Über Film und dieses & jenes

Kategorie: Kino vor Ort (Seite 1 von 2)

Neuer Leiter des Saarbrücker Filmhauses: Nils Daniel Peiler

Nils Daniel Peiler, 1988 in Saarbrücken geboren, ist ab 1. März Leiter des Saarbrücker Filmhauses. Foto:  Jessica Rhodes

Seine Wahl könnte durchaus ein Glücksgriff sein. Ab diesem Freitag ist Nils Daniel Peiler neuer Leiter des Saarbrücker Filmhauses und damit Nachfolger von Christel Drawer, ehemals Leiterin des Ophüls-Festivals, die das Kino zuletzt leitete und jetzt in Ruhestand geht. Der promovierte Filmwissenschaftler Peiler kommt nach einigen Jahren als Kurator der Kinemathek Hamburg jetzt in seine Geburtsstadt Saarbrücken zurück – und ins Filmhaus, „wo ich als Kind, Jugendlicher und junger Erwachsener regelmäßig Zuschauer war“, wie er sagt. „Für mich schließt sich gewissermaßen ein Kreis.“​ Saarbrückens Kulturdezernentin Sabine Dengel zeigt sich „sehr froh darüber, dass wir aus einer Vielzahl qualifizierter Bewerbungen jemanden mit großer Expertise auswählen konnten, der darüber hinaus bestens mit der Kinolandschaft Saarbrückens vertraut ist“.​

Promotion über Kubricks „2001“​

Beides ist nicht übertrieben. Peiler studierte Germanistik und Bildwissenschaften der Künste an der Universität Saarbrücken sowie Film- und Medienwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt, der Sorbonne Nouvelle in Paris und der Universität Amsterdam. Promoviert hat er mit einer Arbeit über die Rezeptionsgeschichte von Stanley Kubricks Science-Fiction-Klassiker „2001: Odyssee im Weltraum“ – Peiler war auch einer Kuratoren der exzellenten 2018er-Ausstellung über Kubrick und „2001“ im Deutschen Filmmuseum Frankfurt.​

Ohne cineastische Scheuklappen​

In Saarbrücken hat Peiler, der auch als Lehrbeauftragter gearbeitet hat, Vorträge über Kino hält und journalistisch über Film schreibt, einige denkwürdige Veranstaltungen und Reihen im Kino Achteinhalb organisiert, die ihn als Person ohne cineastische Scheuklappen ausweisen. 2013 organisierte er eine Werkschau über Regisseur Stanley Donen („Singing in the Rain“) und eine viel beachtete komplette Retrospektive zu Filmemacher Wes Anderson („Grand Budapest Hotel“). 2014 zeigte er eine Reihe mit Filmen mit Louis de Funès, 2017 das Gesamtwerk von Jacques Tati – alles begleitet mit Einführungen und Diskussionen. 2018 wagte er im Achteinhalb ein gelungenes Experiment: Er zeigte Kubricks „2001“, kommentierte und erklärte den Film dabei. Im selben Jahr kam er zurück ins Achteinhalb und brachte den Komponisten Christian Bruhn mit, der dort am Klavier unter anderem seine Melodien zu „Wickie“ und „Timm Thaler“ spielte.​

Arbeit im Metropol Kino​

Zu dieser Zeit arbeitete Peiler schon für die Kinemathek Hamburg und deren Metropolis Kino – dort kuratierte er jüngst eine Horst-Buchholz-Reihe, auch gab es zuletzt Veranstaltungen mit Armin Mueller-Stahl und dem Musiker Irmin Schmidt (Can). Von Peiler kann man nun im Filmhaus  einiges erwarten. In diesem „attraktiven Ort mit herausragender Geschichte“ sieht er „großes Potential“.
(Interview folgt)

Kinoperle: Die Schauburg in Karlsruhe

Besuch in einem außergewöhnlich schönen Kino: die Schauburg in Karlsruhe.
1929 wurde sie erbaut, im Zweiten Weltkrieg zerstört, 1949 neu aufgebaut. Seit 2005 findet hier das Todd-AO-70mm-Festival statt.
Das Kino hat drei Säle: das Schauburg-Cinerama mit gekrümmter Leinwand von 17 auf sieben Meter (350 Plätze), das Cinema (150 Plätze), siehe Foto, und  das Bambi (61 Plätze). Programm unter Schauburg – Das Filmtheater in Karlsruhe.

 

Wenn das Kino der Kindheit vor sich hin bröckelt

Die selige Videothek in der Bleichstraße

Ein Fundstück aus der VHS-Ära

 

„Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ – Interview mit Regisseur Adrian Goiginger: „Ohne Voodoo würde es den Film gar nicht geben“

Die Bühne ist seine Heimat, mag sie noch so klein sein oder noch so verräuchert: Voodoo Jürgens als Musiker „Rickerl“ in einer Szene des Films, der an vielen sehr atmosphärischen Wiener Schauplät

Die Bühne ist seine Heimat, mag sie noch so klein sein oder noch so verräuchert: Voodoo Jürgens als Musiker „Rickerl“ in einer Szene des Films, der an vielen atmosphärischen Wiener Schauplätzen entstanden ist. Foto: Alessio M. Schroder / Giganten Film /Pandora Film

 

Der Film „Rickerl“ hat die 45. Ausgabe des Filmfestivals Max Ophüls Preis eröffnet. Er erzählt vom Wiener Musiker Erich „Rickerl“ Bohacek und dessen Versuch, von seiner Kunst zu leben. Aber ihm bleiben vor allem das Tingeln durch Wiener Kneipen oder Auftritte bei Begräbnissen. Die Hauptrolle spielt der Wiener Liedermacher Voodoo Jürgens. Regisseur und Autor des Films ist Adrian Goiginger, dessen erster Spielfilm „Die beste aller Welten bei der Berlinale lief.

Glückwunsch zum Film und zum Platz als Eröffnungsfilm in Saarbrücken – wie kam es dazu?​

GOIGINGER Wir sind einfach eingeladen worden – da „Rickerl“ mein vierter Spielfilm und Ophüls ein Nachwuchsfestival ist, hätte ich auch nicht mehr in den Wettbewerb gepasst. Wir freuen uns sehr – und es hilft uns auch bei unserem deutschen Kinostart am 1. Februar.​

Waren Sie vorher schon mal beim Ophüls-Festival?​

GOIGINGER Nein, aber wir wären gerne mal hier gewesen – 2016 hatten wir „Die beste aller Welten“ für den Wettbewerb eingereicht, wurden aber nicht genommen. Dann hatte der Film seine Premiere bei der Berlinale 2017. Das war auch nicht schlecht.​

Der Regisseur und Autor Adrian Goiginger (32). Sein nächstes Kinoprojekt nach „Rickerl“ ist „Vier minus drei“ nach dem Buch von Barbara Pachl-Eberhart  Foto: Giganten Film

Der Regisseur und Autor Adrian Goiginger (32). Sein nächstes Kinoprojekt nach „Rickerl“ ist „Vier minus drei“ nach dem Buch von Barbara Pachl-Eberhart.  Foto: Giganten Film

Am Anfang von „Rickerl“ ist ganz kurz Regisseur Arman T. Riahi als Friedhofsgärtner zu sehen. Er und sein Bruder Arash, auch Regisseur und Produzent,  sind mit ihren Filmen regelmäßig beim Ophüls-Festival dabei. Wie kam es zu dem Gastauftritt?​

GOIGINGER Ich hatte in seinem Film „Fuchs im Bau“, der ja auch bei Ophüls  lief, eine kleine Rolle gespielt, da hatte er mich ins kalte Wasser geschmissen – und das habe ich jetzt mit ihm gemacht. Wir sind Freunde und haben wir uns den Gag erlaubt, uns gegenseitig zu besetzen. Es sind nur winzige Rollen, denn Schauspieler sind wir beide nicht.​

Wie bekannt ist Ihr „Rickerl“-Hauptdarsteller Voodoo Jürgens, bürgerlich David Öllerer, in Österreich? Es liegt sicher an mir, aber ich hatte zuvor von ihm noch nie gehört.​

GOIGINGER In Österreich ist er sehr bekannt, dort kennt fast jeder seinen Namen, in Wien jeder – da sind seine Konzerte immer ausverkauft. In Deutschland kennt man ihn eher in den großen Städten, er hat da ein junges urbanes Publikum.​

War er der Anstoß zum Film? Oder hatten Sie erst die Idee zu „Rickerl“ und mussten dann den richtigen Darsteller suchen?​

GOIGINGER Ohne Voodoo würde es den Film gar nicht geben. Erst durch seine Musik bin ich auf die Idee des Films gekommen, der eben nur mit ihm in der Hauptrolle und mit seiner Musik funktioniert. Ich habe ihn dann ganz offiziell über das Management kontaktiert, zu einem Casting eingeladen. Insgesamt hat es vier, fünf Jahre gedauert vom ersten Treffen bis zum fertigen „Rickerl“ – was für einen Film ziemlich normal ist.​

Musiker Stefan Mathieu: „Ein Werk darf auch verschwinden“

Wie haben Sie das Drehbuch geschrieben?                      ​

GOIGINGER Wir haben uns immer wieder getroffen, er hat mir Geschichten erzählt, ich habe ihn ausgefragt über seine Texte, wir haben über Figuren gesprochen, darüber, welche Songs unbedingt in den Film müssen – und das Ganze habe ich dann als Drehbuchautor zusammengefasst.​

Voodoo ist nun kein Schauspieler – hatten Sie Angst, dass das nicht funktioniert?​

GOIGINGER Am Anfang schon, deshalb haben wir einen Probedreh gemacht und an einem Tag  einen Kurzfilm gedreht. Dann haben wir fünf, sechs Wochen geprobt. Da war mir klar, dass er das Ganze sehr ernst nimmt und dass er grundsätzlich Talent hat – technische Dinge kann man ja lernen.​

Aber er spielt nicht sich selbst?​

GOIGINGER Nein, er hat das selbst am besten gesagt – er hat die Kunstfigur Voodoo Jürgens geschaffen und jetzt die Kunstfigur Rickerl, der er seine Songs leiht. Es gibt zwar Parallelen zwischen Rickerl und Voodoo – er war selbst auch oft beim „Service für Arbeitssuchende“, hat bei einem Friedhof gearbeitet – aber der Film ist keine Biografie. Biopic ist nicht mein Genre. Uns ging es um das Lebensgefühl der Texte und das in Wien.​

Der Film hat in der deutschen Kinoversion deutsche Untertitel – auch in Österreich?​

GOIGINGER Nein, der Dialekt ist in Österreich leicht verständlich. Da gibt es schwerer verständliche – im Vorarlberg oder in Tirol etwa. In Deutschland hat der Film je nach Region Untertitel oder nicht. In Bayern sollte es ohne Untertitel gehen, aber nördlich von der Isar kann es dann schon eng werden. Ich bin selbst ja kein Wiener, sondern Salzburger – deshalb musste mein Drehbuch erstmal ins Wienerische übersetzt werden, das ich nicht beherrsche. Als Nicht-Wiener Österreicher hat man generell eine gewisse Hassliebe in Richtung Wien. Man mag die Wiener nicht so, weil sie so „großkopfert“ wirken und ein bisschen auf die Bundesländer herabschauen. Zugleich bewundert man sie auch, weil sie so einen Schmäh haben, so einen Wortwitz. Den Humor würde ich mit dem jüdischen Humor vergleichen, ein bisschen makaber, dabei elegant.​

Wie haben Sie als Nicht-Wiener die Wiener Drehorte gefunden und ausgesucht?​

GOIGINGER Mir wären nur die üblichen touristischen Drehorte eingefallen. Aber Voodoo kennt sich aus, hatte seine Ideen, und im Team waren vor allem Wienerinnen und Wiener, das hat geholfen.​

Es gab keine Studiosets oder Ähnliches?​

GOIGINGER Nein, wir waren an Originalschauplätzen, haben mit möglichst kleinem Team gearbeitet und in den Kneipen auch ein paar Stammgäste als Schauspieler engagiert – mit einer kleinen Rolle und ein paar Sätzen. Das schafft eine schöne Authentizität.​

Der Film ist digital gedreht, was ja oft eine sehr glatte Anmutung hat. „Rickerl“ sieht aber schön körnig aus, manchmal fast wie altes 16-Millimeter-Material.​

GOIGINGER Kameramann Paul Sprinz hat alles versucht, um einen möglichst analogen Look zu schaffen. Wir konnten nicht mit analogen Filmkameras drehen, das kostet mehr, auch die Beleuchtung ist aufwändiger, das hätte uns im Ablauf gestört. Auch inhaltlich wollten wir einen nostalgischen Retro-Charme schaffen. Rickerl hat kein Smartphone, und man darf noch überall  rauchen.​

Es wird auffällig viel geraucht in Ihrem Film.​

GOIGINGER In Österreich gibt es ja im Gegensatz zu Deutschland ein komplettes Rauchverbot. Das hat ganz viele Wiener hart getroffen, denn in den vielen Caféhäusern gehört das Rauchen zum Teil der Kultur. Da dachten wir, wir drehen eine Komödie, die etwas überhöht und überspitzt ist – und da darf man überall noch rauchen, im Kino, in der Straßenbahn und so weiter.​

Wie dreht man denn Rauch-Szenen in den Kneipen, wenn es Rauchverbot gibt?​

GOIGINGER Für Filmdrehs gibt es natürlich Ausnahmen. Man darf ja auch privat keine Autos in die Luft jagen.​

Ihr Film ist sehr bittersüß, bringt Witz und Melancholie zusammen. Haben Sie da ein Vorbild?​

GOIGINGER Ja, Charlie Chaplin. Bei seinem Film „The Kid“ gibt es anfangs einen Text, dass man als Publikum bei dem Film lachen kann – und vielleicht auch eine Träne vergießen.  Bei Filmen wird ja manchmal vergessen, dass es das gleichzeitig gibt. Nur Komödie oder nur trauriger Film – das mag ich nicht. Beides im Film zu haben, war eigentlich nicht so schwierig, weil wir durch den Wortwitz schon einigen Humor haben, und die Vater-Sohn-Beziehung ist sehr anrührend.​

Im Film schaut sich Rickerl Szenen aus den 60er-Jahre-Filmen „Heißes Pflaster Köln“ und Die liebestollen Dirndl von Tirol“ an – beides von der berühmt-berüchtigten Produktionsfirma Lisa Film, die uns unter anderem „Ein Schloss am Wörthersee“ und die „Supernasen“-Filme mit Thomas Gottschalk und Mike Krüger kredenzt haben. Wie kamen Sie auf die Filme?​

GOIGINGER „Heißes Pflaster Köln“, einer der Lieblingsfilme von Voodoo, wollte ich unbedingt im Film haben. Der spielt in Köln im Unterweltmilieu, das plötzlich von Gangstern aus Wien aufgemischt wird, was sehr witzig ist. Und „Liebestolle Dirndl“ läuft ja in einem Sex-Shop, in dem der Rickerl arbeitet. Da schaut sich sein Sohn die ersten Minuten von diesem Fummel- und Schmuddelfilm an. Und so war es auch bei mir: Meine Mutter hat in einem Sex-Shop gearbeitet, und ich habe als Kind von solchen Filmen die ersten fünf oder zehn Minuten sehen dürfen – in denen eben noch nichts geschehen ist.​

Ihr Film läuft jetzt bei einem Festival, das sich dem Nachwuchs widmet – was würden Sie diesem Nachwuchs raten?​

GOIGINGER Ich bin früh mit Filmen gescheitert, die ich nach irgendwelchen Bedürfnissen ausgerichtet habe. Da dachte ich mir: Dann kann ich das auch mit Filmen tun, an denen mein Herz hängt. Und ab da lief es besser. Man sollte nicht spekulieren, was vielleicht gut ankommen kann. Man ist immer am besten, wenn man 100 Prozent an das glaubt, was macht. Ich weiß, dass das kitschig klingt – aber es stimmt eben.​

 

Der Film läuft noch einmal am Freitag, 26.1., um 19.30 Uhr im Cinestar. Bundesstart am 1. Februar über Pandora Film.
Karten, Programm, Termine:
www.ffmop.de​

Interview zu Doku über Asta Nielsen: „Das war eine feministische Ansage“

Asta Nielsen auf einer historischen Starpostkarte.

Asta Nielsen auf einer historischen Starpostkarte.      Foto: Stiftung Deutsche Kinemathek

Asta Nielsen (1881-1972) war der erste große Star des Stummfilms, die Dänin spielte in vielen deutschen Produktionen unkonventionelle Figuren und lebte auch unkonventionell: Sie gestaltete ihre Karriere selbst, handelte eine frühe Gewinnbeteiligung aus, verlor zweimal ihr Vermögen und heiratete mehrfach, zuletzt im Alter von 88 Jahren. In der aktuellen Ausstellung „Der deutsche Film“ im Weltkulturerbe Völklinger Hütte hat sie einen prominenten Platz und ist nun auch das erste Thema im Rahmenprogramm. Die Filmemacherin Sabine Jainski zeigt ihre Doku „Asta Nielsen – Europas erste Filmikone“. ​

 

Wenn man Asta Nielsens Popularität auf ihrem Zenit mit der eines weiblichen Stars von heute vergleicht – wer würde ihr gleichkommen?​

JAINSKI Vielleicht Cate Blanchett? Es müsste eine Frau sein, die auf der ganzen Welt ein Superstar ist und sowohl als Komikerin wie als ernste Schauspielerin Erfolg hat, die eine Rollenbreite vom Teenager bis zur alternden Prostituierten verkörpern kann. Ich bezweifle, dass Schauspielerinnen heute überhaupt noch so viel Freiheit und Vielfalt zugestanden wird, wie sie sich Asta Nielsen damals nehmen konnte. Am ehesten gelang das vielleicht Schauspielerinnen wie Meryl Streep oder Helen Mirren über den gesamten Verlauf ihrer Karriere. Asta hat ja „nur“ im Alter zwischen 29 und 51 Jahren im Film gespielt.​

 

Die Journalistin und Filmemacherin Sabine Jainski. Foto: Elena Ternovaja

Die Journalistin und Filmemacherin Sabine Jainski.     Foto: Elena Ternovaja

Wie kamen Sie auf das Thema Asta Nielsen?​

JAINSKI Die neue Biografie von Barbara Beuys, „Asta Nielsen. Filmgenie und neue Frau“, gab den Anstoß für meinen Film, die Idee kam von der Produzentin Irene Höfer von Medea Film Factory. Ich kannte Asta Nielsen nur oberflächlich als Stummfilmstar, aber ich hatte keine Ahnung, was für eine faszinierende Persönlichkeit sich hinter dem Namen verbarg. Sie hat als alleinerziehende Mutter aus einem Arbeiterhaushalt um 1900 selbstständig eine Schauspielkarriere verfolgt. Besonders spannend fand ich, welche kreative Freiheit sie im frühen Film genoss – sie gestaltete ihre Rollen selbst, bis hin zu Maske und Kostüm, und beteiligte sich auch an Regie und Schnitt. Die Filme realisierte sie gemeinsam mit ihrem Partner, Drehbuchautor und Regisseur Urban Gad, und sie suchte sich unglaublich vielfältige Rollen aus: als alleinerziehende Mutter, arme Putzfrau, verliebter Teenager, aber auch als Bergwerksbesitzerin oder als Suffragette. Das war auch eine feministische Ansage: Frauen wollen eigene Karrieren, sie wollen nicht an Heim und Herd gekettet sein, sie wollen selbst über ihr Leben bestimmen, und sie wollen das Wahlrecht.​

In Ihrem Film heißt es, dass Nielsen keine klassisch-konventionelle Schönheit war – was hat das männliche Kinopublikum an ihr fasziniert?​

JAINSKI Ihre schlanke Figur wäre heute sehr gefragt, aber in den 1910er Jahren orientierte sich das weibliche Schönheitsideal eher an der Rubens-Figur. Zudem war sie dunkelhaarig und nicht blond, was auch manchen Dänen nicht gefiel. Erst in den 1920er Jahren wurden die androgynen „Neuen Frauen“ mit Bubikopf modern, die sie so erfolgreich verkörperte. Die Filmkritikerin Nanna Rasmussen sagt in meinem Film, dass sie ein Symbol gefährlicher, faszinierender Erotik war – sie wirkte geheimnisvoll und verführerisch.​

Alte Kinoanzeigen

Und das weibliche Kinopublikum?​

JAINSKI Das frühe Kino war auch ein Freiraum für das weibliche Publikum, wie die Biografin Barbara Beuys in meinem Film erklärt. Die Frauen konnten sich in Asta Nielsens Figuren wiederfinden, weil sie den Alltag ihrer Zeit auf die Leinwand brachte. Asta spielte berufstätige Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten und zeigte, wie schwer der berufliche Aufstieg war, oder welche Folgen eine unerwünschte Schwangerschaft für Frauen hatte. Sie zeigte, in welchen Abhängigkeitsverhältnissen sich die Frauen befanden. Und wenn sie Männer spielte, war sie durchaus auch für Frauen eine große Verführerin.​

Sie hat unter der Marke „Die Asta“ Dinge vermarktet – war sie eine Pionierin des Merchandise? Und eine Gewinnbeteiligung an Filmen auszuhandeln, war damals auch unerhört, oder?​

JAINSKI Es war eher so, dass andere Geschäftsleute ihre Popularität ausnutzten und Dinge unter ihrem Namen herausbrachten. Sie hat versucht, das zu begrenzen und zu kontrollieren. Vor Gericht ist sie damit allerdings gescheitert. Das Merchandise entstand eher gegen ihren Willen, aber es war wohl zum ersten Mal derart umfassend – es gab unter anderem Schnittchen, Seife, Parfum und Operngläser. Die Gewinnbeteiligung von einem Drittel der Filmeinnahmen war dagegen wirklich ihr großer Coup. Das war 1911, sie hatte ja gerade erst mit ihrem dänischen Filmdebüt einen Riesenerfolg gelandet, und nun sollte sie die große Chance auf eine langjährige Serie in Deutschland bekommen – und da hat sie gleich alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen. Sie hat sehr früh begriffen, dass sich mit Filmen Geld verdienen lässt und dass sie sich selbst als Filmstar vermarkten muss.​

Ein Blick in die Völklinger Ausstellung „Der deutsche Film". Es läuft ein Filmausschnitt aus „Engelein" von 1914, daneben hängt das Plakat zum Film mit Asta Nielsen. Foto: Hans-Georg Merkel / Weltkulturerbe Völklinger Hütte

Ein Blick in die Völklinger Ausstellung „Der deutsche Film“. Es läuft ein Filmausschnitt aus „Engelein“ von 1914, daneben hängt das Plakat zum Film mit Asta Nielsen. Foto: Hans-Georg Merkel / Weltkulturerbe Völklinger Hütte

Nielsen spielte einen weiblichen „Hamlet“, der sagt: „Ich bin kein Mann, muss aber auch keine Frau sein“. Wie wurde das damals verstanden und aufgenommen? Das klingt sehr aktuell.​

JAINSKI Soweit ich weiß, hatte die französische Theaterschauspielerin Sarah Bernhardt als erste Frau den „Hamlet“ gespielt, das war sicher ein Vorbild für Asta Nielsen. Asta hatte auch schon in den 1910er Jahren mehrere komische Hosenrollen gespielt. In „Das Liebes-ABC“ sieht sie fast aus wie Charlie Chaplin. Ihr „Hamlet“ war 1922 ein weltweiter Hit, weil sie in dieser Rolle als Komikerin und als tragische Heldin brillieren konnte. Sie gab der Figur Hamlet damit eine ganz andere Motivation, nicht nur den Vater, sondern auch die eigene unterdrückte Existenz als Frau zu rächen. Sie spielt eine Figur, die zwischen den Geschlechtern steht und die feste Rollenzuschreibung von Mann und Frau infrage stellt. Das ist genau das, was wir heute diskutieren. Ich war immer wieder unglaublich verblüfft, dass Asta Nielsen bereits vor über 100 Jahren genau dieselben Fragen gestellt hat, an denen wir heute immer noch knabbern. Offenbar sind wir gesellschaftlich doch noch nicht so viel weiter als in den 1920er Jahren.​

Das nostalgische Kinomagazin „35 Millimeter“

Nielsens Filmkarriere endete in den 1930ern – warum? War es der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm, der manche Karrieren abrupt beendete?​

JAINSKI Der Tonfilm war kein Problem, sie hatte ja jahrelang auf Deutsch Theater gespielt. Das hört man auch in ihrem ersten und leider einzigen Tonfilm, „Unmögliche Liebe“. Kurz nach der Premiere dieses Films kam Adolf Hitler an die Macht und er wollte Nielsen für seine Sache gewinnen. Sie hat durchaus geschwankt, aber sich dann letztlich doch entschieden, nicht mit den Nationalsozialisten zusammenzuarbeiten. Sie hat dann keine Filme mehr gedreht, sondern weiter am Theater gearbeitet.​

Ihr Film endet mit der letzten Ehe von Asta Nielsen, spart ihren Tod 1972 aber aus – warum?​

JAINSKI Ich fand es unglaublich faszinierend, wie oft Asta Nielsen privat wie beruflich immer wieder von vorne angefangen hat. Sie hat zwei Weltkriege überlebt, dreimal ihr Vermögen verloren, zwei Produktionsfirmen gingen den Bach hinunter, sie hatte drei gescheiterte Ehen hinter sich, war ab den 1950er Jahren in Dänemark sehr einsam. Und dann fängt sie im hohen Alter noch eine neue Beziehung zu dem Kunsthändler Christian Theede an – und heiratet ihn mit 88 Jahren! Was für ein Vorbild! Er hat sie dann bis zu ihrem Tod begleitet.​

Termin: Donnerstag, 18. Januar, 18.30 Uhr. Nach der Filmvorstellung gibt es ein Gespräch mit Sabine Jainski, Kurator und Weltkulturerbe-Vorstand Ralf Beil und dem Publikum. Der Eintritt ist frei. Infos: Weltkulturerbe Völklinger Hütte.

Die Doku ist in der Mediathek von Arte zu sehen.

Kontakt zu Sabine Jainski: www.jaunski.de

Dux-Kino 68 – Das erste Heimkino aus der Kindheit

Bevor Jahre später der klobige Super-8-Projektor von Bauer ins Haus kam, war dies die erste Berührung mit Heimkino: das selige Dux-Kino 68 von der Firma Markes & Co. aus Lüdenscheid.  Der Filmbetrieb funktionierte per Kurbel, man konnte die Bilder an die Pseudo-Leinwand im Verpackungsdeckel strahlen – oder einfach vorne reinschauen. Dazu gab es (sehr kurze) Filme wie „Bugs Bunny und die Marsmenschen“ oder auch „Tweety in Nöten“.  Im alten Kinderzimmer liegt noch fast alles, nur das Herzstück ist verschwunden – der alte, batteriebetriebene Mini-Projektor.

Das erste Kino der Kindheit

 

Der Projektor Dux-Kino 68

Neulich beim Aufräumen gefunden.

 

Verpackung des Spielzeugs Dux-Kino 68

Vorne reinschauen – fertig ist das „Tageslicht-Kino“

Dux-Kino 68

Die Leinwand im Deckel.

 

Dux-Kino 68

Zwei Filme, die die Zeit überlebt haben.

Das „Kino Achteinhalb“ in seinem 33. Jahr – wie ist die Lage?

Ingrid Kraus, Waldemar Spallek und Olga Dovydenko im Saarbrücker Kino Achteinhalb.

Im Kino Achteinhalb, von links: Ingrid Kraus, Waldemar Spallek und Olga Dovydenko.    Foto: tok

 

Der 30. Geburtstag des Saarbrücker Kino Achteinhalb ist von Corona verhagelt worden. Also hat das Kino-Team um Ingrid Kraus und Waldemar Spallek die Schnapszahl 33 als Anlass zum Feiern genommen. Wie ist die Lage im Kino?

Warum auch nicht? Wenn man das 30. Jubiläum nicht begehen kann, dann eben das 33., in diesem Jahr. Vor drei Jahren hatte die Pandemie jegliche Geburtstagsfeier im Saarbrücker Kino Achteinhalb verhagelt. Und die Zahl 33 passt biografisch nicht schlecht. „Seit 33 Jahren bin ich beim Achteinhalb, jetzt bin ich 66, das ist mein halbes Leben“, sagt Ingrid Kraus, Mitgründerin und Leiterin des Kinos, zusammen mit Waldemar Spallek. Einst, 1983, hatte sich in der Alten Feuerwache in Saarbrücken eine „nichtkommerzielle Abspielstätte für 16- und Acht-Millimeter-Filme“ gegründet; 1990 zog dieses „Kino in der Feuerwache“ in die Nauwieserstraße 19 und nannte sich Kino Achteinhalb – nach dem Meisterwerk „8 1/2“ von Regisseur Federico Fellini, den diese Idee im fernen Saarland wohl entzückt hat: Im April 1990 gab der Italiener sein Einverständnis zum Namen per Brief aus Rom – eine Kopie davon hängt heute noch im Kino, das Original liegt bei Ingrid Kraus zuhause. Sicher ist sicher.

 

Federico Fellinis Grußkarte von 1990. Foto: Kino Achteinhalb

Federico Fellinis Grußkarte von 1990. Foto: Kino Achteinhalb

Online-Diskussion mit Agnieszka Holland

Wie geht es dem selbst verwalteten Kino in seinem unrunden Jubiläumsjahr, nach Lockdown und Wiederöffnung? „Die Besucherzahlen sind gut“, sagt Waldemar Spallek, „wir haben wieder den Stand von 2019 erreicht und sind damit sehr zufrieden“. Natürlich sei die Corona-Zeit frustrierend gewesen, aber man habe sie so gut genutzt wie es ging: Die Stühle hätten neue Polster und Bezüge bekommen; überholt wurde auch die Webseite des Kinos, die zweite Programm-Informationsquelle neben dem gedruckten Katalog. Und noch ein Gutes habe Corona paradoxerweise mit sich gebracht, erklärt Spallek – die Online-Diskussionen mit Filmschaffenden, eigentlich ein Notnagel in der Pandemie, habe sich etabliert, sei nun akzeptierter Bestandteil des Programms, der einige Höhepunkte mit sich gebracht habe: Im April etwa ein Online-Publikumsgespräch mit der oscarnominierten polnischen Regisseurin Agnieszka Holland, aktuell Präsidentin der Europäischen Filmakademie.

So war der Abend im Achteinhalb mit Volker Schlöndorff

Insgesamt hat sich das Publikum des Achteinhalb etwas verjüngt. „Einige ältere Stammkunden besuchen uns seltener als vor der Pandemie“, sagt Olga Dovydenko, aber „es besteht auffallendes Interesse bei Studierenden an Veranstaltungen mit Originalfassungen und an Filmen zu gesellschaftlich-politischen Themen“. Eine Reihe mit Filmen von Jean-Godard sei zuletzt sehr gut gelaufen, ebenso wie neulich der betagte Hitchcock-Film „Eine Dame verschwindet“, gezeigt zum „Tag der Schiene“, spielt der Film doch vor allem im Zug. „Das Fernsehen zeigt ja kaum noch Klassiker“, sagt Ingrid Kraus – für das Saarbrücker Kino ein Vorteil. Und beim jungen Publikum spüre man ohnehin die Lust, diese Klassiker nicht zuhause als DVD oder per Streaming zu schauen. „Der Ort Kino wird sehr geschätzt.“ Reizvoll ist auch die neuere Schiene „Nachteinhalb“ mit klassischen und mit jungen Horrorfilmen, freitagabends und jeweils mit einer Einführung.

Das Saarbrücker Kino im Werkhof der Nauwieser Straße 19. Foto: tok

Das Saarbrücker Kino im Werkhof der Nauwieser Straße 19.  Foto: tok

Charly Hübner und Volker Schlöndorff zu Gast

Vor der Sommerpause in diesem Jahr gab es einige außergewöhnliche Vorstellungen, die gewissermaßen symbolisch für die Arbeit des Achteinhalb waren: Erst war Schauspieler und Filmemacher Charly Hübner zu Gast, vor vollem Haus. Einen Tag später kam Volker Schlöndorff zu einer ebenfalls denkwürdigen Veranstaltung – der Oscarpreisträger („Die Blechtrommel“) zeigte seine Proust-Adaption „Eine Liebe von Swann“, sprach lässig über das damals vernichtende Echo der französischen Kritik und über die enorme Arroganz von Alain Delon. Eine Sternstunde für Cineastinnen und Cineasten, möglich durch den Enthusiasmus des Teams – und durch das, was sozusagen das Rückgrat des Ganzen ist: Kooperationen. Bei Hübner etwa war die Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) mit dabei, bei Schlöndorff die Romanistik der Saarbrücker Uni – begleitend zu einem Proust-Seminar zeigte das Achteinhalb einige Adaptionen.

Ein vergammelndes Kino der Kindheit

Um die 100 Kinovorstellungen im Jahr seien an Kooperationen geknüpft (neuerdings auch mit dem Saarländischen Staatstheater), was dem Achteinhalb Unterstützung der Partner einbringe und nicht zuletzt Hilfe bei der so wichtigen Werbung. „Wir arbeiten gerne sehr breit mit allen möglichen Gruppen und Verbänden“, sagt Spallek, „man lockt nicht jedes Publikum etwa mit einer Uni-Kooperation“. Im September und Oktober etwa sind ebenso das Kultusministerium wie die Synagogengemeinde Saar mit dabei (für die Jüdischen Filmtage), außerdem unter anderem die Arbeitskammer des Saarlandes, die Staatskanzlei und die Deutsch-Polnische Gesellschaft Saar für die Polnischen Filmtage – das sind nur einige von vielen Partnern.

„Minimale Gehälter“

Fruchtbare Kooperationen hin oder her – ein Problem treibt die Achteinhalber seit der Kinogründung um, bis heute: die Finanzierung. Das Kino wird als gemeinnütziger Verein betrieben, der dem Team „minimale Gehälter“ zahlt, wie Spallek sagt; die habe man jetzt aber ebenso minimal erhöhen müssen, um steigende Lebenshaltungskosten aufzufangen. Nur: Dann werde im Verein und somit im Kino sofort das Geld knapp, erklärt Spallek, zumal etwa die rettenden Coronahilfen nun ausgelaufen seien. In diesem Jahr wird das Kino von der Stadt Saarbrücken mit 78 890 Euro gefördert, vom Land mit 85 000 Euro (37 000 über das Kultusministerium, 48 000 über die Saarland Medien), erklärt Spallek. „Das sind insgesamt 55 Prozent unseres Budgets, also müssen wir 45 Prozent selber erwirtschaften.“ 20 Prozent erreiche man über den Erlös durch die Kinokarten, weitere 25 über die Förderungen durch Kooperationen. „Das funktioniert mal mehr, mal weniger.“ Die Stadt habe ihre Zuschüsse zuletzt etwas erhöht, das Land bisher nicht, aber man sei hoffnungsvoll. Um sich mehr Sicherheit zu verschaffen, will das Kino seine Eintrittspreis ab Januar um 50 Cent erhöhen, „damit haben wir aber immer noch die niedrigsten Eintrittspreise der Kinos in Saarbrücken“, sagt Ingrid Kraus.

Lars Kraume im Gespräch vor dem Achteinhalb

Zudem steht beim Achteinhalb ein Generationenwechsel an. Ingrid Kraus ist mit 66 Jahren eigentlich in Rente, will in den nächsten zwei Jahren noch im Achteinhalb arbeiten, aber weniger als zuvor; Spallek will noch vier Jahre im Kino in Vollzeit arbeiten, danach seine Stelle reduzieren und sanft in die Rente gleiten. Mit Olga Dovydenko ist zuletzt frisches Blut ins Kino gekommen, sie ist für Programm, Technik und Organisation mitverantwortlich und leitet den Vorführbereich. Ob es nach der Ära Kraus/Spallek wieder eine Doppelleitung des Kinos gehen wird? Das ist ungewiss, sagt Spallek, man müsse auch erst einmal Interessierte finden, „und unsere Gehälter sind nicht so attraktiv“.

Digitale Projektion ist nächste Baustelle

Betrieben wird das Achteinhalb von einem fest angestellten Team sowie von ehrenamtlichen Mitgliedern. Neben Kraus, Spallek und Dovydenko kümmert sich Gerd Meyer um Presse-Arbeit, Organisation und Disposition, Maximilian Sälzle betreut Kinosaal und Technik. Alper Cevik, André Fischer, François Schwamborn und Theodor Wülfing sind weitere Vorführer; seit September kümmert sich Markus Huppert um die Social-Media-Präsenz. Der Generationenwechsel ist nicht die einzige Baustelle – eine weitere ist der Vorführraum: Vor zehn Jahren wurde auf digitale Projektion umgestellt, für 100 000 Euro; diese Technik müsste in naher Zukunft renoviert werden, „aber Hersteller Sony stellt schon keine Projektoren mehr her und wartet die alten auch nicht mehr“, sagt Dovydenko, „da könnten wir in drei bis fünf Jahren ein Problem bekommen“.

Beim 40. Jubiläum werden die Veteranen Kraus und Spallek nicht mehr in aktiver Funktion dabei sein. Zumindest die vielen Abrechnungen und die Verwaltungsarbeit, die sich oft vor die eigentliche Programmarbeit dränge, werde er nicht vermissen, sagt Spallek. Kraus blickt zufrieden zurück, auch wenn das Achteinhalb-Leben nicht immer einfach war und ist, man „Abstriche machen musste beim Gehalt und jetzt bei der Rente. Aber ich bin sehr froh, dass ich es so gemacht habe“, sagt er.

www.kinoachteinhalb.de

Doku „Heimat Saarland – Unsere Kinogeschichten“

Preziosen aus der saarländischen Kinogeschichte - Autogrammkarten von Stars, die hier mal vorbei schauten. Foto: WP Films

Preziosen aus der saarländischen Kinogeschichte – Autogrammkarten von Stars, die hier mal vorbei schauten. Foto: WP Films

 

Wie klingen 100 Kinoklappstühle, die zugleich hochknallen – verbunden mit ein paar Schreckensschreien? Es muss ziemlich laut gewesen sein. Joseph Feilen kann sich noch bestens erinnern. Vor fast 50 Jahren war das, als der „Weiße Hai“ sich durch die deutschen Kinos fraß und das Publikum kollektiv aus den Sitzen springen ließ. „Das gibt es nur im Kino“, sagt der Filmfan in der Doku „Heimat Saarland – Unsere Kinogeschichten“.

Magie des Kinos beschwören

Der Homburger Regisseur Thomas Scherer („Unter Tannen“) und Klaus Ebert wollen mit ihrem halbstündigen Film zweierlei: einmal die Magie des Kinos beschwören und zugleich einen Blick werfen auf die Kinogeschichte des Saarlandes. 2022 hatten sie eine Doku über die Historie der Lichtspiele Wadern gedreht („Heimat Kino“) und da sozusagen die cineastische Spur aufgenommen. Scherer startete vor einem Jahr einen saarlandweiten Aufruf nach Erinnerungen an Kino-Erlebnisse. Groß war die Resonanz, die Saarland-Medien sagte Förderung zu, an acht Drehtagen führte er Interviews mit Experten, Kinofans und -betreibern, filmte in Kinos des Saarlandes.

So war es beim Günter Rohrbach Filmpreis in Neunkirchen

Eingebettet sind die Erinnerungen in eine Rahmenhandlung: Ein Klempner (Klaus Ebert) stolpert beim Saubermachen im Hinterzimmer eines Kinos über eine Filmrolle. Die ist unbeschriftet und so mysteriös wie eine aus dem Nichts auftauchende Dame (Katrin Larissa Kasper), die ihn auf die Suche schickt nach einem Projektor für die 35-Millimeter-Rolle. Erste Stationen sind das Union-Theater in Illingen und das Saarbrücker Kino Achteinhalb, in dem man einigen Zeitzeugen lauschen kann – nicht zuletzt einer Veteranin, um nicht zu sagen der großen alten Dame des saarländischen Kinos: Inge Theis, die mit ihrem Mann Günter Theis Filmtheater in Völklingen und in Saarbrücken betrieb, darunter die selige Camera an der Berliner Promenade. Im Film erinnert sie sich unter anderem an „das Geschäft ihres Lebens“, weder mit „Star Wars“ noch James Bond, sondern mit Ingmar Bergmans Drama „Das Schweigen“ von 1963. Dessen Erfolg führt Kinofan Feilen – da müssen Anhänger des schwedischen Meisterregisseurs stark sein – vor allem darauf zurück, „dass da jemand nackig zu sehen war“.

Erste Vorführungen ab 1896

Paul Burgard vom Saarländischen Landesarchiv und Kulturhistoriker Clemens Zimmermann erklären, wie schnell die Kinolandschaft im Saarland wuchs, schon ab Oktober 1896 flimmerten hier Filme, wenn auch nicht in Kinos, sondern in Gastwirtschaften, mit mobilen „Kinematografen“. In den Jahrzehnten danach folgten viele Kinobauten, die vor allem 1943/44 zerstört wurden. Nach dem Krieg hat sich die Filmtheaterlandschaft schnell wieder erholt, für Burgard „fast ein Husarenstück“; Kulturwissenschaftlerin Aline Maldener erwähnt die Praxis der französischen Nachkriegsverwaltung, viel gallische Filmware in den Kinos unterzubringen.

Eine Filmrolle ist „25 Kilo Glück“

In die Vorführpraxis geht es mit Kameramann und Regisseur Klaus Peter Weber, der in seinem gemütlichen Saarbrücker Eigenbau-Kellerkino im Keller von der Zeit erzählt, als er im Saarbrücker UT-Kino als junger Vorführer mit den komplexen Projektoren hantierte. Eine Filmrolle bedeute zwar „25 Kilo Glück“, sagt Weber, damals sei das Material aber noch buchstäblich brandgefährlich gewesen.

Der spätere Kameramann Klaus Peter Weber, damals 17 Jahre alt, vor seinem Streichholzmodell der „Brücke am Kwai“, das zum Filmstart im Saarbrücker Union-Theater ausgestellt wurde.

Auch eine Kinogeschichte: Der spätere Kameramann Klaus Peter Weber, damals 17 Jahre alt, vor seinem Streichholzmodell der „Brücke am Kwai“, das zum Filmstart im Saarbrücker Union-Theater ausgestellt wurde.​ Das Foto findet sich auch im famosen Buch „Filmrausch – Das Kinowunder im Saarland“. Foto: Klaus Peter Weber

 

Auch Kinobetreiber erzählen – Claudia Ziegler und Robert Haas von den Haas Filmtheater-Betrieben, Ingrid Kraus und Waldemar Spallek vom Kino Achteinhalb, das einst als Nebenraum in der Alten Feuerwache begann, Michael Krane und Anne Reitze von der Camera Zwo; sie alle machen deutlich, wie schön der Beruf sein kann – und wie schwierig. Zwei Kinos auf dem Land, die sich kommerziell nicht mehr trugen, wurden von rührigen Filmfans gerettet, die sie in Vereinsform weiterführen: die Lichtspiele Wadern und die Lichtspiele Losheim.

Hans Albers war zu Besuch

Das Saarbrücker Filmfestival Max Ophüls Festival wird thematisch angeschnitten, auch der Neunkircher Günter Rohrbach Filmpreis; in der Kürze der Laufzeit kann es da nicht in die Tiefe gehen, aber man erfährt viel über das Kino im Saarland – auch durch das illustrierende Fotomaterial, das teilweise aus dem Buch „Filmrausch – Das Kinowunder im Saarland“ stammt, herausgegeben von Gabi Hartmann, Burgard und Weber, die im Film dabei sein. Die betagten Bilder beschwören eine Zeit herauf, in dem die Filmtheaterdichte hier deutlich höher war, wo Stars wie Hans Albers, Marianne Koch oder Gustav Knuth zu Premierenbesuch kamen, und wo ein erotisch unterfütterter Klamauk wie „Frau Wirtin hat auch einen Grafen“ 1968 seine Welturaufführung in Saarbrücken erlebte.

Diese halbe Stunde Film ist sehr schnell vorbei, am Ende wird auch das Rätsel der Filmrolle gelöst; man kann sich problemlos eine doppelte Laufzeit ohne Längen vorstellen – vielleicht kann man auf eine erweiterte Version hoffen, genug Material ist bei den Interviews sicherlich angefallen. Regisseur Scherer hofft derweil, dass „Heimat Saarland – Unsere Kinogeschichten“ der Auftakt sein könnte zu Dokus über weitere Themenschwerpunkte – der Filmemacher will „mit Zeitzeugen sprechen und saarländische Schätze festhalten, bevor niemand mehr da ist, um diese Geschichten zu erzählen“.

Infos unter www.wp-films.de

Ein Abend beim Günter Rohrbach Filmpreis in Neunkirchen

Günter Rohrbach Filmpreis Neunkirchen Matthias Brandt Karoline Herfurth

Produzent und Filmpreis-Namensgeber Günter Rohrbach (rechts) ist flotte 95. Neben ihm Karoline Herfurth und Matthias Brandt.   Fotos: tok

 

Mit „Schalom – Salam – Frieden“ beginnt und endet dieser Abend in der Gebläsehalle. Schauspieler Peter Lohmeyer, als Moderator sonst ein Meister des schlurfigen Charmes, spricht zu Beginn von seiner „Schockstarre“ nach dem „brutalen Angriff der Terrorgruppe Hamas auf den Staat Israel, mitfinanziert durch das Terrorregime des Iran“. Ein Regime, das außerdem im eigenen Land „den Aufstand der Frauen niedergemordet, niedergeknüppelt hat“. Und in Deutschland „können Jüdinnen und Juden heute nicht ohne Angst aus dem Haus gehen. Wir müssen aufmerksam machen auf jeden antisemitischen Übergriff. Wir dürfen nicht dazu schweigen.“​

Großer Sieger „Sonne und Beton“​

Danach beginnt die 13. Preisverleihung, bei der „Sonne und Beton“ der große Sieger ist. Das kraftvolle Berliner Jugenddrama nach dem Roman von Felix Lobrecht erhält den Hauptpreis für Regisseur David Wnendt, die Produzenten Fabian Gasmia und Christoph Müller sowie den Preis des Saarländischen Rundfunks für Darsteller Levy Rico Arcos. Überraschend dabei und ein Novum beim Rohrbach-Filmpreis: „Sonne und Beton“, eine von 64 eingereichten Produktionen, hatte nicht auf der Shortlist der Vorjury gestanden, die sie der Hauptjury als Vorauswahl vorgelegt hatte; die Hauptjury unter Leitung des Regisseurs und Schauspielers Michael Bully Herbig hatte den Film dann als einen der Finalisten ausgewählt.​

„Ich freue mich auf ukrainisch-russische Babies…“​

Regisseur Wnendt, 2011 schlagartig bekannt geworden mit dem Neonazi-Drama „Die Kriegerin“, freut sich über die „große Ehre“. Er habe einen Film drehen wollen, in dem sich „Jugendliche, denen es nicht so gut geht“, wiedererkennen. „Wir leben in krassen Zeiten, da ist die Verantwortung für uns Künstlerinnen und Künstler besonders groß, abzubilden, wie die Welt jetzt ist, und Möglichkeiten aufzuzeigen, wohin sich die Gesellschaft hinbewegen kann. Ich bin zuversichtlich für die  Zukunft.“ So geht es, trotz allem, auch dem Produzenten Fabian Gasmia. Seine Frau kommt aus Lothringen, „wir haben ein kleines Baby zusammen. Wer hätte so etwas vor 75 Jahren für möglich gehalten, als sich Deutschland und Frankreich so gehasst haben?“ Seine Hoffnung für die Zukunft: „Ich freue mich auf ukrainisch-russische Babies und auf israelisch-palästinensische Babies in 75 Jahren.“​

Michael Bully Herbig Günter Rohrbach Filmpreis

Jury-Vorsitzender Michael Bully Herbig.

Laudator und Jury-Vorsitzender Michael Bully Herbig („Ballon“, „Der Schuh des Manitu“) gibt zu, dass er sich die Arbeit leichter vorgestellt hatte. Es habe über die Filme „stundenlange Diskussionen gegeben“. Das Schwierigste aber war für ihn die Reise von München ins Saarland, wo der Fußball-Drittligist 1. FC Saarbrücken den bajuwarischen Edelverein am Mittwochabend aus dem DFB-Pokal gekickt hatte. „Der Weg hierher war für mich als Bayern-München-Fan sehr beschwerlich“, räumt Herbig offen ein.​

Interview mit Burghart Klaußner

„Die Leute hier sind freundlich – wenn man aus Berlin kommt, ist das manchmal ungewohnt“​

Auch zwei Preisträgerinnen vergangener Jahre sind angereist, die zuvor verhindert waren. Vor vier Jahren wurde Nora Fingscheidts „Systemsprenger“ ausgezeichnet, doch damals stand die Arbeit in Los Angeles an ihrem Netflix-Film „The Unforgivable“ mit Sandra Bullock der Reise nach Neunkirchen entgegen. Danach die Geburt eines Sohnes. Dann weitere Filmarbeiten. Jetzt ist sie da, freut sich unter anderem darüber, „dass die Leute hier freundlich sind – wenn man aus Berlin kommt, ist das manchmal ungewohnt“. Fingscheidts „Systemsprenger“ erzählt von einer tragischen Kindheit; für die Regisseurin sind „die eigenen vier Wände der gefährlichste Ort für Kinder, nicht der Spielplatz, wo der böse Mann wartet“. In und nach Corona sei die häusliche Gewalt gegen Kinder und die Gewalt unter Kindern noch einmal gestiegen. „Warum redet man so wenig darüber?“ Und: „So lange Steuerhinterziehung strenger geahndet wird als Kindesmissbrauch, haben wir gesellschaftlich viel  zu tun.“​

Günter Rohrbach Filmpreis Laura Tonke und Nora Fingscheidt ("Systemsprenger").

Laura Tonke (links) und Nora Fingscheidt („Systemsprenger“).

„Ich bin aus den Latschen gekippt“​

Am Abend ist immer wieder die enorme Wertschätzung  für den Filmpreis-Namensgeber Günter Rohrbach in der ersten Reihe der Gebläsehalle zu merken. Mehrmals wird dem 95-Jährigen Produzenten, gerade zum Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Neunkirchen ernannt, von der Bühne aus für seine künstlerische Lebensleistung gedankt, für seinen Mut als Filmemacher. Von Fingscheidt („Hochachtung für Ihr Lebenswerk“), von Produzent Gasmia („Ich bin aus den Latschen gekippt, als ich gesehen habe, wie viel sie gemacht haben“) und auch von Karoline Herfurth, die den Preis des SR von 2022 für ihren Film „Wunderschön“ entgegennimmt und sagt: „Seine Filme prägen mich seit frühester Kindheit – ich bin unglaublich und wahrhaftig stolz, nun eine Rohrbach-Preisträgerin zu sein.“​

Matthias Brandt und Michael Caine​

Ein Laudator lobt per Videobotschaft: Regisseur Christian Petzold erzählt, wie er und der prämierte Schauspieler Matthias Brandt bei den Dreharbeiten zu „Roter Himmel“ eine Aufnahme besonders gut fanden, weil Brandt sie, wie er sagte, „ambitionslos“ gespielt habe – weil mal wieder ein Flugzeug über den Drehort rauschte und er glaubte, diese Szene werde ohnehin nicht genommen. Gerade dieses Zurückgenommene habe enormen Reiz, sagt Petzold, so hätten etwa auch Richard Burton und Robert Ryan einst gespielt – und heute etwa Jennifer Lawrence. Oder die Sprecher seiner alten, geliebten Hörspielschallplatten. „Sie haben den Kindern die Gefühle nicht vorgegeben.“ Über die Laudatio und den Darstellerpreis freut sich Brandt in Neunkirchen, zieht seinen Hut vor dem Kollegen Michael Caine, dessen Lust an der Arbeit, am Ausprobieren und Freude am Zusammensein mit den Kolleginnen und Kollegen er durchaus teilt.​

Interview mit Kameramann Jost Vacano

„Sicherheit ist der Feind von Kunst“

Regisseurin Sonja Heiss, prämiert für ihren Film „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“, blickt in ihrer Dankesrede auf die eigene Branche: Günter Rohrbach habe „immer sehr viel gewagt und sei mutig“. Doch sie habe gegenwärtig das Gefühl, „dass in unserer Branche immer weniger Risiken eingegangen werden, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der auf Sicherheit gesetzt wird“. Man müsse sich wieder mehr trauen, denn „Sicherheit ist der Feind von Kunst“.​

 

Die Preise:

Günter Rohrbach Filmpreis (10 000 Euro) an Regisseur David Wnendt und die Produzenten Fabian Gasmia und Christoph Müller für „Sonne und Beton“.​​

Darstellerpreise (dotiert mit jeweils 3000 Euro) an Laura Tonke für „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ und Matthias Brandt für „Roter Himmel“.​

​Preis des Saarländischen Rundfunks (dotiert mit 5000 Euro) an Darsteller Levy Rico Arcos  in „Sonne und Beton“.​

Preis der Saarland Medien GmbH, dotiert mit 3500 Euro, für İlker Çatak und Johannes Duncker für ihr Drehbuch zu „Das Lehrerzimmer“.​

Preis des Oberbürgermeisters, dotiert mit 2500 Euro, für die Regisseurin Sonja Heiss für „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“.​

Drehbuchpreise: Den ersten Preis erhält Anna Werner für ihr Exposé „Car Country“. Den zweiten Preis erhält Niamh Sauter-Cooke für „Haben und Sein“. Der dritte Preis wird vergeben Nele Hecht für „Sturzwelle“.​

Volker Schlöndorff im Kino Achteinhalb: „Arroganz ist Alain Delons zweiter Vorname“

Volker Schlöndorff (links) im Kino Achteinhalb. Neben ihm Patricia Oster-Stierle von der Uni Saarbrücken, die den Regisseur eingeladen hatte, und Waldemar Spallek vom Achteinhalb.         Foto: Tobias Keßler

 

Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff war zu Gast in Saarbrücken im Kino Achteinhalb – ein schöner Abend mit einem lässigen Filmemacher.

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