Über Film und dieses & jenes

Monat: Januar 2019

„The Bouncer“ mit Jean-Claude Van Damme

 

Jean-Claude Van Damme The Bouncer Lukas

Erste (Selbst-)Hilfe: Jean-Claude Van Damme. Foto: Labyrinthe Film

 

Was würde man für einen Arbeitsplatz alles tun? Eine Szene im Film „The Bouncer“ denkt die Frage konsequent zu Ende: Wir folgen einem Mann, der sich um einen Job als Türsteher bewirbt, in die labyrinthischen Kellergänge eines Nachtclubs. Zwischen Müll und Bierkästen wartet schon ein halbes Dutzend Mitbewerber. „Wer am Ende noch steht, der bekommt den Job“, sagt der Clubbetreiber. Die Bewerber zögern keine Sekunde, es beginnt ein stoisches Aufeinanderdreschen, Würgen, Treten.

Der finstere Witwer

Es ist die buchstäblich merkwürdigste Szene im finsteren Film „The Bouncer“, einer Produktion aus Frankreich und Belgien, die bei uns auf DVD erscheint. Dass der Film sehenswert ist, liegt nun wirklich nicht am Plot: Ein schweigsamer Witwer  verdingt sich als Türsteher in der Halbwelt und wird von der Polizei gezwungen, als Informant zu arbeiten. Sollte er keine Informationen über einen Clubbesitzer/Geldfälscher heranschaffen, verliert er das Sorgerecht für seine Tochter. Der Mann (namens Lukas) steigt langsam in der Gangsterhierarchie auf, immer in Angst, enttarnt zu werden. (Da muss man beim Lesen fast gähnen).

 

Aber: Die Umsetzung reißt es heraus und macht aus diesem Low-Budget-Film eine kleine Perle des modernen Film Noir. Hauptdarsteller ist Jean-Claude Van Damme, der gefallene Action-Star der 80er/90er Jahre und der bunteste Vogel unter den Muskel-Heroen seiner Zeit. Er brachte einst die ersten Hongkong-Regisseure wie John Woo und Ringo Lam nach Hollywood, torpedierte seine Karriere dann durch kokainbefeuerte  Größenwahnallüren und wurde vor allem in Frankreich und der belgischen Heimat zum gern gesehenen Gast in Talkshows – versuchte er doch mit großen Gesten und schwer nachvollziehbarem Amerikanisch-Französisch die Welt an sich zu erklären. Mit einem derartigen Sinn fürs Absurde, dass in Frankreich gar ein Buch namens „Parlez-vous le Jean-Claude“ seine größten Weisheiten sammelte. Etwa: „Luft ist gut für uns alle. Ohne Luft würden die Flugzeuge vom Himmel fallen.“ Mon dieu!

Die Geschichte der Cannon-Films

Van Damme ist mittlerweile 58, das Haar wird licht, und die Tränensäcke erzählen von einem bewegten Leben zwischen Triumph und Absturz. Das schwingt mit in seiner Darstellung, wobei Autor/Regisseur Julien Leclerq klug genug ist, Van Damme nur wenige Dialoge in den Mund zu legen (gedreht wurde in Französisch). Lange Sätze waren nie seine Stärke, abgesehen von seinem minutenlangen und tränenreichen Monolog in seinem früheren Ausflug ins europäische Kino, „JCVD“ von 2008, einem autobiografischen Film über schwindenden Star-Ruhm und Einsamkeit. Auch wenn das bei „The Bouncer“ mitschwingt, will der Film vor allem ein schnörkelloser Krimi sein. Das gelingt ihm mühelos. Untermalt von dunklen, pulsierenden Synthesizerklängen stapft Van Damme in einem immerwährenden Kapuzenpuli durch eine Grau-in-Grau-Großstadt (Drehort war vor allem Van Dammes Heimat Brüssel), durch Nachtclubs, menschenleere, von Fahrstuhlmusik beklimperte Luxus-Hotels und in einen Bauernhof. Dort findet das eher kleine denn große Finale statt, mit einem halb offenen, anrührenden Ende. Körper und Seele mögen ziemlich angeschlagen sein, aber die Würde ist noch da.

DVD und Blu-ray von Constantin Film. 

Ein Interview mit Dominik Graf: „Naja, ich war halt Anfänger“

Dominik Graf Die Katze Der Fahnder Tatort Polizeiruf John Carpenter Harms

Regisseur Dominik Graf.                                                          Foto: dpa

1982 kamen Sie mit „Das zweite Gesicht“ nach Saarbrücken zu Ophüls. Wie war Ihr Eindruck vom Festival?

Das war, ähnlich wie Hof damals, ein aufstrebendes junges Festival abseits der Kino-Zentren, das sich aber vorrangig um die nachkommende Generation gekümmert hat. Junge Leute mit einem jungen Kino.

Dem „Zweiten Gesicht“ attestieren Sie in Ihrem Buch „Schläft ein Lied in allen Dingen“ eine „quälende Länge“ – ist das nicht etwas harsch?

Naja, ich war halt Anfänger und hatte nicht sehr viel Praxis. Die Filmhochschüler heute drehen viel mehr Filme, kleine Produktionen schnell nebenher an der Hochschule und kommen so mit mehr Erfahrung in ihren ersten Spielfilm hinein. Ich war komplett überfordert als Regisseur und Autor. Ich hatte den fabelhaften Kameramann Helge Weindler, der später für Doris Dörrie gedreht hat, was mich aber vor Probleme gestellt hat, denn Ich konnte einige Fragen, die er hatte, gar nicht beantworten. Ich habe angefangen mit Studentenfilmen, in denen ich immer nur Großaufnahmen von einem Gesicht gefilmt habe, weil ich mehr als einen Schauspieler im Bild beim Inszenieren gar nicht beurteilen konnte. Mein Glück war, dass man damals längere Zeit die Möglichkeit hatte, Mist zu bauen. Aber ich weiß noch, dass Regisseur und Filmjournalist Eckhart Schmidt mich ein paar Jahre und ein paar Filme weiter warnte: „So, jetzt muss es aber mal klappen.“ In der Zeit der Fernsehserien bei der Bavaria habe ich mir dann immerhin eine gewisse Professionalität und ein schnelles Urteil am Set bilden können.

Sie schreiben im Buch auch, dass Sie sich früh vorgenommen haben, „keine Handschrift haben“ zu wollen. Wie ist das gemeint?

Ja, das war gegen das Autorenkino gerichtet. Vor der Generation, zu der ich gehöre, standen Fassbinder und Wenders im Rampenlicht. Und bei deren Generation hatten wir immer das Gefühl, dass der unbedingte Willen zur eigenen Handschrift den Filmen manchmal ein bisschen schadete. Wir waren eher auf der Suche nach Genrefilmen, nach Erzählkino und einer Normalität, auch in der Schauspielerführung – was mir lange überhaupt nicht gelungen ist. Es gibt diesen schönen Satz von Jean Cocteau, dass man keine künstlerische Handschrift haben wollen darf – aber dass einem das dann auf keinen Fall gelingen sollte. Insofern kann es natürlich absurderweise auch sein, dass gerade in den Defiziten und Fehlern, die „Das zweite Gesicht“ hat, doch eine eigene Handschrift vorgeprägt ist.

Haben Sie früher mit einem gewissen Neid nach Frankreich geschaut, wo man ein Starsystem hat und keine Berührungsängste mit dem Genrefilm, anders als hier?

Allerdings. Gerade beim Genrefilm ist der Unterschied arg. Die Franzosen hatten in den 1990ern ja mal ein paar Jahre Pause beim Polizeifilm, aber seit den 2000ern kommt bis heute wieder ein fantastisches Ding nach dem anderen. Kleine, oft unglaublich rabiat gedrehte Gangster- und Polizeifilme fürs Kino. Uns fehlen auch die Stars, die ein Genrekino dringend braucht. Jemand wie Götz George etwa hat bei „Die Katze“ damals allein schon mal eine Million Zuschauer mobil gemacht.

Verhindert bei uns nicht aber der allgegenwärtige „Tatort“ im Fernsehen, dass auch Krimis fürs Kino produziert werden?

In gewissem Sinn schon. Ich drehe ja auch „ Polizeirufe“ und „Tatorte“, das sind für mich die billigeren,die einfach zu finanzierenden Thriller. Wenn man dieses Genre nochmal ins Kino übertragen will, dann muss man die Filme über ein gewisses ästhetisches Level heben, damit das Publikum weiß, dass hier etwas anderes läuft als das, was jeden Tag im Fernsehen zu sehen ist. Eine hohe Finanzierung von Genrekino ist aber bei uns schwierig, weil es kein Zutrauen gibt, das war schon bei „Die Katze“ so und bei „Die Sieger“ noch mehr. Seither habe ich mich dann nicht mehr wirklich darum bemüht. Es ist schwer zu sagen, wie sich heute ein Kino-Genrefilm unterscheiden müsste von einem Genrefilm im Fernsehen. Die Versuche, die andere Leute seit den 1990er unternommen haben, so spannend sie waren, haben nicht wirklich die Schallmauer der Anti-Genre-Haltung durchbrechen können. Sogar Til Schweiger mit seinem Kino-„Tatort“, seinem Actionfilm „Schutzengel“ und mit seinem so großen Publikumsreservoir hat es nicht wirklich geschafft – wenn auch mehr als alle anderen. Es ist halt so: Nur die Komödie läuft noch in Deutschland. Andererseits gibt mir aber auch das Fernsehen die Chance, auf hohem Niveau zu erzählen, wie zum Beispiel bei „Im Angesicht des Verbrechens“.

Liefe solch eine Reihe heute bei Netflix? Sind die Streamingdienste eine Chance gerade für junge Filmemacher?

Ich kann die Streaming-Plattformen nicht einschätzen. Was ich dort sehe, zeigt mir bei den deutschen Produkten bislang keine Richtung, die mich interessiert. Es wird zwar gerade wie verrückt produziert, nachdem die Deutschen nach nur 20 Jahren internationalem Serienhype gemerkt haben, dass Serien interessant sein könnten. Aber jetzt ist der Hype schon fast wieder vorbei – ich sehe die Serie an sich eher schon auf dem absteigenden Ast.

Wie ist Ihr Verhältnis zur Filmkritik? Bei „Die Katze“ etwa wurde viel gemäkelt, das sei alles zu amerikanisch. Heute wird das ganz anders gesehen. Wie ernst nehmen Sie Filmkritik?

Das ist personenabhängig. Die Film- und vor allem die Fernsehkritik als Ganzes kann man zur Zeit nicht wirklich ernst nehmen, weil überwiegend filmisch ignorante Leute schreiben. Aber es gab immer und es gibt natürlich in Zeitungen und in sehr speziellen Internet-Blogs Leute, die einen mit ihren Kommentaren Kritiken zum Nachdenken bringen, auch wenn sie einem auf die Finger klopfen. Und wenn sie einen loben, hat es Hand und Fuß. Aber bei vielen Kritikern ist ja sogar das Lob blind, es werden inhaltliche Banalitäten belobigt. Das kann man nicht annehmen.

Sie sind seit 2012 in der Jury des Michael-Althen-Preises, der an den Filmjournalisten Michael Althen erinnert, mit dem Sie unter anderem den Filmessay „München – Geheimnisse einer Stadt“ gedreht haben. Da muss es doch bessere Texte geben?

Letztes Jahr gab es einen tollen Text von Oliver Nöding über Rolf Olsens Krimi „Blutiger Freitag“ von 1972, dem hätte ich so sehr einen Preis gegönnt . Das ist eine schöne Art von Schreiben über Film, temperamentvoll, leidenschaftlich, frech, modern, persönlich, mit viel Wissen über die Filmgeschichte, obwohl Nöding 30 Jahre jünger ist als ich. Das macht Hoffnung.

Sie haben viele Preise gewonnen – ist das nicht auch gefährlich? Zementieren Preise nicht das, was man tut, und hemmen die Experimentierlust?

Nein, man muss sich immer bewusst sein, dass Preise aufgrund der Jurybesetzungen häufig so gut wie nichts bedeuten – die Preis-Kriterien sind heute meistens themen- und nicht wirklich filmorientiert, und da muss man sich eher schämen wenn man was gewinnt.

Sie haben in Ihrer Zeit bei der Bavaria lange mit dem Produzenten Günter Rohrbach gearbeitet, der aus Neunkirchen stammt – wie ist Ihr Blick auf ihn heute?

Er ist eine ganz große Figur. Wir haben uns über die Jahre und ein halbes Dutzend Filme lang ja auch heftig aneinander gerieben, aber ich habe ihm viel zu verdanken, weil er mich aus dem Vorabendserien-Dasein zum Kinofilm gebracht hat. Der Vorschlag, dass ich „Die Katze“ machen sollte, kam von ihm. Er hat schwierige Finanzierungen zusammenbekommen, und wenn die zu knapp waren, hat er sich trotzdem getraut, den Film zu machen. Er wollte Publikumsfilme und hohe Qualität zusammenbringen, wie bei Petersens „Boot“, da war er bahnbrechend, nicht nur bei der Bavaria. Man hatte damals ja die Vorstellung und den Wunsch, dass kommerzielle Filme auch möglichst gut werden sollen. Ich stelle Günter Rohrbach ebenbürtig neben Bernd Eichinger – mindestens.

Ihr Polizeifilm „Die Sieger“ war 1994 für einen deutschen Film sehr teuer, hat dann kein Publikum gefunden, und die Kritiken waren auch schlecht. Wie weh tut das?

Das war ein Niederschlag, aber da müssen die meisten Regisseure im Laufe ihrer Karriere ja durch. Ich wollte in jeder Hinsicht hoch hinaus damit, da kriegt man – nicht immer zu Unrecht- was auf die Ohren. Und vielleicht war es auch überraschend, dass der Film quasi nur zum Schein ein Polizeifilm st, gleichzeitig eher ein Gespensterfilm über die schaurige „Hoch die Tassen“-Bundesrepublik der 1990er. Ich habe „Die Sieger“ immer sehr geliebt wie ein widerborstiges Kind, und ich halte vieles daran für gelungen – aber nicht alles. Auf der Berlinale läuft er jetzt in der „Classics“-Reihe nochmal in einem Director’s Cut, zwölf Minuten länger, mit unter anderem zwei grossen Szenen, die sehr wichtig, aber jetzt erstmals im Film zu sehen sind.

Vielleicht ein gewagter Spagat – aber mich hat die Rezeption an die von John Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“ erinnert: vernichtende Kritiken, ein Flop – und Carpenter war, anders als Sie, danach nicht mehr ganz derselbe.

Ich wusste nicht, dass die Kritiken damals so schlecht waren. Ich finde den Film fantastisch, das ist einer seiner allerbesten. Aber es ist oft so bei sehr guten, bei großen Regisseuren, dass die Filme, die den größten Erfolg hatten, gar nicht unbedingt ihre besten sondern eher die -für ihre Verhältnisse-mittelmäßigen waren. Und dass die untergegangenen, beschimpften Film auf Dauer die stärksten sind.

Sehen Sie das bei sich auch so?

Nein, das will ich auf mich nicht anwenden, weil ich mich eher in so einem cineastischen Mittelmaß verorte. Ich tue, was ich kann, und lerne immer noch dazu.

Vor 20 Jahren haben Sie mit Heiner Lauterbach den Film „Der Skorpion“ gedreht, für viele einer ihrer besten Arbeiten – werden Sie mal wieder zusammenarbeiten?

Wir hatten das geplant – eine sehr gute Kiez-Serie, die Nikolai Müllerschön geschrieben hat. Das wollten wir machen, aber im Moment ist die Finanzierungslinie etwas abgeschnitten.

Müllerschön hat mit Lauterbach den rauen Krimi „Harms“ gedreht – ist das eine Art Kino, von dem Sie sich wünschen, es gäbe mehr davon?

Natürlich, „Harms“ fand ich absolut herausragend. Ein Film, der plötzlich da war – im Grunde habe ich ihn nur auf DVD wahrgenommen, weil er so schnell aus dem Kino wieder verschwunden war. Furchtbar. Auch da haben sich leider einige Filmkritiker wenig mit Ruhm bekleckert, weil sie nicht gemerkt haben, was für eine Kraft und Melancholie in diesem schönen Film steckt. Es kann aber auch sein, dass das Schauen aufs Kino sich verändert hat. Dass bestimmte Qualitäten, die man in einem Film lesen könnte, sogar eher störend wirken. Das Publikum möchte den denkbar schlichtesten Flow. Niemand will sich mehr Mühe machen im Kino, das Leben ist schon zu schwierig. Und wenn ein Film dann auch noch maue Kritiken bekommt, dann hat er schnell gar keine Chance mehr.

Wie schauen Sie sich eigentlich Filme an? Vor allem im Kino?

Nein. Im Kino interessiert mich momentan wenig wirklich vital. Ich schaue DVD. Einen großen Beamer habe ich nicht, ich muss gestehen, dass ich manche Filme sogar am Laptop schaue. Als Student hatte ich einen winzigen Schwarz-Weiß-Fernseher, auf dem habe ich Kavallerie-Western von John Ford gesehen – ich bin so nahe rangekrochen, bis das Monumental Valley wieder groß war.

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