Film und dieses & jenes

Monat: September 2023

Schrecklich: „Das Nonnenrennen“ von Laurent Tirard

Das Nonnenrennen Valérie Bonneton

Davon träumt die Mutter Oberin Véronique (Valérie Bonneton): ein römisches Selfie mit dem Papst (Serge Peyrat).     Foto: Prokino

Oje. Wäre dieser Film ein Rennrad – das handlungstreibende Fortbewegungsmittel – dann hätte es sehr wenig Luft in den Reifen und würde auf den Felgen dahinknirschen. Da nutzt auch hektisches Treten in die Pedale wenig, man kommt nicht vom Fleck und ermüdet zügig. Die französische Komödie „Das Nonnenrennen“ ist merkwürdig. Sie bemüht sich um Tempo, die Gag-Dichte ist hoch – und doch zündet wenig, und der 90-Minüter fühlt sich an wie ein Zweieinhalbstunden-Film.​

Die Wiesen mögen sattgrün sein, die Vögel mögen singen, doch im französischen Jura ist die Welt nicht mehr in Ordnung: Einer Handvoll Nonnen eines Benediktinerinnen-Klosters fällt auf, wie eng und voll es ist im lokalen und maroden Altersheim. Sie wollen Zuschüsse beantragen, aber ihr Schreiben landet in einer Amtsstube bloß auf einem meterhohen Papierstapel. Doch ein Radrennen im Ort verheißt ein Preisgeld von 25 000 Euro. Da wollen die Nonnen mitstrampeln, auch wenn nicht einmal jede von ihnen bisher auf einem Radsattel gesessen hat.​

Immer auf der Suche nach dem schnellen Lacher​

Eine sympathisch angeschrägte Idee, aber der Film macht wenig draus. Regisseur und Ko-Drehbuchautor Laurent Tirard („Asterix und Obelix – im Auftrag ihrer Majestät“) interessiert sich vor allem für den kurzfristigen Gag, den schnellen Lacher, für seine Figuren spürbar weniger. Den Nonnen gibt er per Rückblenden zwar Mini-Biografien mit, aber das bleibt doch herzlich flach; eine von ihnen etwa ist eine ehemalige Drogendealerin, die bei einer Schießerei von einer Bibel gerettet wurde – eine Kugel blieb im Buch stecken. Eine andere hat ein Schweigegelübde abgelegt und für jede Situation ein Schild parat – etwa eines mit „Aaaargh!“ als sie beim Radeln einen Abhang herabstürzt. Das ist zwei-, höchstens dreimal amüsant, doch der Film melkt die Idee gnadenlos zu Tode. Witziger, relativ gesehen, sind da Einfälle wie die Rad-Kunststücke einer konkurrierenden Nonnen-Truppe, untermalt von Johann Strauss’ Walzerklängen.​

Vorbild Louis de Funès?​

Man fühlt sich ein wenig an die Komödien-Atmosphäre der 1960er und 1970er mit Louis de Funès erinnert – eine Szene mit einem gebrochenen Bein, im 90-Grad-Winkel abgeknickt – wirkt wie ein Zitat aus dessen „Brust oder Keule“. Aber hatten solche Filme Tempo, ist das „Nonnenrennen“ bloß hektisch und kurzatmig. Gerne lässt Tirard seine Figuren hinfallen, umfallen, ausrutschen oder kreischen, seine Schauspielerinnen grimassieren, die Augen aufreißen, den Mund staunend offenstehen lassen – das wird einem schnell zu viel.​

„OSS 117 – Liebesgrüße aus Afrika“ mit Jean Dujardin

Ein Konflikt mit einer anderen Ordensschwester endet seifig-simpel-sentimental, und irgendwie hat dieser Film nichts mit der realen Welt zu tun: Das Kloster ist bloß ein schrulliger Hort der Verschrobenheit, und das marode Altersheim, immerhin Auslöser des Ganzen, interessiert den Film kaum; abgesehen vom zweifelhaften Pseudo-Gag, dass dort eine Frau mit ihrem Rollator zu langsam am Fernseher des Heims vorbeischleicht und so ihre Mitbewohner enerviert. Für einen schnellen Lacher tut dieser Film eben alles.​

„Wild wie das Meer“ von Héloise Pelloquet

Wild wie das Meer

Félix Lefebvre als Maxence, Cécile de France als Chiara.    Foto:  Why not productions

 

Am Anfang erwarten Chiara und Antoine nur wenig von ihrem neuen Lehrling: Bei der Überfahrt zur kleinen Atlantikinsel, auf der die Eheleute als Fischer arbeiten, wird Maxence erstmal seekrank; seine zarten Hände scheinen eher zu der mitgebrachten Oboe zu passen denn zu Netzen, Reusen und salzigen Meeresfrüchten. Doch der junge Bürgersohn packt nach einer Zeit der Eingewöhnung überraschend gut mit an, gewinnt den Respekt Antoines; und zwischen der Mittvierzigerin Chiara und dem halb so alten Maxence knistert es merklich – filmisch symbolisch begleitet von dem ein oder anderen Atlantiksturm.​

„Das ist nie passiert!“​

Der französische Film „Wild wie das Meer“ erzählt von einer Ehe, von einer Affäre, auch von den Strukturen einer Dorfgemeinschaft, von deren Solidarität, aber auch von deren Enge und Doppelmoral. Chiara und Antoine sind seit 19 Jahren verheiratet, arbeiten täglich zusammen, auf dem Boot sitzt jeder Handgriff, sie erscheinen als liebevolle Einheit, bei der Arbeit wie zuhause. Doch hat sich da auch eine gewisse Routine eingeschlichen? Jedenfalls weckt Maxence nach einigen Monaten der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens im Häuschen an der Küste enormes Begehren bei Chiara – nach einer feuchtfröhlichen Hochzeitsparty landen sie für eine halbe Minute im Lotterbett, bis Chiara abbricht und die Losung ausgibt: „Das ist nie passiert!“ Doch als ihr politisch engagierter Mann für zwei Wochen nach London muss, zu Verhandlungen über Fischfang im Rahmen des Brexit, ist die Affäre nicht mehr aufzuhalten.​

Filmwarnung: „Das  Nonnenrennen“

Der Film ist, nach mehreren Kurzfilmen, das Langfilmdebüt von Regisseurin Héloise Pelloquet; ihr Drehbuch, das sie mit Ko-Autor Rémi Brachet schrieb, lässt einiges vage, deutet lieber an, als alles zu Ende zu erklären. Da klingt einiges am Rande an: die zunehmende Industrialisierung des Fischfangs und die Probleme von Mini-Firmen wie Chiara/Antoine; das Bewusstsein, wie anders ihre finanzielle Situation ist als die Maxences Familie mit Pool und Antiquitäten im Haus. Und doch würde man sich für das Zentrum der Geschichte mehr handfeste Information wünschen, gerne mehr Laufzeit als diese kurzweiligen 90 Minuten. Worum geht es Chiara bei ihrer Affäre? Erotik? Ausbruch aus einem Leben, das man stabil und verlässlich nennen kann, aber auch routiniert und monoton? Und ist der junge Maxence für sie mehr ein Katalysator des Ausbruchs als ein geliebtes Gegenüber?​

Die Besetzung hilft​

Vielleicht weiß das Chiara selbst nicht – aber es bleibt beim Anschauen merkwürdig vage und bisweilen unglaubwürdig. Immerhin – diese Schwächen des Drehbuchs werden teilweise von der famosen Besetzung überspielt: Grégoire Monsaingeon als kerniger, sanftmütiger Ehemann, Félix Lefebvre als intensiv, möglicherweise aber nur kurzzeitig verliebter Maxence und vor allem Cécile de France, bei uns gerade auch im Film „Im Herzen jung“ zu sehen. Sie ist das Herz des Films, in nahezu jeder Szene zu sehen. Ihre Chiara ist eine resolute Person und dabei nicht immer eine Trägerin der Sympathie. Bei ihrem Freiheitswillen schwingt eine gewisse Egozentrik mit – und eine Naivität, die verständlich ist. Seit 20 Jahren lebt die Belgierin auf der kleinen französischen Insel, glaubt sich bestens integriert – doch als ihre Affäre ruchbar wird, ist klar, dass sie immer eine „Zugezogene“ bleiben wird. Und es urteilen auch Freunde mit moralisch gerecktem Zeigefinger, während sie selbst Affären haben oder hatten.  Gefilmt wurde über mehrere Jahreszeiten hinweg, um die Atlantikinsel Noirmoutier herum, in stimmungsvollen, atmosphärischen Bildern (Kamera: Augustin Barbaroux). Die betonen ebenso die Schönheit wie die Schroffheit der Region – und die Intensität dieser Geschichte, die in einem bittersüßen Epilog endet.​

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