Szene aus "Perfect days" von Wim Wenders
Hirayama (Koji Yakusho) bei der Arbeit.​ Foto: Master Mind Ltd.

 

Aufstehen. Bettdecke falten. Zähne putzen. Den Schnurrbart trimmen. Die Pflanzen gießen. Dann raus aus dem Haus, in der Morgendämmerung, und los an den Arbeitsplatz: Tokios öffentliche Toiletten. Die putzt Hirayama, ein Mann mittleren Alters, gewissenhaft, gründlich und sogar mit einem kleinen Spiegel, der ihn in sonst verborgene Ecken der sanitären Keramik blicken lässt. Stolz auf seinen Professionalismus ist dem wortkargen, aber freundlichen Mann anzumerken. Nach der Schicht geht es zu einem Schnell-Imbiss, wo er Stammkunde ist, dem man bestellungslos ein Getränk reicht; danach geht Hirayama ins Badehaus, danach meistens nach Hause – zum Lesen und Schlafen, bis der nächste Tag und die nächste Schicht anbrechen.​

Hommage an Ozu​

Muss Routine öde sein, muss der Gleichlauf der Dinge in Langeweile münden? Oder offenbart sich gerade da die Einzigartigkeit im Kleinen, im Detail? Darum geht es, im Groben, in „Perfect Days“, dem jüngsten Film von Wim Wenders; der 78-Jährige ist ein großer Anhänger der japanischer Kultur, Tokios und des Meisterregisseurs Ozu (1903-1963, „Sommerblüten“, „Abschied in der Dämmerung“), einem sensiblen Beobachter der japanischen Gesellschaft.​

Interview mit Kameramann Jost Vacano

Wenders‘ ruhiger, melancholischer Film zeigt die Tagesabläufe Hirayamas; für den ersten nimmt er sich eine halbe Stunde Zeit, wir begleiten den Mann in dem Overall mit dem Slogan „The Tokyo Toilet“ quer durch die Stadt, zu Toiletten, die mal mit Holz gestaltet sind, mal wie kleine Pilze aussehen, mal wie ein kunstvolles Rondell. In der Mittagspause sitzt er mit einer Kamera der Vor-Digital-Ära im Park und fotografiert das Blätterwerk der im Wind rauschenden Bäume und ihr Schattenspiel; für dieses gibt es ein spezielles japanisches Wort, das am Ende des Abspanns erklärt wird – man sollte also ruhig bis dahin im Kino verweilen.​

Der Film war anders geplant​

„Perfect days“ kam ungewöhnlich zustande: 2022 erhielt Wenders eine Anfrage aus Japan, ob er nicht etwas Künstlerisches gestalten wolle über ein Dutzend öffentlicher Toiletten in Tokio – allesamt entworfen von renommierten Architekten. Keine schnöden Buden der Notdurft also, sondern eher Toilettentempel. Wenders flog nach Japan, schaute sich die kleinen Gebäude an und fasste den Plan, statt mehrerer Kurzdokus einen Spielfilm zu drehen, der mit den Gebäuden zusammenhängt. Mit dem japanischen Autor Takuma Takasaki, der ihn für das Projekt nach Tokio eingeladen hatte, schrieb er ein Drehbuch und engagierte den japanischen Schauspieler Koji Yakusho, bei uns bekannt durch Filme wie „Shall we dance?“ und „Babel“. 16 Drehtage hatte er für „Perfect Days“, aufgenommen in einem ungewöhnlichen Bildformat: im altmodischen, fast quadratischen Verhältnis 1:1,33 – als wolle das Bild die Reduktion der Außenwelt wiedergeben, zu der Hirayama sich entschlossen hat.​

Interview mit Andreas Pflüger

So analog wie Hirayamas Kamera ist auch seine Unterhaltungstechnik: Er kauft gebrauchte Taschenbücher (unter anderem von William Faulkner) und hat im Regal allerlei alte Musikcassetten, was dem Film seinen Soundtrack mitliefert, bei dem Wenders vielleicht ein paar eigene Vorlieben untergebracht hat: „Redondo Beach“ etwa von Patti Smith, („Sittin‘ on) the dock of the bay“ von Otis Redding und „Perfect day“, nahe am Filmtitel, von Lou Reed. „The house of the rising sun“ von den Animals hört man zweimal – einmal von Cassetten-Konserve, einmal japanisch live gesungen von der Leiterin eines Restaurants, in dem Hirayama gerne einkehrt, nicht zuletzt der Dame wegen, wie man vermuten kann.​

Analog contra digital​

Beim Einsatz der Musik wirkt der Film manchmal allerdings etwas bemüht und vordergründig, wenn etwa „Sunny afternoon“ der Kinks einen gemütlichen sonnigen Nachmittag untermalt. Auch der Kontrast zwischen alter analoger und digitaler, etwas flüchtiger Welt (ein junger Kollege etwa putzt wenig gründlich, weil er nur Augen für sein Handy hat), wirkt etwas altväterlich.​

Insgesamt aber berührt dieser Film, in dem der scheinbare Gleichlauf dann doch regelmäßig unterbrochen wird und man mehr über Hirayama erfährt – unter anderem der Besuch einer Nichte und deren Mutter legt nahe, dass Hirayamas Rückzug ins Private und das Alleinesein seine Gründe hatte.​

Naives „Weniger ist mehr“ aus Wohlstandsperspektive?

Romantisiert der Film nun die Arbeit des Toilettenputzens, zumal er uns Details erspart und die Sanitäranlagen schon vor der Reinigung sympathisch sauber aussehen? Glorifiziert er materielle Armut zum Sinnspruch „Weniger ist mehr“, der nur dann vielleicht wohlig wirkt, wenn man selbst im Wohlstand lebt? Das nun nicht, aber man sollte keinesfalls eine dokumentarische Darstellung von Arbeit oder Arbeitszusammenhängen erwarten. Diese interessiert den Film nicht. Er will eine bittersüße, herzwärmende Fantasie erzählen über die einzigartigen Momente im Leben, die sich ebenso beim Rauschen von Blättern einstellen können wie beim Rauschen einer Toilettenspülung. Glück zu empfinden, oder eben nicht, ist manchmal Einstellungssache.​