Cookie (John Magaro) und die einzige Kuh weit und breit.   Foto: Peripher

Ritte durch die endlose Prärie. Türkisblaue Seen. Brodelnde Bohnen mit Speck in der Pfanne, dazu eine Kaffeekanne am Lagerfeuer. All diese liebgewonnenen Western-Bilder wird man in „First Cow“ nicht sehen – einem wunderlichen und wunderbaren Film der US-Regisseurin Kelly Reichardt über den sogenannten Wilden Westen, über Freundschaft, über Aufbruch, Kapitalismus – und Milchbrötchen. In unserer Gegenwart beginnt der Film, eine Frau mit Hund spaziert durch den Wald, der Hund scharrt im Boden und entdeckt etwas Merkwürdiges: zwei Skelette, die einträchtig nebeneinander liegen.

Mit einem unmerklichen Schnitt führt uns der Film ins 19. Jahrhundert zurück: Da zieht ein junger Mann mit Spitznamen Cookie (John Magaro) als Koch mit einer ziemlich rauen Truppe von Pelzjägern durch den Wald – seine kulinarische Kompetenz scheint begrenzt, und so kann er froh sein, dass die gereizten Trapper ihm nicht das Fell über die Ohren ziehen. In einer Siedlung lernt er den Chinesen King Lu (Orion Lee) kennen, der schon viel herum gekommen ist. Man versteht sich, und flugs erblüht eine lakonische, vertrauensvolle Freundschaft. Was kann man anfangen mit dieser scheinbar endlosen Freiheit eines kaum besiedelten Landes, fragen sie sich. „Die Welt ist noch neu“, sagt King Lu, „wir können sie gestalten wie wir wollen“. Von einer eigenen Farm träumen die beiden, oder auch von einem Hotel in San Francisco – bevorzugt mit Meerblick. Doch erst müssen sie heraus aus Oregon, mit seinen endlosen Wäldern und viel, viel, sehr viel  Matsch.

Ihre Geschäftsidee fürs Startkapital? Der aus England eingewanderte Großgrundbesitzer (Toby Jones) besitzt die einzige Kuh weit und breit; mit deren Milch, die sie nachts so unbemerkt wie illegal melken, backen Cookie und King Lu die besten Brötchen weit und breit. Schnell füllen sich die Geldbörsen der beiden Glücksritter, und der nichtsahnende Großgrundbesitzer gibt bei Bäcker Cookie sogar einen möglichst fluffigen Clafouti in Auftrag; mit der Köstlichkeit will er nahenden Besuch demütigen, der sich stets abfällig über Oregons Provinzküche äußert. Doch langsam dämmert dem Kuhbesitzer, warum sein Tier scheinbar so wenig Milch gibt. Die Glückssträhne von Cookie und King Lu scheint am Ende.

Cookie (John Magaro, links) und King Lu (Orion Lee).     Foto: Peripher

Von einer zarten Freundschaft in einer ruppigen Welt erzählt Regisseurin Reichardt (auch Schnitt),  in aller Ruhe und mit ungewöhnlichen Bildern: Während übliche Western gerne das breite Cinemascope-Format wählen, um die Weite des Landes zu zeigen, nutzen Reichardt und ihr Kameramann Christopher Blauvelt das alte, nahezu quadratische 4:3-Format – nicht als Hommage an die Filme von einst, sondern um einen intimen Rahmen für die Figuren zu stecken und den Westen eben nicht als grenzenlos freien, sondern als engen Ort dazustellen. Die Wälder wirken nicht weit, sondern oft be- und erdrückend; und die Sonne, lässt sie sich denn einmal blicken, scheint immer hinter dem nächsten Berg. Aber nie dort, wo man gerade ist.

Den Eindruck einer mitunter brutalen neuen Welt, die gerade entsteht (und dabei die alte verdrängt), vermittelt der Film eindrücklich – halbfertig wirkt vieles, da gibt es in den Innenräumen etwa keine Saloon-Gemütlichkeit wie in klassischen Western, sondern eine leicht muffige Schummrigkeit, mit Kerzen, die immer fast heruntergebrannt sind. Und allen Figuren – abgesehen vom Großgrundbesitzer – sieht man an, dass sie eine Dusche dringend nötig hätten. Bei alldem schwingen Wehmut und Heimweh der Neu-Amerikaner mit: „Wie bei Mama“, schwärmt ein Mann beim Biss in eines der edlen Brötchen; der eingewanderte Großgrundbesitzer fühlt sich gar an die alte Heimat London erinnert und bekommt fast feuchte Augen der Rührung.

Der Reiche des Ortes (Toby Jones).

Mag dieses Amerika auch noch am Entstehen sein, ist manches doch schon klar: Die Ureinwohner sind vertrieben oder zu Hauspersonal erniedrigt, und die Struktur ist der Kapitalismus. Um Handel geht es im Film, um Tausch, um Geld, um Angebot und Nachfrage – ob es nun um Muscheln, Milchbrötchen geht oder um Biberpelze ür modische Mützen im Paris am anderen Ende der Welt.

Melancholischer Humor zieht sich durch viele Szenen dieses betörend langsamen, aber nie langatmigen Films – einmal lässt die Regisseurin ein Schiff von links nach rechts durchs Bild fahren, eine Minute lang. „First Cow“ erzählt mit seinen beiden brillanten, sehr subtil spielenden Hauptdarstellern von zwei Träumern, die dennoch nicht realitätsfern sind, aber sich doch zu übernehmen scheinen. Herzerwärmend ist diese Geschichte einer großen Zuneigung und passt zu dem Satz des englischen Dichters William Blake, der dem Film vorangestellt ist: „Dem Vogel ein Nest, der Spinne ein Netz – dem Menschen Freundschaft.“