Über Film und dieses & jenes

Monat: März 2018

Charlie Muffin“ von Jack Gold

David Hemmings mit Füßen auf dem Schreibtisch in einer Szene des Films "Charlie Muffin", erschienen bei Pidax Film.

Füße hoch, gerne auch im Büro: David Hemmings als Charlie Muffin. Foto: Pidax

 

Lange ist das her, aber die Älteren werden sich erinnern – die ARD hat früher mal Themenreihen angeboten (etwa über den Science-Fiction-Film) und auch Retrospektiven über Filmemacher. Einer  davon war damals der Brite Jack Gold (1930-2015), vor allem in den 1970ern ein Könner in vielen Genres: ob in dem utopisch angehauchten Polit-Thriller „Der Mann aus Metall“, dem Kriegsfilm „Die Schlacht in den Wolken“ oder im Genre des Übersinnlichen bei „Der Schrecken der Medusa“. Golds langlebigster  Erfolg ist der TV-Film „Der kleine Lord“, der seit 1980 in jedem Advent die Zuschauerherzen zuverlässig wärmt.

Ikone der Swinging Sixties

Einen der schönsten Gold-Filme hat nun die Riegelsberger DVD-Firma Pidax ausgegraben: „Charlie Muffin“, ein Fernsehfilm von 1979. David Hemmings, 13 Jahre zuvor durch Antonios „Blow Up“ zu einer Ikone der Swinging Sixties geworden, spielt einen Mann mittleren Alters, bei dem es nun weniger swingt. Er ist ein britischer Agent, den seine Vorgesetzten wegen seiner fachlich begründeten Arroganz mit Inbrunst hassen; da er den gemütlichen Durchschnitts-Dilettantismus des britischen Geheimdienstes durch seine Präsenz stört, versuchen seine Vorgesetzten schon mal, ihn beim Berliner Grenzübergang vom Osten in den Westen der DDR zuzuspielen. In Muffin köchelt es, doch seine große Stunde könnte schlagen, als eine russische Politgröße (Pinkas Braun) in den Westen überlaufen will – da kommen Muffins Chefs nicht an ihm vorbei.

Charlie Muffin David Hemmings Pidax House of Cards

Die Bürohengste, allen voran Cuthbertson (Ian Richardson, vorne). Foto: Pidax

Gold findet eine schöne Mischung aus Spannung und Komik. Hier geht es ebenso um den Kalten Krieg wie ums alltägliche Büro-Klein-Klein, um Hierarchien, Besserwisserei und die Kombination Buckeln/Treten. Die Dialoge sind ausgefeilt und bissig, die Darsteller in Form: Hemmings gibt den Weltmüden in schmutzigen Schuhen, seinen ihm in herzlicher Abneigung verbundenen Vorgesetzten spielt der brillante Ian Richardson. Er verkörperte ein paar Jahre später in „House of Cards“ (der Vorlage fürs US-Remake) lustvoll den größten Intriganten der britischen Regierung. Hier konnte er schon mal üben – es ist ein Genuss.

Erschienen bei Pidax Film.

Gary Numan in Luxemburg, 9.3. 2018, Kulturfabrik Esch

Gary Numan Savage Tour Esch Luxemburg Kulturfabrik Tubeway Army Cars

 

Böse und mysteriös blicken – ja, das kann er immer noch, als wäre es 1979. Da begann Gary Numan seine Popkarriere, eine der merkwürdigsten: mit Millionenverdiensten und Millionenschulden, mit Haartransplantationen, einem Flug um die Welt im eigenen Flugzeug und einem Flug in die Pleite mit der eigenen Plattenfirma. Aber Numan ist immer noch da, seit Donnerstag 60 Jahre alt, und einen Tag später zum ersten Mal in Luxemburg. Und als altem Fan geht einem das Herz auf, wie er da auf die Bühne der Kulturfabrik in Esch wandelt, blutrot beleuchtet, umwabert von Kunstnebel, umdröhnt von einem Synthesizer-Intro.

Er und seine Electromusik haben so manche Lebensläufe über Dekaden begleitet. 1979 ist er ein Phänomen – mit zwei britischen Nummer-Eins-Singles verhilft der Londoner, gerade 21, dem Synthie-Pop zum kommerziellen Durchbruch: mit der kühlen Ballade „Are friends electric?“ und „Cars“, einer Ode an das Sich-Zurückziehen. Über Nacht ist Numan reich, berühmt – und verhasst. Denn die britische Musikpresse mag weder das bewusst „Unauthentische“ an seiner Musik (keine Jeans, kein Männerschweiß, keine Gitarrensoli) noch seine bombastischen Bühnenshows und auch nicht seinen Neureichen-Gestus, mit dem er sich Sportwagen kauft und ein Flugzeug, mit dem er als Freizeitpilot um die Welt fliegt (in Indien wird er kurzzeitig wegen Spionageverdachts verhaftet).

Gary Numan Savage Tour Esch Luxemburg Kulturfabrik Tubeway Army Cars

 

Nach drei britischen Nummer-1-Alben in Folge verkündet ein überarbeiteter Numan 1981 mit großer Geste den Abschied von der Bühne (nur um 1982 kleinlaut zurückzukommen). Aber da haben sich viele Fans schon verabschiedet, nur ein beinharter Kern bleibt ihm treu. So treu, dass die ihm sogar Geld schicken, als sein eigenes Plattenlabel in die Pleite schlittert. In dieser Zeit versucht Numan alles, verbindet seine Electromusik mit Funk, lässt Backgroundsängerinnen jaulen. Nichts hilft. Anfang der 90er spielt er dann in Freizeitzentren in der Provinz.

Kritik zum Album „Savage“

Erst als Numan nicht mehr auf Radioeinsätze schielt, kommt die Wende. Die Musik verdüstert sich, er lässt sich von Weggefährten wie Depeche Mode und dem knirschenden Industrial Rock von Nine Inch Nails inspirieren und beginnt einen jahrelangen Wiederaufstieg. Als sein 2017er Album „Savage“ es in England auf Platz zwei schafft, weint Numan nach eigenen Angaben „wie ein Kleinkind“. In Luxemburg weint er nicht, auch wenn in die Halle noch ein paar Menschen hineingepasst hätten, sondern liefert eine beeindruckende Show mit Material vor allem aus den jüngsten beiden Alben.

Textlich sind die nur mäßig originell. „Black“, „dark“, „bleed“ und „broken“ sind Numans Lieblingsworte, entweder geht es um Seelenkrisen oder Weltuntergänge, und wenn Numan es noch finsterer als finster haben will, dichtet er von „a darker shade of darkness“. Aber das alles kleidet er in eingängige, wuchtige Refrains mit manchmal arabisch anmutenden Melodien, getragen von bombastischen Synthie-Klangflächen, nach vorne getrieben von bisweilen elefantös dahin donnernden Gitarrenbreitseiten mit Rammstein-Aroma. Subtil ist das nun nicht – in der Mischung aber grandios effektiv. Numan gibt dazu den Bühnenderwisch, orchestriert die Melodien mit rudernden Armen und scheint in seine Songs geradewegs hineinzuspringen. Gekleidet sind er und seine drei Begleiter in einer Art beigen Nomadenkluft, geht es auf „Savage“ doch im weitesten Sinne um eine ausgetrocknete Welt nach dem Klimawandel. Projektionen zeigen Wüstenbilder, wabernde Muster, Farben. Musikalisch gibt es nur einen Durchhänger – das balladeske „Mercy“ war schon auf dem jüngsten Album ein Langweiler, da ist auch auf der Bühne nichts zu retten. Anders bei anderen Songs: Eine Nummer wie „Love hurt bleed“ mag auf CD fast wie eine Parodie auf Nine Inch Nails wirken, auf der Bühne wird daraus eine große, scheppernde Faustreck- und Headbang-Nummer.

Gary Numan Savage Tour Esch Luxemburg Kulturfabrik Tubeway Army Cars

Dass Numan die alten Hits auf ein Minimum beschränkt – das vielbejubelte „Cars“ wirkt fast wie ein allzu nostalgischer Fremdkörper – zeigt sein begründetes Vertrauen in die Livetauglichkeit des neuen Materials. Wer hätte in den 80ern oder 90ern gedacht, dass Numan mit 60 noch auf der Bühne steht und eben nicht die 40 Jahre alten Hits spielen, nicht mit Nostalgie tingeln muss? Vielleicht ist auch das ein Grund, dass bei Numan die dramatische Mimik bei den Stücken zwischendrin immer öfter einem enorm breiten Grinsen weicht? Er freut sich einfach – an diesem Abend gönnt es ihm jeder.

 

Gary Numan Savage Tour Esch Luxemburg Kulturfabrik Tubeway Army Cars

 

Gary Numan Savage Tour Esch Luxemburg Kulturfabrik Tubeway Army Cars

 

Gary Numan Savage Tour Esch Luxemburg Kulturfabrik Tubeway Army Cars

 

Gary Numan Savage Tour Esch Luxemburg Kulturfabrik Tubeway Army Cars

 

Gary Numan Savage Tour Esch Luxemburg Kulturfabrik Tubeway Army Cars

 

Gary Numan Savage Tour Esch Luxemburg Kulturfabrik Tubeway Army Cars

 

Gary Numan Savage Tour Esch Luxemburg Kulturfabrik Tubeway Army Cars

 

„Bloodlight and Bami“: Zehn Jahre mit Grace Jones

 

 

Man könne Persönliches preisgeben und trotzdem ein Geheimnis bleiben – das sagte Grace Jones kürzlich in einem Interview und hat dabei wohl auch an den Film über sie gedacht. „Bloodlight and Bami“ heißt der und erscheint jetzt fürs Heimkino. Die  britische Regisseurin Sophie Fiennes (Schwester der Darsteller Ralph und Joseph) hat Jones ein knappes Jahrzehnt begleitet und aus diesen Begegnungen einen fast zweistündigen, sehr sehenswerten Film montiert.

Dass er einen Blick auf die Privatperson hinter der schillernden Kunstfigur Jones wirft, ist nur die halbe Wahrheit – vor allem zeigt „Bloodlight and Bami“ die Untrennbarkeit von beidem. „Slave to the Rhythm“, einer von Jones’ größten Hits, eröffnet den Film, montiert aus zwei Bühnenauftritten, Jones einmal mit Maske, einmal ohne – und immer ein Ausbund an Charisma. Von dort geht es nach Jamaika in Jones’ Heimat, zur Mutter an den Küchentisch, zu langen Gesprächen mit der Familie, zum Fischessen und Tratschen. Erstaunlich ist dabei die Offenheit der Familie – die Kamera scheint ihr völlig egal zu sein. Jones, der Star auf Heimaturlaub, geht im Familienverbund fast unter, zumal die Mutter ebenso ein Star ist, wenn auch auf eher lokaler Ebene – sie singt Gospel in der Kirche.

Naturbilder von Jamaika zeigt der Film, einen diesigen Wald, während man Jones hört, wie sie auf der Bühne von der alten Heimat erzählt, und sie dann in einem Fluss schwimmen sieht, in völliger Ruhe – konträr zu ihrem bunten Bühnen-Image, das der Film damit aber nicht demontiert. Es ist eben nur eine Facette mehr bei diesem bunten Vogel, der als Model ebenso einzigartig ist/war wie als Bühnenfigur. Nur das Kino meinte es weniger gut mit ihr: Ihre Rolle im Bond-Film „Im Angesicht des Todes – erst böse, dann gut, dann tot – passte wenig zu ihr.

Der Film, bei dem die Regisseurin nach eigenen Angaben völlig freie Hand hatte, zeigt auch das alltägliche Geschäft als Star, der kommerziell die große Zeit hinter sich hat. Da stöckelt Jones, die im Mai 70 Jahre alt wird, endlos durch die Gänge eines TV-Studios (was an die Rock-Doku-Parodie „Spinal Tap“ erinnert), findet endlich die Bühne und soll dann umringt von aufringlich popowackelnden Tänzerinnen singen. „Damit finanziere ich mein Album“, sagt Jones dazu, ohne Plattenfirma bleibt ihr nichts anderes übrig; aber die Tänzerinnen wird sie dennoch los.

Als ihr Produzent zum vereinbarten Termin nicht im Studio erscheint, entfacht Jones einen mittleren Orkan, auch in einigen anderen Passagen wird sie sehr energisch. Der Film schlachtet das aber nicht aus, bilanziert es eher, auch der Besuch bei der Enkelin wird nicht sentimental aufgebretzelt. Lernt man hier „die wirkliche Grace Jones“ kennen? Man weiß es nicht so recht  – und das hält den Film spannend in der Schwebe.

DVD und Blu-ray von Ascot Elite.

 

 

 

 

 

 

 

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