Der Doktor und das liebe Vieh All creatures great and small

James Herriot (Nicholas Ralph) bei der Arbeit.            Foto: Playground / Polyband

Gemütlich wie eine ewig getragene, bequeme Tweedjacke war diese Serie: So manche Sonntagnachmittage der 1980er Jahre erlebte man mit diesen drei dezent schrulligen Tierärzten, wenn die ARD die Praxistür bei „Der Doktor und das liebe Vieh“ aufschloss. Mit den beiden Veterinär-Brüdern Siegfried und Tristan Farnon (ihre Eltern waren wohl Richard-Wagner-Anhänger) sowie dem Neuankömmling James Herriot erlebte man eher gemächliche denn rasante Abenteuer: in der Praxis des Trios, auf den Wiesen und Bauernhöfen von Yorkshire und in den Pubs der Gegend. Um Tier- und Menschenwohl ging es, um mal mehr, mal weniger glückliche Kühe und Menschen.

In England lief die Serie zwischen 1978 und 1990, eine Institution wie die Teezeit. Dieses Stück britischen Fernseh-Welterbes mit einer neuen TV-Verfilmung wieder aufleben zulassen, kann man nun einfallslos nennen. Oder auch mutig, ist die Fallhöhe doch immens, wenn man sich mit einem derart beliebten TV-Klassiker misst. Umso erfreulicher ist, wie hinreißend die neue Version „Der Doktor und das liebe Vieh“ ist – auch wenn die ersten Minuten trügerisch sind: Die Musik dudelt seicht über die animierte Titelsequenz in Pastellfarben hinweg; und selbst die Glasgower Docks in den 1930ern, von denen sich der junge James Herriot verabschiedet, um in Yorkshire eine Stelle als Tierarzt anzutreten, sehen besenrein aus – wie auch die Gummistiefel einer umschwärmten Landwirtin immer wie frisch gewienert wirken.

Gediegener Brit-Kitsch also, über das sich die Tourismuszentrale in Yorkshire freut? Nur Letzteres. Sicher, man würde sofort in das fiktive Städtchen Darrowby ziehen wollen, mit seinen grausteinigen Häusern, dem urigen Pub, dem malerischen Buchladen und eben jener Tierarztpraxis, in der Herriot den gestrengen und etwas exzentrischen Siegfried, seinen deutlich lässigeren Bruder Tristan und die Haushälterin Audrey Hall kennenlernt. Und doch bleibt der Kitsch außen vor – die Geschichten sind zu gut erzählt, die Figuren zu plastisch und facettenreich.

 

Diana Rigg als Mrs Pumphrey     Foto: Playground / Polyband

Herriot (Nicholas Ralph) mag der großäugige naive Neuankömmling sein, doch seine Ecken, Kanten und Marotten hat auch er; Tristan (Callum Woodhouse) könnte die Klischeefigur eines jüngeren Hallodri-Bruders sein, doch er ist eben vielschichtiger als ein bloßer Landarzt-Casanova mit Aufmerksamkeits-Defizit, was das Studieren angeht; und bei Siegfried (Samuel West) wird das Exzentrische nicht überzogen, ebenso wenig wie das Trauma durch den Tod seiner Frau. Das trägt er mit sich, aber es kommt zu keinen tränenfeuchten Monologen, wie es in einer dramaturgisch aufgeblaseneren Serie wohl geschehen wäre.

In den sieben Episoden (plus ein „Christmas Special“) geht es mal um kleinere Dramen, etwa um ein überfüttertes Hündchen einer meist knurrigen Dame – herrlich gespielt von Diana Rigg in einer ihrer letzten Rollen; aber es geht auch um Größeres: Von der richtigen Behandlung einer Kuh hängt die Lebensgrundlage einer Familie ab. Und die Entscheidung, ein unheilbar krankes Rennpferd zu töten, hat weitreichende Konsequenzen und stellt Arzt Siegfried vor eine Gewissensentscheidung: Den schuldlosen Kollegen als Bauernopfer entlassen, um eine lang ersehnte Stelle zu bekommen? Oder anständig bleiben und die Karrierehoffnung begraben?

Darum geht es oft in dieser Serie: Gewissensentscheidungen, Anstand, Aufrichtigkeit – und das ganz ohne Ironie. Das macht „Der Doktor und das liebe Vieh“ zugleich altmodisch und fast schon radikal, wenn auch auf charmant unauffällige und herzerwärmende Weise. Hier in Darrowby ist die Welt noch in Ordnung – aber nur, weil die Menschen dafür einiges tun und in Kauf nehmen.

Auf DVD erschienen bei Polyband,
acht Episoden à 50 Minuten.