Über Film und dieses & jenes

Monat: August 2021

Ich schneidere, also bin ich: „Der Hochzeitsschneider von Athen“

Dimitris Imellos als Schneider Nikos. Foto: Neue Visionen

Es hilft ja alles nichts. Weder der edle Zwirn noch das penible Rasieren. Ebenso wenig das Trimmen der Nasenhaare oder das beständige Abstauben der Theke, auf dass kein Schmutzkörnchen das Kundengespräch stört – trotz alledem betritt niemand mehr den Laden von Nikos in der Athener Innenstadt. Denn wer will sich heute noch maßgeschneiderte Herrenanzüge aus edelstem Stoff kaufen – und falls ja, wer kann sie noch bezahlen in diesen Zeiten? Nikos‘ Vater, der dem Sohn einst die Kunst des Schneiderns beibrachte, sortiert aus Langeweile alte Aufträge von mittlerweile toten Kunden, die längst sozusagen das letzte Hemd tragen. Wie es um den Laden steht, weiß auch die Bank – die droht Vater und Sohn in Form eines Angestellten (im sichtlich nicht maßgeschneiderten Anzug) mit dem Rauswurf aus ihrer Immobilie. Was tun?

Die griechische Komödie „Der Hochzeitsschneider von Athen“, die im Original etwas weniger blumig sinngemäß einfach „Der Schneider“ heißt, erzählt von einem Mann in den mittleren Jahren, der aus der Welt gefallen zu sein scheint – oder noch nicht ganz angekommen. Nikos geht ganz in seinem Beruf auf, was uns der Film zum Anfang in einer schönen Szene nahebringt, mit Blicken auf alle Gerätschaften der Schneiderwerkstatt, montiert im Rhythmus der sich hebenden und senkenden Nadel der Nähmaschine – natürlich mit Pedalantrieb. Diese Kunst scheint nun kein Interesse mehr zu finden, und so sucht sich Nikos notgedrungen Kundschaft außerhalb seines Werkstatt-Refugiums: Mit einem kleinen Karren stellt er sich auf den Markt, ist dort in seinem Edelanzug mit Weste eine eher exzentrische Figur, findet zwar einige Abnehmer, muss aber zugleich neue Fähigkeiten lernen, die er in seinem Laden zuvor nie brauchte – etwa sich beim Honorar nicht über den Tisch ziehen zu lassen oder sich vom Fischhändler für eine Textilie nicht nur mit frisch gefangenem Meeresgetier bezahlen zu lassen.

So erzählt diese leise, melancholisch angehauchte Komödie von einem Aufbruch, vom Herauswagen aus dem Schneckenhaus der eigenen Existenz und auch von einer gewissen Abnabelung: Scheint Nikos doch unter der professionellen Fuchtel des Vaters zu stehen, der das Geschäft einst gründete und eben einige Dekaden mehr Berufserfahrung hat. Auch unerwartet für Nikos sind die Gefühle, die er für seine Nachbarin Olga entwickelt, die ihm bei den steigenden Aufträgen im Atelier hilft. Während dieser Raum nach Jahren der Arbeit an grau-schwarzen Herrenanzügen nun durch bunte Hochzeitskleider aufblüht, geht es den beiden ähnlich: Zwischen ihnen funkt es mächtig, wenn auch in aller Stille – allerdings dann doch nicht so still, dass Olgas kleine Tochter und ihr vielleicht etwas polternder, aber nicht unsensibler Gatte lange ahnungslos bleiben.

Der griechisch-deutschen Regisseurin und Autorin Sonia Liza Kenterman, die das Drehbuch zusammen mit Tracy Sunderland schrieb, ist ein sanftes, poetisches, sehr liebevoll ausgestattetes Langfilmdebüt gelungen – durchaus das, was man einen Wohlfühlfilm nennen kann, aber nicht sentimental. Die intimste Szene zwischen Nikos und Olga ist geradezu diskret, hier geschieht, wie im gesamten Film, viel mit Blicken, kleinen Gesten und Sätzen, die sich gekonnt um das Eigentliche herumbewegen.

Getragen wird das Ganze von vorzüglichen Darstellern, vor allem von Dimitris Imellos. Der Athener, der wie eine optische Mischung aus George Clooney und Lino Ventura wirkt, spielt Nikos als einen etwas gehemmten, dabei aber nicht unglücklichen Mann, der gezwungen ist, sein Leben anders anzugehen als gewohnt – und das zu genießen beginnt. Seine Augen mit den schweren Lidern sagen da mehr als manche Textzeile.

Nebenbei blickt der Film auch auf das aktuelle Griechenland – als Nikos Vater im Krankenhaus ist, muss er Bettwäsche und Seife mitbringen. Denn an beidem mangelt es der Klinik. Und später wird er für das Personal nähen, um Medizin für den Vater zu bekommen und dessen Aufenthalt zu verlängern. Da ist der Film in manchen Augenblicken nicht ganz so sonnig, wie in jenen ans Herz gehenden Szenen, wenn Nikos sich aufmacht in ein nicht gänzlich neues, doch etwas anderes Leben.

www.neuevisionen.de

Das Leben ist eine Tweedjacke: Die neue Version von „Der Doktor und das liebe Vieh“

Der Doktor und das liebe Vieh All creatures great and small

James Herriot (Nicholas Ralph) bei der Arbeit.            Foto: Playground / Polyband

Gemütlich wie eine ewig getragene, bequeme Tweedjacke war diese Serie: So manche Sonntagnachmittage der 1980er Jahre erlebte man mit diesen drei dezent schrulligen Tierärzten, wenn die ARD die Praxistür bei „Der Doktor und das liebe Vieh“ aufschloss. Mit den beiden Veterinär-Brüdern Siegfried und Tristan Farnon (ihre Eltern waren wohl Richard-Wagner-Anhänger) sowie dem Neuankömmling James Herriot erlebte man eher gemächliche denn rasante Abenteuer: in der Praxis des Trios, auf den Wiesen und Bauernhöfen von Yorkshire und in den Pubs der Gegend. Um Tier- und Menschenwohl ging es, um mal mehr, mal weniger glückliche Kühe und Menschen.

In England lief die Serie zwischen 1978 und 1990, eine Institution wie die Teezeit. Dieses Stück britischen Fernseh-Welterbes mit einer neuen TV-Verfilmung wieder aufleben zulassen, kann man nun einfallslos nennen. Oder auch mutig, ist die Fallhöhe doch immens, wenn man sich mit einem derart beliebten TV-Klassiker misst. Umso erfreulicher ist, wie hinreißend die neue Version „Der Doktor und das liebe Vieh“ ist – auch wenn die ersten Minuten trügerisch sind: Die Musik dudelt seicht über die animierte Titelsequenz in Pastellfarben hinweg; und selbst die Glasgower Docks in den 1930ern, von denen sich der junge James Herriot verabschiedet, um in Yorkshire eine Stelle als Tierarzt anzutreten, sehen besenrein aus – wie auch die Gummistiefel einer umschwärmten Landwirtin immer wie frisch gewienert wirken.

Gediegener Brit-Kitsch also, über das sich die Tourismuszentrale in Yorkshire freut? Nur Letzteres. Sicher, man würde sofort in das fiktive Städtchen Darrowby ziehen wollen, mit seinen grausteinigen Häusern, dem urigen Pub, dem malerischen Buchladen und eben jener Tierarztpraxis, in der Herriot den gestrengen und etwas exzentrischen Siegfried, seinen deutlich lässigeren Bruder Tristan und die Haushälterin Audrey Hall kennenlernt. Und doch bleibt der Kitsch außen vor – die Geschichten sind zu gut erzählt, die Figuren zu plastisch und facettenreich.

 

Diana Rigg als Mrs Pumphrey     Foto: Playground / Polyband

Herriot (Nicholas Ralph) mag der großäugige naive Neuankömmling sein, doch seine Ecken, Kanten und Marotten hat auch er; Tristan (Callum Woodhouse) könnte die Klischeefigur eines jüngeren Hallodri-Bruders sein, doch er ist eben vielschichtiger als ein bloßer Landarzt-Casanova mit Aufmerksamkeits-Defizit, was das Studieren angeht; und bei Siegfried (Samuel West) wird das Exzentrische nicht überzogen, ebenso wenig wie das Trauma durch den Tod seiner Frau. Das trägt er mit sich, aber es kommt zu keinen tränenfeuchten Monologen, wie es in einer dramaturgisch aufgeblaseneren Serie wohl geschehen wäre.

In den sieben Episoden (plus ein „Christmas Special“) geht es mal um kleinere Dramen, etwa um ein überfüttertes Hündchen einer meist knurrigen Dame – herrlich gespielt von Diana Rigg in einer ihrer letzten Rollen; aber es geht auch um Größeres: Von der richtigen Behandlung einer Kuh hängt die Lebensgrundlage einer Familie ab. Und die Entscheidung, ein unheilbar krankes Rennpferd zu töten, hat weitreichende Konsequenzen und stellt Arzt Siegfried vor eine Gewissensentscheidung: Den schuldlosen Kollegen als Bauernopfer entlassen, um eine lang ersehnte Stelle zu bekommen? Oder anständig bleiben und die Karrierehoffnung begraben?

Darum geht es oft in dieser Serie: Gewissensentscheidungen, Anstand, Aufrichtigkeit – und das ganz ohne Ironie. Das macht „Der Doktor und das liebe Vieh“ zugleich altmodisch und fast schon radikal, wenn auch auf charmant unauffällige und herzerwärmende Weise. Hier in Darrowby ist die Welt noch in Ordnung – aber nur, weil die Menschen dafür einiges tun und in Kauf nehmen.

Auf DVD erschienen bei Polyband,
acht Episoden à 50 Minuten.

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