Film und dieses & jenes

Monat: März 2017

Interview zu „Hitlers Hollywood“ mit Rüdiger Suchsland – Ist das NS-Kino besser als sein Ruf?

Hetzfilme wie „Jud Süss“, „Der ewige Jude“ und „Kolberg“ brachte das Kino der Nazis hervor, dazu unzähliche scheinbar unpolitische, dennoch propagandistische Unterhaltungsfilme – aber auch künstlerisch interessante Werke. Die behandelt Filmjournalist Rüdiger Suchsland in der Doku „Hitlers Hollywood“. Er plädiert für einen differenzierteren Blick aufs NS-Kino und sieht gleichzeitig Gefahren bei scheinbar unverfänglichen, bei uns frei erhältlichen Filmen der Nazizeit.

Herr Suchsland, war Propagandaminister Joseph Goebbels der mächtigste Filmproduzent der Kinogeschichte? Er hatte ja ein ganzes Land zur Verfügung.

Der mächtigste Filmproduzent Deutschlands war er jedenfalls, des „Dritten Reichs“ sowieso, denn dessen Kino war staatlich reguliert. Goebbels bestimmte die Themen, die Bearbeitung und die Endfassung der Drehbücher, die Auswahl der Schauspieler, und er nahm die fertigen Filme ab. Alles wurde kontrolliert. 1933 wurden durch die Gleichschaltung der Filmindustrie viele Künstler vertrieben, die Filmindustrie wurde dann 1942 vollends verstaatlicht. Goebbels hat von Anfang an versucht, seine politischen und propagandistischen Botschaften, teilweise auch seine ästhetischen Maßstäbe, über den Weg des Kinos unters Volk zu bringen. Er war ein Großproduzent. Zugespitzt gesagt, war er von seiner Machtposition her das, was damals David O. Selznick in Hollywood war, der unter anderem „Vom Winde verweht“ produzierte. Goebbels hat die deutsche Filmindustrie regiert.

 

Hitlers Hollywood

Ilse Werner in Helmut Käutners Film „Große Freiheit Nr. 7“, der 1943 entstand, aber erst nach dem Krieg öffentlich gezeigt wurde. „Hitlers Hollywood“ zeigt eine grandiose Traumsequenz aus dem Film.

Was war Goebbels’ Taktik bei der Propaganda? Viele Filme der Nazi-Zeit wirken an der Oberfläche ja unpolitisch.

Goebbels war sehr geschickt und flexibel, er hat schnell reagiert. Es gab ja ein NS-Spitzelsystem, gegen das die Stasi gar nichts war. So wusste Goebbels immer, was in der Kunst, in den Verlagen und Theatern los war, wie bestimmte Leute zum Regime stehen. Außerdem, und das ist vielleicht noch interessanter, hat er eine Art „Markt- und Publikumsforschung“ betrieben. Er schickte Leute in Kneipen, Kinos oder Fußballstadien, die sich ein Bild davon machen sollen, was die Leute denken, wie die Stimmung im Reich ist. Sie sollten etwa als „agent provocateur“ einen Hitler-Witz reißen und dann beobachten, wie die Leute reagieren. Goebbels hat sich regelmäßige Stimmungsberichte geben lassen. Beim Film brachte er in Erfahrung, was ankommt und was nicht – entsprechend hat er das Kino früh wegbewegt von allzu offensichtlichen Propagandafilmen wie „Hans Westmar“ oder dem viel besseren „Hitlerjunge Quex“ zu den vermeintlich unpolitischeren Filmen.

War die Situation im faschistischen Italien vergleichbar?

Unter Mussolini war die Kultur vergleichsweise relativ frei. Es gab sogar den oppositionellen Einaudi-Verlag, der ein positives Buch über den US-Präsidenten Roosevelt veröffentlichte. Mussolini rezensierte das Buch selbst und erklärte, was im Buch aus seiner Sicht alles falsch ist. Die Filmindustrie wurde von Mussolinis Sohn überwacht, aber es gab weniger Gleichschaltung als in Deutschland.

Und in der Sowjetunion?

Kurios ist, dass in der Sowjetunion Stalin als Figur in Filmen oft vorkam – in deutschen Filmen erschien Hitler als Figur gar nicht. Generell standen die Sowjets viel offener zu ihrer Ideologie, vielleicht weil es eine weniger offensichtliche Mord-Ideologie war – auch wenn der Stalinismus natürlich Terror bedeutete. Er verkündete aber nicht, dass man Leute vertreiben oder töten soll. Die Nazis sagten das ganz offen, wenn sie von „unwertem Leben“ und den Juden sprachen, die „vernichtet“ werden sollen. Vielleicht haben die Nazis den eigenen Tabubruch gespürt und wussten, dass sie das, was sie tun, nicht öffentlich sagen können. Das ist wohl der Grund dafür, dass das Kino der Nazis an der Oberfläche viel weniger politisch, viel weniger ein Agitprop-Kino ist. Abgesehen davon war das Sowjet-Kino stilistisch viel modernistischer – Goebbels hat das zwar bewundert, aber das hätte kein deutscher Regisseur machen dürfen.

In Ihrem Film sagen Sie, die NS-Filme seien besser als ihr Ruf. Wie ist das genau gemeint?

Sie sind künstlerisch interessanter, als man denkt. Man kann natürlich jeden propagandistischen Film schlecht nennen, eben weil es Propaganda ist. Man muss aber ehrlicherweise zugeben, dass etwa die Filme von Veit Harlan handwerklich und künstlerisch gute Filme sind, mit guten Schauspielerauftritten und kunstvollen Bildern. Gleichzeitig muss man zugeben, dass etwa einige Filme von US-Regisseur Frank Capra ebenfalls Propagandafilme sind, wenn auch für die „New Deal“-Sozialreformen unter Roosevelt. Rein von der Form her gesehen, gibt es kaum einen Unterschied zwischen einem Film, der etwa für die Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg wirbt und einem Film der Nazis. Der Begriff „Propaganda“ ist erstmal ein ganz apolitischer – in seinem modernen Verständnis wurde er in der US-Werbung entwickelt.

War Goebbels somit eine Art PR-Mann?

Ja, er hat Werbehandbücher gelesen, sich überlegt, wie man das „Produkt Politik“, in dem Fall NS-Politik, an den „Kunden“ bringen kann, also ans deutsche Volk. Man erkennt ja die Parallelen auch daran, dass umgekehrt Leni Riefenstahls Ästhetik bis heute gut in der Werbung funktioniert – ob in der „Armani“-Werbung, in einem Rammstein-Video oder generell in Schnitt- und Montagetechniken, die auf Riefenstahl zurück gehen – dass ist ja das, was Susan Sontag „fascinating fascism“ nennt und kritisiert.

War diese Faszination letztlich der Anstoß, diesen Film zu machen?

Es hat mich immer gewundert und gestört, dass selbst in guten Filmbüchern die Kapitel über den nationalsozialistischen und faschistischen Film sehr kurz und sehr holzschnittartig sind. Es wird da immer dasselbe gesagt: Es gab Riefenstahl, Harlan, „Jud Süss“ und „Kolberg“, eben die extremen Propagandafilme. Mehr findet man da nicht.

Hitlers Hollywood

Ingrid Bergman in ihrem einzigen Film in NS-Deutschland: „Vier Gesellen“ aus dem Jahr 1938.

Für wie gefährlich halten Sie diese offensichtlichen Propagandafilme?

Ich glaube nicht, dass „Jud Süss“ jemanden zum Antisemiten macht. Gefahren sehe ich eher bei anderen Filmen – durch einen Film wie „Opfergang“ könnte man durchaus fasziniert werden von der Todessehnsucht und der Todesverliebtheit der Nazis.

„Opfergang“ ist ja gerade erst schön restauriert auf DVD erschienen.

Diese Filme sind ja nicht alle künstlerisch belanglos – schließlich haben da auch Regisseure wie Helmut Käutner, Wolfgang Staudte und Detlef Sierck, der sich in Hollywood später Douglas Sirk nannte, in der Filmindustrie der Nazis gearbeitet – unbestritten große Filmemacher, auch wenn sie sich stellenweise moralisch fragwürdig verhalten haben. Die Filme insgesamt pauschal geringzuschätzen, wäre seinerseits ideologisch und zu sehr Schwarz-Weiß-Denken.

Geht es Ihnen um eine Ehrenrettung des NS-Films?

Nein, die kann es nicht geben. Mir geht es um eine Ehrenrettung unserer eigenen Intelligenz. Wir sind zu klug, um uns in Filmbüchern mit zwei, drei immergleichen Sätzen abspeisen zu lassen. Wir können uns trauen, wir sind mündig genug, um in diesen Abgrund hinein zu schauen. Es ist ja gerade die Schwierigkeit, dass die Filme gut gemacht sind, teilweise von großen Regisseuren, die sich moralisch fragwürdig verhalten haben.

Viele der offen propagandistischen Filme sind heute so genannte Vorbehaltsfilme – das heißt, man kann sie nur mit einer historische Einführung und eine Diskussion sehen, auf DVD gibt es sie offiziell und legal nicht. Wie stehen Sie dazu?

Die Frage der Vorbehaltsfilme, von denen es früher um die 400 gab, heute viel weniger, ist sehr wichtig und schwierig. Manche dieser Filme sind durchaus gefährlich, aber nicht alle: Ein Vorbehaltsfilm wie „Stukas“ von Karl Ritter, ein militärischer Protzfilm, ist uns heute sehr fremd – ich glaube nicht, dass von diesem Film eine Gefahr ausgeht, schon gar nicht die, dass wir jetzt alle Flieger werden und die Niederlande bombardieren wollen. Andererseits gibt es frei erhältliche Filme, die ich für gefährlich halte: „Verwehte Spuren“ etwa von „Jud Süss“-Regisseur Veit Harlan, der dem Normalbürger das Denunzieren und das Verraten der nächsten Angehörigen nahe legt, zugunsten der „Volksgemeinschaft“ als höheres Ziel. Der Film lief schon mehrmals im Fernsehen und ist gefährlich, weil er viel subtiler ist als etwas „Stukas“. „Der große König“ über Friedrich den Großen ist ein bösartig militaristischer Film, der eine ganz offensichtliche Analogie zwischen Friedrich dem Großen und Hitler zieht. Auch „Wunschkonzert“, der bei uns frei erhältlich auf DVD erschienen ist, ist ein faszinierender, gleichzeitig sehr boshafter Film, indem er den Angriffskrieg mit Unterhaltung übergangslos vermischt: Da sehen wir Stukas der „Legion Condor“ eine spanische Stadt bombardieren, vielleicht ist es Guernica. Dazu läuft das Stuka-Lied der Nazis; man sieht Carl Raddatz als Soldaten im Frankreichfeldzug, dazu hören wir Marika Rökk „Eine Nacht im Mai“ singen – im Mai 1940 fand der Frankreichfeldzug statt. Das ist offener Zynismus, verpackt in guter Laune. Es ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Nazi-Propaganda gearbeitet hat: Durch Verwischung moralischer Grenzen. Ein gefährlicher Film, weil er etwas Verführerisches hat.

Wie weit wirkt diese Vorbehaltsregelung überhaupt – man kommt an diese Film ja doch irgendwie ran, wenn man will.

Wir leben in einer Welt, in der ohnehin nichts unter Verschluss gehalten werden kann. Wollen wir einen Hetz-Film wie „Jud Süss“ zu einem Mythos machen, , indem wir ihm die Aura des Geheimnisvollen, Verbotenen geben – obwohl er das ja nicht ist? Wollen wir uns als Demokratie die Deutungshoheit über diese Filme von extremistischen Randgruppen nehmen lassen? Ihnen einen Vorwand geben für diese modischen Vorwürfe: Dass man bei uns nicht alles lesen, sehen, denken und sagen dürfte? Wer „Jud Süss“ heute auf DVD haben will, der muss ihn bei einem der Neonazi-Netzwerken kaufen – und diese damit finanziell unfreiwillig unterstützen – oder sich dubiose Fassungen im Ausland besorgen. Von denen weiß man dann nicht, ob sie überhaupt vollständig sind. „Olympia“ von Leni Riefenstahl oder auch „Großstadtmelodie“ sind in verfälschten Fassungen im Umlauf, bei denen die anstößigen Passagen herausgeschnitten sind. Riefenstahl hat ihren „Olympia“-Film nach dem Krieg ja selber umgeschnitten.

Sollte man die Filme dann einfach freigeben?

Nein, es müssten natürlich erstmal wissenschaftlich verbindliche Fassungen erstellt werden, die man dann mit Begleitkommentar und Bonusmaterial versieht, das den Film einordnet, ähnlich wie die jüngst hergestellte Ausgabe von „Mein Kampf“ – die kann man ja heute in jeder Bahnhofsbuchhandlung kaufen. Ich möchte den Verantwortlichen Mut machen, dass wir uns zumuten können, uns auch diesen Filmen zu stellen, gelegentlich auch auszusetzen. Dieser Mut wäre zeitgemäß.

 

Hitlers Hollywood

Hilde Krahl im Film „Großstadtmelodie“ (1943) von Wolfgang Liebeneiner.

 

Wie sehen sie manche Karrieren im „Dritten Reich“ und im Nachkriegskino? Regisseur und NS-Funktionär Wolfgang Liebeneiner etwa inszeniert 1941 den Film „Ich klage an“, der Euthanasie-Film befürwortet – und nach dem Krieg inszeniert er am Theater die Uraufführung von Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“. Das ist reichlich bizarr.

Liebeneiner ist ein Paradebeispiel dafür, dass es keine Stunde Null im deutschen Kino gab – er hat sofort weitergemacht. Veit Harlan hat sich ein, zwei Jahre bedeckt gehalten und dann weitergemacht. Es gab keine Stunde Null für die vielen Mitläufer, wobei Liebeneiner schon mehr war als das: kein überzeugter Nationalsozialist, aber ein eiskalter Opportunist, der zumindest symbolisch über Leichen gegangen ist, und der als Produktionschef der Ufa eine Schlüsselrolle gespielt hat. Die ersten 15 Jahre des deutschen Nachkriegsfilms waren dadurch gekennzeichnet, dass viele alten Nazis und viele alten Opportunisten noch da waren und weitergearbeitet haben.

Auch bewährte Stars wie Heinz Rühmann.

Ja, Rühmann war da besonders opportunistisch. Er hatte in den 1950er Jahren einen Karriereknick, weil sich die Deutschen mit seiner Figur des kleinen Mannes, der sich irgendwie so durchwuselt, nicht mehr identifizieren wollten. Er hat dann versucht, mit Hollywood in Kontakt zu kommen und wollte dort – hart gesagt – Juden spielen, um etwas für sein Image zu tun. Er hat sich auch sehr gehütet, Schurken zu spielen. Rühmann ist mindestens ein übler Opportunist, der dem Regime weitaus mehr Zugeständnisse gemacht hat, als andere Kollegen. Ein Beispiel: Er und Hans Albers waren beide mit einer Jüdin verheiratet. Rühmann hat seine Frau, zugespitzt gesagt, ins Ausland entsorgt, sich scheiden lassen und ihr regelmäßig Geld geschickt. Albers blieb einfach mit seiner Frau verheiratet – obwohl ihm die Trennung mehr als einmal nahe gelegt wurde. Das zeigt: Es ging auch anders, wenn man wollte.

Wie erging es den Emigranten, die zurück kamen?

Robert Siodmak etwa hat wieder viele Filme in Deutschland gemacht, Max Ophüls hat bald mehr in Frankreich gearbeitet, Fritz Lang drei Filme gemacht, aber er ist nicht dauerhaft wieder angekommen. Aber diese Situation – die Emigranten kommen zurück und die Nazis oder die Mitläufer sind noch da – ist natürlich sehr interessant. Leute wie Helmut Käutner oder Wolfgang Staudte haben, in einer sehr unterschiedlichen Form, andere Filme gemacht, als zuvor. Käutner hatte im Krieg ja mit „Auf Wiedersehen, Franziska“ einen klaren Nazi-Propagandafilm gedreht, seine anderen Filme halten eine deutliche Distanz. Staudte hatte im „Dritten Reich“ ja kaum als Regisseur gearbeitet, war aber als Darsteller in „Jud Süss“ dabei. Er hat nach dem Krieg entschiedenere Filme gedreht, die immer auch ein wenig moralisierend waren, didaktischer, ein bisschen schwarz-weiß. Käutner ist da ambivalenter und damit für mich auch interessanter. Er stellt viel mehr in Frage, auch sich selbst. Bei Staudte spürt man, dass er weiß, dass er immer auf der richtigen Seite steht.

Sie wollten in Ihrem Film auch Szenen aus der „Feuerzangenbowle“ zeigen und aus Leni Riefenstahls „Olympia“ – woran ist das gescheitert?

Bei „Olympia“ hätte man die Rechte an einigen Szenen kaufen können – aber sie waren sehr teuer, denn der Film gehört mittlerweile dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Riefenstahl hat den Film im persönlichen Auftrag von Adolf Hitler gedreht und hat die Rechte am Film behalten. Anfang der 50er Jahre hat sie den Film umgeschnitten, etwa Szenen von Hakenkreuzen oder von Nazi-Bonzen entfernt, und ist mit dem Film dann weltweit herumgetingelt. Die Rechte am Film hatte sie bis zu ihrem Tod, danach fielen sie an die Bundesregierung unter Kanzler Schröder. Die hat den Film dann nicht der Murnau-Stiftung oder dem Bundesarchiv überlassen, sondern an das IOC verkauft, das sehr viel Geld für einige Szenen haben wollte. Zu viel für uns.

Wie war das mit der „Feuerzangenbowle“?

Wir wollten einige Szenen zeigen, weil es dem Film darum geht, aus Naziperspektive mit dem deutschen Humanismus, der Institution Gymnasium und dem klassischen Bildungsgut abzurechnen, wenn auch in Komödienform. Der Film feiert die Revolte der Jugend – als die sich der Nationalsozialismus ja verstand – gegen das alte, aus ihrer Sicht überholte Deutschland. Er ist in diesem Sinn ein faschistischer Film. Bei diesem Film hätten wir die Rechte daher wohl selbst für viel Geld nicht bekommen. Nach einer ersten mail an die Dame, der die Rechte an dem Film gehören, schrieb sie uns recht unhöflich, dass es mit Deutschland bergab gehe, wenn man immer noch solche Filme drehe. Ich fand dann heraus, dass die Dame dem AfD-Vorstand in Münster angehört. Ich wollte für solche Leute keinen Cent ausgeben, da die Rechteinhaberin gerne Open-Air-Vorführungen oder in Uni-Kinos gestattet, womit sie sehr viel Geld verdient. Gleichzeitig verbietet sie jede Vorführung, die den Film historisch oder wissenschaftlich betrachtet, verbietet Einführungen – sie will offenkundig den Mythos eines unpolitischen Schülervergnügens pflegen – da müssten wir alle ihr in die Suppe spucken.

Im Fernsehen wird der Film ja immer wieder gerne gezeigt.

Leider läuft er da immer unkommentiert als scheinbar unpolitischen Schenkelklopfer – das ist der Film aber nicht.

Nach Ihren Filmen über das Kino der Weimarer Republik und über das der Nazizeit würde sich ja ein Film über das Nachkriegskino anbieten.

Sicher, ich will das sehr gerne machen, aber das wird wohl schwieriger als die beiden anderen Filme. Einmal wird das teurer, weil die Rechte an neueren Filmen auch teurer sind. Schwerer wiegt aber, dass das Thema, die 50er Jahre und die Demokratisierung für Leute, die Filme finanzieren, auf den ersten Blick weniger interessant wirken und vermutlich schlechter zu vermarkten sind. Ein Film über Deutschland unter den Nazis oder über das Scheitern der Demokratie scheint es da leichter zu haben. Ich freue mich aber, wenn ich eines Besseren belehrt werde.

„Hitlers Hollywood“ ist als DVD und VOD über Farbfilm Home Entertainment zu haben.

Jäger und Sammler in Sachen „Le Mans“

Auf der Spur von Steve McQueen und „Siggi“ Rauch: Der Saarbrücker Frank Wrobel sammelt alles, was mit dem Rennfahrer-Film „Le Mans “ zusammenhängt. Diese Leidenschaft führt ihn quer durch Europa und verlangt manchmal auch detektivischen Spürsinn. Ein Gespräch übers Sammeln und ein Blick auf seine „Le Mans“-Kostbarkeiten.

Le Mans

Frank Wrobel mit dem Helm und den Handschuhen, die bei den Dreharbeiten zu „Le Mans“ der Schweizer Schauspieler Fred Haltiner (als Johann Ritter) trug. Foto: Keßler

 

Nach drei Stunden zieht sich Frank Wrobel die weißen Handschuhe über. Das muss sein – denn seine Sammlerstücke werden immer kostbarer: Kuchenkrümel oder Fingerabdrücke auf über 40 Jahre alten, vielfach signierten Filmplakaten? Das muss nicht sein. Auch der Rennfahrerhelm, den Wrobel mit Fingerspitzengefühl auf dem Wohnzimmertisch platziert, ist ein veritables Stück Kinogeschichte: Er stammt aus dem Rennfahrer-Film „Le Mans“ (1970) mit Kinolegende Steve McQueen. Bei den Dreharbeiten vor 47 Jahren trug den Helm der Schweizer Fred Haltiner; er spielte den Fahrer Johann Ritter, einen Porsche-Teamkollegen des US-Fahrers Michael Delaney alias Steve McQueen. Der war Motor, Star und Produzent dieses Films mit einer legendär chaotischen Produktionsgeschichte: Egos schepperten mit mehr Rumms aufeinander als die Autos, Regisseur John Sturges floh mit Vollgas, und im Kino lief der Film dann stotternd wie ein Motor, dem das Benzin ausgeht. „Aber über die Jahre ist aus dem Flop ein Kultfilm geworden“, sagt Frank Wrobel, während er vorsichtig ein antikes Filmplakat entrollt. „Auch hochdekorierte Rennfahrer schauen ihn sich immer wieder an, nicht zuletzt wegen des Porsche 917 – das ist ein herrliches Auto.“

 

Le Mans

Das alte Presseheft des Films.

 

Le Mans

Die Laserdisc.

 

Le Mans

Das Vinyl-Album der Filmmusik, geschrieben und signiert (unter anderem) von Michel Legrand.

 

Wrobel (51), der aus Kaiserslautern kommt und seit 1995 in Saarbrücken lebt, ist diesem Rennfilm verfallen, er sammelt alles, was er in die Finger bekommen kann. Einen Bruchteil hat er an diesem Nachmittagsbesuch mitgebracht; sein Kofferraum ist gut gefüllt, mehrmals pendeln wir mit Kisten, Posterrollen und Bilderrahmen zwischen Auto und Wohnung hin und her. Wrobel packt aus, kramt, erklärt, erzählt. Da sind Pressehefte, Aushangfotos, ein altes Rennfahrer-Quartett mit McQueen, eine seltene Picture-Disc, eine 33 Jahre alte Videokassette, signiert von Rennfahrerlegende Hans Herrmann, der 14 Mal in Le Mans fuhr. Das Rennen gewann er 1970, just als die Filmemacher aus Hollywood die rasanten Rennszenen für ihren Film einfingen. Eine besondere Preziose ist, neben dem vielfach signierten Filmmusik-Album, das Original eines Filmvertrags, unterschrieben von Steve McQueen höchstselbst.
Die Liebe zu „Le Mans“ traf Wrobel über den kurvigen Umweg eines anderen McQueen-Films: „Bullitt“. Vor 30 Jahren sah er den Krimi mit der legendären Autojagd durch San Francisco zum ersten Mal. „Das war der Anfang allen Übels“, sagt er, der seit 17 Jahren passenderweise einen Ford Mustang 1966 besitzt und sich das Automotiv plus McQueen sogar auf den Arm tätowieren ließ.

 

Le Mans

Ein Filmvertrag mit zwei Unterschriften Steve McQueens – einmal als Star, einmal als Produzent.

Wirklich geschehen um ihn war es aber erst Jahre später, als er „Le Mans“ entdeckte. Wrobel begann zu sammeln und schaltete schnell einen Gang höher – warum nicht die Beteiligten von damals treffen und befragen? McQueen starb schon 1980, und so war als Erster Co-Star Siegfried Rauch an der Reihe, der im Film den Konkurrenten mit dem teutonischen Namen Erich Stahler spielt. Rauch, zuletzt „Traumschiff“-Kapitän, war schnell gefunden. Aber der erste Anruf war erfolglos: „Ich muss gerade weg mit dem ‚Traumschiff’“, beschied Rauch. Wrobel blieb dran, „ich habe ihn drei oder vier Mal genervt“, dann wurde ein Termin vereinbart. „Mit Sack und Pack“, den Preziosen seiner Sammlung, reiste Wrobel nach Oberbayern, wo ihn Rauch auf seinem Hof empfing, dort „kistenweise Material“ und Anekdoten hervorkramte: etwa zur Freundschaft zwischen Rauch und McQueen, der der Pate von Rauchs Sohn wurde. Auch von den legendenumrankten Ego-Kollisionen am Set hatte Rauch einiges zu erzählen. Regisseur Sturges („Die glorreichen Sieben“) verabschiedete sich von dem einmischungsfreudigen McQueen mit dem schönen Satz „Ich bin zu alt und zu reich für diese Scheiße“ auf Nimmerwiedersehen. Zum Abschied von Wrobel schenkte Rauch ihm eines seiner selbstgemalten Bilder: „Gefällt’s Dir? Dann kannst Du’s haben“. So einfach geht es manchmal.

 

Le Mans

Das Ehepaar Rauch und Frank Wrobel. Foto: Wrobel

Schwieriger war da die Suche nach Darstellern, deren Karrieren irgendwann versandeten: nach dem Franzosen Luc Merenda etwa, der McQueens Konkurrenten im Ferrari 512 spielte. Merenda handelt heute in Paris mit japanischer Kunst und hatte erstmal keinerlei Lust, über alte Zeiten zu palavern – oder wie Wrobel es ausdrückt, „er war positiv schroff“. Doch er ließ sich erweichen und parlierte schließlich in den Pariser Tuilerien über den Film und über „Siggi“ Rauch, der ihn am meisten beeindruckt hatte: „The guy with his steel blue eyes and the big balls“ – familiengerecht übersetzt als „der Typ mit den blauen Augen und ordentlich Mumm in den Knochen“.

 

Le Mans

Wrobel und Luc Merenda, Schauspieler und heute Kunsthändler in Paris.

 

Die härteste Nuss war Richard Rüdiger, der McQueens zweiten Fahrer im Porsche 917 spielte. Rüdiger hat sich in den 70er Jahren aus dem Geschäft komplett zurückgezogen; zwei Jahre suchte Wrobel, kam ihm auf die Spur und bettelte über drei Ecken erstmal vergeblich um einen Termin – bis Rüdiger ihn schließlich anrief: „Sind Sie der, der nicht lockerlassen kann? Damit Sie endlich Ruhe geben, machen wir einen Treffpunkt aus.“ Man traf sich in München und plauderte dann doch drei Stunden lang. Hat Wrobel einmal eine Spur aufgenommen, gibt er Gas bis zur Ziellinie.

Sogar den einstigen Koch der „Le Mans“-Produktion spürte er auf: Fredy Zurbrügg war bei den Dreharbeiten noch keine 20 und begeisterte McQueen mit einer Kreation namens „Steve Steak“ – mariniert in Honigsoße, veredelt mit Ananasstücken. Derart angetan war McQueen, dass sich der Koch aus dem edlem Fuhrpark des Stars einen Wagen aussuchen durfte – Zurbrügg wählte stilsicher einen Jaguar E, den er heute noch besitzt. Als Wrobel Zurbrügg in der Schweiz zum ersten Mal besuchte, schenkte der ihm eine Kiste alter Foto-Abzüge vom Dreh – höchstes Sammlerglück.
Was die guten Stücke, die Wrobel aus Sicherheitsgründen nicht zuhause lagert, in schnödem Geld wert sind, kann er nicht genau sagen. „Einen fünfstelligen Betrag habe ich sicher ausgegeben.“ Einen norwegischen Verkäufer entlohnte er gar mit einem großen Paket deutscher Brezel. Dass jeder Cent (und Brezel) es wert war, versteht sich von selbst. Ihm geht es neben den Stücken auch um die Begegnungen, aus denen sich manche Freundschaften entwickelt haben: Zu Wrobels 50. Geburtstag im letzten Jahr hat ihn Zurbrügg gar in sein Restaurant in der Schweiz eingeladen und bekocht – mit, man ahnt es, einem „Steve Steak“.

Le Mans

Eine seltene Picture-Disc.

Würde Wrobel, der sein Geld in der Werbung verdient, die Kostbarkeiten irgendwann verkaufen? „Niemals – aber man weiß ja nie, was passiert.“ Dass ihm ein anderer Sammler für seinen Helm das Mehrfache dessen bietet, was Wrobel selbst für ihn bezahlt hat („und das war nicht wenig“) ist jedenfalls keinerlei Versuchung.
Fehlt ihm noch eine Perle in der „Le Mans“-Krone? Bei der Frage wird ihm das Sammler-Herz schwer: Zum Filmstart damals verloste die „Bravo“ drei Rennanzüge, die McQueen bei den Dreharbeiten getragen hat. Zwei von ihnen wurden 2008 und 2015 in New York versteigert, für 425000 Dollar und für eine Million. Aber Rennanzug Nummer drei? Den spürte Wrobel detektivisch in Baden-Württemberg auf, bei der Familie des damaligen Gewinners. Wrobel konnte sein Glück nicht fassen und machte ein gutes Angebot; doch erst dadurch wurde der Familie klar, was sie da im Schrank hängen hat. Diesen Schatz will sie nun international verkaufen. Da kann Wrobel nicht mitbieten, sagt er. „So nah und doch so fern“ – Sammlertragik.

Kontakt zu Frank Wrobel: per facebook und unter V8PromotionFW@web.de

 

Le Mans

Das amerikanische Presseheft zum Film.

Le Mans

Siegfried Rauch spielte Steve McQueens Konkurrenten mit dem teutonischen Namen Erich Stahler.

 

Le Mans

Ein altes Quartett, in dem McQueen als Rennfahrer auftaucht.

 

 

Le Mans

Das Titelblatt einer Zeitung mit dem schönen Namen „Vollgas Revue“.

 

Le Mans

Wrobel mit Michel Legrand, dem Komponisten der Filmmusik von „Le Mans“.

 

Le Mans

Kurios: Die Ankündigung des Films, als er noch anders hieß und auf dem Nürburgring gedreht werden sollte.

Wolfgang Staudte, der ungeliebte Moralist

Wolfgang Staudte

Eine wechselvolle, schwierige Karriere: Er spielte als Komparse im berüchtigten NS-Hetzfilm „Jud Süss“, drehte dann mit „Die Mörder sind unter uns“ den ersten deutschen Nachkriegsfilm. Für die ostdeutsche Defa, das volkseigene Filmunternehmen der DDR drehte er unter anderem „Der Untertan“; in der jungen Bundesrepublik entstanden Filme wie „Rosen für den Staatsanwaltschaft“ oder „Kirmes“, wegen denen er oft als „Nestbeschmutzer“ angefeindet wurde – einen „verwirrten Pazifisten“ nannte ihn nicht etwa ein rechtes Blatt, sondern der „Spiegel“, zumindest noch 1951. In der Unterhaltungs-Filmindustrie hatte Staudte es schwer, während das junge deutsche Kino ihn als Repräsentant von „Opas Kino“ ignorierte. Später verschuldete sich Staudte als sein eigener Produzent so sehr, dass er fortan fast ausschließlich fürs Fernsehen arbeitete,  „Tatort“ und „Der Seewolf“ drehte – auch wenn ihn die „Zwergenschicksale“ des TV, wie er es sagte, nicht sonderlich interessierten.

Staudte, 1906 in Saarbrücken geboren und 1984 bei Dreharbeiten in Slowenien gestorben, gilt neben Helmut Käutner als wichtigster Regisseur des deutschen Nachkriegskinos – seine besten Filme verbinden präzise Gesellschaftskritik mit Filmkunst und, nicht zu vergessen, Unterhaltungswert; manchmal kann Staudte aber auch etwas didaktisch und moralisierend wirken.

Wolfgang Staudte Götze George Kirmes

Eine Szene aus „Kirmes“ mit Götz George und Juliette Mayniel.

An den Filmemacher erinnert nun ein neues, lesenswertes Buch, das in Zusammenarbeit mit der Saarbrücker Wolfgang-Staudte-Gesellschaft entstanden ist. „Nachdenken, warum das alles so ist“ (der Titel entstammt einem Zitat aus dem 1949er Film „Rotationen“) ist kein chronologisches Lesebuch von Karrierebeginn bis -ende, bietet auch keine komplette Filmografie, sondern setzt mit verschiedenen Beiträgen collagenhaft ein Bild Staudtes zusammen.

Der Saarbrücker Psychologe Siegfried Zepf beschäftigt sich mit „Der Unteran“, den Staudte 1951 in der DDR drehte und der erst sechs Jahre später im Westen lief, gekürzt um zehn Minuten – geschnitten war etwa das Ende, mit dem Staudte (losgelöst von der Vorlage Heinrich Manns) eine Verbindung vom deutschen Kaiserreich zum Zweiten Weltkrieg zieht.

Uschi und Andreas Schmidt-Lenhard von der Staudte-Gesellschaft beschreiben die kontroverse Wirkung jener Filme, die als Staudtes wichtigste gelten: neben dem „Untertan“ auch „Rosen für den Staatsanwalt“, „Kirmes“ und „Herrenpartie“, die allesamt das verdrängungswillige Deutschland kritisierten und, nicht überraschend, immer schwieriger zu finanzieren waren. Staudte drückte es so aus: Es sei schwer, „die Welt verbessern zu wollen mit dem Geld von Leuten, die die Welt in Ordnung finden.“ Und so nahm Staudte für seinen Polit-Krimi „Heimlichkeiten“ (1968) einen hohen Kredit auf – an dem Schuldenberg nach dem Misserfolg des Films schaufelte er bis zu seinem Tod.

 

Wolfgang Staudte Götze George Kirmes

Auch eine Szene aus „Kirmes“, den es bis heute nicht auf DVD gibt. Foto: Filmmuseum Berlin

Zu seinen sieben „Tatorten“ zählt auch „Tote tragen keine Wohnung“ (1973), den der Saarbrücker Psychologe Alf Gerlach exemplarisch untersucht; auch von der kontroversen Reaktion berichtet er: Durch die Geschichte von der Gentrifizierung eines Wohnviertels fühlten sich viele Immobilienmakler als monetäre Gierschlunde diffamiert – erst nach 19 Jahren strahlte der produzierende Bayerische Rundfunk den Film noch einmal aus.

Der Saarbrücker Filmwissenschaftler Nils Daniel Peiler beleuchtet Staudtes Arbeit im Synchrongeschäft: Er war Sprecher in der deutschen Fassung von „Im Westen nichts Neues“ (1930) und überwachte 1945 die Synchronisierung von Eisensteins „Iwan, der Schreckliche“; 25 Jahre später verpflichtete ihn der legendär wählerische Regisseur Stanley Kubrick, der den „Untertan“ schätzte, für die Synchronregie dreier seiner Filme: „Uhrwerk Orange“ (1971), „Barry Lyndon“ (1975) und „Shining“ (1980). Staudte berichtete damals lapidar von einem sehr überzeugenden Anruf Kubricks: „Er meinte, ich sollte.“ Er tat’s.

Eine gute Ergänzung der Beiträge sind die Erinnerungen an Staudte, die das Magazin „Filmdienst“ vor zehn Jahren zu Staudtes 100. Geburtstag sammelten und die hier nochmal abgedruckt sind:

Götz George, der mit 21 Jahren in „Kirmes“ spielte, erinnert sich an die erste Begegnung mit dem bekannt linken Staudte: an dessen nicht gerade antikapitalistisch wirkendem neuen Swimmingpool.

Oskar Lafontaine würdigt Staudte als „politischen Moralisten“, der „gegen den Strom der allgemeinen Geschichtsverdrängzung schwamm“.

Filmjournalist Peter W. Jansen beschreibt eine zufällige Begegnung mit Staudte Ende der 70er in der Kantine des Südwestfunks in Baden-Baden: einen „einsamen, verbitterten Mann“ traf er dort, der sich wunderte, dass „Münchner Bubis“ wie Fassbinder oder Alexander Kluge Filmförderung bekämen und er nicht.

Das Buch schließt mit einer Gegenüberstellung von Staudtes Werken und dem, was politisch in der jeweiligen Zeit geschah – sinnvoll und zwingend, sind seine Filme vom Zeitgeist ihrer Entstehung nicht zu trennen. Zeitlos macht sie das nicht, aber zu Zeitdokumenten.

 

Wolfgang Staudte – „Nachdenken, warum das alles so ist“. Herausgegeben von Alf Gerlach und Uschi Schmidt-Lenhard. Schüren Verlag, 256 Seiten, 24.90 Euro.

Buchvorstellung: Sonntag, 19. März, 15 Uhr, Camera Zwo (Sb). Es läuft Staudtes Bürokratie-Satire „Der Mann, dem man den Namen stahl“ aus dem Jahr 1944.

Informationen: www.wolfgang-staudte-gesellschaft.de

 

Wolfgang Staudte Götze George Kirmes

 

Zwei Filme Staudtes neu auf DVD

Nicht alle der wichtigsten Filme Staudtes sind auf DVD erschienen: „Herrenpartie“ und „Kirmes“, mit seine galligsten Gesellschaftskommentare“, fehlen bis heute; aber zumindest im Nebenwerk füllen sich die Lücken. „Gift im Zoo“ (1951) ist ein solider Krimi (DVD bei Filmjuwelen) mit interessanter Produktionsgeschichte: Staudte wurde während der Dreharbeiten auf staatlichen Druck hin entlassen, weil er sich nicht völlig von der Defa der DDR lossagen wollte (Hans Müller drehte zuende). Bezeichnend dabei: Während der Regisseur wegen DDR-Verbindungen entlassen wird, spielen Carl Raddatz und Irene Meyendorff die Hauptrollen – die Stars von Veit Harlans todesseligem NS-Prestigemelodram „Opfergang“ (1944).

 

1958 drehte Staudte „Madeleine und der Legionär“, der jetzt in einer DVD-Box (Studio Hamburg) mit fünf anderen deutschen Filmen erscheint (etwa „Romanze in Moll“). Staudte erzählt von drei Deserteuren der Fremdenlegion, die aus dem Algerienkrieg fliehen. Hildegard Knef spielt eine französische Ärztin, die dem Trio auf der Flucht begegnet. Der Film spricht sich deutlich gegen Krieg und Kolonialismus aus, vermittelt seine Botschaften aber nicht immer subtil, wenn etwa die Knef als Symbol eines guten Frankreichs (und Deutschlands) laut über die Welt nachdenkt: „Moderne heutige Menschen – sind wir das?“. Da stehen sich Handlung und Didaktik manchmal im Weg. Dennoch spannend und sehenswert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Helge Schneider und seine Orgel: „Heart Attack No. 1“

 

Helge Schneider

 

Soll man das glauben? Studio-Alben aufnehmen, Filme drehen, Bücher schreiben – all das will Helge Schneider nicht mehr. Sagt er zumindest gerade und will nur noch auf der Bühne stehen. Sein neues Studioalbum (von weiteren Live-CDs darf man ausgehen) könnte also sein letztes sein. „Heart Attack No. 1“ ist eine Liebeserklärung an den Jazz und an Schneiders Hammond-Orgel, die das Album mit ihren mal schummrigen und schlurfenden, mal frisch und fröhlich dahinhüpfenden Klängen beherrscht.

Pete York zu Gast

Schneiders einziger Kollege hier ist der britische Schlagzeuger Pete York, in den 60ern bei der Spencer Davis Group und seit einigen Jahren regelmäßig mit Schneider aktiv. Drei von 14 Stücken stammen von Schneider und York, es sind weniger ausgefeilte Kompositionen denn rudimentäre Rahmen, die Schneider mit verschlungenen Orgel-Exkursen füllt, manchmal mit Vibraphonklängen und seiner Stimme. Die Texte dabei sind minimal; bei einem Stück reicht ein bluesparodistisch hingejaultes „My baby left me in the morning, yeaaaahhh!“, beim Titelstück skandiert er die Zeile „Heart Attack No. 1“ wie einst die Band des seligen Glenn Millers beim bekannten „Pennsylvania 6-5000“.

„Ju masst rimämber sis“

Die meisten Stücke sind verdiente Klassiker, ob nun „All of me“, „Mood Indigo“ oder „One for my baby“, die Schneider viel Gelegenheit zum lässigen Improvisieren geben – wobei sich mit dem spezifischen Hammond-Klang eine gewisse nostalgische Gemütlichkeit breitmacht: Kaffee und ein gutes Stück Herrentorte wären da nicht verkehrt. Sollte eine gewisse Gleichförmigkeit auf hohem Niveau den Hörer einlullen, wird ihn die skurrilste Nummer allerdings aufwecken wie ein Donnerschlag: Schneider nimmt sich „As time goes by“ aus dem Film „Casablanca“ vor und singt den Text mit ungeschmeidigstem Englisch und einer verhuschten Artikulation, als sei er ein Gebissträger ohne Haftcreme: „Ju masst rimämber sis – a kiss is tschast a kisss“. Für Puristen ein Härtetest, ein großer Spaß für alle anderen.

Helge Schneider & Pete York: Heart Attack No. 1 (Universal / Polydor).

 

So lebt es sich einfach schöner: Design auf DVD

Design

 

Ohne Design wäre das Leben weniger schön (oder noch hässlicher). Dieser Erkenntnis widmete der Sender Arte eine Reihe in zwölf Teilen, die als Doppel-DVD „Design 1 + 2“ (Absolut Medien) scheint. Die halbstündigen Episoden beleuchten herausragende Objekte des 20. Jahrhunderts, die in unserem kollektiven Gedächtnis einen Platz gefunden haben – und in unseren Garagen, Küchen, Schreibmäppchen und Abstellkammern. Dort zum Beispiel revolutionierte der Hoover-Staubsauger „One-Fifty“ die Ästhetik der Hausarbeit. Dank Schiebegestänge mit locker hängendem Säckchen war Staubsaugen selten eleganter. Die DS von Citroen machte das Autofahren, zuvor lediglich Transport von A nach B, zur sinnlichen Fortbewegung. Die mittlerweile ausgemusterte Concorde war nicht nur doppelt so schnell wie der Schall, sondern auch dreimal so schön wie die fliegende Konkurrenz.
Wer dieser flüchtigen Technik misstraute, konnte es in den 50er Jahren bodennäher und ruhiger angehen lassen: auf einem Ledersessel mit integriertem Fußbänkchen, der sich neudeutsch „Lounge Chair“ nannte.

 

Design

All diese Objekte beschreiben die Regisseure Anna-Celia Kendall, Danielle Schirman und Heinz Peter Schwerfel mit ironischem Schwung und launigen Exkursen in die Kulturgeschichte des Menschen. Dank der DVD wird man seine Wohnung mit anderen Augen sehen – und, je nach Interieur, entweder stolz auf sie sein oder sich eine neue Einrichtung kaufen wollen.

Erschienen bei AbsolutMedien, dort gibt es auch weitere Design-Epsoden.

 

 

Design

Fotos: AbsolutMedien

Alter Schwede: Buch über Regisseur Victor Sjöström

 

Victor Sjöström

 

Ingmar Bergman? Sicher, der fällt einem ein, denkt man an schwedische Regisseure. Dann womöglich Carl Theodor Dreyer – bevor man merkt, dass der kein Schwede, sondern Däne war. Aber Victor Sjöström? Der wird wohl nur noch reiferen Cineasten oder Stummfilmkennern bekannt sein; der schwedische Regisseur und Schauspieler (1879-1960) ist heute weitgehend vergessen.

Dem will der Filmwissenschaftler Jens Dehn mit dem ersten deutschsprachigen Band über Sjöström entgegenwirken; der ist zugleich die erste Buchveröffentlichung des rührigen Saarbrücker 35-Millimeter-Verlags, der sich seit einigen Jahren mit dem Magazin „35 Millimeter“ der Frühzeit des Kinos widmet: dessen ersten 70 Jahren.
Im Buch „Victor Sjöström – Film can be Art“ zeichnet Dehn eine oft bewegte Biografie nach: Geboren wird Sjöström im schwedischen Hinterland, zieht als Kleinkind mit in die USA, die Mutter stirbt früh; nach Spannungen mit seiner Stiefmutter wird er zurück nach Schweden geschickt, schließt sich einer übers Land fahrenden Theatertruppe an, findet so zum jungen Kino und zur Filmregie. Mit kraftvollen Naturbildern, die das Innenleben der Figuren widerspiegeln, etwa im Film „Der Fuhrmann des Todes“ (1921), wird er zu einem prägenden Regisseur. Hollywood ruft, wo Sjöström – unter dem Namen Victor Seastrom – einige Filme dreht, darunter 1926 „Der scharlachrote Buchstabe“. Die Kritiker sind meist begeistert, die Kinos aber nicht immer gut gefüllt, 1930 geht Sjöström zurück nach Schweden, finanziell durch US-Gagen abgesichert, verunsichert aber durch den Tonfilm – fortan arbeitet er lieber als Produzent und als Schauspieler. Den großen Abschied vom Kino nimmt er mit einer Altersrolle 1957 im Film „Wilde Erdbeeren“ von Ingmar Bergman, der Sjöström stets einen großen Einfluss nannte.

Victor Sjöström

Von diesem reichen Künstlerleben und den Filmen (viele von ihnen sind mittlerweile verloren gegangen) erzählt Dehn klar und schnörkellos; er findet eine gute Balance aus Biografie, Filmbeschreibung und Interpretation. Dass der Käuferkreis dieses Buchs begrenzt ist, wissen Autor und Verlag gleichermaßen: Dehm spricht von Sjöström als „Nische einer Nische“. Umso verdienstvoller ist diese gelungene Veröffentlichung, deren Auflage auf 250 Exemplare limitiert ist. Das Buch ist nur über den Verlag erhältlich: www.35mm-retrofilmmagazin.de

Jens Dehn: Victor Sjöström – Film can be Art.
35 Millimeter Verlag, 148 S., 16, 95 €.

 

Victor Sjöström

Edle Kampfkunst-Klassik: King Hus „Die Herberge zum Drachentor“ auf DVD

King Hu

 

Filmfreunde, die bei asiatischen Kampfkunstfilmen reflexhaft die Nase rümpfen, werden zwar seltener, aber es gibt sie noch. „Die Herberge zum Drachentor“ erscheint nun auf DVD – der Klassiker von King Hu ist einer der schönsten Vertreter seiner Zunft und sollte auch Genre-Skeptiker erfreuen.

Ist der Ruf erst ruiniert … Bei vielen Kinogängern genießen asiatische Kampkunstfilme wenig Reputation – überschwemmten doch in ihrer kommerziell großen Zeit in den 1970er- und 1980er Jahren vor allem Filme aus Hongkongs Serienproduktion die heimischen Bahnhofskinos. Viel Durchschnitt war dabei, auch waren viele Produktionen in ihren deutschen Fassungen ähnlich verstümmelt wie manche Schwertkämpfer in der Handlung – einmal des Gewaltgehalts wegen, aber auch aus kulturellen Gründen: Fremd war diese oft historische, oft höfische Welt, der geschichtliche Hintergrund unbekannt – also reduzierten schnittfreudige Verleiher die Filme rein auf die spektakuläre Action, auf sausende Schwerter und mitunter in Zeitlupe saltoschlagende Kampfkünstler.

King Hu

Mittlerweile blicken auch traditionellere Cineasten offener auf diese Sparte des asiatischen Kinos; nicht zu unterschätzen ist dabei die Rolle von Ang Lees bildgewaltigem Film „Tiger & Dragon“, der vor 16 Jahren einen Siegeszug auch durch die westliche Welt begann. Regisseur Lee gab damals gerne zu, dass er mit seinem Film auch einem Großen des asiatischen Kinos die Ehre erweisen wollte: dem Chinesen King Hu (1931-1997).

Der ist am bekanntesten für sein poetisches Meisterstück „Ein Hauch von Zen“ (1971); zuvor drehte er aber den ebenso wundersamen „Die Herberge zum Drachentor“, der jetzt als DVD erscheint und einen idealen Einstieg ins Genre bietet. Der Plot ist übersichtlich: In einer einsamen Herberge kreuzen sich die Wege zweier rivalisierende Gruppen: die Geheimpolizei eines kaiserlichen Eunuchen und die letzten Getreuen eines Generals, den der Eunuch per Intrige aus Amt und Leben gehebelt hat. Man belauert sich, parliert dabei gepflegt, bevor die Szenerie sich immer wieder in Kampfszenen auflöst, die der Schwerkraft und Logik trotzen, dabei aber eine grazile, manchmal poetische Kraft entwickeln – nicht zuletzt bei einem Kampf auf sich im Wind wiegenden Baumwipfeln (wie später in „Tiger & Dragon“).

King Hu

Die Dialoge sind oft so geschliffen wie die Schwerter, ein Hauch märchenhafter Entrückung liegt über dem Ganzen. Zudem präsentiert der Film eine resolute Kämpferin, die ihre männlichen Konkurrenten alt aussehen lässt. So weit war man damals, 1967, im westlichen Genre-Gegenstück, dem Western, noch nicht.

Erschienen bei SchröderMedia. Bonus: Alte deutsche, ziemlich marktschreierische Trailer zu Kampfkunstfilmen.

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