Über Film und dieses & jenes

Monat: September 2018

Die BBC-Serie „White Gold“ auf DVD

Willkommen bei „Cachet Windows“ (von links): Die drei Doppelglasfenster-Verkäufer Fitzpatrick (James Buckley), Vincent Swan  (Ed Westwick)  und Lavender (Joe Thomas). Foto: BBC /Polyband

 

England 1983 – Doppelglas-Fenster sind das Produkt der Stunde. Die brillante BBC-Serie „White Gold“ erzählt von drei Verkäufern im Hinterland, ihrem Ehrgeiz und ihren Mauscheleien.

Einen Rauchmelder hat er wohl nicht im Schlafzimmer. Denn der würde Alarm schlagen, angesichts der dichten Haarspray-Wolken, mit denen Vincent Swan jeden Morgen seine akkurate Frisur betoniert. Der Scheitel sitzt, und los geht es in den neuen Tag, der viel verheißt – viel Geld. „Es ist nicht illegal, Menschen Dinge zu verkaufen, die sie sich nicht leisten können“, ist Swans Motto und Mantra. Wir schreiben das Jahre 1983 und sind in einem ländlichen Ort im England unter Margaret Thatcher. Die Hauptstadt ist weit weg, soziale Unruhen sind es  erst einmal auch.

„Wanker“

„White Gold“ heißt diese exzellente BBC-Serie, deren erste Staffel jetzt auf DVD erscheint (eine zweite Staffel soll demnächst gedreht werden). Jenes titelgebende „weiße Gold“ ist der billig zu produzierende und teuer zu verkaufende Kunststoff, der das Wunderwerk Doppelglasfenster in der Fasson hält. Diese Fenster verkauft Swan en masse und mit einem Gewinn von 600 Prozent. Dabei helfen  ihm sein gutes Aussehen (als wäre der Alain Delon der 1960er Jahre in der britischen Provinz gelandet), sein unbändiger Ehrgeiz, Narzissmus, seine Skrupel- und Gnadenlosigkeit. Dass jemand großflächig das Wort „Wanker“ („Wichser“) in den Lack seines Cabrios kratzt, ist absolut nachvollziehbar – Swan weiß das selbst am besten, was ihn auch wieder etwas sympathisch macht.

Gary Numan in Luxemburg

Autor und Regisseur Damon Beesley scheint neben einem Faible für rasante Komik ein düsteres Menschenbild zu haben – mit seinem Serienpersonal möchte man sich nur bedingt zum Fünf-Uhr-Tee treffen: Swans Kollege Fitzpatrick ist ein schnauzbärtiger Langweiler, der nur zur großen Form aufläuft, wenn er älteren Damen schamlos eine Renovierung der gerade erst frisch (von ihm) eingebauten Doppelglasfenster aufschwatzt; der mittelscheitelige Kollege Lavender ist da rücksichtsvoller, aber er wird sich im Laufe der Serie der kollektiven Schlechtigkeit anpassen – erst einmal muss er das Trauma (und den Kollegenspott) überwinden, dass er als Bassist bei Sänger Paul Young ausstieg, Wochen bevor der mit „Wherever I lay my hat“ zum großen Star wurde.

 

Egomane de luxe: Vincent Swan (Ed Westwick). Foto: BBC /Polyband

Um dieses Trio rotiert ein Karussell mit plastisch bis drastisch gezeichneten Figuren: der konstant schreiende Firmenbesitzer etwa; der berüchtigte lokale Gangster, der gerne mit der foltertechnisch effektiven Kombination von Genitalien und Schraubstöcken droht; eine Sekretärin, die man in politisch weniger korrekten Zeiten als strohdumm hätte bezeichnen dürfen; der Handwerker der Firma, der seine 16-jährige Tochter als „Seite 3“-Model groß herausbringen will. Es ist schon eine Galerie des menschlichen Grusels, in der bestenfalls noch Swans Frau und Verkäufer Lavender als halbwegs integre Figuren die Fahne der Unbestechlichkeit hochhalten – doch auch sie haben letztlich ihren Preis. Genau wie die Beamtin vom Finanzamt, die von Swan 50 000 Pfund fordert, doch kurzfristig über ihr Faible für den hübschen Verkäufer Lavender stolpert und über ihre erotische Vorliebe für ins Ohr geraunte Steuernummern.

Frei ab 16

Will Autor/Regisseur Beesley hier vor allem den brutalen Thatcherismus der 1980er Jahre geißeln? Oder den aktuellen neoliberalen Irrglauben an einen Markt, der ja alles regelt? Wohl beides, wobei die Serie nie ins Polit-Predigen verfällt. Sie ist zu sehr damit beschäftigt, diese sechs halbstündigen, rasant erzählten Episoden anzufüllen mit flott-deftigem Sprachwitz (dem die deutsche Synchronisation nicht ganz gerecht wird), mit manchen derben Ideen (völlig zurecht erst frei ab 16) und bizarren Situationen.

Vincent Swan mag ein Egozentriker sondergleichen sein, aber man begleitet ihn doch gerne bei seinem Auf-, Ab- und Wiederaufstieg. Der britische Schauspieler Ed Westwick („Gossip Girl“) gibt ihm eine enorme, manchmal manische Energie mit: wenn er Kollegen aufs Kreuz legt, seine Frau mit der Lehrerin des Sohns betrügt (auch aus Frust, weil er bei einem Schulausflug zu viel „Andrew Fucking Lloyd Webber“ hören musste), wenn er seinen Chef ruiniert und sich ab und an direkt an die Kamera wendet, um uns zu erkären, dass das jetzt ein besonders mieser Trick war, „sogar für meine Verhältnisse“.

Garniert ist das Ganze mit zahllosen Musikstücken aus den 80ern. Joe Jacksons „Steppin’ Out“ ist ein Leitmotiv, dazu hört man The Jam, The Stranglers, Gary Numan, Duran Duran, Depeche Mode und Kollegen. Je nach Alter des Zuschauers ist das nostalgisches Labsal – und bildet einen schönen Kontrast zwischen wohligem Wiedererkennen der Musik und dem tragikomischen Grusel angesichts des Treibens dieser Narzissten in der Provinz.

Erschienen bei Polyband. Sechs halbstündige Folgen.
Bonus: Drehbericht.

Mustergültig: „Der wilde Planet“ auf Blu-ray

"Der wilde Planet" René Laloux Roland Topor Camera Oscura Mediabook

Das Draag-Mädchen Tiwa.        Foto: Camera Obscura

Hut ab vor den kleinen, feinen Heimkino-Firmen. Die großen Studios pflegen die Filmgeschichte zunehmend weniger und sitzen auf prallen Archiven mit älteren Filmen, die vielleicht keine Konsens-Klassiker, aber wertvoll sind und dennoch nicht veröffentlicht oder mindestens unterlizensiert werden. Und wirklich wertvolles Bonus-Material – abseits des üblichen PR-Interview-Gedöns’ – scheint ihnen auch immer weniger wichtig.

Perle des Animationsfilms

Umso erfreulicher, dass kleine Firmen, etwa Bildstörung oder Camera Obscura,  mit  Idealismus herausragende Editionen zusammenstellen. Etwa „Der wilde Planet“, eine Perle des europäischen  Kinos und ein Klassiker des Animationsfilms. Rundum-Künstler Roland Topor (1938-1997) und Regisseur René Laloux (1929-2004) hatten schon in den 1960ern einige Kurzfilme zusammen gedreht, 1973 wurde ihr Langfilm „Der wilde Planet“ ein Triumph. In eine bizarre Welt führt uns der Film. Eine junge Mutter und ihr Kind flüchten panisch vor einer riesigen blauen Hand – die gehört zu einem der Draags, den hochentwickelten Bewohnern dieses Planeten, die die eher versehentlich vom Planeten Erde mitgenommenen kleinen Menschenwesen als skurrile Haustiere halten. Das kleine Kind überlebt die Verfolgung durch zwei Draag-Jugendliche, die Mutter nicht; so nimmt sich eines der Kinder des Erdenmenschen an und nennt es „Terr“ (aufschlussreicherweise als Koseform von Termite). Mit einem Halsband, das Terr dahin zieht, wo man ihn haben will, beginnt sein Leben bei den Draags, die am liebsten meditieren und Mitfefühl nicht zu ihren herausragenden Eigenschaften zählen. Über die Jahre eignet sich Terr das enorme Wissen der Draag an und findet Gleichgesinnte bei seinem Wunsch nach Rebellion.

 

"Der wilde Planet" René Laloux Roland Topor Camera Oscura Mediabook

 

Diese Geschichte um Unterdrückung und Freiheit, um Flucht und rivalisierende Kulturen erzählt der Filmen in manchmal fast surrealen Bildern – Topors Fantasie scheint grenzenlos, er stattet diese ferne Welt mit bizarren Wesen aus und mit überirdisch wirkenden Bildern. Dazu hat der französische Musiker Alain Goraguer (zeitweise ein Wegbegleiter Serge Gainsbourgs) eine psydelisch anmutende Musik zwischen Jazz und sanftem Rock komponiert; sie lässt an die Klänge denken, die die Landsmänner von „Air“ Dekaden später aufgenommen haben.

„Flash Gordon“, die wunderbare Kitschtorte

Der faszinierende Film liegt nun erstmals hochauflösend auf Blu-ray vor, und das Bonus-Material lässt tief eintauchen in seine Welt und die der Künstler: Vier Kurzfilme von Laloux sind dabei (1964 bis 1987), dazu das einstündige Porträt „Topors Träume“ von 1994 und ein Film über René Laloux, charmant „Laloux sauvage“ betitelt. Mit T-Shirt, Bart und Bäuchlein sieht er wie ein Onkel von Kollege Luc Besson aus und erzählt von den Schwierigkeiten beim Dreh von „Der wilde Planet“ – bei den Vorbereitungen zog sich Topor zurück, „weil seine Mutter meinte, der Film wäre nicht gut für ihn“. Und um mit dem knappen Budget auszukommen, drehte Laloux den Film im damals kommunistischen Prag der Niedriglöhne. Die Ironie angesichts eines Films über Klassenkämpfe und Unterdrückung ist ihm bewusst: „Wir waren die ersten Franzosen, die die Globalisierung ausgenutzt haben.“

Der Film ist bei Camera Obscura erschienen.

 

"Der wilde Planet" René Laloux Roland Topor Camera Oscura Mediabook

Burghart Klaußners Romandebüt „Vor dem Anfang“

Burghart Klaußner Gene Glover Das schweigende Klassenzimmer Der Staat gegen Fritz Bauer

Burghart Klaußner, fotografiert von Gene Glover.

 

Ist das Ende ein Traum? Eine Todesfantasie? Oder  doch die Realität? Die letzten Seiten wirken jedenfalls wie eine Verheißung – die Luft ist warm, der Rauch der Zigaretten steigt girlanden­gleich in die Höhe, „eine Art Sommer“ ist da, und die Zukunft gleich mit. Ein brutaler Kontrast zu den 24 Stunden davor, in denen die Soldaten Fritz und Schultz durch ein zerbombtes Berlin fliehen, auf dem Rad, zu Fuß, mit einem Boot, ständig in Angst vor den Russen, vor deutschen Feldjägern, die die beiden für Deserteure halten könnten, vor dem Tod aus der Luft. Davon erzählt „Vor dem Anfang“, das Romandebüt von  Burghart Klaußner. Der 68-Jährige spielt an der Bühne, im Fernsehen und Kino („Die fetten Jahre sind vorbei“, „Der Staat gegen Fritz Bauer“), inszeniert am Theater und tritt auch als Sänger auf – jüngst beim Neunkircher Günter-Rohrbach-Filmpreis.

Interview mit Burghart Klaußner

Nun also ein Roman, ein gelungener. Das Schreiben, sagt Klaußner, lasse ihn ganz genau hinschauen, das Leben wie unter einem Mikrokoskop betrachten. Entsprechend ist seine Erzählperspektive: Als Leser sind wir den Figuren ganz nah, wir wissen nicht mehr als sie, sehen nur, was sie sehen: Momentaufnahmen, episodische Schlaglichter aus Berlin an einem Apriltag 1945. Fritz und Schultz, die sich bisher mehr oder weniger frontfern durchwurschteln konnten, sollen eine Geldkassette (mit 750 Reichsmark) möglichst schnell quer durch Berlin transportieren, von ihrem Flugplatz zum Reichsluftfahrtministerium. Eine absurde Mission angesichts der Lage: Alles löst sich auf, die russische Armee ist fast in Sichtweite. Doch der Auftrag ist dem Zwangsgemeinschafts-Duo ganz recht: Beide hoffen, sich danach irgendwie abzusetzen und das Kriegsende an einem sicheren Ort zu erleben.

 

 

Mit Zeitdruck, allgegenwärtiger Bedrohung und Figuren in ständiger Hatz baut Klaußner viel Spannung auf, wobei er manche Erwartung unterläuft: Erst scheint der ruhigere, besonnenere Schultz zur Haupfigur zu avancieren, doch dann folgt der Roman über weite Strecken dem anfänglich wenig sympathischen, zu lauten, zu dominanten Fritz. Quer durch Berlin geht es, durch Laubenkolonien („selbst die Bäumchen hatten etwas Geducktes“), in die bröckelnde Innenstadt, zur fast tödlichen Begegnung mit einem Feldgendarmen, am Funkturm vorbei, durch Hinterhöfe am Kottbusser Tor hinein ins dunkle Gemäuer eines Luftschutzkellers. Dort gelingt dem Buch eine der atmosphärischsten Episoden: wenn die Betondecke bebt, der Putz rieselt – und eine Frau mit Berliner Galgen-Witz „Ruhe da oben“ in Richtung Bomber schreit.

Einiger schwarzer Humor zieht sich durch den Roman, den Klaußner schnörkellos und unprätentiös erzählt, aber nicht simpel. Immer wieder flieht Fritz gedanklich zurück in bessere Zeiten, auf sein Boot „Traute“, das auch jetzt das Ziel ist. In dessen warmem Schiffsbauch will er sich flüchten. Das Segeln ist ein zentrales Motiv (Klaußner ist passionierter Segler, wie Fritz). Wenn der  sich an das Überleben eines nächtlichen Sturms erinnert, gehört das zu den intensivsten Passagen: Ein Blitz erhellt die Nachtschwärze, „Plötzlich sah man, wo man war! Im Weltraum“. Und der Donner nach dem Blitz „hatte eine klare Botschaft. Er kam direkt von Gott. Und er löschte jede Hoffnung aus.“ Diese regelmäßigen Rückblenden, bis auf eine Ausnahme stes elegant im Erzählfluss verankert, unterfüttern die Person Fritz, die uns immer näher kommt. Bis er jenen „Anfang“ erleben kann, den der Titel des Buchs verheißt, wird es noch eine lange Berliner Nacht.

 

Burghart Klaußner: Vor dem Anfang.

Kiepenheuer & Witsch, 173 S., 18 €.

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