Liebe zum Filmemachen und Geschichtenerzählen zelebriert.

Besuch bei Stanley Kubrick

Ein Kabinettstückchen ist der Besuch der CIA-Agenten bei Stanley Kubrick, um ihm bei den Tricks zu „2001“ über die Schulter zu schauen – wie der Film das mithilfe alter Fotos von Kubrick erzählt, ist virtuos. Überraschend verfinstert sich „Operation Avalanche“ und wird im Finale zum Verschwörungs-Thriller mit 70er-Jahre-Aroma: Die Agenten sind ihres Lebens nicht mehr sicher: exemplarisch in einer schnittlosen Autojagd im hypernervösen Doku-Stil. Insgesamt eine wonnige Täuschung.

Auf DVD und Blue-ray erschienen bei Ascot Elite.
Extras: Ein viertelstündiges Interview mit Matt Johnson vom Filmfestival in Zürich.

 

Operation Avalanche

Das sieht schon mal gut aus: Erste Hoppel-Versuche mit der Zeitlupenkamera.

Operation Avalanche

Operation Avalanche

Operation Avalanche

Operation Avalanche

 

 

„La La Land“ – das Album

La La Land

 

Ach, schade: Die schrillen, grenzparodistischen Neuversionen der 80er-Hits „I ran“ und „Take on me“, mit quietschigen Keyboards und über-enthusiastischem Gesang, sind nicht auf dem Album zum Film „La La Land“. Vielleicht hätten sie ja auch nicht hineingepasst in diese Kollektion nostalgischer, dabei ironiefreier Musical-Klänge aus einem hinreißenden Film, der mit 14 Oscarnominierungen reich (für manche überreich) beschenkt ist. Big-Band-Jazz, zarte Balladen, flotte Tanznummern und auch einen streicherumschmusten Walzer bietet dieses Album von Komponist Justin Hurwitz (Texte von Justin Paul und Benj Pasek).

Kennt man den Film nicht, der von der Liebe einer Schauspielerin und eines Musikers in Los Angeles erzählt, mag manche Nummer etwas bombastisch und kitschig wirken – vor allem „Someone in the crowd“ mit großem Chorgeschmetter. Aber hat man „La La Land“ gesehen, verbindet sich die Musik mit den Bildern im Hinterkopf und mit seiner bittersüßen Geschichte, die das ganz große Gefühl und die große Liebe beschwört, seine Figuren dann aber doch scheitern lässt, letztlich an sich selbst.

Charmant dabei ist, dass Schauspieler Ryan Gosling nicht der Stimmgewaltigste ist – bei der Los-Angeles-Liebeserklärung „City of stars“ trifft er nicht jeden Ton und wurschtelt vokal etwas vor sich hin. Das passt immerhin, im Film spielt er ja einen Pianisten. Aus dem Rahmen fällt nur ein Stück, „Start a fire“ von John Legend: Im Film ist es das tönende Beispiel dafür, dass der ambitionierte Jazzpianist sich nolens volens dem kompetenten, aber etwas langweiligen Kommerz andient – genau so klingt das Stück auch. Ein Fremdkörper auf einem ansonsten famosen Album.

La La Land: Original Motion Picture Soundtrack (Universal).
Die Szenenfotos stammen vom Verleih Studiocanal.

 

La la Land

La la Land

La la Land

La la Land

 

Interview zum Buch „Homosexualität bei den Simpsons“

Simpsons

 

Seit 1989 läuft die amerikanische Zeichentrickserie „Die Simpsons“ im Fernsehen – für Kinder ein bunter Spaß, für Erwachsene eine satirische Reihe, die sich mit Gesellschaft und Politik beschäftigt, auch mit Homosexualität. Der Autor Erwin In het Panhuis (Foto: Axel Bach) hat die Serie für sein Buch „Hinter den schwulen Lachern“ untersucht.

 

Warum haben Sie gerade „Die Simpsons“ erforscht? Weil es eine so bekannte Serie ist? Oder ist der Umgang mit Homosexualität dort ein besonderer?

Beides. Die Serie beschäftigt sich viel mit Homosexualität und macht das meist mit sehr sensiblem und anspruchsvollem Humor. Zwar wird gerne mit Klischees gearbeitet, etwa mit Männern, die nasal sprechen und den kleinen Finger abspreizen, es geht aber weit darüber hinaus. Außerdem finde ich generell Mainstream-Medien interessanter als Themen, mit denen sich ausschließlich die schwul-lesbische Subkultur beschäftigt.

Ist die Serie homophob?

Im Gegenteil. Sie hat eine sehr liberale Einstellung, die in der Offenheit über die des Durchschnitts-Amerikaners hinaus geht. Bei den „Simpsons“ wird Partei für die Homo-Ehe ergriffen, 1990 gab es dort sogar den ersten schwulen Kuss im US-Fernsehen – in England musste diese Szene sogar gekürzt werden, um als DVD eine entsprechende Altersfreigabe zu erreichen.

Wie hat sich die Thematisierung von Homosexualität über die Jahrzehnte verändert bei den „Simpsons“?

In den ersten Jahren war Homosexualität kaum ein Thema, was wohl auch mit der politischen Großwetterlage zu tun hatte – da gab es ein konservatives Hoch in den USA. Aber spätestens seit der fünften Staffel 1993 wird sie oft behandelt. Es gibt aber auch Einschnitte, bei denen die Serie zurückrudern musste. Etwa nach dem so genannten „Nipplegate-Skandal“, als Janet Jackson 2004 im TV angeblich aus Versehen ihre Brust entblößte.

Was war die Folge?

Strengere Auflagen im US-Fernsehen, auch für Zeichentrickserien, etwa dass man keine nackten Hintern mehr zeichnen durfte – auch wenn „Nipplegate“ in keinem Zusammenhang mit Homosexualität stand. Es gibt aber generell auch einige schwule Zensur-Beispiele, die die Grenze des Darstellbaren veranschaulichen, etwa der homoerotische Traum bei der Serien-Figur Smithers, bei dem eine Beule unter der Bettdecke als Erektion wahrnehmbar war.

Es verwundert ohnehin, dass die Serie bei dem sehr konservativen Sender Fox läuft. War der Sender früher, als die Simpsons dort anfingen, liberaler als heute?

Nein, Fox war schon immer sehr konservativ. Deshalb hat es viele überrascht, dass so etwas Linksliberales wie die „Simpsons“ dort laufen kann und sich sogar gezielt über die Rechtslastigkeit des Senders lustig macht. Fox-Besitzer Rupert Murdoch ist sogar Gastsprecher der „Simpsons“.

Wie passt das denn zusammen?

Für Fox ist die Serie offenbar ein linksliberales Aushängeschild im Unterhaltungsbereich, um nach außen hin als pluralistisch zu erscheinen, auch wenn der Sender – vor allem in der Polit-Berichterstattung – ausschließlich republikanisch geprägt ist.

Wie geht die Serie mit Homo-Klischees um? Werden die so überzogen, dass dadurch schon so etwas wie eine Satire auf gängige Vorurteile entsteht?

Nein, eine Parodie auf Klischees sehe ich hier nicht. Aber wenn man sich über klischeehaft schießwütige Polizisten und korrupte Politiker lustig macht, sehe ich auch bei klischeehaft tuntigen Schwulen kein Problem. In vielen Fällen werden diese Klischees als Vorurteile entlarvt. Bei den „Simpsons“ wird aber auch bei Themen wie Rassismus oder Frauenrechten nicht mit deutlicher Pädagogik gearbeitet, sondern mit einem subtilen und subversiven Humor.

War Aids je ein Thema?

So gut wie nie, was mich sehr erstaunt hat, weil die Serie sonst so mutig ist. Es gibt eine gutgemachte Szene, die die irrationalen Ängste angesichts Aids karikiert, aber das war’s leider schon. Matt Groening, der Schöpfer der Serie, lässt das Thema außen vor, weil er mit seinem Humor in Bezug auf HIV/Aids unzufrieden ist. Das ist schade, weil die Serie auch mit ernsten Themen wie Suizid und sexuellem Missbrauch sehr gut umgehen kann.

Die Serie wird ebenso von Kindern wie von Erwachsenen gesehen – welchen Effekt hat die Darstellung der Homosexualität dort auf Kinder?

Ich glaube, bei Kindern bleibt vor allem die Erkenntnis hängen, dass Schwule und Lesben sich von Heteros kaum unterscheiden. Sie wollen heiraten und suchen ihr privates Glück. Mit dieser Selbstverständlichkeit kann die Serie emanzipatorisch durchaus viel erreichen.

Sind die Macher der Serie selbst schwul?

Auf den Audiokommentaren der DVDs gibt es zumindest keinen, der sich outet. Sie haben sich in einer Szene aus Scherz einmal alle als schwul beziehungsweise lesbisch bezeichnet. Dann haben sie sich darüber lustig gemacht, dass viele Zuschauer diesen selbstironischen Humor nicht verstanden haben. Es sind also aufgeschlossene Heteros, denen es egal ist, für schwul oder lesbisch gehalten zu werden. Matt Groening ist ein Kind der 70er Jahre. Ihn stört es einfach, dass den Schwulen und Lesben immer noch wichtige Rechte vorenthalten werden.

Läuft die Serie auch in Russland, wo seit einiger Zeit die positive Darstellung von Homosexualität in der Öffentlichkeit verboten ist?

Ja, sie läuft, wird aber zensiert – überraschenderweise nur in den politischen Passagen. Dabei machen sich „Die Simpsons“ vor allem über die amerikanische Politik lustig, was ja in Russland niemanden stören sollte. „The Voice of Russia“ schrieb als Fazit zu meinem Buch: „Die Simpsons behandeln Homosexualität als etwas Normales.“ Für mich wurde aus dieser Kurzmeldung nicht klar, ob der Autor das nun positiv oder negativ meint.

Haben Sie für Ihr Buch lange nach einem Verlag gesucht?

Nein, ich hatte Glück. Bei demselben Verlag, „Archiv der Jugendkulturen“ (heute Hirnkost KG) hatte ich schon ein Buch über Schwule und Lesben in der „Bravo“ veröffentlicht und innerhalb von 24 Stunden hat mir mein Verleger zugesagt, dass er auch das „Simpsons“-Buch herausgeben möchte. Über seinen Mut, auch mehrere hundert Fotos abzudrucken – ein Novum im Bereich der Sekundärliteratur – habe ich mich sehr gefreut.

Erwin In het Panhuis: Hinter den schwulen Lachern. Homosexualität bei den Simpsons. Hirnkost KG, 205 Seiten, 350 Abbildungen, 28 Euro.

www.erwin-in-het-panhuis.de

 

Simpsons

„Action Man“, ein alter Freund aus der Kindheit

Action Man

Im Regal sitzen kann er gerade noch, den Rücken an eine Videocassette gelehnt. Aber mehr geht nicht – die Gummibänder in seinem Inneren sind ausgeleiert, die Gelenke schlackern. Er hat eben viel mitgemacht, Abenteuer erlebt, unmögliche Missionen möglich gemacht, eine Kindheit begleitet: Action Man. Ein schlichter, passender, alles sagender Name für eine Spielfigur. Wo dieser 30-Zentimeter-Kerl war, da war Action, da war vorne. In den 70ern entdeckte ich ihn, im verheißungsvoll benannten Spielwarengeschäft „Alles“ in St. Wendels Bahnhofstraße: ganz hinten im Laden, wo die Verkäuferin notorisch unfreundlich war, aber sich Plastikmodellbausätze bis unter die Decke stapelten. Dort lag auch „Action Man“ im Regal, einmal in britischer Uniform als Soldat, einmal mit Bart und robustem Rollkragenpullover als „Abenteurer“ – eigentlich war er eine Anziehpuppe wie „Barbie“, aber eben als Mann und für Jungs. Gesehen, gekauft, geliebt.

 

Action Man

 

Allerlei Ausrüstung konnte man ihm kaufen, meistens Uniformen und Waffen – das war, man kann es nicht anders sagen, Kriegsspielzeug, das die Eltern schaudern ließ. Aus England kam der Action Man, erleuchtete viele Kinderherzen und animierte so die traditionsreiche deutsche Puppenfirma Schildkröt zur eigenen Produktlinie: „Action Team“ hieß die, war einen Hauch weniger militaristisch und bot immerhin Sinnstiftendes wie etwa Ski-Ausrüstungen. Für einen Zwölfjährigen war das aber weniger aufregend als Themenpackungen wie „Spionage-Abwehr“, „Fallschirm-Kommando“ oder „Australischer Dschungelkämpfer“ (mit Flammenwerfer). „Frieden schaffen ohne Waffen“ war das wirklich nicht – aber es waren glückliche, wenn auch pädagogisch dubiose Nachmittage an der frischen Luft, mit Schlauchbooten in Pfützen oder improvisierten Seilwinden zwischen den Bäumen hinterm Haus.

Die Konkurrenz ließ Action Man weit hinter sich: „Big Jim“ etwa („von Mattellllll!“, wie einen die Werbung anbrüllte), war ein bisschen kleiner, hatte eine scheitelige Plastikfrisur (bei Action Man spross immerhin Kunsthaar) und ein leicht dümmliches Grinsen. Solche mimischen Entgleisungen hatte Action Man nicht nötig, er war der große Stoiker des Kinderzimmers; jeder Unbill begegnete er mit einem Blick irgendwo zwischen teilnahmslos und eisig – auch dem eigenen Ende in den 80er Jahren, mangels Nachfrage.
Mittlerweile gibt es ihn zumindest in England wieder: Aber nicht mehr als Massenspielzeug für Kinder – sondern in kleiner Auflage (und teuer!) für Kinder von einst, die sich in der Midlife-Krise ein wenig Retro-Trost gönnen wollen. Doch der ist trügerisch und flüchtig. Seinem alten Action Man muss man treu bleiben, auch wenn der nur noch im Regal sitzen kann. Wir haben einfach zu viel zusammen erlebt.

Gute Seiten:

www.actionmanhq.co.uk

http://www.action-team.at
Action Man

 

 

 

 

 

Hausbesuch bei Genetikk in der Saarbrücker „Factory“

Genetikk

Zwei ihrer Alben sind aus dem Stand auf Platz eins in Deutschland eingestiegen, die neue CD „Fukk Genetikk“ schaffte es auf Platz 6. Es läuft gut beim Saarbrücker HipHop-Duo Genetikk. Ein Hausbesuch bei Rapper Karuzo und Produzent Sikk in ihrer „Factory“. Ihre Masken blieben dabei im Kleiderschrank, aber Fotos gibt es nur maskiert.

Da wartet man doch gerne. Der Kaffee ist nachtschwarz und könnte Tote erwecken, die Bücher neben dem Sessel sind kiloschwere Edelbände über Architekten wie Le Corbusier und Vincent Van Duysen. Auch ein Beuys-Buch ist mitgestapelt. Das also ist, in einer Straße nahe am Saarbrücker Staden, die Schaltzentrale von Genetikk, einem der erfolgreichsten HipHop-Acts Deutschlands. Während das Duo im Raum nebenan noch ein Telefon-Interview gibt, kann man sich ein wenig umschauen in der „Factory“, wie es seine Zentrale in Anlehnung an Andy Warhol nennt.

Weiße Wände, Fachwerkbalken, ein Nobel-Rennrad (wenn auch mit plattem Hinterreifen); zwei Schreibtische, geschmackvoll beschallt von Soul und Electro. Eine E-Zigarette dampft, ab und an klingelt das Telefon: „Hikids, hallo?“ – keine berufsjugendliche Anrede, sondern der Name des Unternehmens, das Genetikk nebenher führen: ein Modelabel als Absicherung, um das ganze Team, insgesamt sieben Leute, zu ernähren, wenn gerade keine Tournee oder Albumveröffentlichung ansteht.

Das Telefon-Interview ist nun zu Ende; Karuzo, die Stimme von Genetikk, führt herum – in einem Raum stapeln sich Pakete sowohl mit „Hikids“-Textilien als auch mit Genetikk-Merchandise. Nebenan ist eine kleine schallisolierte Kabine mit Mikrofon, daneben ein Raum mit Klavier und Mischpult, das Studio. Musik, Merchandise und Management sind also unter einem Dach, Genetikk sind beneidenswert autark. „Es gibt Künstler, denen die Plattenfirma sagen muss, was sie aufnehmen, was sie anziehen und was sie im Interview sagen sollen“, sagt Karuzo, „wir zählen nicht dazu.“

Als Gesprächspartner sind Genetikk ein eingespieltes Duo, man kennt sich seit Schulzeiten am Deutsch-Französischen Gymnasium in Saarbrücken, machte zusammen Musik, fand ein Plattenlabel und den großen Erfolg. Karuzo übernimmt meist das Reden; Sikk wirft ab und an etwas ein – „wir sind die ersten Saarländer mit goldener Schallplatte seit Nicole – wäre das nicht ein interessanter Aufhänger?“ Interessant ist es jedenfalls, die beiden ohne ihre manchmal gruselverströmenden Masken zu sehen, die sie, wie Karuzo sagt, „anonym und gleichzeitig sofort wiedererkennbar“ machen; hinter denen kann man sich ja was auch immer vorstellen – aber demaskiert sind Genetikk zwei optisch attraktive, gleichzeitig unauffällige Mittzwanziger, denen man jederzeit den eigenen Wohnungsschlüssel anvertrauen würde, damit sie einem im Urlaub die Blumen gießen.

Dass das überhaupt überrascht, mag daran liegen, dass Genetikk in einem Musikgenre operieren, das gerne mit Schocks und Tabubrüchen arbeitet – als Erfolgsprinzip personifiziert etwa von Bushido, der kalkuliert provoziert und dabei zielsicher auf mediale Empörungsbereitschaft setzt. „Über Bushido wirst Du kein böses Wort von uns hören“, sagt Karuzo. Mit dem sei man aufgewachsen und großgeworden. „Die Plumpheit, mit der da manches rüberkommt, finde ich großartig. Das zieht er konsequent durch.“ Genetikk gehen da, auch auf dem gelungenen neuen Album „Fukk Genetikk“, anders, sarkastischer und doppelbödiger an HipHop-Themen wie Geld, Gewalt, Drogen und Sex heran; als kritische Ironiker wollen sie sich dennoch nicht verstanden wissen. „HipHop lebt wie die ganze Popkultur von Klischees“, sagt Karuzo. Mit denen spiele man gerne, „das Plumpe macht ja auch Spaß“. Zudem seien Geld und Sex ja tatsächlich „die Motoren der Welt. Das Banale, Profane hat beim Menschen eine uralte Tradition. Wir alle sind Steinzeit – das Stammhirn gibt den Ton an.“

Geld ist ja nichts Böses

Die vorigen Alben „D.N.A.“ und „Achter Tag“ sprangen aus dem Stand auf Platz eins der Albumcharts, „Fukk Genetikk“ immerhin auf die 6. Genetikk sind also ein blühendes Unternehmen; Geld ist für Karuzo „nichts grundsätzlich Böses. Andy Warhol sagte ja, dass Geldverdienen die schönste aller Künste sei.“ Für das Duo bringt das Geld vor allem Freiheit, selbstverwaltet unter einem Dach zu arbeiten und künstlerisch so gut wie nichts aus der Hand geben zu müssen. Und dass Saarbrücken aus Metropolensicht etwas abseits liegt, hat für Sikk den Vorteil, „das wir mit dem ganzen Zirkus nichts zu tun haben“.

Dass Plattenverkäufe rückläufig sind und selbst ein Nummer-Eins-Album nicht mehr ganz so profitabel ist wie noch vor Jahren, wissen Genetikk. Das junge Publikum hört das neue Album wohl meist auf Diensten wie Spotify, die nicht jeder Künstler schätzt, da die Tantiemen dort eher tropfen denn sprudeln. „So schlecht ist die Quote da gar nicht“, sagt Karuzo, „und man muss akzeptieren, dass sich das ganze Geschäft dahin und etwa zu iTunes verlagert“. Umso wichtiger zum Leben und Überleben sei das Konzertgeschäft – „und deshalb muss man live gut sein“, sagt Karuzo. 100 000 Euro haben sie in ihre kommende Show gesteckt, mit der sie im März in der Region auftreten. Es läuft also gut bei Genetikk. Und wenn es mal nicht mehr läuft? „Dann“, sagt Sikk, „treten wir bei Galas auf oder spielen zur Eröffnung von Autohäusern.“

„Fukk Genetikk“ ist bei Selfmade/Universal erschienen.
Konzerte: 11. März, Den Atelier in Luxemburg.
30. März, Garage Saarbrücken.

Fotos: Hell

 

Genetikk

Genetikk

Genetikk

Ein Vollbad in Kitsch und Farbe: „Flash Gordon“ von Mike Hodges

Flash Gordon

Flash Gordon (Sam Jones) in kurzem Beinkleid. Foto:  ARD Degeto

Geht es bunter? Dem britischen Regisseur Mike Hodges, der 1971 mit „Get Carter“ einen grauen, eisigen Gangsterfilmklassiker drehte, gelang 1980 mit „Flash Gordon“ ein knallbuntes Spektakel. Hodges, nach seinen eigenen Angaben vierte bis fünfte Wahl des Produzenten Dino de Laurentiis („Barbarella“), hatte um die 25 Millionen Dollar zur Verfügung, damals eine mehr als stattliche Summe, und gab sie offensichtlich vor allem für Farbe im Baumarkt aus. Die herrlichen Bauten von John Graysmark, mal verkitschter Art-Deco, mal technoide Futuristik, und die Kostüme von Danilo Donati erstrahlen in Rot und glitzern so golden, dass man manchmal nach einer Sonnenbrille greifen möchte. Die Planetenlandschaften und Modelle sehen so künstlich aus, dass man Absicht vermuten muss: Hier wirkt der Film, entstanden im Science-Fiction-Boom der 80er, den „Krieg der Sterne“ angeschoben hatte, wie ein Anti-„Star Wars“: Während George Lucas seine märchenhafte, aus allerlei Mythen zusammengesetzte Handlung optisch realistisch und mit biblischem Ernst präsentiert, schwelgt Hodges im künstlichen Kitsch – fotografiert von „Star Wars“-Kameramann Gilbert Taylor – badet in Farben, lässt Funken sprühen, Sümpfe blubbern und Queen musizieren – die Musik passt wunderbar in den Kontext, vor allem zu einer Attacke flatternder Falkenmänner auf ein Fluggefährt, bei der sich Dröhngitarre, ein donnerndes Schlagzeug und die Action im Spielzeugland zu einem poppigen Gesamtkunstwerk vereinen.

Der Film basiert auf den Comics von Alex Raymond, die in den 30ern schon mal als Serial verfilmt und in den Siebzigern mit zwei „Flesh Gordon“-Filmen veräppelt wurden. Um einen wackeren blonden Erdling geht es, der auf einem fernen Planeten einem asiatisch wirkenden Bösewicht namens Ming (gespielt von Max von Sydow) zeigt, wo der Hammer hängt, da der Finsterling a) den Planeten Erde bedroht und b) die Freundin des Helden in seinem geräumigen Harem unterbringen will.
Kurz zurück zu „Krieg der Sterne“: Im Gegensatz zum Film sucht die deutsche Fassung Parallelen zu Lucas’ Film – es ist kein Zufall, wenn der Held von Hans-Georg Panczak gesprochen wird, der Stimme von Luke Skywalker, und ein schwarzgewandeter Bösewicht von Heinz Petruo, die deutsche Stimme Darth Vaders.

Viel kritisiert wurde beim Filmstart der schauspielerisch vorher unerfahrene Sam Jones als Flash Gordon – aber schlecht macht er seine Sache nicht. Timothy Dalton, damals vor allem auf der Bühne erfolgreich und erst sieben Jahre später James Bond, spielt einen Prinzen mit Errol-Flynn-Schnurrbart und knallgrüner Uniform; Bühnenkollege Brian Blessed mimt den Anführer der Falkenmänner und frönt lustvoll dem Over-Acting: Wenn er lacht, sieht man geschätzt 80 Zähne und Blesseds Mandeln; jeder Dialogsatz wird schreiend deklamiert, als spreche Blessed für eine Rolle in „300“ vor. Da hätte er auch gut reingepasst – ebenso wie Ornella Muti als libidonös hyperaktive Königstochter.

„Flash Gordon“ läuft in der Nacht von Samstag auf Sonntag ab 1.45 Uhr in der ARD.
DVD und Blu-ray sind bei Studiocanal erschienen.

http://www.studiocanal.de

 

Die folgenden Fotos stammen von Studiocanal, einige entstanden bei den Dreharbeiten vor der „blue screen“, Platzhalter für die später einkopierten bunten Himmelslandschaften.

Flash Gordon

Flash Gordon

Flash Gordon

Flash Gordon

Flash Gordon

Flash Gordon

 

 

 

 

 

Hölle Belfast: „71“ von Yann Demange

Belfast 71

Der junge britische Soldat Gary Hook (Jack O’Connell, Mitte) gerät 1971 in Belfast zwischen die Fronten des Nordirlandkonflikts.

Eine schöne Idee: Gerade läuft die Berlinale, da zeigt 3sat eine Reihe mit herausragenden Produktionen, die bei den Filmfestspielen zu sehen waren und dort prämiert wurden – oder auch nicht. So erging es nämlich dem Film „71“: Bei der Berlinale 2014 erwies sich ausgerechnet dieses Kino-Debüt als eines der souveränsten Werke des ganzen Wettbewerbs – und ging dann bei der Preisvergabe leer aus. Gut also, dass der Film jetzt in TV-Erstausstrahlung zu sehen ist.

In dem Film von Regisseur Yann Demange wird ein junger britischer Soldat nach Irland abkommandiert und landet mehr oder weniger unvorbereitet im Chaos des Belfast von 1971. Bei einer Hausdurchsuchung eskaliert der Hass der Bewohner auf die Soldaten, die Hals über Kopf fliehen – den jungen Kollegen lassen sie dabei zurück. Für den beginnt eine Odyssee durch Hinterhöfe, Schuppen und Wohnungen eines Kriegsgebiets, verfolgt von IRA-Männern, die ihn töten wollen.

Es ist eine einfache Geschichte, aus der Demange finsteres, atmoshärisch nahezu erdrückendes Spannungskino macht. Die Kamera ist mittendrin, wenn in einer Menschenmenge die Aggression erst brodelt und sich dann in Gewalt Bahn bricht; wenn der Soldat atemlos durch lange Gassen und über Hinterhöfe flüchtet; und wenn das nächtliche Belfast, nur erhellt vom Widerschein brennender Gebäude, wirkt wie ein Vorort der Hölle.

Als Zuschauer nimmt man dabei die Perspektive des Verfolgten ein, eines Jedermanns, der nur die Nacht überleben und seine Kaserne wiederfinden will. Jack O’Connell spielt ihn nicht als markigen Helden, sondern als Verzweifelten und restlos Überforderten. Der Film gibt dabei nicht vor, in 90 Minuten die Komplexität des Nordirland-Konflikts aufdröseln zu wollen – die IRA tut hier Furchtbares, aber ebenso die zivile MRF-Truppe des britischen Militärs, die ihrerseits wenig Interesse am Überleben des Soldaten hat. Für den wird es die längste, vielleicht letzte Nacht seines Lebens.

 

 

Belfast 71

 

 

 

 

 

 

„Bier und Spiele“ auf DVD – ein goldener Serien-Oldie

Bier und Spiele

Regisseur Michael Verhoeven, Ehrengast des gerade zu Ende gegangenen Ophüls-Festivals, ist vor allem für Politisches bekannt: „Die weiße Rose“, „Mutters Courage“, „Das schreckliche Mädchen“ oder auch „Der unbekannte Soldat“. Da werden Folgen vom „Kommissar“ oder „Tatort“ rückblickend oft übersehen; jetzt erscheint Verhoevens 1977er TV-Serie „Bier und Spiele“ auf DVD, die in den Mikrokosmos eines Handballvereins namens SV Wallbach führt. Der hat gerade den Aufstieg in die erste Liga geschafft (dank der Bestechung des Gegners) und muss sich in dieser neuen Welt erstmal zurechtfinden – sind alle Spieler noch gut genug? Muss der in die Jahre gekommene Masseur gehen? (Hauptsache, der unfähige Neffe des Sponsors bleibt!).

„OSS 117 – Liebesgrüße aus Afrika“ mit Jean Dujardin

Manche 70er-Jahre-Serien erfreuen ja mit Zeitgeist-Optik von einst und ruhigem Erzählrhythmus; „Bier und Spiele“ bietet zwar auch Schnauzbärte, Schlaghosen und bizarre Tapeten zuhauf – der Rhythmus der 14 Episoden à 25 Minuten ist aber ausgesprochen flott. Schon in der ersten Minute ist klar, dass der bierbrauende Sponsor („Sei schlauer, trink Schauer!“) gottgleich über dem Verein thront; der Manager (Friedrich von Thun) lenkt geschickt, man möchte ihn nicht zum Feind haben, aber unbedingt zum Freund, denn „solange ich hier bin, haben alle ihre Schäfchen im Trockenen“. Die verräucherten Hinterzimmer, muffigen Umkleidekabinen und abgewohnten Vereinskneipen, fast dokumentarisch abgebildet, werden zur Bühne von kleinen und großen Sorgen, Konflikten und immer wieder Mauscheleien – sehr sehenswert.

Erschienen bei Polar Film.

 

Bier und Spiele

 

Bier und Spiele

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