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Kategorie: Comic

„War and Peas“ stellen in Saarbrücken aus: „Silly Empire“

Jonathan Kunz Elizabeth Pich "War and Peas" Tobias Keßler

Jonathan Kunz und Elizabeth Pich – „War and Peas“.   Fotos: tok

Aus Saarbrücken kommt ein international erfolgreiches Comic-Projekt: Unter dem Titel „War and Peas“ texten und zeichnen Elizabeth Pich und Jonathan Kunz kurze Geschichten über Leben und Tod, Liebe und Einsamkeit. Knapp 100 Arbeiten sind jetzt im Saarbrücker KuBa zu sehen.

So ein skeptischer Säugling. Eben noch weilte er im warmen Mutterbauch – jetzt ist er in der Welt und fragt sich, ob er die beste Zeit seines Lebens schon hinter sich hat. Ins Grübeln kommt auch der schnurrbärtige Bob. Auf die Frage, was er gerade so tue, antwortet er: „Triviale Aktivitäten, um mich von der Bedeutungslosigkeit meiner Existenz abzulenken.“ Und die göttliche Macht, die aus dem blauen Himmel herab spricht, weiß auch nicht wirklich weiter. Nach einem Lebensplan befragt, empfiehlt Gott einfach ein gutes Speise-Eis.

So sind eben das Leben und dessen diskutabler Sinn bei „War and Peas“. Unter diesem Titel zeichnen und texten Elizabeth Pich und Jonathan Kunz seit 2011 ihre Comic-Geschichten, so gut wie immer als kompakte Vier-Bild-Konstruktion. An der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) haben sich die beiden kennengelernt und veröffentlichen jeden Sonntag eine neue „War and Peas“-Geschichte auf ihrer Internetseite, stets in Englisch – der Internationalität des Comic-Marktes halber (zudem lebte Pich in den USA, bis sie 14 war).

Der Erfolg ihrer Kunst ist groß – 282 000 Abonnenten bei Facebook, bei Instagram eine Million, seit Silvester. Das erste Buch ist auf dem deutschen Markt erschienen („Von Hexen und Menschen“), außerdem in den USA, in Frankreich und in spanischer Übersetzung. Jetzt zeigen Pich und Kunz, die beide in Saarbrücken leben, im KuBa Kulturzentrum eine Auswahl ihrer Werke. Mit um die 90 jeweils einzeln gerahmten Comicgeschichten, dazu zwei Skizzenbüchern zum Blättern und auch mit dem, womit sie ihre im Netz kostenlos anschaubare Kunst mitfinanzieren: Merchandise. Kaputzenpullis etwa mit „War and Peas“-Motiven, Mützen, Aufkleber und ein T-Shirt mit einem Slogan, der bestens passt in ihre immer etwas unsichere, unwägbare Welt: „100 % not sure“. Das Merchandise bei der Ausstellung zu zeigen, sei wichtig, sagt Jonathan Kunz, sei das doch ein wichtiger Aspekt des Lebensunterhalts, wenn man kostenlose Web-Comics veröffentlicht. Gerahmte und signierte Drucke wie in der Ausstellung könne man auch über die Internetseite des Duos kaufen, „so gesehen ist die Ausstellung wie ein Showroom, wir zeigen, was wir verkaufen“.

 

 

Die Kunst von „War and Peas“ ist reizvoll trügerisch. Der Zeichenstil mag betont reduziert und unschuldig wirken, doch der Inhalt ist nie harmlos, sondern hintersinnig und meist melancholisch getönt: Um Einsamkeit geht es oft, um Gefühle, die aneinander vorbei strömen, um schwierige Kommunikation, um den Tod – das alles unterfüttert mit schwarzem Humor und unerwarteten Pointen. Eine ebenso witzige wie berührende Mischung, in dem es eines nicht gibt, auch wenn manche Leserinnen und Leser das entdeckt haben wollen: Sarkasmus. „Nein“, sagt Pich, „den gibt es nie bei uns. Wir lachen nicht von oben über unsere Figuren oder kommentieren sarkastisch, wir fühlen immer mit unseren Figuren mit.“ Ob nun mit einem liebeskranken Roboter oder einer frustrierten Wolke, die sich, nach der Beleidigung durch einen Menschen, aus Rache bevorzugt über Hochzeitsfesten ausregnet.

 

Gehängt ist die Ausstellung nicht chronologisch oder thematisch, wobei es doch kleine Schwerpunkte gibt mit jenen Figuren, die sich über die Jahre als feste Charaktere etabliert haben: allen voran die libidinös lebenslustige Zauberin  „Slutty Witch“, wie sie in der englischsprachigen Ausstellung heißt (und „Schlampenhexe“ in der deutschen Buchfassung). Sie kann man begleiten, wenn sie zum Befremden ihrer Katze den Abend mit einem Vibrator verbringt oder ihrem Regal voller Totenköpfe ein weiteres Exemplar hinzufügt: diesmal unglücklicherweise den eines Psychologen, der mit klapperndem Gebiss kundtut, mit dieser Totenkopfsammlung fülle die Hexe bloß eine Leerstelle in ihrer lieblosen Existenz. Da ist er wieder – der Sinn beziehungsweise der Un-Sinn menschlichen Lebens. Und die Einsamkeit. „Die ist ein grundlegendes Thema bei uns“, sagt Elizabeth Pich, „sie ist eine Volkskrankheit“ – nicht zuletzt durch das Internet und die sozialen Medien, in denen Gefühle so schwer zu deuten seien. „Aber wenn man Web-Comics macht, kann man das Internet ja nicht ganz verteufeln.“

 

Humor und Melancholie sind in den Comics nicht zu trennen: Wenn etwa der leibhaftige Sensenmann, eine der festen Figuren, seine Runden dreht und bei einer älteren Dame auf dem Sofa hängenbleibt, bei Keksen und Kakao. Da wird dem Gevatter Tod wohl kurz die brutale Dimension seines Berufs bewusst – aber mitnehmen wird er die Dame doch. In einem anderen Comic muss eine Heuschrecke, ein junger Gottesanbeter namens Timmy, damit leben lernen, dass seine Mutter den Vater artgerecht  kurz nach Timmys Zeugung gefressen hat. Und was passiert, wenn er mal heiratet?

„Silly Empire“, albernes Reich nennt sich die Ausstellung. Wieso? „Weil wir uns eine Art Kosmos erschaffen haben“, erklärt Pich, „unsere Figuren leben in derselben Welt“ – und in gewisser Weise die beiden Künstler auch: Es wird humoristisch autobiografisch, wenn ein Autorenduo auf Empfehlung seines Publikums hin zur Therapie geht. Lustig seien die Comics ja schon, gibt die Therapeutin zu, aber den beiden könne man nicht mehr helfen; und ein anderer Therapeut stellt fest, dass sie mit ihren anatomisch unkorrekten Zeichnungen ihren Hochschul-Professor zum Weinen brächten. Aprops Hochschule: Kunz selbst hat einige Jahre an der HBK den Masterschwerpunkt Comic/Graphic Novel betreut, bis es keine Einigung mehr über eine langfristige Weiterbeschäftigung gab, da die HBK in einer „Planungsphase“ bezüglich des Masterschwerpunkts sei, wie sie mitteilte; demnächst wird Kunz die Hochschule verlassen.

Kunz und Pich planen derweil ein zweites Buch, das mit der Welt von „War and Peas“ nichts zu tun haben wird. Ein poetisches Werk in Reinform soll es werden, in nostalgischer Optik und angelehnt an ihre Arbeit „A Job is a Job“, die man auf der „War and Peas“-Seite lesen kann. Doch erst einmal gibt es die Ausstellung im KuBa, die laut Kunz so etwas ist „wie ein Gang durch unsere Gehirne“.

warandpeas.com

„War and Peas“ – das erste Buch

 

Ein einsamer Baum mit Erektion. Der Sensenmann, der zwecks Arbeitserleichterung mit einem Skateboarder wettet, dass der doch sicher über ein Haifischbecken hüpfen kann. Ein Hund, der mit seinem Frauchen Verstecken spielt und nicht versteht, dass sie nahezu blind ist. Ein Roboter, der mit unerwarteten Gefühlen ringt. Eine Wolke, die sich mit Platzregen für menschliche Demütigungen rächt.

Willkommen in der eigensinnigen, bittersüßen, mal melancholischen, mal auch grausamen Welt  von „War and Peas“. Seit 2011 zeichnen und texten Elizabeth Pich und Jonathan Kunz, beide 31 Jahre alt, beide in Saarbrücken lebend, unter diesem Titel ihre kleinen großen Geschichten, die trügerisch sind. So betont schlicht und unschuldig der Zeichenstil wirkt, so  wenig harmlos ist der Inhalt: Um Einsamkeit geht es oft, um Gefühle, die aneinander vorbei strömen, um schwierige Kommunikation, um den Tod – das alles unterfüttert mit einem sehr schwarzen Humor und unerwarteten Pointen. Eine hinreißende Mischung. Seit einigen Jahren veröffentlicht das Duo, das sich an der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) kennengelernt hat, jeweils sonntags eine Geschichte im Internet, stets in Englisch – der Internationalität halber, zumal Pich in den USA lebte, bis sie 14 war. Jetzt erscheint das erste Buch mit gesammelten Geschichten: „Von Hexen und Menschen“.

Eine davon heißt „Schöne Traurigkeit“. Ein passendes Motto für die gesamte Arbeit des Duos? „Stimmt. Viele unserer Comics haben etwas Trauriges, was vielleicht daran liegt, dass wir beide einen gewissen Hang zum Weltschmerz haben“, sagen Pich und Kunz. „Wir können uns der Definition des US-Humoristen John Vorhaus anschließen: ‚Komik ist Wahrheit und Schmerz‘“. Aber traurige Pointen seien nicht das Ziel, „sondern das wohnt uns beiden inne. Wir kriegen häufig die Rückmeldung, dass Menschen beim Lesen geweint und sich befreit gefühlt haben. Ein schöneres Kompliment kann man nicht bekommen.“

Mit Tolstois „Krieg und Frieden“ hat der Künstlername „War and Peas“ nun nichts zu tun, das Wortspiel mit Peas/Erbsen und Peace/Frieden geht auf eine Zeichnung des Duos zurück, in der eine Karotte (!) ein Buch namens „War and Peas“ liest. Ein Wortspiel, das „unseren Humor perfekt repräsentiert“.

Die wiederkehrenden Figuren in den Geschichten und im Buch, darunter eine libidinös lebenslustige Hexe, waren kein Konzept von Anfang an, sondern sie haben sich über die Jahre organisch zusammengefunden. „Unser Hexen-Charakter etwa wurde mit einem Comicstrip namens ‚Slutty Witch‘, ‚Schlampenhexe‘, geboren. Darin wird sie an Halloween von einem notgeilen Typen angebaggert, der am Ende als Trophäe an ihrer Wand landet. Uns sind dann noch mehr Geschichten zu ihr eingefallen, sodass die ‚Schlampenhexe‘ heute unser Aushängeschild ist. Bei den anderen Charakteren ist es ähnlich, sie kommen und gehen. Wir wollen uns da nicht auf ein bestimmtes Set an Charakteren beschränken.“

Von der Idee bis zur fertigen Zeichnung kann es Wochen dauern, Monate – und manchmal bloß Minuten.  Eine Hälfte des Duos zeichnet los, die andere stellt das Ganze dann möglicherweise wieder um, „beide Prozesse zusammen sind wichtig“, sagen die beiden „damit es den typischen ‚War and Peas‘-Flair bekommt“. Feste, büroähnliche Arbeitszeiten und –termine gibt es nicht. „Wir funktionieren da eher nach dem Chaosprinzip“, auch wenn die beiden sich für ihre Geschichten mittlerweile „eine Pipeline anlegen, damit wir auch ein paar Wochen im Voraus planen können“. Dass die Comics etwa noch am Tag der Veröffentlichung gezeichnet werden, was schweißtreibenden Druck mit sich bringt, tut sich das Duo nur noch in Ausnahmefällen an.

Der Erfolg jedenfalls ist enorm. Bei Facebook haben „War and Peas“ 200 000 Abonnenten, bei Instagram 700 000 – lässt sich damit auch die eigene Arbeit finanzieren? (Pich ist freie Künstlerin, Kunz arbeitet als Lehrbeauftragter an der HBK.) „Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube, und viele Leute denken, wir müssten steinreich sein. Follower selbst bringen dir kein Geld ein, aber es hilft bei den Vertragsverhandlungen mit dem Verlag“, als Beleg einer potenten Fanbasis. Der große US-Postkartenanbieter Hallmark hat vier Strips des Duos gekauft und bringt sie drei Jahre lang heraus. „Der Deal war ein kleiner Ritterschlag, und es gab einen kleinen Geldsegen – aber wirklich viel war das nicht. Da darf man sich nichts vormachen.“

Auch nicht bei Patreon, einer Internet-Plattform, auf der Fans von Künstlern regelmäßig spenden können, um deren Arbeit zu unterstützen. „Die Idee ist super“, sagt das Duo, „aber eine solche Seite bedeutet auch wieder zusätzliche Arbeit. Man kann sich ja leicht ausrechnen, dass nur ein Bruchteil unserer Follower einen Dollar spenden müsste, um uns finanziell unabhängig zu machen. Das ist nicht der Fall, aber wir sind dennoch sehr dankbar um jeden einzelnen Patron, der uns mit seiner Kleinspende hilft, auf Werbung auf unseren Plattformen verzichten zu können.“

Kurios ist, dass vor der deutschen Ausgabe, die gerade erschienen ist, schon in den USA  vor einigen Monaten eine internationale Version herausgekommen ist, beim renommierten Andrews-McMeel-Verlag, der Heimat etwa von „Calvin & Hobbes“. Der mit dem Duo befreundete US-Comiczeichner Nick Seluk, dessen Reihe „The Awkward Yety“ sehr populär ist, stellte den Kontakt zum amerikanischen Verlag her, „weil er es nicht glauben konnte, dass wir noch keinen Verlag haben“. Künstlerisch reingeredet haben die Redakteure von McMeel nicht, auch wenn manche Gags – etwa der Vampir, der es sich in Fledermausform in der Vagina seiner Hexenfreundin gemütlich macht – vielleicht nicht für die ganze Familie gedacht sind. „Für den Verlag war das Projekt schon ein gewisser Spagat, weil er seinen Hauptsitz im eher prüden Missouri hat.“ Mit der Resonanz jedenfalls ist der Verlag sehr zufrieden, sagt das Duo.

 

War and Peas Panini Verlag

Elizabeth Pich und Jonathan Kunz. Foto: Lukas Ratius

 

Der deutsche Verlag Panini sprach die beiden bei der Comic Con in Wien an, er war nicht als einziger interessiert. „Es waren noch andere deutsche Verlage an dem Buch dran, aber am Ende hat sich Panini durchgesetzt.“ Überrascht waren die beiden, wie leicht die Übersetzung ihrer englischen Texte ins Deutsche war, ohne Pointen zu verändern. „Ein paar Strips funktionieren natürlich besser als andere, aber am Ende waren wir wirklich zufrieden.“ Das Buch ist nahezu identisch mit der internationalen Ausgabe, abgesehen von einem neu gestalteten Cover und, zur Freude des Duos, einer Hardcover-Bindung.

Bei einigen Hunde- und Katzengeschichten mit schrägen bis surrealen Pointen kann man an den US-Zeichnerkollegen Gary Larson denken – ein Vorbild? „Wir kannten seine Arbeiten zuvor nicht – aber als wir immer wieder dieselbe Rückmeldung bekamen, haben wir uns ein bisschen damit auseinander gesetzt und waren direkt begeistert.“ Begeistert sind die beiden etwa auch von der Zeichnerin Clementine Hunter, der Künstlerin Louise Bourgeois, dem „Calvin und Hobbes“-Schöpfer Bill Watterson oder der US-Komikerin Amy Poehler. „Aber Vorbilder haben wir nicht. Der jeweils andere ist immer unser Vorbild, da brauchen wir keine anderen.“

Jonathan Kunz und Elizabeth Pich: War and Peas – Von Hexen und Menschen. Panini, 160 Seiten, 19 Euro.
Info: www.warandpeas.com

 

Dominique Goblets Comic „So tun als ob heißt lügen“

 

Dominique Goblet: So tun als ob heißt lügen. Avant-VerlagDominique Goblet: So tun als ob heißt lügen. Avant-Verlag

 

Was für ein Angeber. „Mein Nachbar vergöttert mich“, trompetet der Mann mit dem Seepferdschnurrbart; sein Hund habe ihn auch vergöttert (bevor er ihn einschläfern ließ, weil er „durchdrehte“); und die Ex-Kollegen von der Feuerwehr, die lieben ihn bis heute, sagt er und fläzt sich mit Schmerbauch aufs Sofa. Es ist also kein leichter Nachmittag für die Tochter des Mannes, die ihren Vater zum ersten Mal seit vier Jahren wiedersieht, begleitet von ihrer kleinen Tochter. Die hat den Opa zwar noch nie getroffen, stellt aber die naheliegende Frage: „Wieso hast Du deinen Papa so lange nicht gesehen, Mama?“

Es ist eine schwierige Familiengeschichte, die die belgische Künstlerin Dominique Goblet (50) hier erzählt – es ist, im Großen und Ganzen, ihre eigene. Um die zerbrechende Ehe der Eltern geht es, um die Auswirkung auf die Eheleute und vor allem auf die Tochter. Sie ist als Kind im Innersten erschüttert und wird es wieder sein, als sie sich verliebt – aber betrogen wird.

Verliebtheit und Alltag

Goblet kleidet diese Geschichte in unterschiedliche Stile. Einmal, weil sie verschiedene Zeitebenen und auch Gefühlszustände illustriert; aber auch, weil sie über einen Zeitraum von zwölf Jahren an dem Band arbeitete und sich der künstlerische Zugang über die Zeit wohl verändert hat. Mal sind  sepiacolorierte Kohlezeichnungen zu sehen, mal uncolorierte Bleistiftzeichnungen mit fein ausgearbeiteten Details, mal mit ausholenden Schraffuren.  Das Gefühl frischer Verliebtheit und Intimität fangen die Bildfolgen ebenso atmosphärisch wie Motive eines vor sich hin schleichenden Alltags, wenn ein Hund einige Bilder lang über einen Hinterhof schleicht und am Himmel ein Jet vorbeizieht.  Aus der Vergangenheit der Hauptfigur steigen immer wieder fast körperlose Gestalten wie böse Geister hervor, Rückblenden führen in diese angeschlagene Kindheit, aufgerieben zwischen zwei kreuzunglücklichen Eheleuten, in der das Vertrauen in die Welt schwindet, die Angst vor der Lüge wächst und sie auch begleitet, als Dominique längst eine erwachsene Frau ist – und ihr neuer Freund noch von seiner alten Flamme erwärmt wird.

Der Comicband  ist dabei weder Psycho-Nabelschau noch Seelenpein-Grau-in-Grau (beziehungsweise -Sepia), sondern eine ästhetische Freude mit einer anrührenden und abwechslungsreichen Optik. Am Ende weichen die Zeichnungen und Sprechblasen mehrfarbigen, grob gepinselten Farbseiten mit einzelnen Sätzen – der Nebel aus alten Ängsten scheint zu verfliegen, das Leben klart sich auf.

Dominique Goblet: So tun als ob heißt lügen. Aus dem Französischen von Annika Wisniewski. Avant-Verlag, 148 Seiten, 29,95 Euro.

www.avant-verlag.de

 

Der Comic „Turing“ von Robert Deutsch

Alan Turing Enigma Benedict Cumberbatch

 

Es ist eine grausige und wahre Geschichte: 1954 nimmt sich der britische Mathematiker Alan Turing das Leben. Er litt an Depressionen, die ein Medikament auslöste, das zu nehmen ihn der Staat genötigt hatte: entweder diese „Östrogen-Therapie“ (eine Art chemischer Kastration) oder eine Haftstrafe. Denn Turing war homosexuell, was damals (nicht nur) in England unter Strafe stand. 2009 entschuldigte sich die britische Regierung offiziell, 2013 begnadigte und rehabilitierte ihn die Queen.  Turings Schicksal als verfolgter Homosexueller ist eines von vielen. Bekannt ist sein Fall aber, weil  Turing als einer der führenden Theoretiker der Computertechnik gilt und im Krieg maßgeblich an der Entzifferung der Codes der deutschen „Enigma“-Verschlüsselungsmaschine beteiligt war.

Der Leipziger Künstler Robert Deutsch widmet sich diesem Leben mit einem Comicband, dem es nur ganz am Rande um „Enigma“ geht: Deutsch stellt Leben, Lieben und Sehnsucht in den Mittelpunkt seines berührenden Werks „ Turing“. Mit dessen Tod beginnt es und bewegt sich dann drei Jahre zurück, nach Manchester, wo Turing einen jungen Mann kennenlernt, mit dem er eine Freundschaft beginnt und ihm Einblick gibt in seine Seele voller verdrängter Sehnsüchte. Was er erst nicht ahnt: Die Motive des jungen Mannes sind vor allem krimineller Natur. Als Turing sich an die Polizei wendet, liefert er sich ungewollt der Justiz aus, für die er ein Krimineller mit Krankheitssymptomen ist, die man bekämpfen muss.

Robert Deutsch erzählt in einem bunten, manchmal grob gepinselten, kindlich und naiv wirkenden Stil. Der steht in brutalem Kon­trast zur tragischen Handlung — so wie der sehnsüchtige  Turing im Gegensatz zu einer Welt steht, die ihn misstrauisch beäugt und eine Seite von ihm ablehnt. Dem Mann der Logik scheint diese Welt unlogisch. Kein Wunder, dass er sich im Kino in Disneys bunte Welt von „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ flüchtet. Deutsch lässt diese Figuren Turing auf den Weg in den  Freitod begleiten. Das hätte süßlich und sentimental wirken können. Dank der Kunst dieses Buchs ist es aber berührend und todtraurig.

Robert Deutsch: Turing.  avant-verlag, 185 Seiten, 29.95 Euro.

 

http://www.avant-verlag.de/

 

Alan Turing Enigma Benedict Cumberbatch

Comic-Klassiker „Mac Coy“ – die Gesamtausgabe beginnt

Comic Klassiker Mac Coy

 

Muss man Western mögen, um den Comic „Mac Coy“ zu schätzen, dessen Auftakt der Gesamtausgabe  gerade erschienen ist? Überhaupt nicht. Nicht, dass die Handlung völlig nebensächlich wäre, aber diese klassische Comic-Reihe, die 1974 bis 2000 lief, packt auch Pferdeopern-Skeptiker mit ihrer schieren Bildkraft: Mit enormer Detaildichte führt uns der spanische Zeichner Antonio Hernández Palacios in Steppen, deren Staub man in die Nasse zu bekommen scheint, der Schweiß der Pferde tropft, Rauchschwaden ziehen durch die Bilder, und dass die Männer lange gebadet haben, spürt man auch (und ist dankbar dafür, dass es noch keine Geruchs-Comics gibt).

 

 

 

Im Kontrast zu diesem enormen Realismus  – Palacios (1921-2000) ließ sich von alten Fotografien, aber auch Bildern aus Westernfilmen inspirieren – bewegt sich die Kolorierung bisweilen ins Psychedelische: Der Himmel leuchtet manchmal in Orange und Lila (bei John Wayne undenkbar), und wenn Mac Coy per Colt-Kolben auf den Hinterkopf das Bewusstsein verliert, fluten Regenbogen-Farben auf das Bild. Die Szenarios  des französischen Texters Jean-Pierre Gourmelen sind nicht derart ungebremst kreativ. Die Reihe beginnt 1864, ein Jahr vor Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs; die Titelfigur, der Südstaaten-Offizier Alexis Mac Coy, ist ein klassischer Antiheld: störrisch, was Vorgesetzte oder Hierarchie angeht, in seiner Arbeit aber so gut, dass man ihm vieles durchgehen lässt. Recht episodisch und manchmal mit schwarzem Humor arbeitet er allerlei Himmelfahrtskommandos ab und erlebt  Abenteuer im Krieg und danach.

Antonio Hernández Palacios/ Jean-Pierre Gourmelen: Mac Coy, Band 1. Avant-Verlag, 224 Seiten, 39.95 Euro.

 

 

Comic Klassiker Mac Coy

 

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So war das 7. Comic Symposium in Saarbrücken

7. Comic Symposium in Saarbrücken

 

7. Comic Symposium in Saarbrücken

Sarah-Louise Barbett

Animationen, Lesungen und Live-Musik im sehr gut besuchten KuBa: Das 7. Comic-Symposium der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) am Freitagabend war ein Erfolg. Die Kuratoren Joni Majer, Elizabeth Pich und Jonathan Kunz hatten fünf Künstler eingeladen, die sich weniger dem klassischen Comic widmen denn freieren Formen, etwa Illustrationen, Animation und gar der Musik: nämlich Sarah-Louise Barbett, die anfangs auf dem nostalgischen Sofa des KuBa von Lampenfieber gemartert wurde, sich für das „terrible english“ ihres Vortrags entschuldigte und zwischendurch bemerkte, es sei „trop dur de parler“. Aber es ging dann doch alles gut, und Barbett zeigte ihre Kunst, die verspielt wirkt und vielleicht ein wenig naiv, zumindest auf den ersten Blick. Im Format zehn auf 15 Zentimeter zeichnet sie meist, auf Grundlage eigener Fotografien, gerne Tiere (vor allem Hunde) und Innenräume – in der Zeichnung „Noises in the attic“ etwa eine kleine Spinne auf dem Dachboden mit großem Hammer in einem ihrer acht Hände. Das hatte ebenso einen charmanten, manchmal skurrilen Witz wie die Musik, die Barbett als  „Musique Chienne“ aufnimmt und auf Musikcassetten vertreibt, jede einzelne mit einer eigens gezeichneten Hülle verschönt. Im KuBa packte sie zwei kleine Soundmaschinen aus, sang mit warmer Stimme eine berückende Low-Fidelity-Pop-Electro-Melange, die ihr Buch „La maison de Billy“ untermalte – über einen Hund allein im Haus. Viel Applaus gab es für Barbett.

https://aisselles.wordpress.com/

 

7. Comic Symposium in Saarbrücken

Max Baitinger

Max Baitinger erzählt in seinem Comicband „Birgit“ vom drögen Leben einer Büroangestellten – im KuBa las er aus den ersten Seiten, während die Panels an die Wand gestrahlt wurden. Herrlich, wie Baitinger den Alltag herunterbricht auf Details der Ödnis, auf die Kondenswassertropfen an einer Plastikflasche oder darauf, dass eine zwei Minuten früher als sonst gelieferte Pizza schon eine willkommene Abwechslung ist. Die „Neue“ im Büro erweist sich als Bedrohung, weil sie Birgits Mitnahme eines Lochers registriert, auch wenn das anscheinend mit „Holger aus der Buchhaltung“ abgesprochen ist. Als Zugabe zeigte Baitinger eine Animation, die die Tonspur eines Interviews begleitet: Warum sich Magneten denn abstoßen, wurde der renommierte Physiker Richard Feynman gefragt – und der antwortete mit einem sprudelnden Monolog über das Wesen dieser Frage und der Fragen allgemein (sehr sinnig und bei youtube zu finden). Baitinger illustriert Feynmans Grübeln Idee für Idee in kleinen feinen Schwarzweißzeichnungen, eine Art Gedankencomic entspinnt sich – der künstlerische Höhepunkt des Abends.

http://www.maxbaitinger.com/

 

7. Comic Symposium in Saarbrücken

Christoffer und Kaisa Leka

 

Mit dem Fahrrad aus Finnland angereist waren Kaisa und Christoffer Leka nun nicht – gewundert hätte es einen aber nicht. Denn das Künstler-Ehepaar verbindet seine Radelleidenschaft mit seiner Arbeit und hat aus der Fahrt quer durch die USA ein Buch gemacht: eine Sammlung von täglich in die Heimat geschickten Postkarten, die die Reise grafisch-humorig protokollierten. Keine gänzlich neue Idee, deren Reiz aber in der Ausführung liegt: Das Buch ist eine kleine Box (in der Sammler-Edition gar mit Brieföffner), mit Reproduktionen der Postkarten und einer comicartigen US-Karte mit der Beschreibung der Strecke und der Menschen, die dem Duo auf dem Weg halfen. Das Buch ist im eigenen Kleinverlag erschienen, erzählten die Lekas, denn einen großen Verlag für solch ein teures Projekt zu finden, das sich nicht einmal parallel als E-Book vermarkten lässt, sei unmöglich. Mehr Interesse finde da ihre eigene Geschichte, erklärte Kaisa Leka: die Amputation ihrer Beine vor 15 Jahren und das Leben danach mit Reisen und Radeln. Als „tragische Heldin mit den Prothesen“, sagte Leka ironisch,  habe sie sogar in Italien einen Verleger gefunden – aber bis heute keine Tantiemen erhalten.

http://kaisaleka.blogspot.de/

 

 

7. Comic Symposium in Saarbrücken

Nadine Redlich

 

Den Abschluss machte  Nadine Redlich mit einer kurzen Vorstellung ihrer Arbeit.  Ein wenig harmlos wirken manche ihrer Figuren mit Unschuldsmiene und dicken Knubbelnasen. Doch das täuscht, hinter dem scheinbar Banalen finden sich Tiefen, wenn etwa ein Hund über das Verhältnis von Bauch-, Rücken- oder Seitenlage zur eigenen Gemütslage grübelt. Kleine Animationen aus ihrem Band „Ambient Comics“, das schlichte Alltagsdinge bildweise in minimalen Veränderungen zeigt (ein Glas Bier, eine sich auflösende Sprudeltablette), unterlegte sie mit sphärischem Wellness-Gedudel und raunte dazu „Relax“ oder „Enjoy the moment“. Witzig war das und leider rasch vorbei – mit einem „Ich sag jetzt nichts mehr“ war sie hinfort. Aber nach insgesamt vier Stunden Lesungen und Musik wollte sie das Publikum vielleicht nicht überstrapazieren.

http://www.nadineredlich.de/

 

7. Comic Symposium in Saarbrücken

 

http://xmlab.org/

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