
Victora Carmen Sonne als Sascha. Foto: Alamode Film
Lange rätseln muss man über diesen Film – sobald man sich von ihm erholt hat, denn „Holiday“ ist eine brutale Seh-Erfahrung. Er erzählt eine Geschichte, bei dem es einen fröstelt, der sonnendurchfluteten Szenerie zum Trotz. Sascha, eine junge Dänin mit schlecht blondierten Haaren und einem manchmal etwas leeren Blick, ist das Zentrum, in jeder Szene, in fast jeder Einstellung zu sehen – vom ersten Stöckeln durch einen leeren Flughafen bis zu dem letzten Moment des Films, einem Blick Saschas in Richtung Kamera und Zuschauer. Um Gewalt und Sexualität geht es im Regiedebüt der Schwedin Isabella Eklöf (Ko-Drehbuch von „Border“), um Unterwerfung und – möglicherweise – um das kühle Abwägen zwischen dem, was man zu ertragen bereit ist, und dem, was man dafür bekommt. Oder auch um Sadismus und Masochismus.
Sascha kommt im türkischen Ferienort Bodrum an, sitzt ein wenig Zeit in einem Hotel mit viertklassiger Animation ab und wird dann von einem Lakaien ihres Freundes / Gönners Michael abgeholt; im Auto gibt es die erste (und nicht die letzte) Ohrfeige des Films, weil sie sich von dem Batzen Bargeld, das sie wohl als Kurierin mitgebracht hat, etwas geborgt hat – die Kreditkarte hakte. Diese Szene deutet an, was dann klar wird, als Sascha sich bei der Clique von Michael in der Strandvilla niederlässt: Hier haben die Männer das Sagen, die Frauen sollen sich sonnen, gut aussehen und im Hintergrund bleiben, während die Herren ihre kriminellen Geschäfte abwickeln. Innerhalb der Männerriege gibt es klare Hierarchien; wenn einer von ihnen einen Fehler macht, wird er zwecks Disziplinierung zusammengeschlagen – wenn er dabei zu sehr vor Schmerzen brüllt, wird der Fernseher für die Kinder und Jugendlichen im Wohnzimmer eben etwas lauter gestellt. Und sobald der Verprügelte und Rangniedrige sich wieder erholt hat, verteilt er mit Unterwerfungsgeste kleine Geschenke an alle Beteiligten, wie ein Hund, der sich auf den Rücken legt und seine Kehle zeigt.

Ein Monster, das mit sich ganz im Reinen ist. Lai Yde als Michael. Foto: Alamode Film
Durch diese Welt laviert sich Sascha, genießt den (immer etwas lieblos und billig wirkenden) Luxus, den Michael ihr offeriert, und erträgt gleichzeitig sein Besitzdenken, das immer brutalere Züge annimmt: Dass er sie mit einer Droge im Drink bewusstlos macht und dann ihren Körper im Bett je nach Belieben drapiert wie eine Puppe, ist erst der Anfang – im Schlüsselmoment des Films, einer schmerzhaft grausigen und sehr expliziten Szene, vergewaltigt er sie. Was er wohl nicht einmal als Vergewaltigung ansieht, ist sie in seinen Augen doch sein Besitz. Und deshalb muss es ihn auch stören, dass Sascha eine Freundschaft mit dem jungen Holländer Thomas beginnt, der mit seinem Schiff (und leicht hippieesker Idealismus-Rhetorik) um die Welt segelt. Früher machte er in Marketing, heute will er die Lügen des Berufslebens hinter lassen. Sagt er. Könnte er ein Ausweg sein für Sascha? Oder wird sie sich an Michael rächen, zumal der Film scheinbar unsubtil ein Klappmesser ins Spiel bringt? So viel sei verraten: Das Drehbuch von Isabella Eklöf und Johanne Algren legt einige falsche Fährten aus und überrascht immer wieder, so dass man als Zuschauer manche vorschnellen Urteile – über den Film wie über einige Figuren – revidieren muss.
Gespielt ist das hervorragend: Lai Yde, der auch für Edelmode für den reichen Mann 40 plus modeln könnte, verkörpert Michael als menschliches Monster, das dabei ganz mit sich im Reinen ist. „Ohne Schmerzen macht das Leben keinen Spaß“ ist einer seiner platten Sätze, aber man glaubt ihn ihm und weiß, dass er sein Leben meint und die Schmerzen anderer. Das Zentrum des Films ist Victoria Carmen Sonne als Sascha, mit einer körperlich furchtlosen Darstellung: mal mit maximalem Ausdruck – in der Titelsequenz, in der sie sich vor schwarzem Hintergrund tanzend windet und so aktiv und selbstbestimmt wirkt wie sonst selten im ganzen Film, mal passiv, in sich gekehrt, merkwürdig entrückt. Man blickt nicht ganz hinter sie – ist Sascha in brutaler Konsequenz kalkulierend, abwägend? Oder aber, schlicht gesagt, etwas dumm? Drehbuch, Darstellung und eine manchmal distanziert und teilnahmslos wirkende Kamera (Nadim Carlsen) lassen einen nicht ganz heran an diese Figur, und der Film bittet den Zuschauer nicht um Mitgefühl für sie. „Holiday“ urteilt nicht und bleibt auf Distanz, das Drehbuch zeigt die Menschen einfach bei dem, was sie sagen und tun. Und das ist meist hässlich. Die einzige nette Geste des Films ohne Berechnung und Hintergedanken kommt von Straßenarbeitern, die Sascha warnen, dass ihr langer Schal beim Vespa-Fahren gefährlich werden könnte. (Sie versteht es nicht und stürzt.)

Victora Carmen Sonne als Sascha. Foto: Alamode Film
Um Brutalität, Besitz, Macht und Alphatier-Gehabe geht es auch in der Sprache: Der Satz „Ich dachte, sie sei verfügbar“ fällt im Gespräch über Sascha, als wäre sie ein Gebrauchsgegenstand; Michael setzt in einem Gespräch mit dem möglichen Nebenbuhler Thomas sehr gezielt einen obszönen (und scheinbar endlosen) Witz ein, als Warnung für sein Gegenüber. Das wird sich in einer späteren, bestürzenden Szene noch steigern – Sprache als Waffe, oft sexualisiert.
„Holiday“ erzählt nicht nur innerhalb der Kriminellenclique und im Verhältnis des Paares von Machtverhältnissen – nebenbei und ohne platt zu werden, zeigt der Film auch die Kluft zwischen den reichen Touristen, die sich mit ihrem Geld nahezu alles kaufen und alles erlauben können, und den lokalen Normalbürgern, die außen vor bleiben. Menschen, die mit viel Zeit und wenig Geld auf alten Plastikstühlen an der Straße sitzen, während der Touristenbus vorbeifährt, oder die Tänzerinnen in einem tristen Nachtclub – der Mensch ist Verfügungsmasse in diesem Film. Wer nichts hat, wird besessen, wer nicht schlägt, wird geschlagen.
„Holiday“ ist bei Alamode auf Bluray/DVD erschienen und auch als Download verfügbar.
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