Über Film und dieses & jenes, von Tobias Keßler

Kategorie: Ophüls-Festival (Seite 1 von 2)

Ein Interview mit Dominik Graf: „Naja, ich war halt Anfänger“

Dominik Graf Die Katze Der Fahnder Tatort Polizeiruf John Carpenter Harms

Regisseur Dominik Graf.                                                          Foto: dpa

1982 kamen Sie mit „Das zweite Gesicht“ nach Saarbrücken zu Ophüls. Wie war Ihr Eindruck vom Festival?

Das war, ähnlich wie Hof damals, ein aufstrebendes junges Festival abseits der Kino-Zentren, das sich aber vorrangig um die nachkommende Generation gekümmert hat. Junge Leute mit einem jungen Kino.

Dem „Zweiten Gesicht“ attestieren Sie in Ihrem Buch „Schläft ein Lied in allen Dingen“ eine „quälende Länge“ – ist das nicht etwas harsch?

Naja, ich war halt Anfänger und hatte nicht sehr viel Praxis. Die Filmhochschüler heute drehen viel mehr Filme, kleine Produktionen schnell nebenher an der Hochschule und kommen so mit mehr Erfahrung in ihren ersten Spielfilm hinein. Ich war komplett überfordert als Regisseur und Autor. Ich hatte den fabelhaften Kameramann Helge Weindler, der später für Doris Dörrie gedreht hat, was mich aber vor Probleme gestellt hat, denn Ich konnte einige Fragen, die er hatte, gar nicht beantworten. Ich habe angefangen mit Studentenfilmen, in denen ich immer nur Großaufnahmen von einem Gesicht gefilmt habe, weil ich mehr als einen Schauspieler im Bild beim Inszenieren gar nicht beurteilen konnte. Mein Glück war, dass man damals längere Zeit die Möglichkeit hatte, Mist zu bauen. Aber ich weiß noch, dass Regisseur und Filmjournalist Eckhart Schmidt mich ein paar Jahre und ein paar Filme weiter warnte: „So, jetzt muss es aber mal klappen.“ In der Zeit der Fernsehserien bei der Bavaria habe ich mir dann immerhin eine gewisse Professionalität und ein schnelles Urteil am Set bilden können.

Sie schreiben im Buch auch, dass Sie sich früh vorgenommen haben, „keine Handschrift haben“ zu wollen. Wie ist das gemeint?

Ja, das war gegen das Autorenkino gerichtet. Vor der Generation, zu der ich gehöre, standen Fassbinder und Wenders im Rampenlicht. Und bei deren Generation hatten wir immer das Gefühl, dass der unbedingte Willen zur eigenen Handschrift den Filmen manchmal ein bisschen schadete. Wir waren eher auf der Suche nach Genrefilmen, nach Erzählkino und einer Normalität, auch in der Schauspielerführung – was mir lange überhaupt nicht gelungen ist. Es gibt diesen schönen Satz von Jean Cocteau, dass man keine künstlerische Handschrift haben wollen darf – aber dass einem das dann auf keinen Fall gelingen sollte. Insofern kann es natürlich absurderweise auch sein, dass gerade in den Defiziten und Fehlern, die „Das zweite Gesicht“ hat, doch eine eigene Handschrift vorgeprägt ist.

Haben Sie früher mit einem gewissen Neid nach Frankreich geschaut, wo man ein Starsystem hat und keine Berührungsängste mit dem Genrefilm, anders als hier?

Allerdings. Gerade beim Genrefilm ist der Unterschied arg. Die Franzosen hatten in den 1990ern ja mal ein paar Jahre Pause beim Polizeifilm, aber seit den 2000ern kommt bis heute wieder ein fantastisches Ding nach dem anderen. Kleine, oft unglaublich rabiat gedrehte Gangster- und Polizeifilme fürs Kino. Uns fehlen auch die Stars, die ein Genrekino dringend braucht. Jemand wie Götz George etwa hat bei „Die Katze“ damals allein schon mal eine Million Zuschauer mobil gemacht.

Verhindert bei uns nicht aber der allgegenwärtige „Tatort“ im Fernsehen, dass auch Krimis fürs Kino produziert werden?

In gewissem Sinn schon. Ich drehe ja auch „ Polizeirufe“ und „Tatorte“, das sind für mich die billigeren,die einfach zu finanzierenden Thriller. Wenn man dieses Genre nochmal ins Kino übertragen will, dann muss man die Filme über ein gewisses ästhetisches Level heben, damit das Publikum weiß, dass hier etwas anderes läuft als das, was jeden Tag im Fernsehen zu sehen ist. Eine hohe Finanzierung von Genrekino ist aber bei uns schwierig, weil es kein Zutrauen gibt, das war schon bei „Die Katze“ so und bei „Die Sieger“ noch mehr. Seither habe ich mich dann nicht mehr wirklich darum bemüht. Es ist schwer zu sagen, wie sich heute ein Kino-Genrefilm unterscheiden müsste von einem Genrefilm im Fernsehen. Die Versuche, die andere Leute seit den 1990er unternommen haben, so spannend sie waren, haben nicht wirklich die Schallmauer der Anti-Genre-Haltung durchbrechen können. Sogar Til Schweiger mit seinem Kino-„Tatort“, seinem Actionfilm „Schutzengel“ und mit seinem so großen Publikumsreservoir hat es nicht wirklich geschafft – wenn auch mehr als alle anderen. Es ist halt so: Nur die Komödie läuft noch in Deutschland. Andererseits gibt mir aber auch das Fernsehen die Chance, auf hohem Niveau zu erzählen, wie zum Beispiel bei „Im Angesicht des Verbrechens“.

Liefe solch eine Reihe heute bei Netflix? Sind die Streamingdienste eine Chance gerade für junge Filmemacher?

Ich kann die Streaming-Plattformen nicht einschätzen. Was ich dort sehe, zeigt mir bei den deutschen Produkten bislang keine Richtung, die mich interessiert. Es wird zwar gerade wie verrückt produziert, nachdem die Deutschen nach nur 20 Jahren internationalem Serienhype gemerkt haben, dass Serien interessant sein könnten. Aber jetzt ist der Hype schon fast wieder vorbei – ich sehe die Serie an sich eher schon auf dem absteigenden Ast.

Wie ist Ihr Verhältnis zur Filmkritik? Bei „Die Katze“ etwa wurde viel gemäkelt, das sei alles zu amerikanisch. Heute wird das ganz anders gesehen. Wie ernst nehmen Sie Filmkritik?

Das ist personenabhängig. Die Film- und vor allem die Fernsehkritik als Ganzes kann man zur Zeit nicht wirklich ernst nehmen, weil überwiegend filmisch ignorante Leute schreiben. Aber es gab immer und es gibt natürlich in Zeitungen und in sehr speziellen Internet-Blogs Leute, die einen mit ihren Kommentaren Kritiken zum Nachdenken bringen, auch wenn sie einem auf die Finger klopfen. Und wenn sie einen loben, hat es Hand und Fuß. Aber bei vielen Kritikern ist ja sogar das Lob blind, es werden inhaltliche Banalitäten belobigt. Das kann man nicht annehmen.

Sie sind seit 2012 in der Jury des Michael-Althen-Preises, der an den Filmjournalisten Michael Althen erinnert, mit dem Sie unter anderem den Filmessay „München – Geheimnisse einer Stadt“ gedreht haben. Da muss es doch bessere Texte geben?

Letztes Jahr gab es einen tollen Text von Oliver Nöding über Rolf Olsens Krimi „Blutiger Freitag“ von 1972, dem hätte ich so sehr einen Preis gegönnt . Das ist eine schöne Art von Schreiben über Film, temperamentvoll, leidenschaftlich, frech, modern, persönlich, mit viel Wissen über die Filmgeschichte, obwohl Nöding 30 Jahre jünger ist als ich. Das macht Hoffnung.

Sie haben viele Preise gewonnen – ist das nicht auch gefährlich? Zementieren Preise nicht das, was man tut, und hemmen die Experimentierlust?

Nein, man muss sich immer bewusst sein, dass Preise aufgrund der Jurybesetzungen häufig so gut wie nichts bedeuten – die Preis-Kriterien sind heute meistens themen- und nicht wirklich filmorientiert, und da muss man sich eher schämen wenn man was gewinnt.

Sie haben in Ihrer Zeit bei der Bavaria lange mit dem Produzenten Günter Rohrbach gearbeitet, der aus Neunkirchen stammt – wie ist Ihr Blick auf ihn heute?

Er ist eine ganz große Figur. Wir haben uns über die Jahre und ein halbes Dutzend Filme lang ja auch heftig aneinander gerieben, aber ich habe ihm viel zu verdanken, weil er mich aus dem Vorabendserien-Dasein zum Kinofilm gebracht hat. Der Vorschlag, dass ich „Die Katze“ machen sollte, kam von ihm. Er hat schwierige Finanzierungen zusammenbekommen, und wenn die zu knapp waren, hat er sich trotzdem getraut, den Film zu machen. Er wollte Publikumsfilme und hohe Qualität zusammenbringen, wie bei Petersens „Boot“, da war er bahnbrechend, nicht nur bei der Bavaria. Man hatte damals ja die Vorstellung und den Wunsch, dass kommerzielle Filme auch möglichst gut werden sollen. Ich stelle Günter Rohrbach ebenbürtig neben Bernd Eichinger – mindestens.

Ihr Polizeifilm „Die Sieger“ war 1994 für einen deutschen Film sehr teuer, hat dann kein Publikum gefunden, und die Kritiken waren auch schlecht. Wie weh tut das?

Das war ein Niederschlag, aber da müssen die meisten Regisseure im Laufe ihrer Karriere ja durch. Ich wollte in jeder Hinsicht hoch hinaus damit, da kriegt man – nicht immer zu Unrecht- was auf die Ohren. Und vielleicht war es auch überraschend, dass der Film quasi nur zum Schein ein Polizeifilm st, gleichzeitig eher ein Gespensterfilm über die schaurige „Hoch die Tassen“-Bundesrepublik der 1990er. Ich habe „Die Sieger“ immer sehr geliebt wie ein widerborstiges Kind, und ich halte vieles daran für gelungen – aber nicht alles. Auf der Berlinale läuft er jetzt in der „Classics“-Reihe nochmal in einem Director’s Cut, zwölf Minuten länger, mit unter anderem zwei grossen Szenen, die sehr wichtig, aber jetzt erstmals im Film zu sehen sind.

Vielleicht ein gewagter Spagat – aber mich hat die Rezeption an die von John Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“ erinnert: vernichtende Kritiken, ein Flop – und Carpenter war, anders als Sie, danach nicht mehr ganz derselbe.

Ich wusste nicht, dass die Kritiken damals so schlecht waren. Ich finde den Film fantastisch, das ist einer seiner allerbesten. Aber es ist oft so bei sehr guten, bei großen Regisseuren, dass die Filme, die den größten Erfolg hatten, gar nicht unbedingt ihre besten sondern eher die -für ihre Verhältnisse-mittelmäßigen waren. Und dass die untergegangenen, beschimpften Film auf Dauer die stärksten sind.

Sehen Sie das bei sich auch so?

Nein, das will ich auf mich nicht anwenden, weil ich mich eher in so einem cineastischen Mittelmaß verorte. Ich tue, was ich kann, und lerne immer noch dazu.

Vor 20 Jahren haben Sie mit Heiner Lauterbach den Film „Der Skorpion“ gedreht, für viele einer ihrer besten Arbeiten – werden Sie mal wieder zusammenarbeiten?

Wir hatten das geplant – eine sehr gute Kiez-Serie, die Nikolai Müllerschön geschrieben hat. Das wollten wir machen, aber im Moment ist die Finanzierungslinie etwas abgeschnitten.

Müllerschön hat mit Lauterbach den rauen Krimi „Harms“ gedreht – ist das eine Art Kino, von dem Sie sich wünschen, es gäbe mehr davon?

Natürlich, „Harms“ fand ich absolut herausragend. Ein Film, der plötzlich da war – im Grunde habe ich ihn nur auf DVD wahrgenommen, weil er so schnell aus dem Kino wieder verschwunden war. Furchtbar. Auch da haben sich leider einige Filmkritiker wenig mit Ruhm bekleckert, weil sie nicht gemerkt haben, was für eine Kraft und Melancholie in diesem schönen Film steckt. Es kann aber auch sein, dass das Schauen aufs Kino sich verändert hat. Dass bestimmte Qualitäten, die man in einem Film lesen könnte, sogar eher störend wirken. Das Publikum möchte den denkbar schlichtesten Flow. Niemand will sich mehr Mühe machen im Kino, das Leben ist schon zu schwierig. Und wenn ein Film dann auch noch maue Kritiken bekommt, dann hat er schnell gar keine Chance mehr.

Wie schauen Sie sich eigentlich Filme an? Vor allem im Kino?

Nein. Im Kino interessiert mich momentan wenig wirklich vital. Ich schaue DVD. Einen großen Beamer habe ich nicht, ich muss gestehen, dass ich manche Filme sogar am Laptop schaue. Als Student hatte ich einen winzigen Schwarz-Weiß-Fernseher, auf dem habe ich Kavallerie-Western von John Ford gesehen – ich bin so nahe rangekrochen, bis das Monumental Valley wieder groß war.

„Der Hauptmann“: Interview mit Regisseur Robert Schwentke

 

Der Hauptmann Robert Schwentke Florian Ballhaus

Dreharbeiten zu „Der Hauptmann“: Darsteller Max Hubacher (links), in der Mitte Regisseur Robert Schwentke, neben ihm Kameramann Florian Ballhaus. Foto: Weltkino

 

In Hollywood hat Regisseur Robert Schwentke Filme wie „Flight Plan“ mit Jodie Foster und „R.E.D.“ mit Bruce Willis inszeniert. In „Der Hauptmann“ erzählt er, nach einer wahren Begebenheit, von einem deutschen Deserteur, der sich mit einer gefundenen Uniform als Offizier ausgibt. Als sich ihm versprengte Soldaten anschließen, findet er Gefallen an der Macht – und steigert sich in einen Rausch der Grausamkeit. Der Film hatte eine deutsche Erstaufführung beim Saarbrücker Filmfestival Max Ophüls Preis.

Sie erzählen von Grausamkeit und Kriegsverbrechen aus deutscher Täterperspektive – fürchten Sie da  Kontroversen um den Film?

Man muss sich schon sehr bemühen, um den Film falsch zu verstehen. Er hat bewusst keine moralische Gebrauchsanleitung. Im deutschen Nachkriegsfilm erzählen ja nur zwei Filme aus der Täterperspektive – einmal der Fernsehfilm „Wannseekonferenz“ von 1984 und „Aus einem deutschen Leben“ von 1977 mit Götz George, bezeichnenderweise nach dem Roman eines Franzosen. Es ist auffällig, dass es das im Kino fast nicht gibt, auch selten in der deutschen Literatur.

Was ist anders, wenn man aus der Tätersicht erzählt?

Die Fragestellung ans Publikum ist eine ganz andere. BEIM „Der Hauptmann” MUSS DER Zuschauer Position zu beziehen, nachdenken über die eigene Haltung und über die menschliche Fähigkeit, einander weh zu tun, ungerecht zu handeln, sich Feindbilder zu erschaffen. Manchmal kommt sie zum Vorschein, manchmal nicht – aber sie ist immer da. Den Film sehe ich da als EINE ART DER Prophylaxe, damit man sich Gedanken macht über etwas, über das man nicht gerne nachdenkt.

Wie sehen Sie da den Film „Der Untergang“ – in dem wirken ja am Ende die Nationalsozialisten wie die Opfer.

Ich wollte dezidiert einen Anti-„Untergang“ machen, mit dem Film hatte ich große Schwierigkeiten, er hat eine Sichtweise, mit der ich nicht überein stimme. Er behauptet, dass diese kulturelle Katastrophe zwischen 1933 und 1945 hätte vermieden werden könne, wenn der verrückte Führer seinen vernünftigeren Untergebenen besser zugehört hätte. Der Nationalsozialismus war ein extrem dynamisches System, darüber wollten wir einen Film machen: nicht die erste Täterreihe beleuchten, sondern die vierte, fünfte, sechste.

 

Der Hauptmann Robert Schwentke Florian Ballhaus

Milan Peschel, Max Hubacher und Frederick Lau. Foto: Julia Müller / Weltkino

 

Am Anfang stand diese Idee – wie haben Sie dann die reale Geschichte entdeckt?

Ich hatte vorher andere Geschichten gefunden, etwa die des Hamburger Polizeibataillons, das in Polen wütete. Aber vieles war noch grausamer als jetzt im „Hauptmann“, noch viel weniger darstellbar, ohne es absolut unerträglich zu machen. Die Geschichte war ein Glückfall, weil es um alle Befehls- und Gehorsams-Ebenen  geht – von ganz unten, den Gefreiten, hoch bis zum Admiralsgeneral.

Ist die Erschießung von Gefangenen mit einer Flugabwehrkanone historisch belegt? Mir kam es vor wie ein Verweis auf Nordkorea.

Das ist historisch belegt. Und als sich Munition im Geschütz verkantet hat, haben sie  weitergemacht mit Handfeuerwaffen und Gewehren.

Ihr Drehbuch verbindet enorme Brutalität immer wieder mit einer sehr schwarzen Komik – etwa wenn darüber sehr bürokratisch diskutiert wird, wer nun eigentlich bei den Grausamkeiten zuständig ist.

Ja, es ist am Rande auch eine Bürokomödie.

Wie schwer war es da, als Autor die richtige Balance zu finden?

An dieser Mischung aus Tonalitäten habe ich sehr lange gearbeitet, schwarze Komödie ist bei mir immer dabei, was mir auch hilft, mich diesen Themen zu nähern. Das Theatralische im „Hauptmann“ ist ebenso eine Art Selbstschutz. Die endgültige Balance fand bei den Proben mit den Schauspielern statt. Sie wussten, dass sie zwar keine Karikaturen, sondern Menschen spielen sollen, aber dennoch etwas überhöht agieren sollen.

Der Film vermeidet bewusst einen dokumentarischen Stil – auch die Schwarzweißbilder sind sehr kunstvoll und geradezu Anti-Doku.

Ich schätze den filmischen Naturalismus nicht. Den finde ich genauso künstlich hergestellt wie ein Pappe-Expressionismus. Eine Überhöhung liegt mir da näher – und sie gibt mir mehr Farbe auf die Palette, eine größere Möglichkeit an Ausdrucksmitteln.

Beginnt der Film deswegen nicht mit klassischen Zeilen wie „Eine wahre Geschichte“ oder „Nach wahren Begebenheiten“, obwohl das gestimmt hätte?

Ja, das haben wir lange diskutiert. Wenn ein Film so beginnt, klingt das immer nach Hausaufgaben und wirkt wie ein Gewicht auf den Schultern des Films. Ich wollte den Zuschauer erstmal mit der Geschichte konfrontieren – mitten im Film reiche ich die Information dann nach. Und dann denkt man nochmal über das Gesehene nach. Ich habe den Film einigen Freunden in Amerika gezeigt, und diese kurze Farbeinblendung im Film wurde sehr kontrovers diskutiert – sie haben nicht verstanden, warum ich den Zuschauer damit kurz aus dem Film werfe. Aber das war ja meine Absicht – es gibt einen kurzen Moment der Reflexion, der Distanz. Aber das widerspricht den amerikanischen Erzählnormen.

Sie haben Ihren Film zum Teil in Polen gedreht. Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie dort die Kulisse eines deutschen Lagers aufgebaut haben?

Ganz merkwürdig. Unsere Statisten waren alle Polen, und alle waren vom Zweiten Weltkrieg extrem gezeichnet. Sie hatten Onkel, Tanten, manchmal Brüder, die im Krieg umgekommen waren. Diese Zeit ist noch sehr lebendig in Polen. Auch für die Schauspieler war es  schwierig. Bernd Hölscher etwa fing nach den Erschießungsszenen, wenn Menschen in dem großen Erdloch um ihr Leben betteln,  zu weinen an und konnte nicht mehr aufhören.

Der Film wurde vom Deutsch-Polnischen Filmfonds mitfinanziert. Gibt es den schon länger?

Ja, aber er wurde jetzt ausgebaut angesichts der politischen Lage in Polen. Die deutsche Regierung hat sich entschlossen, die kulturellen Banden zwischen Deutschland und Polen zu verstärken, und den Fonds aufgestockt.

Das Budget Ihres Film liegt bei fünf Millionen Euro. Das ist fast nichts im Vergleich zu Hollywood-Budgets, mit denen Sie zuletzt gearbeitet haben. Macht es das Filmemachen schwieriger – oder ist es eine gewisse Freiheit, ohne riesigen Apparat arbeiten zu können?

Beides – die Vorstellung, dass man in Amerika genug Geld zum Drehen hat, ist sowieso falsch. Selbst mit einem Budget von 150 Millionen kann man viele Sachen nicht machen, weil sie zu teuer sind. Das ist ein ständiger Kampf mit dem Budget, nur liegt da die Messlatte höher. Aber die Situation ist dieselbe. Man muss sparen und versuchen, dass man das dem Film nicht ansieht. Ich kenne das gar nicht anders. Ich komme ja nicht aus dem Werbefilm, sondern aus dem Indiefilm – und deshalb ist das ein Muskel, den ich schon immer trainieren musste, von Anfang an. Ich habe noch nie einen Film gemacht, bei dem ich genug Geld hatte.

Den Film „R.I.P.D.“ sehen Sie nicht als Ihren Film an.

Nein, denn das war eine sehr schlimme Erfahrung. Das, was im Kino lief, war nicht mein Film, ich habe mir ihn auch nie angesehen.

Ist „Der Hauptmann“ nun Ihre Rückkehr nach Deutschland?

Mir wäre ein Spagat am liebsten – eine Karriere wie von Steven Soderbergh imponiert mir sehr. Der macht mal einen Film für 100 Millionen, den nächsten für eine Million.  Er wechselt zwischen Studio- und Indiefilm, bei mir könnte das ein Spagat zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Kino sein. Ich habe einige Stoffe hier wie dort in Entwicklung, aber ich will verstärkt wieder in Deutschland oder Europa arbeiten.

Ihre jüngsten US-Filme waren groß und teuer – wird es in Hollywood in dieser Richtung weitergehen?

Insgesamt ist meine Karriere dort ja sehr eklektisch. Aber dieses Tentpole-Business mit den Blockbustern mag ich schon sehr gerne – wenn man sich etwa eine Szene überlegt, in der die Heldin auf einem brennenden Haus steht, das durch eine Großstadt fliegt – und das dann auch tatsächlich umsetzen kann. Das macht Spaß. Aber ich habe jetzt einen Stoff in Amerika, der kein potenzieller Blockbuster ist – ich will mich da auf die Schauspieler konzentrieren, weil das auch die Arbeit ist, die mir am meisten Spaß macht. Das ist das größte Glück.

Es ist aber nicht so, dass Sie die großen US-Filme als Handwerker inszenieren und nun mit dem „Hauptmann“ den „kleinen persönlichen Arthouse-Film“ drehen?

Nein, so einfach ist das nicht – aber „Der Hauptmann“ war, nicht überraschend, sehr befriedigend, weil da weniger Menschen am Tisch sitzen und ihre Meinung kundtun und Einfluss nehmen auf den Film. Ich musste nicht jede Entscheidung rechtfertigen – das muss ich auch nicht unbedingt jedes Mal in Amerika, aber es kann passieren. Beim „Hauptmann“ haben wir die Entscheidungen treffen können, die richtig für den Film waren. Da ging es nicht darum, zu überlegen, wie man den Film besser verkaufen kann, wie wir noch eine Million Zuschauer bekommen können. Sondern nur darum, wie man die Geschichte am besten erzählen kann.

Wie ist so eine Erfahrung wie der Misserfolg von R.I.P.D.? Ist das niederschmetternd?

Nein, denn es war ja nicht mein Film. Der Film wurde mir angelastet, ich hatte zwar die Verantwortung, aber nicht die Entscheidungsgewalt. Mir fällt es nicht schwer, eigene Fehler einzugestehen – aber für die Entscheidungen anderer Menschen werde ich nicht gerne zur Verantwortung gezogen. Und da war das der Fall. Vorher ist mir das noch nie passiert – und danach auch nicht mehr.

Der Hauptmann Robert Schwentke Florian Ballhaus

„So, hier sind wir durch.“ Foto: Weltkino

 

Interview mit Svenja Böttger, Leiterin des Ophüls-Filmfestivals

Svenja Böttger Leiterin Filmfestival Max Ophüls Preis Interview

Svenja Böttger, die Leiterin des Saarbrücker Filmfestivals Max Ophüls Preis. Foto: Oliver Dietze /MOP

 

Vom 22. bis 29. Januar läuft in Saarbrücken das 39. Filmfestival Max Ophüls Preis. Für Svenja Böttger ist es der zweite Ophüls-Jahrgang als Leiterin. Ein Gespräch  (mit dabei war auch Kollege Christoph Schreiner) über die Lage des Festivals, die Probleme der Jungfilmer und die #MeToo-Debatte.

 

Das Max Ophüls-Festival bezeichnet sich als „das“ wichtigste Festival des deutschen Nachwuchsfilms – in der überregionalen Presse wird es eher als „ein wichtiges“ bezeichnet. Was stimmt?  

Natürlich gibt es andere gute Festivals, die auch Produktionen junger Filmemacher und Filmemacherinnen zeigen. Aber nur Saarbrücken zeigt 130 dezidierte Nachwuchsfilme. Wir bilden einen Jahrgang in seiner ganzen Bandbreite ab. Wir suchen nach Handschriften, nach den Talenten dahinter. Und alle Großen waren schon mit frühen Filmen hier – Tom Tykwer etwa, Dominik Graf, Andreas Dresen, Doris Dörrie.

Welches Festival kommt Saarbrücken da am nächsten?

Das ist schwer zu sagen. Mit der Perspektive-Sektion der Berlinale und den Nachwuchsreihen in München und Hof haben wir sicherlich die größten thematischen Überschneidungen, stehen im Austausch miteinander und besuchen uns gegenseitig. In der Reihe MOP-Watchlist zeigen wir auch bewusst Filme, die bei diesen Festivals Premiere hatten.

Beim Festival gibt es immer mehr Uraufführungen – wie wichtig sind die, um sich von anderen Festivals abzuheben?

Für den Wettbewerb finden wir es wichtig, dass die Filme mindestens eine deutsche Erstaufführung haben. Wir bieten den Filmemachern dafür aber auch eine tolle Plattform: Wir haben Verleiher hier, Produzenten, Redakteure, bieten gut dotierte  Geldpreise und stellen Kontakte her. Beispielsweise unsere Verleihförderung, die bei den Preisen Bester Spielfilm und Beste Regie verankert ist,  hilft dabei, dass die prämierten Filme später auch ins Kino kommen können und bieten einen Anreiz für Verleiher, auch Independent-Produktionen ins Kino zu bringen. In den Nebenreihen sind Premieren weniger wichtig. Wir haben deshalb die Nebenreihen im letzten Jahr bereits umstrukturiert. Die Reihe „Saarbrücker Premieren“ gibt es nicht mehr, an die Stelle ist unsere Reihe MOP-Watchlist getreten, sie löst die Saarbrücker Premieren und auch die Reihe Spektrum ab. Premieren sind für die Filmemacher·innen ein hohes Gut, sie sollten nicht in Nebenreihen gefeiert werden. In unserer Reihe MOP-Watchlist spielen wir bewusst Filme nach, auch wenn sie schon bei anderen Festivals zu sehen waren. Das sind Filmemacher und Filmemacherinnen, bei denen wir sagen: Leute, die müsst Ihr Euch anschauen und auf dem Schirm haben.

Sie haben relativ wenig geändert an der Struktur des Festivals. Wollten Sie nicht deutliche Akzente setzen, die klar mit ihrer Person verbunden sind?

Betrachtet man sich das Festival genauer, dann wird man feststellen, dass wir eine ganze Menge umstrukturiert haben. Das Einzige, was genau gleichblieb, sind die Wettbewerbe, sie sind unser Fundament. Es macht auch gar keinen Sinn, daran zu rütteln. Aber wir haben im Rahmen- und Sonderprogramm Akzente gesetzt, haben die für die Gesamtausrichtung des Festivals wichtigen Nebenreihen MOP-Watchlist und MOP-Shortlist eingeführt, das Branchenprogramm ist neu ausgerichtet, umstrukturiert und mit klaren Schwerpunkten versehen. Wir haben unser digitales Verwaltungsumfeld zum Teil komplett erneuert und im Servicebereich für Filmteams und Zuschauer fundamentale Modernisierungen vorangetrieben. Qualitative Änderungen müssen nicht immer laut und plakativ ausfallen, um trotzdem Wirkung zu erzielen.

Es ist ein altes, aber leider immer drängendes Thema – der Etat des Festivals ist stabil, aber die Kosten steigen und der reale Etat des Festivals schrumpft damit. Wie geht man damit um?

Man wird kreativ und sucht neue Geldtöpfe. Aber Kultursponsoring wird im Vergleich zum Bereich Sport nur geringfügig betrieben. Das meiste Sponsorengeld fließt in den Sport. Leider nur ein Bruchteil in die Kultur im Allgemeinen und dort muss man wieder unterscheiden zwischen Musik, Theater, Oper, Film und Festivals. Es ist deshalb ein schwieriges Feld – wir sind über jeden Förderer und jeden Unterstützer dankbar.

Wie steht es um die Sponsoren beim Filmfestival?

Eine großartige Riege an Unterstützern greift uns seit Jahren tatkräftig unter die Arme. Ein Sponsor ist dieses Jahr ausgestiegen, mit dem wir aber die Gespräche für 2019 wieder aufnehmen werden, während sich andere stärker engagiert haben. Es ist jedes Jahr aufs Neue eine Herausforderung.

Karten für die Eröffnung im großen Saal des CineStar kosten in diesem Jahr 30 Euro, das ist nicht wenig.

Die letzten Jahre hat sie immer 24 Euro gekostet, da wurde nicht erhöht, trotz steigender Kosten auf unserer Seite. In diesem Jahr kamen wir an den Punkt, dass die Differenz zu groß wurde und wir auf Mietpreissteigerung und technische Aufrüstung im Kino preislich reagieren mussten. Nach ein paar Jahren ist das natürlich und, wie Sie es oben angesprochen haben, mit dem realen Etat nicht mehr zu vereinbaren. Wir mussten erhöhen.

Was sind zurzeit die größten Probleme für die Nachwuchsfilmer?

Vor allem die Finanzierung ihrer Projekte – die ist und bleibt immer schwierig, ob nun bei einem Debüt oder dem zweiten, dem dritten Film. Einen zweiten oder dritten Langfilm schaffen viele Regisseure schon gar nicht mehr. Das ist eine Spirale nach unten. Schwierig ist auch, dass Nachwuchsförderung in jedem Bundesland anders definiert ist. Es gibt gar keinen allgemeingültigen Begriff des Nachwuchsfilms – alle Förderer und auch die Redaktionen sehen das unterschiedlich und unterstützen etwa nur den Abschlussfilm, oder das Debüt, oder Debüt plus zweiten Film oder alles oder bis zum dritten. Das Feld ist etwas verwirrend, weil es keine einheitliche Definition für Nachwuchsfilm gibt.

Und wenn ein Film gar nicht gefördert wird und unabhängig produziert wird, als Independent-Film?

Der Indiefilm hat es unglaublich schwer, weil ein Film nur eine staatliche Verleihförderung bekommt, die beim Kinostart hilft, wenn er schon vorher gefördert wurde. Dann haben Indies bei Verleihern einen schlechteren Stand, weil die Verleiher keine Verleihförderung bekommen können und das Risiko alleine tragen müssen.  Filme wie Joya Thomes KÖNIGIN VON NIENDORF hat es da sehr schwer ganz ohne Förderung. Der Film ist mit gerade mal etwa 20.000 Euro entstanden und komplett unabhängig. Es ist unglaublich schade, wenn so ein toller Film dann nicht in die Kinos kommt, da kein Anspruch auf Verleihförderung besteht. Zum Glück gibt es Verleiher, die an Projekte glauben und diese aus eigener Tasche und mit der Hilfe der Regisseure und Produzenten in die Kinos bringen.

Ist das Fernsehen als Förderer und Ko-Produzent zu wenig wagemutig?

Pauschal kann man das nicht sagen, denn einige Sender machen eine wirklich gute Nachwuchsförderung – etwa das Kleine Fernsehspiel des ZDF. Die trauen sich was, reden den Filmemacherinnen nicht in ihre Projekte rein und stecken Geld in Projekte, bei denen andere abwinken, weil es nicht Schema F ist. Auch der SWR macht eine gute Förderung. Problematisch ist aber das starre Auswertungssystem In Deutschland: Man macht entweder einen Kino- oder einen Fernsehfilm. Da steht die Auswertungs-Art schon vor dem Dreh fest. Man sollte aber das Recht haben, hinterher zu entscheiden – dass man etwa einen Kinofilm dreht, dann aber merkt, dass er im Fernsehen besser aufgehoben wäre. Oder umgekehrt. Diese Möglichkeiten gibt es im deutschen System nicht.

Wäre es nicht eine Nachwuchsförderung, alle Kinos zu verpflichten, etwa Kurzfilme von Filmhochschulen vor dem Hauptfilm zu zeigen?

Die AG Kurzfilm würde sich sehr darüber freuen – aber wer hat das Recht das einfach zu entscheiden und vor allem welche Filme dann gezeigt werden dürfen? Die Kinobetreiber sind ja auch abhängig von ihren Verträgen. Jeder hat seine Abhängigkeit, die das System dann so starr macht. Das Thema ist sehr komplex und nicht einfach zu beantworten, alle Beteiligten müssen offen über das Thema sprechen und miteinander diskutieren. Nicht nur deshalb bieten wir im Rahmen der MOP-Industry zu diesem Thema das Panel „Filmflut im Kino“.

Ist die Koppelung von Verleihförderung an eine vorherige Förderung nicht das Grundproblem?

In Teilen ja. Das wäre auch eine Frage an die Filmförderung. Generell könnte man darüber sprechen, ob man statt Filmförderung im Nachwuchsbereich eine Talentförderung unterstützt. Das Filmemachern und -macherinnen Vertrauen entgegengebracht wird und man sie aufbaut unabhängig davon, ob sie einen Spielfilm, einen Dokumentarfilm oder etwa eine Webserie drehen wollen. Ob sie fürs Fernsehen, fürs Kino oder Online produzieren wollen. Außerdem sollte man aber auch an den festen Auswertungsfenstern rütteln.

Wie sehen Sie die #MeToo-Debatte vor dem Hintergrund der Nachwuchsszene? Sind die jungen Künstler dort noch machtloser als Etablierte?

Die Künstler und Künstlerinnen im Nachwuchsbereich, ob Schauspielerin, Autorin, Regisseurin oder Produzentin, stehen am Anfang ihrer Karriere und damit am Ende der Nahrungskette. Sie sind deutlich klarer der Gefahr ausgesetzt, ausgebeutet und ausgenutzt zu werden. Aber das trifft noch nicht einmal nur die Frauen. Ein befreundeter Schauspieler muss gefühlt bei jedem Casting sein T-Shirt ausziehen, weil ihm keiner glaubt, dass er sportlich gebaut ist. Der muss jedes Mal, wenn er sich für irgendwas bewirbt, ein Oben-Ohne-Foto dazupacken. Ich glaube Frauen trifft es da noch härter, aber wir sollten nicht vergessen, dass das in allen Bereichen stattfindet und dass es hier nicht nur um Frauen, sondern auch um Männer geht.

Warum meldet sich die Schauspielergewerkschaft nicht zu Wort?

Ich frage mich eher – warum sagen so viele Männer, die das mitbekommen, keinen Ton? Da sind vielleicht welche dabei, die ihren Job verlieren könnten – aber auch viele, die etabliert genug sind, um nichts befürchten zu müssen. Wie oft hört man im Gespräch, „Ja, das habe ich schon mitbekommen“. Dann frage ich „Wieso hast Du einfach danebengestanden und nichts gesagt?“  Da kommt meistens „Ach so, ja, das sollte ich mal tun“ zurück. Warum machen Leute das am Set, bei Meetings, bei Partys mit? Darüber muss man reden. Und hier ist es ja nicht anders als in Hollywood. Hier werden beispielsweise Duschszenen gedreht, obwohl man vorher bereits weiß, dass sie nicht in den fertigen Film geschnitten werden. Und alle am Set können zuschauen. Und wenn sich Leute wehren, gelten sie schnell als „schwierig“ und „zickig“ und „hysterisch“. Letzteres habe ich mir auch schon anhören müssen.

Nach Ihrem Amtsantritt in Saarbrücken?

Ja – nicht von unseren Unterstützern und Partnern wohlgemerkt. Aber da war manches Verletzendes dabei. Wenn man Dinge anders machen will, wird man schnell „hysterisch“ oder „zickig“ genannt. Und wenn ich über schwierige Punkte diskutieren will oder etwas anders sehe, heißt es schnell, ich sei „eine Frau und unter 30“. Ich durfte mir schon öfter anhören, wie jung ich bin. Meiner Meinung hat die Leitung eines Festivals nichts mit dem Alter zu tun.

Die beiden Schauspielerpreise werden nun nicht mehr an eine Frau und an einen Mann verliehen, sondern geschlechterneutral. Wenn jetzt zwei Männer gewinnen, wirkt das machohaft, bei zwei Frauen wie eine Verbeugung vor #MeToo. Macht das die Sache für die Jury schwierig?

Nein – ich traue all unseren Juroren vollkommen zu, dass sie nach Talent entscheiden und nicht nach Geschlechterproporz. Es soll die schauspielerische Leistung im Vordergrund stehen und vor allem gewürdigt werden – unabhängig vom Geschlecht.

http://www.max-ophuels-preis.de/

Erste Empfehlungen aus dem 39. Max-Ophüls-Festival

Am Samstag, 13.1., beginnt der Kartenverkauf des Saarbrücker Filmfestivals Max Ophüls Preis (22 bis 28. Januar). Einige Filme konnte ich bereits sehen – ein paar Empfehlungen vorab. Ausführliche Besprechungen folgen.

Filmfestival Max Ophüls Preis Sarbrücken Reise nach Jerusalem Eva Löbau

Eva Löbau in „Reise nach Jerusalem“. Foto: Kess Film

Das Leben ist eine Warteschleife. Zumindest für Alice, 39, arbeits- und glücklos. Sie müht sich ab, hat die Bewerbungsgesprächs-Floskeln zwischen „stress­resistent“ und „große Herausforderung“ verinnerlicht – und doch bleiben ihr nur Aushilfsjobs in der Marktforschung, für die sie Benzingutscheine bekommt (ein Auto kann sie sich eh nicht leisten). Lucia Chiarlas „Reise nach Jerusalem“ aus dem Spielfilmwettbewerb beschreibt mit konsequenter Logik einen Absturz. Das hätte ein Betroffenheitsdrama werden können, das die sozialen Stolpersteine dröge pflichtschuldig durchzählt – aber Chiarla gelingt ein enorm unterhaltsamer Film voller Tragikomik, auch dank der Darstellerin Eva Löbau: Sie brilliert als angeschlagenes Arbeitsmarkt-Opfer – besonders eine Szene am Geldautomaten ist herzwerweichend.

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Sarbrücken Goliath Sven Schelker

Sven Schelker in „Goliath“. Foto: Incognito Films

Sehenswert ist auch Schweizer Film „Goliath“ von Dominik Locher etwa, der von einem Paar erzählt, das an der Schwangerschaft der jungen Frau zu zerbrechen droht. Der werdende Vater fühlt sich überfordert und flüchtet sich in eine hypermaskuline Fitness-Welt (Steroide inklusive) – als könnte ihn ein Muskelpanzer vor der Ungewissheit beschützen, ob er als Vater/Mann genügen wird. Potenz/Impotenz, nicht nur im übertragenen Sinne, ist auch eines der Themen, die der österreichische Film „Zauberer“ von Sebastian Brauneis behandelt: ein Reigen der Einsamen und Angeschlagenen, ob nun erblindet, gekündigt, ent- oder verlassen. Ein düsteres, manchmal beklemmendes, intensives Debüt.

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Sarbrücken Gutland Frederick Lau

Frederick Lau in „Gutland“. Foto: Narayan Maele

Ein Luxemburg abseits des Kirchbergs und der Banken zeigt Govina Van Maeles Wettbewerbspielfilm „Gutland“: Hinter den Fassaden der gepflegten Bauernhäuser geht es nicht ganz so gediegen zu wie ein deutscher Räuber auf der Flucht sich das erhofft. Ein packendes, sehr atmosphärisches Werk, das am Ende ins Phantastische abbiegt.

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Sarbrücken Hagazusaa Aleksandra Cwen

Aleksandra Cwen in „Hagazussa“. Foto: dffb

Ein Film, der polarisieren wird, ist „Hagazussa“ von Lukas Feigelfeld. Er erzählt vom kargen Leben einer Frau im 15. Jahrhundert, die allein in einer Hütte lebt, gemieden/gefürchtet von der bigotten Dorfgemeinschaft, und langsam den Verstand zu verlieren droht. Feigelfeld erzählt das über weite Strecken wortlos, oft in langen Einstellungen, mit archaischen Naturbildern und einigen drastischen Momenten. Die wird sicher nicht jeder Kinogänger goutieren, aber „Hagazussa“ ist ein höchst eigenwilliger, sehr selbstbewusster Film.

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Saarbrücken Michael Bully Herbig Death is so permanent

Ein Gastauftritt von Michael „Bully“ Herbig in „Death is so permanent“. Foto: Gemutfilm

Im Wettbewerb des mittellangen Films finden sich einige Perlen: etwa der gewitzte Halbstünder „Death is so permanent“ von Moritz S. Binder, der mit leichter Hand Meta-Ebenen stapelt. Ein Filmstudent will eine Kindheitserinnerung seines Vaters verfilmen. Aber wie? Hollywoodesk? Oder Guido-knoppig? Oder im Duktus einer Betroffenheits-Doku? Und wie verlässlich sind Erinnerungen überhaupt?

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Saarbrücken Everyday

Ein etwas peinliches Wartezimmer in „Everyday“. Foto: Internationale Filmschule Köln

Ganz anders und ebenso sehenswert ist Lutz Rödigs Trostlosigkeits-Schleife „Everyday“, die Szenen des banalen menschlichen Lebens aneinanderreiht – unter anderem hängen drei Penisse beim Junggesellenabschied im Bild. Da baumelt, trotz allem, auch Komik.

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Saarbrücken Endling Schaad

Bernd Grawert als Bergmann, dessen Zeche schließt, in „Endling“. Foto: Donndorffilm

Unter anderem im Erlebnisbergwerk Velsen entstand Alex Schaads „Endling“ über einen Bergmann, dessen Zeche schließt. Doch die erzwungene Frührente „muss ich nicht haben“, sagt er und plant einen besonderen Abgang. Ein melancholischer Film mit Atmosphäre und einer schönen Liebesszene ganz in Blau.

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Saarbrücken Carl Achleitner (l.) und Rasmus Luthander in "Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin". Foto: Filmakademie Wien

Carl Achleitner (l.) und Rasmus Luthander in „Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin“. Foto: Filmakademie Wien

Beim Kurzfilm ist etwa das Werk mit dem schönen Titel „Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin“ von Bernhard Wenger zu empfehlen: Es beschreibt das ziellose und luxuriöse Abhängen eines jungen Schweden in einem österreichischen Hotel. Eine entspannte und witzige Sinnsuche, die nebenbei das Wohlleben feiert.

 

 

Filmfestival Max Ophüls Preis Saarbrücken Ego Jeanette Hain

Jeannette hain in „Ego“. Foto: Finyl

Vom Tod erzählt Lukas Baiers Ein-Personen-(plus Hund)-Stück „Ego“: Eine Frau im Wald, verletzt und eingeklemmt in ihrem Auto – der Schnee rieselt, es wird kalt und dunkel. Viel Spannung auf minimalem Raum gelingt diesem Film, der mit einer bitteren Pointe schließt. Manche Entscheidungen, das lernt man hier, muss man sich eben reiflich überlegen.

 

Karten und Kataloge gibt es am 13. Januar ab 14 Uhr im Ex-C&A-Gebäude bei der „Blauen Stunde“ (geöffnet ab 10.30 Uhr).

http://www.max-ophuels-preis.de

Zum Tod von Michael Ballhaus: Zwei Interviews

Fassbinder, Scorsese und noch viel mehr. Kameramann Michael Ballhaus ist im Alter von 81 Jahren gestorben. Er fand die Bilder zu „Die Ehe der Maria Braun“ (1979), „Die fabelhaften Baker Boys“ (1989), „Good Fellas“ (1990), „Zeit der Unschuld“ (1993) und „Gangs of New York“ (2002). Zwei Mal hat er das Saarbrücker Ophüls-Festival besucht, 2013 und 2004. Vor beiden Festivals habe ich ihn interviewt, 2004 zusammen mit dem Kollegen Thomas Reinhardt. Hier die beiden Gespräche.

Die Bilder stammen aus dem famosen Buch „Das fliegende Auge – Michael Ballhaus, Director of Photography, im Gespräch mit Tom Tykwer. Berlin Verlag, 2003, 262 Seiten.  www.piper.de
Ballhaus hatte sie aus einem Privatarchiv zur Verfügung gestellt.

Interview 2013

1969 haben Sie Jimi Hendrix in Saarbrücken gefilmt. Wie kam es denn dazu?

Ballhaus: Das war eine ziemliche Überraschung. Ein Freund aus Frankfurt rief mich an, ob ich denn Zeit und Lust hätte, etwas mit Jimi Hendrix zu machen. Ein anderer Kameramann hatte ihn bei seiner Tournee begleiten sollen, aber Hendrix mochte ihn anscheinend nicht. Ich wollte natürlich und musste sofort mit Kamera und Assistent nach Saarbrücken, wo die Tournee begann. Wir haben uns sofort gemocht, hatten zwar nur drei Tage zusammen, aber die waren so intensiv wie 14 Tage mit anderen.

Was wurde aus den Aufnahmen?

Ballhaus: Die Firma, die sie produziert hatte, ging bankrott, das Material wurde verkauft. Jahre später hieß es plötzlich aus Amerika, der Film sei wieder da und werde bald veröffentlicht – danach habe ich nie wieder etwas davon gehört.

Ende der 60er Jahre haben Sie erstmals als Dozent für Filmstudenten gearbeitet, danach immer wieder bis heute – was haben Sie selbst dabei gelernt?

Ballhaus: Gerade 1968 in meiner Anfangszeit an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin habe ich mehr gelernt als meine Studenten. Die waren weniger am Lernen als am Politischen interessiert und haben bei mir ständig nachgefragt, warum ich dieses und jenes so mache – da ich sehr intuitiv arbeite, musste ich viel über meine Arbeit nachdenken. Sie sagten mir etwa „Warum nehmen Sie ein 50er-Objektiv für einen Kapitalisten – Sie müssen ein Weitwinkelobjektiv nehmen, dann wirkt der viel hässlicher!“.

Holger Meins, späteres Mitglied der RAF, der im Hungerstreik gegen seine Haftbedingungen starb, war einer Ihrer Studenten. Wie ist der Ihnen damals aufgefallen?

Ballhaus: Er war still, sehr sympathisch, sehr zurückgezogen. Er war einer, der bei den anderen, die sehr aktiv, eloquent und überzeugend waren, mitgelaufen ist. Dass er da reingerutscht ist in eine Gruppe, die plötzlich Verbrechen beging, war sehr traurig.

Wolfgang Petersen war auch einer Ihrer Studenten. Jahrzehnte später waren Sie in Hollywood bei „Air Force One“ und „Outbreak“ sein Kameramann. Wie war das für Sie?

Ballhaus: Eine ganz natürliche Sache. Wir hatten uns in Amerika ja schon angefreundet, und es wurde eine wunderbare Arbeit. Er ist ein äußerst entspannter Regisseur, der immer freudig an den Drehort kommt.

Mit Martin Scorsese haben Sie besonders gerne und oft gearbeitet. Wie war das für Sie, als Sie seinen Film „Hugo Cabret“ gesehen haben, den er nach Ihrem Abschied aus Hollywood mit einem anderen Kameramann gedreht hat? Empfindet man da Wehmut?

Ballhaus: Nein, ich hatte mich ja längst entschlossen, nicht mehr als Kameramann zu arbeiten. Ich fand den Film wunderschön anzuschauen, weiß aber, dass die Dreharbeiten sehr lang und schwierig waren.

In dem Film gleitet die Kamera über die Stadtlandschaft von Paris, das allerdings im Computer entstanden ist. Wie viel hat ein Kameramann mit solch einer Szene noch zu tun. Wenig?

Ballhaus: Gar nichts. Deshalb interessieren mich solche computergenerierten Bilder und Filme weniger. Ich hatte gerne die kreative Kontrolle über alle Bilder. Einen Film mit vielen Computereffekten habe ich gemacht – „Wild Wild West“ – und das hat mir überhaupt nicht gefallen.

War diese Entwicklung hin zum allzu bearbeiteten Bild der Grund, aufzuhören?

Ballhaus: Nein. Der Beruf des DP, des „director of photography“ ist sehr anstrengend. Mit 72 Jahren habe ich mich entschlossen, den Beruf nicht mehr auszuüben. Wenn man 18 Stunden am Set steht, fragt man sich manchmal „Muss ich das machen?“ Und irgendwann wusste ich: Ich muss nicht. Ich habe genug Filme gemacht, ich habe genug Geld verdient. Ich kann jetzt beruhigt sagen, dass ich mit einem wunderschönen Film aufgehört habe – „The departed“ mit Scorsese.

Aber in Deutschland haben Sie doch noch einen Film gedreht, „3096 Tage“ nach den Erinnerungen der entführten Natascha Kampusch. Werden Sie nun doch weiter arbeiten?

Ballhaus: Nein, das war ein Sonderfall, weil das Thema sehr schwierig, aber interessant ist – und weil meine Frau die Regisseurin ist. Wir haben lange diskutiert, ob das gut gehen kann. Es ging dann sehr gut.

Beim Fernsehen werden die Budgets knapper. Was bedeutet das für die Kameraleute?

Ballhaus: Das Geld wird weniger, die Drehzeiten kürzer, und ich habe das Gefühl, dass beim Fernsehen nur noch aus der Hand gefilmt wird. Es wackelt furchtbar, es gibt eine halbnahe Einstellung und dann nur noch Nahaufnahme nach Nahaufnahme, weil das eben das Einfachste ist. Das meiste finde ich nicht akzeptabel.

Und im deutschen Kino?

Ballhaus: Da ist es etwas anders, da entstehen durchaus schöne Sachen.

Welche Kollegen schätzen Sie denn besonders?

Ballhaus: Frank Griebe schätze ich sehr, der vor allem die Filme von Tom Tykwer gestaltet.

Ihre beiden Söhne Florian und Jan Sebastian haben lange mit Ihnen zusammen gearbeitet – das muss für einen Vater ein Geschenk sein.

Ballhaus: Das ist etwas Wunderbares – wenn man sich gut verträgt. Mit Florian habe ich zehn Jahre lang zusammengearbeitet, das war ein große Freude.

Hatten Sie Angst, dass sie in diesem Geschäft untergehen könnten – oder einfach weniger Talent haben als ihr Vater?

Ballhaus: Die Angst hat man anfangs schon, aber ich habe die Arbeit der beiden ja sehr gut kennen gelernt. Florian hat ein fantastisches Bildgefühl. Da wusste ich, dass er es als Kameramann schaffen würde. Mein Sohn Jan Sebastian ist ein sehr erfolgreicher Regie-Assistent.

Wenn Sie gewusst hätten, dass Kollegen ihre berühmte Kamera-Kreisfahrt so oft kopieren würden – hätten Sie sie patentieren lassen?

Ballhaus: Leider kann man das nicht, auch wenn es eine lustige Idee ist. Es stimmt schon, sie wurde sehr oft kopiert – so oft, dass ich selber keine Lust mehr darauf hatte.

Interview 2004

Herr Ballhaus, was verschafft uns das Vergnügen, dass Sie zum Ophüls-Festival nach Saarbrücken kommen?

Ballhaus: Boris Penth hat mich in der Film- und Fernseh-Akademie Berlin getroffen und gefragt, ob ich zum Ophüls-Jubiläum nach Saarbrücken kommen wolle und einen Bezug zu Max Ophüls hätte. Den hatte ich: „Lola Montez“ war meine erste Begegnung mit dem Kino. Ich habe den Film immer wieder gesehen, er ist bis heute ein starker Einfluss.

1955 haben Sie die Dreharbeiten von „Lola Montez“ besucht. War das der Auslöser, Kameramann zu werden?

Ballhaus: Ich war 20 und zum ersten Mal in einem Filmstudio. Ophüls drehte gerade die Zirkus-Szenen, was mich enorm beeindruckte. Vorher hatte ich die Fotografie geliebt und das Theater – und plötzlich erkannte ich das Filmemachen als die Verbindung von beidem. Da wusste ich, was ich werden wollte.

Sie zeigen beim Ophüls-Festival „Zeit der Unschuld“ von Martin Scorsese und geben dazu eine Einführung. Warum gerade dieser Film?

Ballhaus: Das ist einer meiner Lieblingsfilme. Martin Scorsese ist ja auch ein großer Ophüls-Fan – wir haben uns „Lola Montez“ immer wieder zusammen angeschaut und wollten einige Ideen auch in unserem Film verwirklichen. Vor allem die Art, wie Ophüls das Bildformat genutzt hat. In den intimeren Szenen reduziert er das Bild zu einem Quadrat, in den großen Zirkus-Szenen dehnt sich das Bild zum Breitwand-Format aus.

Sie haben mit den besten und bekanntesten Regisseuren zusammen gearbeitet, mit Fassbinder, Wenders, Coppola, Scorsese – wer fehlt noch?

Ballhaus: Eigentlich habe ich mit allen meinen Wunschkandidaten gedreht. Jetzt bin ich neugierig auf jüngere Regisseure. Deshalb habe ich zum Beispiel mit Boaz Yakin „Uptown Girls“ gedreht.

Gibt es auch Kandidaten in Deutschland? Tom Tykwer etwa, mit dem Sie ein Buch geschrieben haben?

Ballhaus: Den Tom Tykwer mag ich sehr gerne, aber der hat seinen festen Kameramannn – und in die Arbeitsbeziehung will ich mich nicht einmischen.

Sie haben mit den Musik-Superstars der 80er gearbeitet – Prince, Madonna, Bruce Springsteen – was war die reizvollste Zusammenarbeit?

Ballhaus: Bei Rockvideos trifft man einfach interessante Leute. Und Madonnas „Papa Don’t Preach“ ist wohl das meistgesehene Stück Film, das ich je belichtet habe. Es ist schön, so tolle Menschen wie Springsteen oder so ein enormes Talent wie Prince kennen zu lernen.

Nimmt man da etwas mit für die Kino-Arbeit oder sind das zwei zu verschiedenartige Bereiche?

Ballhaus: Es ist eine andere Art des Erzählens. Man muss Geschichten schneller auf den Punkt bringen – da lernt man besonders präzises Arbeiten.

Sie haben von 1960 bis heute rund 100 Filme gedreht. Wie hat sich in ihren Augen das Filmgeschäft verändert?

Ballhaus: Die Budgets steigen ins Astronomische. Ich habe selber schon einen Film für 150 Millionen Dollar gedreht – bei Fassbinder hatten wir 300 000 Mark zur Verfügung. Die USA hat eben einen gigantischen Weltmarkt und kann seine Filme dort mit viel Geld bewerben. Für den deutschen Film ist das unmöglich. Auch technisch hat sich viel verändert. Die Objektive brauchen weniger Licht, man kann deshalb mehr mit natürlichem Licht arbeiten. Und das digitale Material hat der Branche ebenfalls einen großen Umbruch beschert.

 Wie sehen Sie diese Tendenz, immer mehr mit Digital-Kameras zu drehen – gefällt Ihnen diese Ästhetik?

Ballhaus: Ich hänge schon sehr am Filmmaterial – und keine Digitalkamera erreicht bisher dessen Qualität. Bei großen Produktionen rechnet sich das Umsteigen aufs Digitale nicht einmal – da wird nicht alles plötzlich halb so teuer. Für manche Produktionen passt es, für andere nicht. Vor sieben Jahren habe ich vorhergesagt, dass bald nichts mehr auf Film gedreht wird – deswegen halte ich mich mittlerweile mit Prognosen lieber etwas zurück.

Wie sehen Sie die Entwicklungen in der Tricktechnik und bei den computergenerierten Bildern?

Ballhaus: Tricks sind immer schneller und billiger zu produzieren. Für intelligente Filmemacher ist das eine Möglichkeit, neue Bilder zu finden. Jedes Bild, das man sich denken kann, ist mittlerweile möglich. Aber das bringt auch die Gefahr mit sich, dass man Unnötiges produziert. Man sollte sich selber Grenzen setzen und auch an die Fantasie des Publikums glauben.

In „Dracula“ von 1992 haben Sie bewusst altmodische Kameratricks verwandt – in einem Film wie „Wild Wild West“ von 1999 aber wurden Ihre Bilder Monate später mit dem Computer bearbeitet und neu zusammengesetzt.

Ballhaus: Ein interessanter Vergleich. Bei „Dracula“ haben Francis Ford Coppola und ich uns „Nosferatu“ von 1922 zum Vorbild genommen und wollten so wenig wie möglich Künstliches zeigen. Ich war also zum großen Teil der Herr der Bilder, was ich bei „Wild Wild West“ nicht war. Dort habe ich vieles gedreht, was nachher nochmal bearbeitet wurde. Diese Einschränkung macht mir wenig Freude. Ich habe gern die Kontrolle über das ganze Projekt.

Sie drehen meist teure Hollywood-A-Filme – bringt das nicht die Gefahr mit sich, dass kleine oder mittelgroße Produktionen, die vielleicht interessante Geschichten zu bieten haben, Sie nicht fragen, weil sie denken, man könnte Sie ohnehin nicht bezahlen?

Ballhaus: Ich drehe ja auch Filme, in denen ich nicht die Top-Gage bekomme. Wenn mir ein Angebot gut gefällt, ist die Höhe der Gage für mich nicht unbedingt ein Hinderungsgrund.

Wie haben Sie die Oscar-Nacht erlebt, als „Gangs Of New York“ trotz zehn Nominierungen, darunter auch eine für Sie, nicht ein Mal gewonnen hat?

Ballhaus: Ich saß hinter Scorsese. Für ihn war das eine Demütigung, für uns alle ein deprimierender Abend. Er hat hinterher wie ein gebrochener Mann gewirkt und gesagt, dass er diesen Raum nie wieder betreten werde. Wir hatten zehn Nominierungen und standen am Ende mit leeren Händen da. Ich selbst dachte mir, dass ich keinen bekommen würde, und war deshalb auch nicht enttäuscht, aber für die anderen war es schlimm.

Scorsese dreht „The Aviator“ mit einem anderen Kollegen – welche Gründe hatte das, und fühlt man sich da nicht wie ein verlassener Ehepartner?

Ballhaus: Grundsätzlich wollen wir immer zusammenarbeiten. Aber diesmal hatte ich ein anderes Angebot – „Was das Herz begehrt“ mit Jack Nicholson. Scorsese sagte mir, ich solle das machen, er wäre noch nicht so weit mit „The Aviator“. Dann ging das bei ihm aber doch schneller. Nur leider war ich da schon mitten in den Dreharbeiten.

Welche Kollegen schätzen oder beneiden Sie? Hatten Sie früher einen Liebslingkameramann oder ein Vorbild ?

Ballhaus: Ganz am Anfang die Kollegen der „Nouvelle Vague“ in Frankreich und dann auch die Italiener. Auch Sven Niquvist, der so wunderbar das menschliche Gesicht fotografieren kann. Aber ich schaue mir heute auch gerne Arbeiten junger Kollegen an, ich bin da sehr offen und bereit, Neues auszuprobieren.

Immer wieder war Ihr Regie-Debüt, die Geschichte von Lotte Lenya und Kurt Weill, im Gespräch – wie steht es um das Projekt?

Ballhaus: Das wird dieses Jahr gemacht, meine Frau und ich sind als Co-Produzenten dabei.

Wie oft sind Sie überhaupt in Deutschland?

Ballhaus: Immer öfter. Ich trete jetzt etwas kürzer und gönne mir mehr Zeit in Deutschland. In den letzten Jahren war ich im Schnitt zwei bis drei Monate pro Jahr in Deutschland, das wird in Zukunft aber deutlich mehr werden.

Was sind ihre nächsten Projekte?

Ballhaus: Ich lese Drehbücher, aber bis jetzt war kein Stoff dabei, den ich unbedingt hätte machen wollen.

 

„Bier und Spiele“ auf DVD – ein goldener Serien-Oldie

Bier und Spiele

Regisseur Michael Verhoeven, Ehrengast des gerade zu Ende gegangenen Ophüls-Festivals, ist vor allem für Politisches bekannt: „Die weiße Rose“, „Mutters Courage“, „Das schreckliche Mädchen“ oder auch „Der unbekannte Soldat“. Da werden Folgen vom „Kommissar“ oder „Tatort“ rückblickend oft übersehen; jetzt erscheint Verhoevens 1977er TV-Serie „Bier und Spiele“ auf DVD, die in den Mikrokosmos eines Handballvereins namens SV Wallbach führt. Der hat gerade den Aufstieg in die erste Liga geschafft (dank der Bestechung des Gegners) und muss sich in dieser neuen Welt erstmal zurechtfinden – sind alle Spieler noch gut genug? Muss der in die Jahre gekommene Masseur gehen? (Hauptsache, der unfähige Neffe des Sponsors bleibt!).

„OSS 117 – Liebesgrüße aus Afrika“ mit Jean Dujardin

Manche 70er-Jahre-Serien erfreuen ja mit Zeitgeist-Optik von einst und ruhigem Erzählrhythmus; „Bier und Spiele“ bietet zwar auch Schnauzbärte, Schlaghosen und bizarre Tapeten zuhauf – der Rhythmus der 14 Episoden à 25 Minuten ist aber ausgesprochen flott. Schon in der ersten Minute ist klar, dass der bierbrauende Sponsor („Sei schlauer, trink Schauer!“) gottgleich über dem Verein thront; der Manager (Friedrich von Thun) lenkt geschickt, man möchte ihn nicht zum Feind haben, aber unbedingt zum Freund, denn „solange ich hier bin, haben alle ihre Schäfchen im Trockenen“. Die verräucherten Hinterzimmer, muffigen Umkleidekabinen und abgewohnten Vereinskneipen, fast dokumentarisch abgebildet, werden zur Bühne von kleinen und großen Sorgen, Konflikten und immer wieder Mauscheleien – sehr sehenswert.

Erschienen bei Polar Film.

 

Bier und Spiele

 

Bier und Spiele

So war die Ophüls-Preisverleihung

Filmfestival Max Ophüls Preis

 

Die Ophüls-Preisverleihung am Samstagabend im Saarbrücker E-Werk

 

Erleichterung war zu spüren, am Samstagabend im E-Werk: Alles gut gegangen, die Ophüls-Welt ist wieder in Ordnung. 2016 war das ja anders – da hatte der Streit um die Nicht-Vertragsverlängerung der langjährigen Leiterin Gabriella Bandel seitens der Stadt und das Schweigen der Betroffenen das eigentliche Festival in den Hintergrund gedrängt. Ophüls 2017 nun war das Debüt der neuen Leiterin Svenja Böttger, der ein glänzender Einstand gelungen ist. Das bewährte Grundkonzept des Festivals haben sie und Programmleiter Oliver Baumgarten nicht umgekrempelt, dennoch einige Neuerungen eingeführt (Kurz-Dokus etwa und ein Blick auf europäische Filmhochschulen). Und mit der Nutzung des alten C&A-Kaufhauses als diesmal brummender Club „Lolas Bistro“ ist dem Festival ein Coup gelungen. So war der Jubel im E-Werk für Böttger mit am lautesten. Ihr Fazit: Ich denke, es lief sehr gut.“

Es war wohl eher ein Wettbewerb der sehenswerten als der überragenden Filme, die Jurys zeichneten manche Filme mehrfach aus, andere gar nicht. Leider auch nicht Michael Kochs „Marija“ (wir berichteten). Zwei Preise gewann Monja Arts Debüt „Siebzehn“, eine Teenager-Geschichte aus Niederösterreich. Den Hauptpreis nahm Art mit dem Satz „ein schöner Ausgang für diesen Abend“ entgegen; Schauspielerin Elisabeth Wabitsch erhielt für „Siebzehn“ den Nachwuchsdarstellerpreis: „voll cool“.

Geradezu sprachlos war Regisseurin Alexandra Balteanu, die mit ihrem Film „Vanatoare“ (gedreht an nur elf Tagen) über drei Frauen an einem Straßenstrich in Bukarest einen harten Brocken Film vorlegte, mit langen Einstellungen, viel Dreck und noch mehr Erniedrigung. Nach dem Preis durch die Ökumenische Jury nahm Moderator Lutz Winde die gerührte Filmemacherin in den Arm. „Vanatoare“ gewann auch den Preis der Ministerpräsidentin, die auf der Bühne die Etat-Erhöhung durchs Land ins Spiel brachte. „50 000 Euro mehr wolltest Du haben“, sagte Annegret-Kramp Karrenbaucher (CDU) in Richtung Svenja Böttger, „50.000 mehr hast Du bekommen – das bleibt auch in den kommenden Jahren so“. Das klang so, als hätten die früheren Festivalleiter niemals nach mehr Etat gefragt. Saarbrückens Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD) bemerkte ihrerseits, dass „die Stadt ja auch einen schönen Batzen“ gibt und stellte mögliche Zuschusserhöhungen in Aussicht.

Was erfuhr man sonst noch bei der Zeremonie, moderiert vom bewährten Lutz Winde und im Internet übertragen (wenn auch mit technischen Problemen)? Dass etwa das Team des Films „Die Reste meines Lebens“ einen einsamen Festivalrekord von für sich reservierten Karten bei der Premiere aufgestellt hat: satte 84. Darstellerin Anna Thalbach, in der Jury des Kurz- und Mittellangen Films, vermisste bei den Kurzfilmen wirklich kurze Filme, Ein- oder Zweiminüter, und erklärte ihre eigene Rollenauswahl: Generell wolle sie immer und alles spielen, „es sei denn ich muss zu nackig sein, zu dreckig oder jemand Ekliges küssen“.

Arman T. Riahi, Regisseur der Komödie „Die Migrantigen“ sagte, „in einer Zeit, in der sich die Fronten verhärten, muss man aufeinander zugehen – der Humor kann das am besten“. Dann stellte er sein Team auf der Bühne unter Zeitdruck schneller vor als einst Dieter Thomas Heck in der ZDF-„Hitparade“. Produzent Helge Albers von der Doku-Jury betonte die Wichtigkeit guter Dokumentarfilme, „gerade in den Zeiten von ‚alternative facts’“ – sprich Lügen. Und Trost hatte Jury-Mitglied Andrea Sawatzki bereit für die nominierten, aber leer ausgegangenen Darsteller des Festivals: Manchmal wäre es besser, einen Preis nicht zu gewinnen, denn das härte ab für einen steinigen Beruf – „ich spreche da aus Erfahrung“. Der Schweizerische Regisseur Ivo Zen, dessen Film „Zaunkönig – Tagebuch einer Freundschaft“ für die Musik ausgezeichnet wurde, erfreute mit einer Wortneuschöpfung für ein saarländisches Naturheiligtum – „ich war ja auch mal an der Saarschlaufe“. Schlaufe klingt ja auch nicht schlecht.

 

Die Preise:

 

Max-Ophüls-Preis: „Siebzehn“ von Monja Art.

Preis der Ministerpräsidentin und Preis der Ökomenischen Jury: „Vanatoare“ von Alexandra Balteanu.

Dokumentarfilm: „Ohne diese Welt“ von Nora Fingscheidt.

Fritz-Raff-Drehbuchpreis des SR: „Die Reste meines Lebens“ von Julia C. Kaiser und Jens Wischnewski.

Publikumspreis Spielfilm: „Die Migrantigen“, Arman T. Riahi.

Preis für den gesellschaftlich relevanten Film: „Club Europa“ von Franziska M. Hoenisch.

Preis der Jugendjury: „Die Reste meines Lebens“ von Jens Wischnewski.

Darstellerpreise: Elisabeth Wabitsch in „Siebzehn“, Leonard Kunz in „Jenny“.

Kurzfilm: „Die Überstellung” von Michael Grudsky.

Publikumspreis Kurzfilm: „Cigarbox Blues“ von Christopher Kaufmann.

Mittellanger Film: „Wald der Echos“ von Maria Luz Olivares Capelle.

Publikumspreis Mittellanger Film: „La femme et le TGV“ von Timo von Gunten.

Doku-Filmmusikpreis: „Zaunkönig – Tagebuch einer Freundschaft“, Musik von Trixa Arnold und Ilja Komarov.

 

Filmfestival Max Ophüls Preis

 

 

 

Christoph Hochhäusler über Max Ophüls, Dirk Bogarde, James Mason und „Toni Erdmann“

Christoph HochhäuslerRegisseur Christoph Hochhäusler.        Foto: Goethe-Institut/Foto Caroline Lessire

Christoph Hochhäusler, Regisseur von „Falscher Bekenner“, „Unter dir die Stadt“ und „Die Lügen der Sieger“, stellt beim Max-Ophüls-Festival einen seiner Lieblingsfilme des Festival-Namensgebers vor: „Madame de…“, am Samstag um 15 Uhr im Cinestar. Ein Gespräch vorab über Max und Marcel Opüls, Dirk Bogarde, James Mason und „Toni Erdmann“.

 

Wie kommt es zu Ihrem Besuch?

Oliver Baumgarten vom Festival hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, eine Brücke zu bauen zu Max Ophüls für ein jüngeres Publikum. Ich liebe Max Ophüls, da habe ich gerne zugesagt.

In Paris haben Sie vor einiger Zeit einen anderen Ophüls-Film vorgestellt.

Ja, das war „Der Reigen. Man könnte eigentlich jeden Ophüls-Film zeigen, die sind ja alle großartig. Aber „Madame de…“ ist schon ein besonderer Lieblingsfilm von mir.

Wieso?

Ophüls verbindet da eine höchste Meisterschaft der Form mit einem großen Thema, das hier so brutal zu Tage tritt wie in fast keinem anderen Werk der Filmgeschichte. Es geht letztlich um Besitz im Zusammenhang mit Gefühlen und darum, inwieweit etwa eine Ehe eine Form von Besitzgemeinschaft ist. Es ist ganz unerhört, wie der Film so kalt wirkt, beim Zuschauer aber induktiv große Gefühle erweckt. Wir sehen viel gesellschaftliche Konventionen, Fesseln, niemand schreit seine Gefühle heraus. Aber wir erfahren durch Ophüls’ Präzision in der Bildsprache genau, was die Figuren fühlen – und über diesen Gegensatz erfährt man die Gefühle noch einmal stärker.

Filmmagazin „Revolver“

Das ist vielleicht eine steile These – aber findet sich diese Dreieckskonstruktion und die Frage nach Besitz so auch in Ihrem Film „Unter dir die Stadt“ wieder?

Nicht im entferntesten bewusst, aber man hat ja immer tolle Filme im Kopf und denkt daran, wie filmische Meister bestimmte Dinge gelöst haben. Aber die reine Konstellation des Films, die hat ja auch Ophüls nicht erfunden, die ist ja immer schon da gewesen. Kritiker haben ihm ja oft vorgeworfen, Ophüls hielte sich mit Äußerlichkeiten auf, alles gehe nur darum, dass das Dekor schön ist, ich finde diesen Vorwurf aber völlig verfehlt. Es gibt kaum andere Regisseure, die so sehr wissen, was sie eigentlich erzählen. Ophüls’ formale Meisterschaft kann einen blenden, aber dahinter steht eine Lebensweisheit. Er war jemand, der die Menschen kennt und ihnen nichts vergibt – aber er war dennoch nicht bitter. Ophüls war einer der großen Menschenkenner des Kinos, einer der größten deutschen Regisseure, zusammen mit Lubitsch, Murnau, Lang. Viel mehr als die Filme dieser Vier braucht man nicht.

Sie wollen eine Brücke schlagen von Ophüls zum jungen Publikum. Haben Sie das Gefühl, er ist bei dem vergessen?

Ja, schon. Ich glaube, dass die meisten jungen Leute keine Ahnung haben, wer der Namensgeber des Festivals ist und welche Filme der gemacht hat. Das ist nur noch so ein Hörensagen. Seine Filme sind in Deutschland relativ selten zu sehen. Das hat auch mit seiner verflixt zersplitterten Karriere zu tun, mit der Flucht aus dem „Dritten Reich“. Es gibt ja kaum jemanden, der in so vielen unterschiedlichen Systemen Filme gemacht hat. Als Schauspieler hat er in Deutschland begonnen, dann hat er Theater- und Radioregie gemacht, kam darüber zum Film und musste nach seinen ersten vier Filmen schon wieder gehen. Dann hat er in Holland, Frankreich und Italien gearbeitet, ist nach Hollywood, wo er lange nicht Fuß gefasst hat. Dort hat er einige seiner besten Filme gedreht, kam wieder zurück nach Frankreich, am Ende auch wieder nach Deutschland – wobei der Flop von „Lola Montez“ seine Karriere eigentlich beendet hat. Dann ist er früh gestorben. Eine verrückte Karriere voller Hindernisse. Seinen Filmen sind die Widrigkeiten nicht anzusehen. Sie trotzen der Schwerkraft sozusagen.

Ist Ophüls’ Nachruhm in Frankreich größer?

In jedem Fall. Das liegt natürlich auch daran, dass er viele seiner Meisterwerke in Frankreich gedreht hat, mit französischen Stars wie Danielle Darrieux oder Charles Boyer. Die Franzosen verehren ihn als einen der Ihren. Er ist da schon angekommen, auch wenn er durchaus Sehnsucht nach der deutschen Sprache hatte und nach dem Krieg in Deutschland auch an Projekten gearbeitet hat, aus denen dann aber leider keine Filme wurden. „Berta Garlan” zum Beispiel, eine Schnitzler-Bearbeitung, die er dann „nur” als Hörspiel verwirklichen konnte.

Werden Sie Marcel Ophüls beim Festival treffen?Ich hoffe es sehr, vielleicht wird es ein Gespräch geben, das würde ich gerne machen, ich bin ein Verehrer seiner Filme. Er ist auch so jemand, der zwischen Kulturen hin- und hergerissen wurde. Zwangsläufig gewissermaßen, als Ophüls’ Sohn. Das ist an Bitterkeit kaum zu übertreffen, wenn man etwa an seinen Film „Das Haus nebenan – Chronik einer französischen Stadt im Kriege“ denkt, der in Frankreich zunächst verboten wurde und wirklich sehr lange nicht gezeigt wurde. Das ist schon ein schwieriger Weg gewesen.

Sie nehmen regelmäßig an Filmdiskussionen teil, schreiben über Film, auch in der Zeitschrift „Revolver“, die Sie mitherausgeben – wie wichtig ist Ihnen diese Sekundärbeschäftigung mit Film?

Sehr. Als wir die Zeitschrift „Revolver“ gegründet haben, vor 19 Jahren, waren wir alle noch Studenten. Da hatten wir das Gefühl, wir müssten das eigene Lernen irgendwie selbst organisieren. Die Neugier darauf, wie das andere machen, wie andere mit den gleichen Problemen umgehen, ist bis heute geblieben. Ich glaube auch, dass es dafür ein Publikum gibt, eine cinephile Szene, die hungrig ist nach solchen Formaten.

Sind das eher junge Leute?

Nicht nur. Zu unseren Veranstaltungen in Berlin kommen Leute so zwischen 20 und 50 Jahren, das ist gut durchgemischt.

Was bedeutet der Erfolg von „Toni Erdmann“ insgesamt für deutsche Filmemacher wie Sie, die man nicht dem Kommerz zurechnet?

Ich habe keine Ahnung. Ich finde, man sollte die Filme in Schutz nehmen vor solchen Erwartungen. Mich freut ihr Erfolg. Maren Ade hat nicht ahnen können, dass der Film ein so überwältigendes Echo finden würde. Und ob wir, alle anderen sozusagen, davon etwas haben werden – das ist wirklich zweitrangig. Diese Heilserwartungen an den deutschen Film sind etwas lästig. Es ist einfach ein Film – und im Übrigen muss der deutsche Film auch nicht gerettet werden.

Wenn einem Film der zehnte, der elfte Preis verliehen wird, kann das einen Film ja auch erschlagen, oder?

Hypes sind zwiespältig. Man hat natürlich etwas von ihnen – „Toni Erdmann“ hätte sonst nicht diese enormen Zuschauerzahlen. Eine Drei-Stunden-Dramödie, die in Rumänien spielt – der Erfolg war ja wirklich unwahrscheinlich. Aber manchmal verstellen sie eben auch den Blick.

In Ihrem Blog nennen Sie Dirk Bogarde einen der besten Schauspieler des 20. Jahrhunderts. Was schätzen Sie so an ihm?

Das ist ein Schauspieler, den Ophüls gut hätte gebrauchen können. Er hätte gut zu ihm gepasst. Ich mag das generell sehr, wenn es da ein Spiel im Spiel gibt: Ich bin ein Skeptiker des Naturalistischen und habe bei Bogarde das Gefühl, dass man bei ihm immer zwei Schichten hat: ein extrem virtuoses Außen, aber es wird immer auch klar, dass das nicht alles ist –– da bleibt ein Geheimnis, gleichzeitig wird nicht verschwiegen, dass das gemacht ist. Es gibt nicht, sozusagen, die Prätention des Prätentionslosen.

Sie erwähnen in dem Zusammenhang auch James Mason.

Ja, mit dem hat Ophüls den wunderbaren Film „Gefangen“ gedreht. Ich mag die Schauspieler vor dieser „Method“-Revolution am liebsten, da hat das Spiel noch stärker etwas Allegorisches. Anton Wohlbrück etwa im „Reigen“ hat so etwas Künstliches, was eine Innerlichkeit aber nicht ausschließt, das ist großartig. Ähnlich wie Vittorio De Sica in „Madame De…“ – das ist kein psychologisches Spiel, wo alles in irgendwelche Backstorys aufgeht, es ist viel komplexer als das. „Method“ mit Brando und Co. hat viel Schaden angerichtet, auch wenn es da tolle Schauspieler gibt. Aber es fehlt dieses archaische Moment. Andererseits: Brando ist eine Naturgewalt – und für die Folgen seiner Kunst darf man ihn nicht verantwortlich machen.

Christoph Hochhäuslers Notizbuch:
http://parallelfilm.blogspot.de

 

Ophüls: Rezensionen zu „Jetzt. Nicht“, „Einmal bitte alles“, „Der Körper der Astronauten“ und „Marija“

 

Ophüls Godehard Giese

„Jetzt.Nicht“ von Julia Keller

Es ist die klassische Frage: „Warum ich?“. Marketing-Mensch Walter ist gekündigt, er wird nicht mehr gebraucht, nur der nachtschwarze Dienstwagen, sein Ganzkörperpanzer, bleibt ihm noch ein paar Tage. Was tun? Die „Kündigung als Chance sehen“, wie seine Frau empfiehlt? In „Jetzt. Nicht“ nimmt uns Julia Keller (auch Co-Drehbuch und Schnitt) mit auf eine innere Bildungsreise, deren Ende in der Schwebe bleibt. Godehard Giese spielt diesen Walter, ist in jeder Szene zu sehen, das nervöse Herz dieses exzellenten Films: Wie seine Figur Smalltalk-Fassaden errichtet („Du weißt ja, schlechten Menschen geht es immer gut“ oder auch „Ja – awesome!“), wie nach einer Besprechung seine siegessichere Mimik absackt und er sich erstmal am Kopierer abstützen muss – das ist präzises, intensives Schauspiel. Da sind selbst Szenen, in denen Walter stumm aus dem Auto blickt oder durch die Nacht kurvt, packend.
Walters Reise, führt ihn gar zu einem Vorstellungsgespräch – letzteres mit einem konstruierten Drehbuchkniff, den man aber gerne hinnimmt. Janis Mazuchs Kamera kleidet die Geschichte in herbstliche Erd- und Metallfarben, kühle und strenge Architektur dominiert. Und nebenbei zeichnet der Film, in berührenden Szenen mit Giese und Loretta Pflaum als seiner Frau, das Bild einer guten, intimen Ehe.

Donnerstag 10 Uhr: CS 5 und 17.30 Uhr. CS 8; Freitag 22.15 Uhr: FH; Sonntag 13.15: CS 4.

 

 

„Einmal bitte alles“ von Helena Hufnagel

So, wie Godegard Giese im Zentrum von „Jetzt.Nicht“ steht, tut dies Luise Heyer in „Einmal bitte alles“ – und verteidigt den Film mit aller Kunst gegen die Klischee-Knüppel, die ihm das Drehbuch zwischen die Beine wirft. Heyer spielt Isi, eine glücklose Illustratorin und ewige Praktikantin. Ein Fels in der Brandung der Verlags-Absagen ist Freundin Lotte. Doch ihre WG-Gemeinschaft gerät aus der Balance, als ein schöner Italiener nicht nur das Klo repariert, sondern auch Lottes Herz erobert. Da darf man schon mal in die linke Leinwandecke schauen, ob da nicht ein Sat.1-Logo prangt.
Isi flüchtet in eine halb schimmelige WG und werkelt weiter an ihrem Traum. Flott gemacht ist das, mit bunten, oft sonnengefluteten Bildern, vor allem, wenn Isi durch München radelt, was sie oft tut. Das Drehbuch aber trägt dick auf und wirkt manchmal so, als unterschätze es sein Publikum. Das ist die Schwäche des Films – doch Regie und die famose Luise Heyer halten dagegen.

Donnerstag 14 Uhr: CS 1; Freitag 12.15: CS 5, 17.30 Uhr: FH; Sonntag 12.30 Uhr, CS 1.

 

 

„Die Körper der Astronauten“ von Alisa Berger

Vom großen Schweben, Auseinanderdriften, auch Flüchten erzählt „Die Körper der Astronauten“ von Alisa Berger. Eine Familie in der Auflösung ist thematisch nichts Neues bei Ophüls. Aber Berger (auch Buch und Schnitt) erzählt das berührend und mit einer Bildsprache im weiten Feld zwischen ungeschönt und entrückt. Der Vater (Lars Rudolph) säuft, erzählt die üblichen Alkoholiker-Lügen, seine Kinder Linda und Anton üben, mit Abi in der Tache, den Absprung – sie im Nachtleben, er bei einer Bettruhe-Langzeitstudie, die die Auswirkungen von Schwerelosigkeit auf Astronautenkörper testet. Doch die kleine Schwester ist zu jung, um zu fliehen – sie ist dem mal liebevollen, mal tyrannischen Vater ausgeliefert. Derweil driftet Anton in Raumfahrerfantasien durchs imaginäre All, der Erde entgegen und seinem Verglühen. Der Film wirft Schlaglichter auf seine Figuren, strebt dabei keiner dramaturgisch konventionellen Konfliktlösung entgegen, sondern findet eigenwillige Bilder für die Mitglieder dieser Familie – ob im erträumten All, in der eisig-sterilen Versuchsklinik oder im Schlafzimmer des Vaters, der sich mal wieder eingenässt hat – als er deswegen zum Teppichreiniger greift, wirft sich dessen Schaum zu kleinen Landschaften auf. Ein eigenwilliger, sehenswerter Film.

 Donnerstag 15 Uhr: CS 5; Fr, 20 Uhr: CS 8; Samstag 10.30 Uhr: CS 4; Sonntag 15.30: CS 2.

 

 

„Marija“ von Michael Koch

Die Leinwand ist noch schwarz, da hört man schon ihren schnellen Schritt auf dem Asphalt. Sehr oft wird man die Ukrainerin in „Marija“ hasten sehen, die Kamera im Rücken, immer vorwärts – ob nun auf dem Weg in ihre ranzige Wohnung oder quer durch ein Hotel, um sich bei einer Putzkollegin zu rächen, die sie beim Stehlen verraten hat. Die junge Frau träumt von einem Frisiersalon, doch der Weg dahin ist schwierig: Als sie ihre Miete nicht zahlen kann, unterwirft sie sich dem Vermieter – der Anfang eines relativen Aufstiegs in der Kleinkriminalität. Sie drängt alle Gefühle zurück, will funktionieren.
Das hätte ein Sozialrührstück werden können, doch Michael Kochs Film (Drehbuch: Koch und Juliane Großheim) ist differenziert: Marija ist ein Opfer ihrer Situation, aber mittlerweile auch so zielgerichtet, dass man sich vor ihr hüten muss. „Bei dir kommt keine ungestraft davon, das mag ich“, sagt der kriminelle Georg (famos: Georg Friedrich als sensibler Windhund), der die Wahrheit dieses Satzes noch schmerzhaft spüren wird. Margarita Breitkreiz ist in jeder Szene zu sehen (was den Film mit „Nicht.Jetzt“ und „Einmal bitte Alles“ verbindet) und bietet eine vielschichtige Darstellung. Mitgefühl hat man mit Marija, möchte ihr aber nicht zu nahe kommen, auch wenn man weiß, warum sie so ist, wie sie ist.

Donnerstag 15 Uhr, FH; Freitag 19.30 Uhr, CS1; Samstag 22.15 Uhr: CS 2; Sonntag 14 Uhr: CS 3.

Interview mit Produzent Peter Rommel

Peter Rommel

Peter Rommel. Foto:, MOP

Der Produzent Peter Rommel (61) ist 2017 Ehrenpreisträger des Ophüls-Festivals und zeigt auch einige Filme.  Bekannt ist er vor allem für die Filme von Andreas Dresen und gilt in der Branche als einer, der sich von sperrigen Stoffen nicht abschrecken lässt. Er war immer wieder mit Filmen beim Festival vertreten und produzierte viele eigenwillige Debüts, etwa „Storno“ von Elke Weber-Moore oder „Sehnsucht“ von Valeska Griesebach. Ein Gespräch über seine Arbeit.

 

Sind Sie manchmal überrascht, dass Sie als unabhängiger Produzent so lange überlebt haben?

Ja, ständig. Das ist meine eigentliche Leistung. Nicht die Filme selbst, sondern 25 Jahre Überleben mit freien Spielfilmen und Dokumentationen, ohne Fernsehproduktionen.

Der Begriff Produzent ist ja ein weites Feld – zwischen kreativem Co-Autor und reinem Geldbeschaffer. Ist Ihre Rolle vor allem im Kreativen?

Nein, das ist eher eine Mischform. Ein Produzent kann ohne die Autorenschaft eines Regisseurs oder des ganzen Teams keinen Film herstellen. Und die Kreativen brauchen einen vertrauenswürdigen Spielpartner – es ist ein bisschen wie beim Fußball. Man bildet eine starke Achse, mit der man ein Spiel bestimmen kann.

Ist es über die Jahre schwieriger geworden, Filmprojekte auf den Weg zu bringen? Hat sich die Filmlandschaft in dieser Hinsicht verändert?

Die Möglichkeiten, Filme herzustellen, sind, auch durch die Digitalisierung, größer geworden. Gleichzeitig haben Aufmerksamkeit und Bedeutsamkeit über die Jahre mehr und mehr nachgelassen.

Liegt das an einem Überangebot von Filmen?

Das hat verschiedene Ursachen. Einmal die Verbreiterung des Freizeitangebotes allgemein, und auch in der Studentenschaft hat sich etwas getan: Die geht gar nicht mehr so gern ins Kino, sondern schaut lieber TV-Serien. Und die ganz Jungen bedienen sich übers Internet und haben so gut wie keinen Bezug mehr zum Kino. Als ich blutjung war, war das Kino ja eine Art Sozialisationsstation, mit „Godzilla“ und den „Winnetou“-Filmen. Und in den 70zigern und frühen 80zigern war es eine lebensinspirender Zufluchtsort aller Schichten. Das ist es heute nicht mehr. Heute wird es eher als ein Zerstreuungsort für die Masse genutzt.

Wie muss das Kino darauf reagieren?

Es hätte schon längt reagieren müssen. Man hätte viel früher, wie das in Frankreich ja schon immer geschieht, den kulturellen Wert des Kinos stärker betonen müssen – etwa in der schulischen Bildung. In Frankreich nimmt man das Kino genauso ernst wie die klassische Musik, Kunst, Literatur, Theater und Oper. In Deutschland galt das Kino immer als Unterhaltungs- und Ablenkungsort. Wir haben das Kino nicht so fundamental in unsere Kultur integriert, wie es hätte sein sollen.

Woran ist das gescheitert?

Das Kino bei uns wurde nach dem Krieg maßgeblich von den Amerikanern bestimmt, deswegen sind auch heute 90 Prozent der Leinwände vom US-Kino besetzt. Die zehn Prozent Rest, das europäische und das deutsche Kino, haben es natürlich dann schwer, kommerziell erfolgreich und in der Breite gut aufgestellt zu sein. Wenn TTIP gekommen wäre oder noch kommt, dann würden die amerikanischen Medientransportunternehmen wie zB Amazon, Netflix, Apple und vielleicht auch noch die Studios in Hollywood alle Leinwände und Vertriebswege vollends übernehmen und alle Formate der Medienverbreitung konkurrenzlos abdecken. Denn dann würden diese Unternehmen schlicht gegen Wettbewerbsverzerrung in Europa klagen, also gegen unsere staatlich subventioniere Förderung von Medien bis hin zum ollen Kinofilm. Es geht bei allem ausschliesslich um den freien Zugang zum Markt und letztlich um Wettbewerbsverdrängung.

Tut die Filmförderung da zuwenig für das heimische Kino?

Sie tut eigentlich genug, wenngleich die Werkzeuge nicht mehr richtig greifen. 50 Prozent der Filme, die bei uns laufen, müssten doch einfach aus Europa kommen, die Hälfte davon vielleicht auch aus Deutschland, aber als Kinofilm definiert und nicht als aufgeblasenes Fernsehspiel als Zwitter erzeugt – so wie die Franzosen das für ihr Kino mal festgeschrieben haben. Diesen Schritt hat Deutschland leider nicht gemacht, wohl unter dem Eindruck des gut ausgestatteten und bislang funktionierenden öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Aber auch der in Abhängigkeit und endlosen Dankbarkeit zur großen deutsch-amerikanischen Freundschaft für die Kaugummis, die damals nach dem Krieg abgeworfen wurden. Standortpolitik eben.

Muss ein deutscher Film wie „Vier gegen die Bank“, besetzt mit den größten Stars Deutschlands, verliehen vom Hollywood-Major Warner Brothers, 600 000 Euro deutsche Filmförderung bekommen?

Ich finde das in der Tat eher unangebracht und fast gar geschmacklos, denn ich glaube schon, dass gerade die Majors doch mächtig genug sind, rein kommerziell orientierte Filme aus eigener Kraft herzustellen und auf die grosse Leinwand zu bringen. Aber die Politik fordert natürlich Beweise erfolgreicher Förderpolitik. Und wo sieht man die Erfolge? In den Medien, wo solche großen Filme, die den Markt beherrschen, auch wahrgenommen werden. Die Förderer betreiben da manchmal eine fadenscheinige Mitfahrpolitik bei Projekten, die es eigentlich nicht nötig haben. Bei einem kommerziellen Erfolg möchte ja sollte man unbedingt dabei sein. Lieber da als bei einem kleinen Film, der vielleicht auf den Festivals in Cannes oder in Venedig zwar für grosses Aufsehen erregt, aber am Markt naturgemäß kein großes Publikum finden kann, weil das die Programmschienen im Kino dicht sind und das Publikum über die Sehgewohnheiten des  Fernsehens schon völlig entwöhnt worden sind.

Macht da nicht der auch kommerzielle Erfolg von „Toni Erdmann“ etwas Hoffnung?

Solche Ausnahmen und Beispiele von tollen, zeitgemäßen und international erfolgreichen deutschen Filmen hat es immer mal wieder gegeben – aber grundsätzlich hat dies bisher nichts in der Breite verändert. „Toni Erdmann“ könnte dieses Bewusstsein vielleicht erneut befruchten. Zumal die Politik von Kulturstaatsministerin Grütters ja dahin geht, verstärkt den qualitativ hochwertigen, unabhängigen Film mehr zu fördern, eben übers das Ministerium für Kultur und Medien (BKM). Das ist ein erstes deutliches Signal und ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung

Sie haben auch als Dozent gearbeitet – wie hat sich der Filmnachwuchs über die Jahre verändert?

Ich habe ja in den 70er Jahren angefangen in einer Zeit, in der es bei aller Konkurrenz viel Austausch gab. Mitte der 80er Jahre hat sich eine Art Ego-Kultur herausgearbeitet, die sicher auch mit der sogenannten Kohl-Ära zu tun hat. Und die hat sich sukzessive in die Filmhochschulen eingeschlichen. Im Moment ist es ein ziemlich verbissener Kampf um die Plätze, die es da gibt zu erobern gilt – einen Sender und die Förderer für Einen zu gewinnen. Es ist bald wie bei ner Olympiade – und alle dopen sich mitzuhalten. Ich hatte echt noch das Glück, ohne diesen auferlegten Erfolgsdruck früh Partner und Freunde zu finden, mit denen ich seit langem intensiv zusammenarbeite.

Vor allem Andreas Dresen?

Ja, das ist ein Geschenk des Lebens. Ich hatte ihn über seine Studentenfilme kennen gelernt, da hatte ich noch gar keine Produktionsgesellschaft. Später habe ich ihn dann gefragt, ob wir nicht mal einen Film zusammen herstellen wollen – das war dann „Nachtgestalten“. Dass diese Verbindung aus Ost und West sowohl auf inhaltlicher wie persönlich, zutiefst menschlicher Ebene über all die Jahre gehalten hat, ist in dieser schrägen Branche wohl einmalig.

Sie waren oft beim Saarbrücker Ophüls-Festival – hat es sich für Sie über die Jahre verändert?

Was immer gleich geblieben ist, ist das große Herz des Festivals – von den Machern wie von den Saarbrückern. Die unterschiedlichen Leiter haben dem Festival ihren Stempel aufgedrückt, aber das hat dieses gesunde Fundament zum Glück nie verändert, nie beschädigt. Und Eines hat sich über die Jahre auch nie verändert – das Lokal „Woll“ in Spicheren. Da sind wir immer mit größter Leidenschaft hin und ‚wollig‘ betrunken wieder zurück ins Kino gebraust– das war schon geil.

Manche Kritiker sagen, es gäbe mittlerweile zu viele Filmfestivals in Deutschland. Würden Sie da zustimmen?

Das kann man schon so sehen. Andererseits sind die Festivals bitter nötig, weil die Kinoverwertung so beschränkt ist und weil es so viele, auch wirklich gute Filme gibt. Die meisten Filme, die man auf Festivals sehen kann, sieht man später ja nie wieder, es sei denn, auf youtube. Ein Dokumentarfilm wird heute von einem Kinobesitzer in Deutschland nicht mehr um 20.15 Uhr gespielt oder gar auf allen Schienen, sondern bestenfalls um 17 Uhr. Das war früher anders. Bei dieser Stückelung, die der Kinobesitzer wohl machen muss, weil er einfach zu viele Filme angeboten bekommt, kann es keinen kommerziellen Erfolg für solche Filme geben. Ich kann mich noch erinnern, dass wenn etwa ein neuer Film von Aki Kaurismäki oder Jarmusch im Kino anlief, dass er auf allen Schienen einfach durchgespielt wurde, vier, fünf Wochen lang. Das gibt es heute kaum mehr im fetten Spielplan der Kinobesitzer. Und das Publikum kommt nicht mehr hinterher, bei all der ‚Vielfalt‘.

Manche Arthouse-Kinobetreiber sagen ja selbst, dass es zu viele Filme gibt und dass es das Publikum es zunehmen leichter liebt.

Die Kinogänger sind weniger neugierig als früher. Das liegt vielleicht an der Weltlage – das Publikum ist unsicher und verängstigt, was ich gut nachvollziehen kann. Dann wollen sich die Menschen in ihrer Freizeit nicht mit noch schwereren, noch komplexeren Themen beschäftigen. Sondern sie suchen die Zertreuung, die Unterhaltung. Der Erfolg eines Films wie etwa „La La Land“ zeigt auch, wie groß letztlich die Sehnsucht nach famoser Unterhaltung in der Welt ist. Ich freue mich sehr über den spirit und den Erfolg des Films – wenn Unterhaltung, dann bitte inspiriende!

 

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