Über Film und dieses & jenes

Monat: Dezember 2022

„Ennio Morricone – Der Maestro“ von Giuseppe Tornatore

Ennio Morricone

Ennio Morricone beim Dirigieren imaginärer Musik in seinem Arbeitszimmer.     Foto: Plaion Pictures

 

Erstaunlich ist einiges an diesem Film über Ennio Morricone: Zum Beispiel, dass dieses Porträt eines so unkonventionellen Künstlers formal so  überraschend konventionell gemacht ist; erstaunlich ist aber zugleich, dass der Film seine elefantöse Länge von zweieinhalb Stunden nicht spüren lässt – zu mitreißend ist der Film, zu berührend. Und erstaunlich ist ebenso, dass man den Maestro, eher ein Mann der Zurückhaltung und Diskretion, bei der Morgengymnastik auf seinem römischen Wohnzimmerteppich sehen kann.​

Übermotivierter Beginn

Damit beginnt die Dokumentation „Ennio Morricone – Der Maestro“ von Giuseppe Tornatore. Für dessen Film „Cinema Paradiso“ hatte Morricone 1988 die Musik geschrieben – der Beginn einer langen Arbeitsbeziehung plus Freundschaft. Basis des Films sind Interviews, die Tornatore mit Morricone (1928-2020) führte, dazu viele Filmausschnitte, Sätze von Kolleginnen und Kollegen, Filmemachern. Zum Einstieg von „Ennio“ prasseln deren lobende Mini-Zitate etwas hektisch herab, als müsse man die Bedeutung des Musikers nochmal betonen; dann aber findet der Film schnell zu einem ruhigen Rhythmus und zeichnet Morricones Leben nach, das der Maestro aus seinem Wohnzimmersessel heraus kommentiert.​

Die Karriere beginnt ungewöhnlich und konträr zu anderen Musikerbiografien: Der junge Ennio möchte Arzt werden, aber der Vater will, dass er Trompeter wird – wie er selbst. Morricone fügt sich, findet Gefallen am Instrument, studiert Trompete und Chormusik am Konservatorium von Santa Cecilia unter dem Komponisten Goffredo Petrassi. Der interessiert sich erstmal wenig für den jungen Musiker;  der wiederum empfindet das Konservatorium als „elitär“, wie er im Film sagt.​

„Schuldgefühl“ wegen Filmmusik?​

Schon damals ist Morricone ein Mann der Avantgarde, besucht die „Internationalen Ferienkurse für Neue Musik“ in Darmstadt (der Film zeigt einen wundersamen Auftritt von Neutöner John Cage) – zugleich ist er aber Pragmatiker, der seine Miete zahlen muss: Als Arrangeur arbeitet er, durchaus mit ungewöhnlichen Ideen, fürs italienische Fernsehen, für Pop-Produktionen, schreibt erste Filmmusiken. Damit etabliert sich bei Morricone ein merkwürdiger Schuldkomplex: Eigentlich empfindet er die Filmmusik als Kompositionsarbeit zweiter Klasse. Er ist sich auch nur zu bewusst, dass die ehemaligen Kollegen am Konservatorium und vor allem sein früherer Lehrer Petrassi das auch so sehen. Das gibt dem Film neben dem Musikalischen und Filmhistorischen auch eine bittersüße biografische Note mit. Dieser Komplex habe ihn bei der Arbeit angetrieben, sagt Morricone, „ich wollte siegen – gegen das Schuldgefühl“.​

 

Mit der Musik zu Sergio Leones Western „Für eine Handvoll Dollar“ beginnt 1964 die große Karriere – Morricone operiert mit verzerrter E-Gitarre, lässt pfeifen, lässt Chöre Kojoten imitieren; fortan werden ihn viele vor allem als Italowestern-Komponisten sehen, auch wenn er bloß um die 30 Filme dieses Genres untermalt hat (und um die 470 andere Produktionen). Allein im Jahr 1969 ist er an 21 Filmen beteiligt, „er schreibt Musik so schnell, wie andere einen Brief schreiben“, sagt eine Kollegin im Film. Das Verhältnis zur eigenen Arbeit scheint bisweilen zwiespältig: Morricone bekennt, dass er sich jeweils 1970, 1980, 1990 (und so weiter) vornahm, nach zehn Jahren mit den Filmen aufzuhören, um danach wieder ganz seriös zu komponieren. Bei dem Vorsatz blieb es dann.​

Machen Experimente arbeitslos?​

Parallel zu konventionelleren Arbeiten wagt er sich gerne an Experimente: Einige Ausschnitte aus Elio Petris Film „Das verfluchte Haus“ von 1968 mit Franco Nero zeigen, wie Morricone mit Geräuschen und Klangeffekten operiert, die Grenzen zwischen Musik und Sounddesign auflöst. Auch römische Krimis wie „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ untermalt er experimentell – mit dem Ergebnis, dass ihm Kollegen ankündigen: „Wenn Du so weitermachst, bist Du bald arbeitslos“. Das wird er dann doch nicht.​

Kubrick wollte Morricone

Im Film erfährt man manch Überraschendes: Etwa, dass Stanley Kubrick Morricone für seinen Film „Uhrwerk Orange“ engagieren wollte, was aber wohl Regisseur Sergio Leone intrigant und mit etwas Wahrheitsbeugung verhinderte – möglicherweise wollte er nicht, dass sein liebster Komponist (und Klassenkamerad) nicht für einen anderen Kinogiganten schreibt. Morricone lästert im Film ein wenig über Regisseur Brian DePalma, für den er 1987 „The Untouchables“ komponierte; er habe immer gewusst, welche seiner Ideen den Filmemacher am meisten begeistern würden – jene, die er selbst am schwächsten fand. Die Doku illustriert das mit einem Ausschnitt aus dem Kevin-Costner-Mafiakrimi, der zeigt, dass Morricone manchmal durchaus Edelkitsch und Pathos produzierte.​

Ein paar „talking heads“ zu viel

„Ennio Morricone – Der Maestro“ erzählt konventionell: Der Komponist spricht, man sieht Filmausschnitte, hört Musik und Statements von Wegbegleitern und prominenten Fans. Die sind manchmal so kurz und nichtssagend, wirken so, als sollten sie vor allem demonstrieren, wen man alles vor die Kameras bekommen hat: Hans Zimmer, John Williams, Bruce Springsteen, Joan Baez, James Hetfield von Metallica sind dabei, sagen aber kaum mehr, als dass sie Morricone bewundern. Selbst Clint Eastwood, den wegen seiner Italowestern-Phase einiges mit Morricone verbindet, ist bloß mit einem nichtssagenden Satz vertreten. Aber geschenkt: Der Film lässt auf ein ungemein fruchtbares Künstlerleben blicken (das Private bleibt außen vor), führt durch ein großes Stück Filmgeschichte – und lässt in wunderbarer Musik schwelgen.  ​

Auf DVD und Bluray bei Plaion Pictures.

Ausstatter Bernhard Henrich: „Ein Haufen Zeug“ für George Clooney​

Moderatorin Lydia Kaminski mit Bernhard Hengrich im Saarbrücker Kino Achteinhalb.

Für Steven Spielbergs Film „Bridge of Spies“ wurde Bernhard Henrich für den Oscar nominiert. Der Niederwürzbacher „Set Decorator“ hat internationale Karriere gemacht – wie seine Arbeit aussieht, davon hat er am Samstag in Saarbrücken erzählt. Angefangen hat alles mit Schaufenstern in Saarbrückens Bahnhofstraße.​

Falsche Höflichkeit ist nichts für Bernhard Henrich. „Das Drehbuch war viel besser als der fertige Film“, sagt er. „Monuments Men“ sei beim Dreh viel zu lange geworden und im Schnitt wieder stark zusammengekürzt worden. Das mag erklären, warum es im Film von und mit George Clooney dramaturgisch manchmal ruckelt und das Ganze nie so ganz zu packen vermag. Trotz Stars wie Matt Damon, Bill Murray und Cate Blanchett; trotz der historisch verbürgten Geschichte über US-Soldaten im Zweiten Weltkrieg, die in Europa nach Kunstwerken suchen, die das NS-Regime gestohlen und verschleppt hat.​

Mit das Interessanteste am Film von 2014 ist die prächtige, detaillierte Ausstattung – und für die ist Bernhard Henrich verantwortlich, gebürtiger Niederwürzbacher Bergmannssohn, Jahrgang 1952 und von Beruf „Set Decorator“. Was man da genau tut, hat er am Samstagabend im Kino Achteinhalb erklärt, bei einer Filmwerkstatt des Saarländischen Filmbüros und der Saarland Medien. Nach „Monuments Men“ erklärt er erst mal in aller Kürze, wie er einst als Schaufensterdekorateur in Saarbrückens Bahnhofstraße beim PK (heute Galerie Kaufhof) arbeitete, dann zu Hertie und Karstadt nach Berlin ging und dort am Schillertheater landete und die Bühne gestaltete. Das Theater verließ er dann im Streit um Zuschläge, erzählt er im Gespräch mit Moderatorin Lydia Kaminski, und wandte sich der Filmarbeit zu, auf Rat des legendären Produzenten Artur „Atze“ Brauner.​

Für Polanski muss Usedom amerikanisch aussehen​

Die Walter-Kempowski-Fernsehverfilmung „Ein Kapitel für sich“ von 1979 ist eine seiner ersten großen Arbeiten als Ausstatter, rasch beginnt eine internationale Karriere, mit dem „Zauberberg“, „Der große Bellheim“, „Comedian Harmonists“, mit der „Bourne Verschwörung“, dem Stauffenberg-Film „Operation Walküre“ mit Tom Cruise und Roman Polanskis „Der Ghostwriter“ – da baute er unter anderem auf Usedom viele oberirdische Stromleitungs-Attrappen, damit die Insel amerikanischer aussieht, wie der Handlungsort Martha’s Vineyard. Für Steven Spielbergs „Bridge of Spies“ wurde Henrich 2016 für den Oscar nominiert.​

„Monuments Men“ entstand überwiegend in Deutschland im Studio Babelsberg in Potsam und dessen Umland. Henrich begann mit „Recherche ohne Ende“ über die damals geraubten Werke, über Rahmen, Verpackung beim Transport und hatte dann die Aufgabe, die enorme Menge der Raubkunst – fünf Millionen Werke – filmisch darzustellen, ohne eben fünf Millionen Attrappen zu bauen. „Georgie“, sagte Henrich zu Regisseur Clooney, wie er erzählt, „wir bauen eine hundert Meter tiefe Höhle und stellen die mit Kisten und Kunst voll“.​

Skulpturen aus Hasendraht​

Das war nun leichter gesagt als getan. Henrich und sein Team bauten tausende Bilderrahmen aus Schaumstoff, holten die Bildrechte für jedes einzelne Gemälde ein, das sie für den Film reproduzieren würden, schafften Skulpturen unter anderem aus dem legendären Cinecittà-Studio in Rom heran; zugleich bauten sie eingehüllte Skulpturen, die laut Henrich „vor allem aus Hasendraht“ bestanden, und bauten zudem noch viele weitere Bilderrahmen aus Gips – denn in einer kurzen Szene wurden die mit Flammenwerfern beschossen, sollten aber nicht lodernd in Flammen stehen, damit das Studio Babelsberg nicht gleich mit abbrennt.​

Nicht jedes Detail landet auch im Film​

In Brandenburg hat Henrich ein US-Militärcamp gebaut, auf einem Areal von vier Quadratkilometern – historisch korrekt bis hin zu drei leuchtend roten Löscheimern; die zeigt der „Set Decorator“ im Achteinhalb auf Produktionsfotos, im Film sind sie aber nicht zu sehen; der Frust, dass das Publikum nicht jedes Detail der eigenen Arbeit sieht, ist im Metier der Ausstattung wohl eine Berufskrankheit. Was man im Film nicht übersehen kann, sind die Berge von Autoreifen im US-Camp, die sich Regisseur Clooney für eine kleine Szene gewünscht hat. Henrich ließ einen realen Reifen abformen, davon Duplikate aus Schaumstoff machen und dann stapeln (jeweils neun Stück) – am Ende waren es 14 400 Reifen.​

Man müsse natürlich genau arbeiten, sagt Henrich, aber der historischen Wahrheit dürfe man nicht komplett verpflichtet sein. Film sei eben Film: Die großen Hakenkreuze etwa auf den NS-Raubkunstkisten seien nicht korrekt – aber sie machten alles schnell klar als die damals übliche, kleinere Beschriftung; auch die offenen Kisten im Film für viele Gemälde seien bloß die halbe Wahrheit. Nur die Kisten aus dem Louvre hätten so luftig und halb offen ausgesehen, nicht die aus anderen Museen. Aber wenn man in den Kisten so schön die Raubkunst sehen kann, warum sollten dann nicht alle Kisten so ausschauen, dachte sich Henrich – und ließ 3000 Stück zimmern. „Das war ein Haufen Zeug.“​

In einer Szene von „Monuments Men“ gehen Clooney und seine Mitstreiter einen Strand hoch und auf der anderen Seite wieder herunter. Gedreht wurde das tatsächlich in zwei Ländern: „In England gehen sie den Strand hoch“, sagt Henrich, „und wenn sie wieder runtergehen, sind sie schon in Brandenburg, das Frankreich darstellen soll.“ Ein Beispiel für die Magie des Filmschnitts – oder, wie Henrich ironisch sagt, „ein bisschen Beschiss“.  ​

„Menschliche Dinge“ von Yvan Attal


Alexandre Farel (Ben Attal) soll die 17-jährige Mila vergewaltigt haben.      Foto: Jérôme Prébois/Curiosa Films

 

Was ist in diesem Schuppen im nächtlichen Paris geschehen? Der Film zeigt es nicht, die Kamera bleibt draußen – und die Wahrnehmung der Beteiligten klafft auseinander. Für Alexandre war es einvernehmlicher Sex, für die 17-jährige Mila eine Vergewaltigung. Sie zeigt Alexandre an, der Prozess beginnt 30 Monate später; er macht die letzte Stunde dieses sehenswerten Films aus, nach dem man wohl lange diskutieren wird.​

„Menschliche Dinge“, eher frei nach dem Roman von Karine Tuil, ist ein harter Brocken, knapp zweieinhalb Stunden lang, mit sehr intensiven Szenen und  expliziten Verhören. Regisseur und Co-Drehbuchautor Yvan Attal blättert ein großes Tableau auf, denn ihm geht es auch um die Schockwirkungen auf die Familie der beiden – und um deren Wertesysteme, gerade in Hinsicht auf die Geschlechter. Da ist Jean Farel (Pierre Arditi), der Vater des Angeklagten, ein grauhaariger Star-Journalist, dem gleich zu Beginn eine deutlich jüngere Programmdirektorin ankündigt, seine Sendung nach 30 Jahren einzustellen; für ihn nichts anderes als eine stellvertretende Rache der Frau „an allen Männern, mit denen sie schlafen musste, um nach oben zu kommen“.​

Seine Ex-Frau ist die feministische Autorin Claire (Charlotte Gainsbourg), die im Radio harte Strafen für Vergewaltiger fordert. Derweil schwebt Sohn Alexandre (Ben Attal) zu Besuch aus den USA ein, wo er als Elite-Student reüssiert. Er lernt in Paris den neuen Lebenspartner seiner Mutter kennen und geht mit dessen lange jüdisch orthodox erzogener Tochter Mila (Suzanne Jouhannet) zu einer Party.​

Dort kommt es, da sind sich Anklägerin und Angeklagter einig, zum Sex in jenem Schuppen. Aber war er einvernehmlich? Und fällt die Mutter des Angeklagten, die feministische Autorin, den Frauen in den Rücken, wenn sie ihren Sohn für unschuldig hält? Und wird die Anklägerin Mila weniger glaubwürdig, weil sie auf Fragen im Prozess hin erklärt, dass sie zuvor eine sexuelle Beziehung zu einem deutlich älteren verheirateten Mann hatte? So sieht es die Verteidigung – eine perfide Taktik –, während die Anklage  nebenbei soziale und kulturelle Unterschiede bemüht, vom „armen jüdischen Mädchen“ spricht, das Opfer wird eines Oberklasse-Alphamannes.​

Gestaltet ist der Film über weite Strecken sehr packend, mit einer beweglichen Kamera, die durch Wohnungen und Polizeireviere kurvt, und mit durchweg sehr guten Darstellern. Nur bei der Gerichtsverhandlung tun sich Schwächen auf, da lässt Regisseur Attal, wohl um den Eindruck des Statischen vorzubeugen, die Kamera allzu auffällig herumfahren; auch Momente von Pathos tun sich auf, in der Rede der Mutter des Angeklagten und beim Plädoyer der Anwältin der Anklägerin. Die Lage bleibt bis zuletzt komplex, weil „Menschliche Dinge“ eben nicht zeigt, was geschehen ist – das macht den Film ambivalent, interessant und zum Anstoß von Diskussionen.

Liebe und Angst: „Poppy Field“ von Eugen Jebeleanu

Polizist Cristi (Conrad Mericoffer) im Kino, das homophobe Nationalisten besetzt haben.    Foto: MissingFilms

 

„Stoppt die Homo-Mafia!“ „Gottes Strafe wird kommen!“ Das skandiert eine Gruppe von Fanatikern, die in Bukarest ein Kino besetzen, Jesus-Bildchen schwenken und die Vorführung eines Films mit lesbischer Thematik unterbrechen. Polizisten versuchen, die hitzige Situation abzukühlen – mit dabei zwischen den hysterischen Demonstranten und den wütenden Kinogängern ist der junge Polizist Cristi. Er ist homosexuell, aber die Kollegen wissen das nicht – und er tut alles, damit die es nicht erfahren, fürchtet er sich doch vor Anfeindungen in diesem Umfeld mit klarer Hetero-Macho-Ausrichtung.​

Reale Kino-Störungen in Bukarest​

Das ist der Ausgangspunkt von „Poppy Field“, einem intensiven Film aus Rumänien, dem Filmdebüt des Theaterregisseurs Eugen Jebeleanu. Die Demonstration im Kino ist dabei keine Drehbuchfiktion – mehrere Vorführungen von Filmen mit homosexueller Thematik sind vor einigen Jahren in Rumänien gestört und unterbrochen worden.​

Bevor es im Film zu dem Konflikt im Kino kommt, erzählt Regisseur Jebeleanu vom Privatleben Cristis – sein Freund Hadi aus Paris reist an, zusammen in Cristis Wohnung sind sie glücklich; doch auf Hadis Idee, gemeinsam übers Land zu fahren, reagiert er abweisend. Cristis Schwester schaut vorbei, mischt sich ein, versteht dessen Widerstand nicht, verabschiedet sich schnell wieder. Aber vorbeischauen wollte sie doch, denn sie interessiert sich für Christis „aktuelle Gay-Phase“, die sie wohl für genau das hält – eine Phase, die vorüber geht.​

Gängelung durch die Polizei​

Bei diesen langen Dialogen liegt viel Spannung in der Luft, die sich noch steigert, als Cristi seinen Dienst antritt und ins Kino gerufen wird. (Erst jetzt erfahren wir, dass er Polizist ist). Die Stimmung dort ist aufgeheizt, auf Seiten der hysterischen Homophoben ohnehin, aber auch auf Seiten der Kinogänger – denn abgesehen von der abgebrochenen Vorstellung dürfen sie das Kino nicht verlassen, ohne dass ihre Personalien erfasst werden.​

Für Cristi wird die Situation zunehmend schwierig – einer der Kinogänger ist ein alter Bekannter, möglicherweise Liebhaber, der ihm droht, dessen Sexualität offenzulegen. Der reagiert mit Gewalt. Wohl nicht zum ersten Mal im Dienst – die Kollegen wollen ihn widerwillig noch einmal decken, eventuell auch mit kollektiven Lügen. Cristi sitzt alleine im leeren Kino, während sich die Situation im Foyer sehr langsam entkrampft. Nacheinander kommen einige Kollegen zu ihm, reden mit ihm, einer zeigt Verständnis, dass er es „der Schwuchtel mal gezeigt hat“, ein anderer erzählt von sich; und durchweg versucht Christi, die Hetero-Fassade aufrecht zu erhalten – auch mit homophoben Sprüchen.​

Diese längeren Gesprächspassagen haben durchaus etwas Theater- und auch Thesenhaftes; filmisch ist das dennoch packend, da die Darsteller exzellent sind – vor allem Conrad Mericoffer als Christi, in dem es spürbar brodelt, der aber nichts herauslassen will und dann in Panik zuschlägt. Zudem haben die hitzigen Szenen im Kinofoyer eine geradezu dokumentarische Kraft, Kameramann Marius Panduru ist sehr nahe an den Figuren, man ist mittendrin – ein aufwühlender Effekt.​

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