Über Film und dieses & jenes, von Tobias Keßler

Kategorie: Streaming

„The Killer“ von David Fincher

Michael Fassbender in "The Killer" von David Fincher

Der Killer (Michael Fassbender), der sich gerne kleidet wie ein deutscher Klischee-Tourist, damit er nicht angesprochen wird. Foto: Netflix

 

Wie eisig kann ein Film sein? Und zugleich, auf grimmige Weise, ziemlich witzig? Trotz Mord und Totschlag, trotz Gewalt und Leid? „The Killer“ ist mühelos beides. Regisseur David Fincher („Fight Club“, „Gone Girl“) ist ein Mann des distanzierten Blicks auf die Welt – auch in seinem jüngsten Film, einer Produktion für Netflix. The Killer“ erzählt eine scheinbar schlichte Geschichte: Ein Berufsmörder versagt bei einem Auftrag, gerät ins Visier seiner Auftraggeber, wehrt und rächt sich. Das hat man schon oft gesehen, in zahllosen vergessenen Filmen, aber auch in Klassikern wie Jean-Pierre Melvilles „Der eiskalte Engel“ mit Alain Delon (1967) oder in John Woos wiederum von Melville beeinflusstem „The Killer“ (1989) mit Chow Yun-Fat – einer melancholischen Baller-Oper der großen Kaliber und ganz großen Gefühle.​

Finchers Film ist anders. So wie die Titelfigur stets versucht, den Puls vor dem tödlichen Schuss zwecks Treffsicherheit zu senken, erzählt der Film unterkühlt, als wolle Fincher auch den Puls seines Films senken. Nach einem Titelvorspann, der uns verschiedene Möglichkeiten aufzeigt, Menschen ins Jenseits zu befördern, sitzen wir mit dem Killer in Paris in einem leerstehenden Büro mit Blick auf die Suiten des Hotels gegenüber. Der Killer (Michael Fassbender) wartet – tagelang – auf sein Opfer.​

Glückskeks-Nihilismus​

Zeit genug, dem Publikum in einem inneren Monolog Weltsicht und Berufsauffassung zu erklären: Das Leben an sich sei banal – Geburt, Existenz, Tod. Und jeden Tag kämen so viele Menschen auf die Welt und so viele verließen sie per Tod wieder, dass seine Arbeit statistisch keinerlei Unterschied mache. Und da er nicht an Glück oder Gerechtigkeit glaube, sei es ihm egal, wen er da umbrächte und wieso. Hauptsache, das Honorar ist gut. „Ich bin, was ich bin.“ Es ist geballter Glückskeks-Nihilismus, den der Killer in der ersten Filmviertelstunde da vor sich hin raunt – möglicherweise hat er selbst zu viele Filme über Berufsmörder gesehen.​ Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass er nach so vielen Erklärungen über die Finessen seiner Arbeit in einer ziemlich einfachen Situation – sofern man das als Zuschauer ohne Mord-Erfahrung beurteilen kann – ganz banal versagt. Statt des geplanten Opfers im Hotel gegenüber trifft er mit seinem High-Tech-Gewehr dessen gemietete Gespielin.​

Gute Bluray-Edition: „Sador“ aus der B-Film-Fabrik von Roger Corman

Eine flotte, meisterlich montierte Flucht durchs nächtliche Paris beginnt; ohnehin schnurrt dieser Film dahin wie eine gute geölte Maschine, der Schnitt ist präzise, die Bilder von Erik Messerschmidt (Oscar für Finchers „Mank“) atmosphärisch, besonders in den nächtlichen Szenen. Der Satz „Execution is everything“ auf dem Plakat zum Film bezieht sich ebenso auf die Arbeit des Killers wie die Arbeit des Regisseurs und seines Teams.

In seinem Zufluchtsort in der Dominikanischen Republik, einer gesichtslosen Luxusvilla, haben schon zwei Killerkollegen die Haushälterin des Flüchtigen überfallen und schwer verletzt, möglicherweise vergewaltigt. Der Killer, übrigens ein ehemaliger Jura-Student, öffnet sein Versteck mit Stapeln gefälschter Pässe und geladener Schusswaffen, um Rache zu nehmen.​

Des Mörders To-do-Liste​

Nun folgt keine Action-Orgie nach der Formel von „John Wick“ oder Ähnlichem, sondern eher ein Abarbeiten einer To-do-Liste seitens des Killers: Spuren aufnehmen, zuschlagen, weitersuchen; verbunden mit regelmäßigem Ein- und Aus-Checken in Flughäfen, an Hotelrezeptionen oder bei Auto-Verleihen. So alltäglich kann die Arbeit eines Auftragsmörders sein. Der Kniff des Films besteht darin, aus diesen Situationen einige Komik zu entwickeln: Der Killer, der sich nach eigenen Angaben gerne wie ein deutscher Tourist kleidet, damit er auf der Straße gemieden und nicht angesprochen wird, bedient sich bei seinen gefälschten Pässen nicht alltäglicher Namen wie John Smith oder Peter Jones – sondern zum Beispiel Felix Unger und Oscar Madison: die beiden WG-Genossen aus dem Kinofilm und der TV-Serie „Ein seltsames Paar“. Oder Lou Grant aus der gleichnamigen TV-Serie über einen grummeligen Journalisten. Oder Sam Malone aus der TV-Sitcom „Cheers“. Wer ist hier der Scherzkeks – der Killer selbst? Oder Drehbuchautor Andrew Kevin Walker, der für Fincher einst „Sieben“ schrieb?​

Jetzt bei Netflix: „The last Vermeer“ mit Claes Bang und Guy Pearce 

Wie auch immer – Walker und Fincher lassen den filmischen Mythos des Berufsmörders, des unbeirrbaren Profis, etwas bröseln. Bei einigen Aktionen, unter anderem beim Betäuben eines Kampfhundes und einer Erpressung durch Folter, unterlaufen ihm trotz seiner wohlklingenden Erklärungen auf der Tonspur einige Fehler. Und anders als in den erwähnten Filmen von Melville oder Woo ist der Killer hier tatsächlich ohne Gnade – ein kalter Handlungsreisender in Sachen Tod. Mit zumindest einer Figur dieses heruntergekühlten Films hat man beim Zuschauen großes Mitgefühl und hofft, dass sie verschont wird – doch das bleibt aus (dies ist der schmerzlichste Moment im Film), ebenso das übliche Romantisieren des kriminellen Profis. Manche Kritiken haben dem Film vorgeworfen, so könne man sich mit der Hauptfigur nicht identifizieren – aber muss man das überhaupt bei einem Mann, der davon lebt, dass er andere Menschen ermordet?​

 

Tilda Swinton in "The Killer".

Tilda Swinton als Kollegin/Feindin des Killers. Foto: Netflix

Sehenswert ist auch eine Szene, in der der Mörder eine Kollegin konfrontiert – gespielt von Tilda Swinton: nahezu ein Monolog von ihr in einem Edelrestaurant, im Bewusstsein des drohenden Todes – während Fassbender fast stumm bleibt. Es scheint, dass Fincher einigen Spaß daran hat, die Erwartungen des Publikums zu unterlaufen. Er serviert eine Kampfszene, kernig brutal, exzellent choreografiert (Dave Macomber), die er bizarr untermalt und so verfremdet: Trent Reznor und Atticus Ross, die regelmäßig für Fincher komponieren, unterlegen die Prügel mit elektronischem Brummen und Fiepen, als habe ein Radio gerade seinen Geist aufgegeben. Auch sonst ist der Einsatz der Musik eigensinnig: Der Mörder hört zur Entspannung die britische Band The Smiths, deren eingespielte Songtitel dann einiges kommentieren: „Bigmouth strikes again“ angesichts der wortreichen inneren Monologe, „Girlfriend in a coma“ angesichts seiner Rache-Motivation.​

Amazon, McDonalds, Starbucks​

Diesen Weg der Rache macht der Mörder durch eine Welt der Waren – Fincher zeigt die Logos von Amazon, McDonalds, Starbucks und anderer Marken, die unser tägliches Leben mitbestimmen (was ihm manche Kritiken als Schleichwerbung ausgelegt haben). Der Killer, so scheint es, ist ebenso ein Teil dieser alltäglichen Warenwelt, der lange Arm von Machenschaften, in denen es um Geld und Macht geht. Als er den finalen Drahtzieher der Rache an ihm aufsucht, schaut der sich gerade die Börsennachrichten an und plaudert am Telefon über Steuererleichterungen. Filmisch subtil ist das nun nicht, aber durchaus witzig. Der Drahtzieher trägt auch keinen Nadelstreifenanzug, sondern eine onkelige Hipster-Weste und eine Schlumpfmütze wie von Torsten Sträter. Eine  kuschelige Alternativ-Optik des Brutalo-Kapitalismus? Von dem jedenfalls ist der Killer ein Teil, ein kleines Rädchen, dazu passt auch sein Mantra „Empathie ist Schwäche“. Und so ist das Ende des Films, das hier nicht verraten wird, nur passend. Ist dieser Killer am Ende nichts anderes als ein ziemlich langweiliger Spießer, dessen Lebensziel eine Luxux-Kaffeemaschine ist und ein Blick aufs Meer?

 

„The Last Vermeer“ von Dan Friedkin

 

Ein filmisches Corona-Opfer: Nach einigen Festivalterminen sollte „The Last Vermeer“ in den Kinos starten, doch die Pandemie kam dazwischen. In den USA lief der Film nur kurz, im Rest der Welt verschwand er ohne viel Echo oder Werbung in den Streaming-Kanälen – schade um diesen gut gespielten Kunst-Thriller. Gerade kann man ihn auch bei Netflix sehen. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg untersucht der holländische Ex-Widerstandskämpfer Piller (Claes Bang) den Kunsthandel in seiner Heimat während der Besatzung; er vermutet, dass eine Galerie Teil des deutschen Spionagerings war und stößt auf Han van Meegeren (Guy Pearce). Der soll der NS-Größe Hermann Göring während des Krieges ein erst vor kurzem entdecktes Gemälde von Jan Vermeer (1632-1675) namens „Christus und die Ehebrecherin“ verkauft haben – für eine ungeheure Summe. Van Meegeren gibt das ohne weiteres zu, was sein Todesurteil bedeuten kann, hat er somit kollaboriert und sich an einem holländischen Kulturschatz bereichert. Der Fall scheint klar, bis Van Meegeren eröffnet, dass er diesen Vermeer selbst gemalt und damit Göring kunstvoll genarrt hat.

Fälscher? Antifaschist? Beides?

Falls das stimmen sollte, – ist er dann kein Kollaborateur, sondern ein trickreicher Fälscher mit dem Potenzial eines Volkshelden, da er Göring und einige pompöse Kunst-Experten an der Nase herumgeführt hat? Und kann man Van Meegerens Behauptung glauben, das Ganze habe er nicht aus Geldgier, sondern aus einem tiefen Antifaschismus heraus getan? Es kommt zum Prozess. Der Film basiert auf realen Ereignissen, auch wenn er sich manche Freiheiten nimmt – den hochbegabten Fälscher und Ex-Maler Van Meegeren jedenfalls gab es tatsächlich, auch der Verkauf eines Pseudo-Vermeers an Göring und der Prozess haben stattgefunden. Regisseur Dan Friedkin erzählt diese wendungsreiche Geschichte gediegen, spannend, manchmal klassisch-altmodisch – etwa bei den Prozess-Szenen mit flammenden Reden und kernigen „Einspruch!“-Rufen. Dabei ist auch der Kontrast der Hauptdarsteller reizvoll: Claes Bang („The Square“) spielt den Ermittler zurückgenommen als angeschlagenen Mann, dessen Ehe bröckelt, Guy Pearce gibt den Maler mit großer Geste, die der reale Van Meegeren wohl auch schätzte.

„Bergman Island“ mit Vicky Krieps

„The Last Vermeer“ mag seine kleinen Schwächen haben: Die tragische Ehegeschichte des Ermittlers ist zu sehr nebenbei erzählt, um wirkliche Resonanz zu haben; zudem hat die famose Luxemburger Schauspielerin Vicky Krieps als Pillers Assistentin sträflich wenig zu tun. Sehenswert ist der Film dennoch, wobei er auch über den Wert von Kunst, gesellschaftlich wie kommerziell, nachdenkt und dabei dankenswerterweise weniger pastoral klingt als etwa George Clooneys Kunst-Kriegs-Film „Monuments Men“.

Die bunte Ödnis: „Heart of Stone“ mit Gal Gadot bei Netflix

Netflix gal Gadot Heart of Stone

Gal Gadot im freien Fall in „Heart of Stone“.  Foto: Netflix

So viel Aufwand, so viele Schauplätze, so viel Action – und dann so viel Mittelmaß. So viel bunte Monotonie. „Heart of Stone“ ist ein merkwürdiger Film. Er will James Bond und „Mission: Impossible“ in einem sein, der Streaming-Anbieter Netflix hat viele Millionen investiert. Aber das Ergebnis, zurzeit der meistgesehene Film bei Netflix, ist ein ewiges Déjà-vu. Gal Gadot („Wonder Woman“, auch Mitproduzentin) spielt Rachel Stone, scheinbar eine verhuschte Agentin beim britischen Geheimdienst, die sich bei gefährlichen Einsätzen auf der Toilette versteckt. In Wahrheit ist sie die Super-Agentin der Super-Geheimorganisation „The Charter“, die ein Super-Technikdingsbums namens „Herz“ besitzt: ein Objekt, mit dem man sich in jeden PC, jedes Handy, jede Überwachungskamera hacken kann. Die totale Überwachung also, aber natürlich zum Wohle der Menschheit. Mit so viel Information greift man überall auf der Welt ein, „ohne die Erlaubnis der Regierungen“; die seien ja ohnehin überfordert und, das darf man weiterdenken, behindert von Lappalien wie etwa Gesetzen.

Schweighöfer als Mann der Technik

Kein Wunder, dass auch Finsterlinge dieses „Herz“ haben wollen, und so beginnt eine Jagd um den Globus, von „London – England“ wie uns der Film geografisch belehrt, über Lissabon, den Senegal bis nach Island. Wechselnde Schauplätze, aufwändige Action-Sequenzen – das hätte das Potenzial für sichtlich angestrebten 007-Flair. Aber richtig zünden mag das Ganze nicht, weil vieles abgestanden wirkt. Da ist Matthias Schweighöfer als Klischee-Technikgenie von „Charter“, das mit großen Armbewegungen projizierte Datenbilder durch den Raum schiebt und der Agentin Stone auf die Sekunde genau vorhersagt, wann Finsterlinge ihre Wohnungstür aufbrechen werden – merkwürdig nur, dass ihm entging, dass sie schon länger schwer bewaffnet im Hausflur herumstehen.

Interview über die Zukunft von James Bond

„Los los los!“ und „Nein nein nein!“

Actionfilme sind selten ein Hort der Logik, aber „Heart of Stone“ macht es sich dann doch zu einfach: Stone wandert problemlos in das unverschlossene Haus eines Agentenkollegen, fummelt am bereitstehenden Laptop herum, erklärt der dort sitzenden Katze, was sie vor hat (damit wir das auch wissen), kitzelt aus dem PC eine höchst geheime Info heraus, um wieder zu gehen, ohne den Laptop auch nur mal zuzuklappen. Flach wie ein zugeklappter Laptop sind auch viele Sätze, vom actionfilmüblichen „Los los los!“ oder „Nein nein nein!“ bis zum Doof-Dialog-Klassiker „Das ist kein Spiel“. Die Erklärbär-Szenen zwischen den kompetenten, aber in dieser Art schon oft gesehenen Action-Sequenzen sind bleiern.

Die totale Überwachung

Wohltuend ist, dass Tom Harpers Film keine große geschlechterpolitische Sache, kein Statement daraus macht, dass es keinen Action-Helden, sondern eine -Heldin gibt. Aber die Hauptdarstellerin Gal Gadot ist nur mäßig ausdrucksstark; den oft müden Drehbuchsätzen haucht sie kein Leben ein, auch denen nicht, die sich oberflächlich um den Konflikt zwischen kalten Daten und menschlicher Intuition drehen. Jedenfalls wird totale Überwachung nicht dadurch sympathischer, dass man von Frau Gadot und Herrn Schweighöfer ausgespäht wird. Vielleicht ist es ja eine gute Nachricht, dass der Film so schlecht ist (und das mediale Echo entsprechend) – möglicherweise pumpt Netflix einige Millionen wieder mal in ambitioniertere Filme, wie das Unternehmen es etwa bei „Roma“ und Scorseses „The Irishman“ getan hat.

„Shiva Baby“ von Emma Seligman

Shiva Baby Rachel Sennott

Rachel Sennott, eine Entdeckung, als Danielle. Foto: Mubi

Was für ein Tag – und was für ein hinreißender Film. „Shiva Baby“ erzählt von einem Tag aus dem Leben der jungen Danielle: vom mittäglichen Sex auf der Couch bis zum Ende einer Beerdigung in der Nachbarschaft. Die Tote kennt sie zwar nicht, aber das hindert sie nicht daran, den Trauergästen vorzuschwärmen, wie viel Lebensfreude die Verstorbene zu Lebzeiten hatte – sie hat Übung darin, anderen etwas vorzumachen; eigentlich ist sie nur auf Bitten ihrer Eltern zugegen, da die mal wieder nach ihrer Tochter schauen wollen, die nicht so richtig den Platz im Leben gefunden zu haben scheint.​

​Junge Menschen auf Sinnsuche sieht man ja immer wieder im Kino – aber selten in so kompakter und wunderbar tragikomischer Form wie in diesem Langfilmdebüt von Emma Seligman. In 77 straffen Minuten führt sie ihre Figur durch extreme Gefühlslagen, mal ist Danielle Herrin der Lage, mal verunsichert, mal knapp vor einem Nervenzusammenbruch.​

Zu Anfang verabschiedet sich Danielle von ihrem Liebhaber Max, der eher ein Kunde ist, den sie beim Vollzug „Daddy“ nennt und der ihr bei den Treffen regelmäßig Geld zusteckt; dass er damit ihr Jura-Studium unterstützt, ist eine fromme Lüge, auf die sich beide wohl dankbar geeinigt haben. So muss sie sich nicht als Nebenher-Prostituierte fühlen, er nicht als Freier, und man mag sich ja auch.​

Bei der Beerdigung ahnt davon niemand, aber Danielles permanent miteinander streitenden Eltern wissen zumindest, dass es beruflich nicht läuft – mit halbherzigen „gender studies“ lässt sich kein Leben finanzieren, die Hinweise auf ein Jura-Studium sind kleine Notlügen. Und so lassen die Eltern nichts unversucht, bei der Beerdigung im Haus der Hinterbliebenen die Trauergäste nach einem Job für ihre Tochter zu fragen – nicht subtil genug, um damit nicht ein bisschen peinlich aufzufallen. Regisseurin und Autorin Seligman schafft da eine wunderbar dichte Atmosphäre und hat ein Händchen für witzige Dialoge, bei denen viele verbale Giftpfeile verschossen werden.​

In dem kleinen Haus stehen die Trauerenden am Buffet herum, sie tratschen, halten Smalltalk („soooooooo nice to see you“), lästern entweder offen oder zwischen den Zeilen. Wenn es heißt, Danielle habe „so schön abgenommen“, folgt gleich der Verdacht auf eine Essstörung.​

Ohnehin nervlich etwas angeschlagen, trifft Danielle eine alte Freundin wieder: Maya, mit der sie einst eine mehr als platonische Beziehung verbunden hat, die Danielle abrupt beendet hat. Die Dialoge zwischen den beiden sind anfangs ziemlich feindselig, man spürt, dass hier noch nicht alles gesagt ist und dass da noch ein altes Feuer glimmt. Den nächsten Schubser in Richtung Nervenzusammenbruch ist die Ankunft des Kunden/Freundes/„Sugar Daddys“ vom Filmbeginn namens Max. Dass der ebenfalls Verbindungen zu ihrer Nachbarschaft hat, wusste Danielle ebenso wenig wie die Tatsache, dass er verheiratet ist, Vater ist und seine ebenso attraktive wie beruflich höchst erfolgreiche Ehefrau dabei hat. Die Beerdigung droht für Danielle zum großem Kollaps zu werden.​

Die kanadische Regisseurin Emma Seligman (27), die in New York Film studiert hat, erzählt das mit viel Witz, Tempo und exzellenten Mimen; die Kamera von Guy Sahaf dreht ihre dynamische Runden in dem Haus voller Menschen; die Musik von und mit Ariel Marx, mit nervösem Schlagwerk und manchmal schrägen Streicherklängen, unterstreicht die Atmosphäre des Absurden und Unerwarteten. Allem zugrunde liegt eine gewisse Melancholie, es geht auch um Enttäuschungen, gescheiterte Pläne, unterschiedliche Lebensentwürfe und unterschiedliche Generationen. Da kann die Riege der Eltern und älteren Bekannten schon mal ziemlich gruselig wirken, wenn die Kamera ganz nahe herangeht und die Szenerie in ein diabolisches Orangerot getaucht ist – in einer witzigen Szene, die wohl eine Hommage an „Rosemary‘s Baby“ ist.​ Ein bemerkenswertes Spielfilmdebüt.

Der Film ist bei Mubi zu sehen.

„Day Shift“ von J.J. Perry

Jamie Foxx als Vampirjäger mit dem schönen Namens Bud Jablonski.  Foto: Parrish Lewis/Netflix

So kann Gentrifizierung auch aussehen: In Los Angeles nisten sich immer mehr Vampire in Immobilien ein, ganze Viertel drohen, Blutsauger-Quartiere zu werden. Zumindest die Stadtverwaltung weiß das und schickt deshalb im Geheimen Vampirjäger los. Das ist der Plot der Netflix-Produktion „Day Shift“, die der Streaming-Dienst wohl gerne zur Reihe ausbauen will, geht man vom Ende mit Potenzial für Fortsetzungen aus. Die sollten dann aber nicht so durchschnittlich sein wie diese leidlich unterhaltsame Kreuzung aus Buddy-Komödie und Horrorfilm, die dabei weder allzu witzig noch besonders gruselig ist.

Überraschend öde: „Heart of Stone“ bei Netflix

Jamie Foxx, Oscarpreisträger 2005 für die Titelrolle der Ray-Charles-Biografie „Ray“, spielt Bud Jablonski, einen Vampirjäger, der sich als Poolreiniger tarnt. Das Geschäft läuft mäßig, denn einst flog er wegen zu wenig Disziplin aus der Vampirjäger-Gewerkschaft und arbeitet jetzt inoffiziell, bei schlechterer Bezahlung. Das Privatleben ist kein Trost, denn seine von ihm getrennt lebende Frau will mit der gemeinsamen Tochter ins anscheinend günstigere Florida ziehen – es sei denn, Bud treibt in fünf Tagen die 10 000 Dollar Unterhalt für Schulgeld und Zahnspange der Tochter auf, die er ihr schuldet. Doch dafür muss Jablonski wieder in die Gewerkschaft; die aber stellt ihm als Aufpasser den jungen Seth (Dave Franco) an die Seite, einen exakt gescheitelten Anzugträger, der sich bestens in Verwaltungsvorschriften auskennt, aber noch nie einen Vampir aus der Nähe gesehen hat.

Stuntveteran J. J. Perry

Der Alpha-Mann und der bebrillte Sesselpupser müssen sich also erst einmal zusammenraufen; zugleich muss die Figur Seth viele Fakten über alle Arten von Vampiren in Richtung Publikum herunterrattern, ohne dass die am Ende besonders wichtig sind. Im Nacken sitzt dem Duo die Obervampirin (Karla Souza), deren blutsaugende Tochter Jablonski in der ersten Action-Szene getötet hat, die durchaus originell ist – eine große Schlägerei, in der allerlei Haushaltsgegenstände eingesetzt werden und sich das Knochengerüst der Vampire als grotesk dehnbar erweist. Inszeniert hat „Day Shift“ Debüt-Regisseur J.J. Perry, ein renommierter Stuntchoreografie-Veteran, jüngst aktiv bei den „John Wick“– und „The Fast and the Furious“-Filmen. So überrascht es nicht, dass die Actionsequenzen hier die (relativen) Höhepunkte sind – in den Dialogszenen tut sich der Film schwerer. Das Komödiantische wirkt plakativ, wenn es etwa zum Running Gag wird, dass sich der junge Kollege bei Feindberührung einnässt oder übergibt; die Szenen innerhalb der Kleinfamilie haben etwas von einer TV-Seifenoper; man spürt, dass das Inszenieren von Schauspielerinnen und Schauspielern nicht Perrys Stärke oder Interessensgebiet ist.

Gute „Predator“-Fortführung: „Prey“

Mehr Engagement zeigt Perry da bei einer rasant choreografierten Actionszene zur Halbzeit des Films in einem Haus, das sich als Vampirnest erweist – aus allerlei Zimmern, Fluren und Schränken tun sich da Blutsauger auf. Dagegen fällt dann das bestenfalls mittelgroße Finale ab. Überraschend ist, wie wenig Grusel der Film dem Vampir-Mythos abgewinnt. Die Blutsauger der unteren Hierarchie-Ebene sind lediglich anonymes Kanonenfutter für Jablonskis Schrotflinte in einigen immer gleichen Baller-Szenen, während die böse Ober-Vampirin eine ziemlich blutarme Figur abgibt – dass sie tagsüber, mit Sonnenschutz, als Immobilien-Unternehmerin arbeitet, ist noch einer der besseren Gags.

Da vergibt der Film viel Potenzial, auch wollen Komödie und Brutalität, Familien-Gefühligkeit und Härte selten zusammenpassen. „Day Shift“ ist beim Streaming gut aufgehoben – bei manchen Szenen zwischen der regelmäßigen Action würde man im Kino wohl etwas ungeduldig auf die Uhr schauen; zuhause kann man sich immer mal wieder Knabberzeug holen und wird in dieser Zeit den Film nicht anhalten wollen.

„Day Shift“ ist bei Netflix zu sehen.

„Prey“ – ein Prequel zu „Predator“


Amber Midthunder als Naru and Dane DiLiegro als Predator. Foto: David Bukach / 2022 20th Century Studios

Irgendwann konnte einem dieses Monster aus dem All schon leidtun: 1987 schlich es im Film „Predator“ erstmals durch den Dschungel, jagte dort aus Spaß an der Safari-Freude Menschen, legte sich dabei aber mit dem Falschen an: Arnold Schwarzenegger, in der Blüte seiner Jahre, auf der Höhe seiner Muskelpotenz und seiner glasklaren Logik – anlässlich von ein paar Tropfen neongrünen Außerirdischen-Bluts schloss er messerscharf: „Wenn es blutet, können wir es auch töten.“ Damit war das Ende des außerirdischen Jägers besiegelt. „Predator“ war damals ein mittlerer Kino-Hit, heute gilt der schnörkellose Film als Actionklassiker, dem neben Comics und Videospielen auch einige Arnold-freie Fortsetzungen folgten. Die hießen mal „Predator 2“, „Predators“ oder „The Predator“, zwischendurch trieben Verzweiflung und Ideenarmut das Studio Fox dazu, die Kreatur mit einem Monster-Kollegen gemeinsam ins Kino zu bringen – jenem Alien aus „Alien“. Nach dem schwachen Wiederbelebungsversuch „The Predator“ von 2018 war die Monsterreihe so tot wie die vielen Opfer des außerirdischen Jägers.

Kinostart wäre verdient gewesen

Durch diese Leichenhalle der überflüssigen Filme weht nun ein vergleichsweise frischer Wind, mit der bislang gelungensten Fortsetzung beziehungsweise Vorgeschichte: „Prey“ heißt sie, distanziert sich durch das Weglassen des Wortes „Predator“ schon von seinen Vorgängern und bietet einen cleveren Kniff. Er spielt nicht in der Gegenwart, sondern in Nordamerika vor 300 Jahren, das der Film in prächtigen Naturaufnahmen zeigt, denen man eine große Leinwand gewünscht hätte – warum der Film nicht ins Kino gebracht wurde, sondern direkt ins Streamingprogramm gepackt wurde, wissen die Götter oder die Entscheider bei Disney, denen die Reihe mittlerweile gehört.

 

Amber Midthunder als Naru auf der Jagd.  Foto: David Bukach / 2022 20th Century Studios

Im Film, inszeniert von Dan Trachtenberg („10 Cloverfield Lane“), hat die junge Comanchin Naru (Amber Midthunder) zwei Gegner: später den Außerirdischen, der in der Prärie Mensch und Tier jagt, von Anfang an aber das Patriarchat. Naru will auch jagen wie ihr Bruder und die anderen Comanchen, doch die Männer trauen ihr das nicht zu und sehen sie bei der Jagd lieber als Sanitäterin, da sie sich so gut mit Heilkräutern auskennt. „Warum willst Du jagen?“, fragt die Mutter. Die Tochter antwortet schmollmundig: „Weil alle denken, dass ich das nicht kann.“ Nun muss man „Prey“ nicht gleich als filmische Speerspitze des Feminismus bejubeln, denn komplexer als in diesem Dialog wird es nicht, aber diese Grundkonstellation ist reizvoll.

Der Horror und seine Trickkünstler: Die Doku „The Frankenstein Complex“

Dass in den Wäldern ein unbekanntes Wesen umgeht, das die Nahrungskette aufwärts würdige Gegner zum Kampf sucht – nach Schlange und Wolf einen nicht völlig überzeugend computergetricksten Bären – ahnt Naru. Aber niemand will ihr glauben. Als man das endlich tut, wird es blutig – und filmisch spannend. Was „Prey“ mit dem ersten „Predator“ verbindet, ist die willkommene Einfachheit des Plots, ausgedacht von Drehbuchautor Patrick Aison. Im Film von 1987 trat eine Bande von US-Söldnern gegen den Jäger an, der ihr die Macho-Attitüde, die markigen Sprüche und das Vertrauen in ihre Hightech-Waffen schnell austrieb. Das war schnörkelloses Actionkino und gleichzeitig eine hintersinnige Parodie desselben, als den Über-Machos (außer Arnold) langsam der Angstschweiß den Männerbauch hinunterlief. Zurück blieben im Finale nur Schwarzenegger, reduziert auf Speer und Lendenschurz, contra Monster. So simpel wie effektiv. So ähnlich ist es, man ahnt es, auch bei „Prey“, wobei Naru mehr Grips als weiland Arnold einsetzen muss.

 

Amber Midthunder als Naru. Foto: 2022 20th Century Studios

Das Finale ist schon fast Routine, der Höhepunkt liegt eher in der Mitte des Films: Denn da treten ganz andere Jäger auf – französische Trapper, die keinerlei Interesse an den Ureinwohnern ihrer neuen Heimat haben und Naru in einen Käfig sperren. Tags darauf, als ihnen klar ist, was da jagend durch die Natur schleicht, binden sie sie an einen Baum, in der Hoffnung, so die Kreatur anzulocken. Diese Sequenz auf einem nebelverhangenen Hügel, auf dem die Trapper gegen den Jäger aus dem All gnadenlos scheitern, der allerlei Waffen mit sich führt und sich unsichtbar machen kann, gehört zu den besten und spannendsten der gesamten Reihe. Und man gönnt den Trappern ihren Untergang, da man weiß, wie sie mit den Ureinwohnern umgehen. Das ist ein schöner Kniff des Films: Zwar deutet der Abspann mit einer Animation von fiktiven indigenen Zeichnungen an, dass längst weitere Außerirdische unterwegs in die Prärie sind – aber wenn Naru am Ende ihrem Stamm sagt, dass man hier nicht mehr sicher sei, kann sie ebenso die Gefahr durch die Neu-Amerikaner meinen, die die Indigenen verdrängen wollen. Wenn man solche Feinde hat, ist ein Außerirdischer nicht das größte Problem.

„Prey“ ist bei Disney+ zu sehen, wie auch die anderen „Predator“-Filme – und jetzt auch auf Bluray und UHD zu haben, bei Disney/Leonine.

„Buba“ von Arne Feldhusen mit Bjarne Mädel

Buba Bjarne Mädel Netflix

Bjarne Mädel als Jakob Otto alias „Buba“. Foto: Netflix

Merkwürdig – warum zündet das Ganze nicht so richtig? Warum ist „Buba“ nie so gelungen, wie man anhand der Beteiligten erwarten dürfte, eigentlich müsste? Trotz Darsteller Bjarne Mädel, von dem man sich ja ziemlich alles ohne Risiko anschauen kann. Trotz Regisseur Arne Feldhusen, der mit Mädel die TV-Perlen „Der Tatortreiniger“, „Stromberg“, „Mord mit Aussicht“ und „Der kleine Mann“ gedreht hat.  „Buba“, ihre jüngste Zusammenarbeit, hat zwar ihre Momente, aber insgesamt enttäuscht diese Netflix-Tragikomödie.

Bierbauch und schlechte Laune

„Buba“ ist eigentlich eine Nebenfigur aus der Neflix-Serie „How to sell drugs online (fast)“: Jakob Otto alias Buba (Bjarne Mädel), ein blondierter Kleinkrimineller mit schlechter Laune und Bierbauch, der im fiktiven Städtchen Rinseln seinen Geschäften nachgeht. Diese Figur überlebt allerdings die erste Staffel der Reihe nicht, wegen eines Arbeitsunfalls sozusagen – er erschießt sich aus Versehen mit einer Pistole aus einem 3D-Drucker. „Buba“ erzählt nun, als neudeutsch „Prequel“, die Vorgeschichte: Wie der kleine Jakob zum großen Jakob wird und schließlich, in einer kleinen Rahmenhandlung, zum toten Jakob.

Das real existierende Fremdsprachen-Akzent-Syndrom

Die Kindheit in den 1980ern ist traumatisch: Denn während Jakob es sich bei einem Breakdance-Wettbewerb gut gehen lässt, bei dem auch Leonardo DiCaprio mitwirbelt (der 1984 tatsächlich bei einem Deutschland-Besuch bei einem Wettbewerb dabei war), sterben seine Eltern bei einem Unfall. Sein Bruder mit dem schönen Namen Dante überlebt mit einer Kopfverletzung, die ihn a) zum täglichen Schlucken einer Pillen-Kollektion zwingt und b) ihn fortan ein wunderbar schmieriges Österreichisch sprechen lässt – eine Folge des real existierenden Fremdsprachen-Akzent-Syndroms.

Netflix Buba

Bjarne Mädel (links) und Georg Friedrich.

Ob die Drehbuchautoren Sebastian Colley („Kroymann“, „How to sell…“) und Isaiah Michalski („King of Stonks“) diese skurrile Idee bemüht haben, um den Wiener Darsteller Georg Friedrich verpflichten zu können, oder ob erst die Rollen-Idee kam und dann die Besetzung, ist unwichtig: Friedrich, der mit Michael Haneke und Ulrich Seidl drehte, zuletzt im Kino in „Die große Freiheit“ zu sehen war, ist gewohnt exzellent. Kaum jemand spielt das liebgewonnene, wenn auch nicht mehr allzu originelle Klischee vom schmierigen Halbwelt-Ösi besser als er; der fleckige Bademantel, den er hier gerne trägt, ist bei ihm ebenso eine zweite Haut wie beim „Dude“ aus „The Big Lebowski“.

Kritik zu „Die Theorie von allem“

Das Verhältnis der mittlerweile erwachsenen Brüder ist so innig wie angespannt – denn Jakob hat aus seinem Schuldkomplex heraus die Theorie entwickelt, dass es ihm möglichst schlecht gehen muss, damit es dem Rest der Welt, vor allem seinem Bruder, gut geht. Eine Prämisse wie aus einem Märchen – und als solches bezeichnet sich auch selbst der Film, in dessen Welt sich Provinz-Mafiosi tummeln, die zwar aus dem heimischen Hinterland kommen, sich aber als Albaner ausgeben, „weil die Leute dann mehr Angst haben“. Bei diesen Pseudo-Albanern heuern die Brüder an und erpressen zum Einstand Schutzgeld, mit mal weniger, mal mehr Brutalität.

Zu viel Guy Ritchie?

Da wirkt es so, als hätten sich die Drehbuchautoren Guy Ritchies schräge Gangsterfilme wie „Bube, Dame, König, Gras“ und „Snatch“ ein oder zweimal zu oft angeschaut; ein Gefühl von Déjà-vu kommt auf. Wenn Gangster über rare Figuren aus Überraschungs-Eiern debattieren oder ihre Chefin (Maren Kroymann) in Seelenruhe und unter aller Augen ein Stück Torte ist, wirkt das manchmal bemüht skurril; die angestrebte Lässigkeit hat etwas Krampfiges. Und ob man die Szene vom Samenraub bei einem Pferd nun drollig oder lediglich derb findet, wird wohl davon abhängen, wie lange man die Pubertät schon hinter sich hat.

Lustige Kopfschüsse?

Natürlich schaut man Mädel und Friedrich gerne zu, wie sie in ihrer muffigen Wohnküche von einem besseren Leben träumen, wenn Dante grantelt, die Brüder müssten „jetzt mal groß denken“; wenn Jakob sich verliebt, weswegen ihn sofort die Sorge umtreibt, dass etwas Schreckliches passieren muss, da es ihm nun ausgesprochen gut geht. Eine Traumsequenz, untermalt von Georg Danzers „Weiße Pferde“ (das Wienerische verfolgt Jakob also auch in den Tiefschlaf), ist originell – aber das große Finale enttäuscht dann: mit hysterischen, neu hinzugekommenen Gangstern, einer bemühten Wendung und einer Schießerei, bei der man sich fragen darf, ob Kopfschüsse im Film so lustig sind, wie die Drehbuchautoren denken.

„Buba“ ist bei Netflix zu sehen, ebenso wie „How to sell drugs online (fast)“.
In der ARD-Mediathek kann man sich mit Bjarne Mädel einige „Tatortreiniger“-Folgen anschauen, außerdem „Sörensen hat Angst“ sowie „Sörensen fängt Feuer“ von und mit Mädel.

„Don’t look Up“ – warum so enttäuschend?

Jennifer Lawrence, Leonardo DiCaprio und Rob Morgan in einer Szene von „Don·t Look Up“. Foto: Niko Tavernise/Netflix/dpa

Die schwarze Komödie „Don‘t look Up“ erzählt vom Weltuntergang und verblödeter Politik, von hysterischen sozialen Medien und Wissenschaftsleugnung, garniert mit vielen Stars. Warum enttäuscht der Film dennoch? 

Sicher – es ist ein Film, der bestens in unsere Zeit passt und auch in diesen Coronawinter: Um Ignoranz und Wissenschaftsleugnung geht es, um die vielbeschworene „Spaltung der Gesellschaft“, um Hass und Hysterie in den sozialen Medien, um Celebrity-Kult, um eine korrupte US-Politik – und den Weltuntergang. Nur: Warum lässt einen die schwarze Komödie „Don’t look Up“ dann doch merkwürdig unberührt zurück? Trotz des sichtlichen Aufwands, trotz des enormen Star-Auftriebs, trotz der Themen?

99,78 Prozent sind eben nicht 100 Prozent

In den ersten Filmszenen entdeckt die Wissenschaftlerin Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence) einen Kometen, der sich zielsicher der Erde nähert. Professor Randall Mindy (Leonardo DiCaprio) errechnet die Folgen – der Himmelskörper wird in sechs Monaten und 14 Tagen auf der Erde einschlagen und die Menschheit auslöschen. Eine Hiobsbotschaft, die die amtierende US-Präsidentin (Meryl Streep als weiblicher Trump) und ihren betont ungehobelten Sohn (Jonah Hill) nicht aus der Fassung bringt, sondern nur ein wenig beunruhigt: Denn schlechte Nachrichten wie diese könnten die wichtige Zwischenwahl in drei Wochen negativ beeinflussen. Und überhaupt: Eine Aufschlagswahrscheinlichkeit von 99,78 Prozent sei eben nicht hundertprozentig. Und 70 Prozent klinge dann gleich viel wählerfreundlicher und sei ja fast dasselbe.

„Dayshift“ mit Jamie Foxx bei Netflix

Ähnliche Ignoranz schlägt dem Wissenschafts-Duo seitens der Medien entgegen – als Dibiasky deshalb in einer Smalltalk-TV-Show die gezwungene gute Laune stört, indem sie die Prognose vom Ende der Welt herausschreit, ist ihr mediales Schicksal besiegelt: Das Foto ihres Ausbruchs rauscht durch die sozialen Netzwerke, fortan gilt sie als Kreisch-Hexe der Wissenschaft. Mindy dagegen wird zum „sexy Wissenschaftler“ erklärt und fortan eingeladen zu: a) weiteren Talkshows und b) ins Bett der Moderatorin mit dem käsigen Namen Brie Evantee (Cate Blanchett).

Steve Jobs plus Elon Musk

Derweil bastelt die US-Regierung dann doch noch an einem Plan, den Kometen per Raketenbeschuss aus der Bahn zu bringen, vor allem, um von einem innenpolitischen Skandal abzulenken – bis der milliardenschwere Technik-Guru Peter Isherwell (Mark Rylance als eine messianisch verehrte Mischung aus Steve Jobs und Elon Musk) eine andere Idee entwickelt: Da der Komet sündhaft teure Mineralien in sich trägt, die für die Produktion von Handys wichtig sind, soll er im Weltall nicht von seiner Bahn abgelenkt, sondern bloß zerkleinert werden, damit er nur in kleinen Stückchen auf die Erde schlägt. Sicher, viele Menschen würden dabei sterben, „aber damit kommen wir klar“.

Vieles wird angerissen, vieles bleibt an der Oberfläche

Autor, Regisseur und Ko-Produzent Adam McKay (53, Drehbuch-Oscar 2016 für die Kapitalismuskritik „The Big Short“) hat sich thematisch viel vorgenommen. In seinem Film ist der Kometeneinschlag Symbol für den Klimawandel, der von manchen Menschen ebenso geleugnet wird wie im Film der Komet, auch wenn man ihn schon längst am Himmel sehen kann. Den Schauspielprofis wie DiCaprio und Lawrence schaut man bei dieser filmischen Farce gewohnt gerne zu, wobei Cate Blanchett als zynische Gute-Laune-Moderatorin die vielleicht beste Rolle hat.

„The Killer“ von David Fincher bei Netflix

Doch das alles hilft nur bedingt, wenn McKays Drehbuch zwar enorm in die Breite geht – die zweieinhalb Stunden Laufzeit fühlen sich spürbar lange an –, aber doch an der Oberfläche bleibt; vieles wird angerissen, aber kaum etwas vertieft. Die Figuren bleiben Platzhalter für Stereotypen, exemplarisch der weibliche Trump – Meryl Streep hat zwar ihre komödiantischen Momente, aber die Figur besitzt keine Zwischentöne; zudem ist der Film wenig subtil, wenn er sie demonstrativ vor einem Porträtgemälde von Ex-Präsident Richard Nixon platziert oder sie mit großer Geste vor einem Treibstofftank rauchen lässt, an dem die Warnung „brennbar“ steht. Wirkt eine solche Warnung, abgesehen vom plumpen Symbolismus, nicht auch etwas zahnlos und verspätet angesichts einer erschreckenden Trump-Präsidentschaft und des Sturms eines rechten Mobs auf das Kapitol?

Subtil ist das nicht

Da scheint McKay seinem Publikum bei Netflix nicht viel Durchblick zuzutrauen, so wie er auch den Großteil Nordamerikas wohl für minderbemittelt hält – auch die Eltern der Wissenschaftlerin, die sie nicht mehr in ihr Haus lassen, weil sie nichts von Politik hören wollen und grundsätzlich jene Jobs befürworten, „die der Komet bringt“. Und dazu weht eine US-Flagge ins Bild – filmischer Populismus aus der linksliberalen Ecke und dabei so plump wie etwa der von wehenden Fahnen gestützte Patriotismus von rechts in Michael Bays Kometenfilm „Armageddon“. Zugleich aber findet der Film gelungene Bilder für die Ignoranz von Fakten – es gibt organisierte Kometen-Leugner, die unter dem Schlachtruf „Don’t look Up“ beschließen, einfach nicht in den Himmel zum heranrasenden Kometen zu schauen – was man nicht sieht, gibt es eben nicht. So wie man eben auch Corona-Fakten leugnen kann.

Man sollte den ganzen Abspann sehen

Bei seiner durchaus witzigen Geißelung von Medien-Irrsinn und Social-Media-Hysterie bleibt der Film aber stets plakativ an der Oberfläche, Hintergründe oder Erklärungen hat „Don’t look up“ nicht im Sinn. Zudem schleicht sich eine gewisse Selbstgerechtigkeit ein; es wirkt, als klopfe sich der Film dafür auf die Schulter, dass er naheliegende Ziele milde veräppelt. Sein Menschenbild ist dabei ziemlich finster; dieser Galerie von korrupten Politikern, oberflächlichen Influencern und tumben Trumpisten gönnt man den Weltuntergang schon ein wenig – abgesehen von den Wissenschaftlern und ihren Liebsten, die in einem Mittelklasse-Einfamilienhäuschen so etwas wie das letzte Abendmahl abhalten.

„Heart of Stone“ mit Gal Gadot bei Netflix

Den Film sollte man nicht während des Abspanns abbrechen – einen kleinen originellen Epilog in der Mitte gibt es noch. Dass der Film dann ganz am Ende des Abspanns noch mit einem Gag endet, der nicht recht zündet, passt gut zu „Dont‘ look Up“.

Der Film läuft bei Netflix.

Die grünen Männchen sind lila: „Die Farbe aus dem All“ von Richard Stanley

 

Color out of space nicolas cage farbe aus dem All Koch Media

Noch ist alles in Ordnung in Neuengland (gedreht wurde wegen Filmfördergelder in Portugal): Joely Richardson und Nicolas Cage als Ehepaar. Foto: Koch Media

 

Irgendwo in den Verträgen von Nicolas Cage muss er wohl stehen, Schwarz auf Weiß, vielleicht dick unterstrichen: der Passus, laut dem der Darsteller im Film mindestens eine Szene des kompletten Ausrastens spielen darf (oder muss), des Zusammenbruchs, des Durchdrehens, Augenrollen inklusive. Bei Youtube findet man minutenlange Montagen aus verschiedenen Filmen, in denen Cage sozusagen dem Affen des Ausrastens Zucker gibt, kiloweise.

So ist über die Jahre der Cage-Kollaps ein wenig zum filmischen Klischee geworden, man erwartet ihn, manchmal wirkt er beinahe pflichtschuldig. Im Film „Die Farbe aus dem All“ dagegen ist er dankenswerterweise ein schlüssiger Teil der Handlung – denn wer würde nicht an seine Nervengrenze kommen, wenn im Vorgarten ein kleiner Meteor einschlägt und alsbald alles aus den Fugen gerät – die Natur, die eigene Wahrnehmung, sogar die Zeit. Doch erst einmal beginnt dieser sehenswerte Film in aller Ruhe mit märchenwaldigen Naturbildern, ominös brummender Musik. Wir sind im tiefsten Grün Neuenglands, wohin sich die Familie Gardner zurückgezogen hat vor der Hektik der Großstadt. Hier ist der Rest der Welt ganz weit weg.

Doch das Familienquintett hadert noch mit der geballten Idylle: Der Vater (Cage) will als Ökobauer und Alpaka-Züchter reüssieren, wirkt aber etwas glücklos; seine Frau leidet an den seelischen Folgen einer Brustkrebs-Operation; die drei Kinder, die sich erst an das Übermaß an Ruhe gewöhnen müssen, trösten sich unter anderem mit dem Hineinarbeiten in die Hexenkunst und ins gepflegte Haschrauchen mit einem Eremiten in der Nachbarschaft, der ein Onkel des „Dude“ aus „The Big Lebowski“ sein könnte. Regisseur Richard Franklin erzählt da, vage nach einer Erzählung des Phantastik-Literaten H.P. Lovecraft (1890-1937), mit einigem schwarzen Humor von einer Familie, die sich zwar liebt, aber durchaus von der Gefahr eines Budenkollers in freier Natur bedroht ist; zugleich baut er mustergültig und fast klassisch Grusel auf, da der dampfende Meteorit vor dem Haus Merkwürdiges mit sich bringt: Das Obst im Garten wächst ungewohnt schnell, außerirdisch-fremdartige Insekten surren umher, der jüngste Spross der Familie hört die Stimme eines imaginären „Freundes“ aus dem Brunnen vorm Haus. Sogar die Tageszeiten scheinen zu verschwimmen. Die Realität ist nicht mehr das, was sie einmal war – ist sie vielleicht längst ein Traum?

Unmerklich steigert der Film das Unbehagen und wird dann nach einer Stunde wirklich grausig – und optisch psychedelisch. Das ganze Grundstück scheint sich langsam aufzulösen in lila Licht, in Visionen eines anderen Planeten (die Heimat des Meteors?), tote Figuren leben wieder (sind sie Erinnerungen ihrer selbst?) – da geht der Film in die Vollen, übertreibt es vielleicht ein wenig, aber erklärt das Grauen erfreulicherweise nicht rational. Handelt es sich um eine außerirdische Invasion? Oder um einen Besuch, der schrecklich schief geht? Wer will das sagen? Zurück bleibt buntes Chaos, schimmernd in der titelgebenden „Farbe aus dem All“ – ein schönes Lila, das an den außerirdischen Schimmer in Alex Garlands meisterlichem Film „Auslöschung“ (zurzeit bei Netflix zu sehen), der ebenfalls von einem Besuch aus dem All erzählt und sich als wunderbarer Partner für ein Doppelprogramm eignete.

 

Richard Stanley Color out of space Nicolas Cage

Regisseur Richard Stanley. Foto: Koch Media

 

„Die Farbe aus dem All“ markiert auch die Wiederkehr eines lange Verschollenen: Es ist die erste Spielfilmregie von Richard Stanley seit 1996. Damals wurde der Filmemacher nach drei chaotischen Drehtagen bei seinem jahrelang vorbereiteten Herzensprojekt „Die Insel des Dr. Moreau“ mit Marlon Brando geschasst und ersetzt – eine traumatische Erfahrung, über die ein Kollege von Stanley 2014 eine abendfüllende Dokumentation drehte. Die vergangenen Jahre verbrachte Stanley in einer Hütte in den Pyrenäen und führte Touristen durch die Berge – das zumindest erzählt er in Interviews.

Zu sehen ist der Film auf DVD und Bluray bei Koch Media und bei Amazon Prime.

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