Film und dieses & jenes

Monat: Mai 2021

Grimmig: „Shorta“ von Frederik Louis Hviid und Anders Olholm

Shorta Koch Films Krimi

Mit der Drangsalierung eines Jugendlichen (Tarek Zayat) durch Polizist Andersen (Jacob Lohmann) beginnt der lange Tag in der Vorstadt. Foto: Koch Films

Die ersten Bilder erinnern schmerzhaft an die Tötung von George Floyd durch die Misshandlung eines US-Polizisten vor einem Jahr: Im Film „Shorta“ liegt ein Mann am Boden, auf den Boden gepresst von dänischen Polizisten – später werden Ärzte versuchen, sein Leben zu retten. Im dänischen Hochhausghetto, aus dem der Misshandelte kommt, brodelt die Wut. Und genau dort ziehen die Polizisten Andersen (Jacob Lohmann) und Hoyer (Simon Sears) ihre Runden – keine guten Kollegen, sondern eine Zwangsgemeinschaft: Der besonnene Hoyer soll Andersen, einen Bär von einem Mann, voller Wut und Rassismus, im Auge behalten, gilt der mit seinem alphatierhaften Auftreten als wandelndes Risiko.

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Das ist die Ausgangslage des Films vom Duos Frederik Louis Hviid und Anders Olholm (Regie und Buch), das souverän die Genre- und Spannungs-Mechanik beherrscht: Eine atmosphärische Montage mit Bildern grauer Hochhäuser, umflogen von Polizeihubschraubern, zieht ohne Schnörkel in den Film hinein; gereizt ist die Stimmung zwischen den beiden Polizisten, was sich noch zuspitzt, als Andersen, um zu zeigen, „wer hier das Sagen hat“, einen Jungen (Tarek Zayat) drangsaliert und demütigt. Als der sich wehrt, verhaftet ihn Andersen – doch aus dem Ghetto kommen sie nicht heraus: Jugendliche attackieren den Wagen, die Polizisten fliehen nun zu Fuß mit dem Verhafteten quer durch die Vorstadt. Für sie beginnt ein endlos langer Tag auf der Flucht, durch Keller, Hinterhöfe, Geschäfte, Wohnungen. Als urbaner Thriller, als Verfolgungsfilm funktioniert „Shorta“ in seiner ersten Stunde perfekt, zumal sich die kontrastreiche (und drohend klischeehafte) Charakterzeichnung der Figuren langsam auflöst – vom Schwarz-Weiß hin zu Grautönen. Da ist der bullige Andersen nicht mehr ganz nur ein schnell entflammbarer Macho-Polizist mit Rassismus-Duktus, „der böse Cop“; und Hoyer ist auch nicht mehr der komplett integre Muster-Beamte.

„The KIller“ von David Fincher

Dramaturgisch kommt der exzellent gespielte Film allerdings etwas ins Stolpern, als er von einer Annäherung zwischen den Polizisten und dem Verhafteten erzählt – das wirkt etwas bemüht. Und auch die Geografie des Ortes scheint sich je nach Plot-Erfordernis zu wandeln: Mal erscheint der Vorort als riesiges Viertel, aus dem man ohne Kompass nie wieder herausfindet. Dann wiederum ist er so klein, dass der angeschossene Andersen ausgerechnet bei der Mutter des Verhafteten zufällig Zuflucht findet. Dennoch: ein packender Krimi über Gewalt und Gegengewalt – entsprechend konsequent und düster fällt das Finale aus.

DVD, Bluray, digital bei Plaion.

Und danach duschen: „Ex Drummer“ erstmals auf Blu-ray

Nach manchen Filmen muss man erstmal verschnaufen – nach „Ex Drummer“ will man aber auch noch duschen. So viel Dreck und Verzweiflung hat selten ein Film derart konsequent aufgetürmt. Dem berühmt-berüchtigten belgischen Film gelingt es heute ebenso wie bei seiner Premiere 2007, zu verstören. Jetzt ist Koen Mortiers Spielfilm erstmals auf Bluray erschienen, in einer mustergültigen Edition von Camera Obscura.

Schmutz und Müll, Angst, Aggression, Alkoholismus, aber auch schwarzer Humor und ein ziemlich böser Sarkasmus: Mortier erzählt, nach der Romanvorlage des in Belgien sehr populären Autors Herman Brusselmans eine wilde Geschichte. Drei Möchtegern-Punkmusiker aus dem drögen Hinterland von Ostende, jeder gezeichnet mit einem körperlichen Handicap, wollen einen hippen Schriftsteller als viertes Bandmitglied rekrutieren, um von dessen Popularität zu profitieren; der willigt ein, wittert er in dem Trio dieser Abgehängten mit Wutbürger-Potenzial doch wunderbaren Romanstoff. Und ein bisschen Armuts-Voyeurismus ist auch dabei, ist doch der alles durchdringende Wohnküchenmief nach alten Bierdosen, vollen Aschenbechern und sehr lange ungewechselter Unterwäsche für ihn zumindest eine kurze Abwechslung zu seinem sterilen Hochhaus-Elfenbeinturm.

 

Ex Drummer Camera Osbscura

Der schnöselige Schriftsteller und Elends-Voyeurist Dries (Dries Vanhegen).       Foto: Camera Obscura

 

Arroganzgestählt und gewandet mit einer Lederjacke als Punkrock-Accessoire, beginnt der Schriftsteller, das Trio – einen lispelnden Sänger, einen Bassisten mit steifem Arm und einen schwerhörigen Gitarristen – zu beobachten und zu manipulieren. Dass dies nicht gut endet, darf man vermuten.

 Dabei lässt der Film kaum eine Obszönität oder Körperflüssigkeit, kaum ein Tabu aus – ob „Ex Drummer“ da einen ähnlichen Elends-Voyeurismus pflegt wie die Figur des Schriftstellers? Ausschließen kann man das, egal wie man es sieht, nicht bei diesem Film, der durchaus an die Nieren geht, dabei aber auch immer wieder von rabiatem Humor ist – eine Punkband des finalen Konzertwettbewerbs benennt sich nach dem niederländischen Schriftsteller Harry Mulisch („Die Entdeckung des Himmels“) und schmückt sich mit einem Sänger, der möglicherweise das größte Glied der Filmgeschichte zeigt (Mark Wahlberg in „Boogie Nights“ kann da sozusagen einpacken).

Die Edition des rührigen Labels Camera Obscura ist wie gewohnt eine Freude: Das Bild ist exzellent, und als Bonus gibt es einiges: im Booklet einen Essay von Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger über die Rolle von Punk im Kino, über den Film und am Rande über dessen Produktionsgeschichte: acht Jahre mühte sich Regisseur Mortier um die Finanzierung – das erfährt man auch in Videostatements von ihm und in einem launigen Drehbericht von damals. Dazu gibt es zwei Musikvideos, einen Auftritt einer Punkband, die es nicht in den fertigen Film geschafft hat und zwei Kurzfilme von Mortier, der in einem neuen Interview erzählt, wie verhasst der Film in Flandern war und was sein Leitspruch bei Schwierigkeiten bei den Dreharbeiten war: „Wie würde Scorsese dieses Problem lösen?“

Erschienen bei
Camera Obscura.

 

„Jesus shows you the way to the highway“ von Miguel Llansó

Jesus shows you the way to the highway Kino Matrix Miguel Llansó

Die Agenten mit Stalin- und Redford-Maske unterwegs.    Foto: Rapid Eye Movies

Hat man diesen Film hinter sich, muss man erst einmal seine Hirnwindungen sortieren – sie könnten verquirlt sein nach diesen 79 Minuten voller bizarrer Ideen, grotesken Humors, Satire und Jux. Die Handlung von „Jesus shows you the way to the highway“ (jetzt fürs Heimkino erschienen) nachzuerzählen, kann dann auch nur eine vage Annäherung sein: Nach einer Titelsequenz in der Ästhetik von piepsigen PC-Spielen der 1980er Jahre geht es flott hinein in die Handlung, die ein bisschen wie „Matrix“ ohne Budget, aber mit viel Spaß am Surrealen wirkt. Zwei CIA-Agenten müssen in eine virtuelle Welt eintauchen, um dort einen PC-Virus zu bekämpfen: Denn der stört das System, das den Betrieb einer futuristischen Stadt steuert, aufs Empfindlichste.

Das Wandeln der Agenten namens Palmer und Gagano durch diese virtuelle Welt zeigt der Film auf wunderbar bizarre Weise – mit Personen, die sich so ruckartig bewegen, als seien sie durch Einzelbild-Trick animierte Kunststoff-Figuren wie in einem alten „King Kong“- oder Dinosaurier-Film. Zudem tragen die Agenten im virtuellen Raum Papiermasken, die eine mit dem Antlitz von US-Komiker Richard Pryor, die andere mit dem von Robert Redford.

 

Jesus shows you the way to the highway Kino Matrix Miguel Llansó Rapid Eye Movies

Agent Gagano (Daniel Tadesse Gagano) in der Dusche mit seiner Gattin.    Foto: Rapid Eye Movies

 

Nach Feierabend, zurück in der realen Welt will Agent Gagano – gespielt vom kleinwüchsigen Darsteller Daniel Tadasse Gagano – allerdings seinen Dienst quittieren und mit seiner Frau eine Kickboxschule eröffnen. Dazu kommt es nicht, denn es droht noch mehr Ungemach. Ein PC-Virus namens „Sowjetunion“ (mit dem Antlitz von Stalin, dessen Helfershelfer allerdings mit Bundesadler-Armbinde geschmückt sind) bedroht das Betriebssystem der CIA. Gagano muss noch einmal ran – und findet aus der virtuellen Welt nicht mehr heraus. Derweil strahlt „Sowjetunion“ in die Welt hinaus, zettelt Verschwörungen an, und auch eine Art afrikanischer Batman namens „Batfro“ kommt ins Spiel – nicht zu vergessen einige Kampfsportkünstler. Über Insekten in Menschengestalt, aus denen dann die menschlichen Darsteller herausschlüpfen, wundert man sich schon schon nicht mehr.

Es ist eine Wundertüte, die der spanische Regisseur/Autor Miguel Llansó hier auskippt. Dabei ist diese spanisch-estländisch-äthiopisch-lettisch-rumänische Koproduktion kein wahllos bunter Trash, sondern kunstvoll zusammengesetzt – als wolle der Spanier der allgegenwärtigen Blockbuster-Glätte ein rauhes Gegenbild unter die Nase halten (oder reiben). Drehorte in einer Fabrik sollen das Innere eines U-Bootes simulieren, das fast schon antike Computer-Mobiliar erschafft eine mal wohlige, mal ärmliche Retro-Atmosphäre, unterfüttert mit Low-Budget-Flair. Die Schnitte sind bisweilen bewusst holprig, und sogar in der Originalfassung sind die Dialoge nachsynchronisiert, was dem Ganzen einen weiteren Verfremdungs-Effekt kredenzt; sinnigerweise hat man sich für die deutsche Fassung ebenfalls Ungewöhnliches ausgedacht: Da sprechen die Musiker der Berliner Band „Stero Total“ – Brezel Göring und die im Februar gestorbene Françoise Cactus – gleich alle Rollen. Warum auch nicht?

Erschienen bei
Rapid Eye Movies

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