Dimitris Imellos als Schneider Nikos. Foto: Neue Visionen

Es hilft ja alles nichts. Weder der edle Zwirn noch das penible Rasieren. Ebenso wenig das Trimmen der Nasenhaare oder das beständige Abstauben der Theke, auf dass kein Schmutzkörnchen das Kundengespräch stört – trotz alledem betritt niemand mehr den Laden von Nikos in der Athener Innenstadt. Denn wer will sich heute noch maßgeschneiderte Herrenanzüge aus edelstem Stoff kaufen – und falls ja, wer kann sie noch bezahlen in diesen Zeiten? Nikos‘ Vater, der dem Sohn einst die Kunst des Schneiderns beibrachte, sortiert aus Langeweile alte Aufträge von mittlerweile toten Kunden, die längst sozusagen das letzte Hemd tragen. Wie es um den Laden steht, weiß auch die Bank – die droht Vater und Sohn in Form eines Angestellten (im sichtlich nicht maßgeschneiderten Anzug) mit dem Rauswurf aus ihrer Immobilie. Was tun?

Die griechische Komödie „Der Hochzeitsschneider von Athen“, die im Original etwas weniger blumig sinngemäß einfach „Der Schneider“ heißt, erzählt von einem Mann in den mittleren Jahren, der aus der Welt gefallen zu sein scheint – oder noch nicht ganz angekommen. Nikos geht ganz in seinem Beruf auf, was uns der Film zum Anfang in einer schönen Szene nahebringt, mit Blicken auf alle Gerätschaften der Schneiderwerkstatt, montiert im Rhythmus der sich hebenden und senkenden Nadel der Nähmaschine – natürlich mit Pedalantrieb. Diese Kunst scheint nun kein Interesse mehr zu finden, und so sucht sich Nikos notgedrungen Kundschaft außerhalb seines Werkstatt-Refugiums: Mit einem kleinen Karren stellt er sich auf den Markt, ist dort in seinem Edelanzug mit Weste eine eher exzentrische Figur, findet zwar einige Abnehmer, muss aber zugleich neue Fähigkeiten lernen, die er in seinem Laden zuvor nie brauchte – etwa sich beim Honorar nicht über den Tisch ziehen zu lassen oder sich vom Fischhändler für eine Textilie nicht nur mit frisch gefangenem Meeresgetier bezahlen zu lassen.

So erzählt diese leise, melancholisch angehauchte Komödie von einem Aufbruch, vom Herauswagen aus dem Schneckenhaus der eigenen Existenz und auch von einer gewissen Abnabelung: Scheint Nikos doch unter der professionellen Fuchtel des Vaters zu stehen, der das Geschäft einst gründete und eben einige Dekaden mehr Berufserfahrung hat. Auch unerwartet für Nikos sind die Gefühle, die er für seine Nachbarin Olga entwickelt, die ihm bei den steigenden Aufträgen im Atelier hilft. Während dieser Raum nach Jahren der Arbeit an grau-schwarzen Herrenanzügen nun durch bunte Hochzeitskleider aufblüht, geht es den beiden ähnlich: Zwischen ihnen funkt es mächtig, wenn auch in aller Stille – allerdings dann doch nicht so still, dass Olgas kleine Tochter und ihr vielleicht etwas polternder, aber nicht unsensibler Gatte lange ahnungslos bleiben.

Der griechisch-deutschen Regisseurin und Autorin Sonia Liza Kenterman, die das Drehbuch zusammen mit Tracy Sunderland schrieb, ist ein sanftes, poetisches, sehr liebevoll ausgestattetes Langfilmdebüt gelungen – durchaus das, was man einen Wohlfühlfilm nennen kann, aber nicht sentimental. Die intimste Szene zwischen Nikos und Olga ist geradezu diskret, hier geschieht, wie im gesamten Film, viel mit Blicken, kleinen Gesten und Sätzen, die sich gekonnt um das Eigentliche herumbewegen.

Getragen wird das Ganze von vorzüglichen Darstellern, vor allem von Dimitris Imellos. Der Athener, der wie eine optische Mischung aus George Clooney und Lino Ventura wirkt, spielt Nikos als einen etwas gehemmten, dabei aber nicht unglücklichen Mann, der gezwungen ist, sein Leben anders anzugehen als gewohnt – und das zu genießen beginnt. Seine Augen mit den schweren Lidern sagen da mehr als manche Textzeile.

Nebenbei blickt der Film auch auf das aktuelle Griechenland – als Nikos Vater im Krankenhaus ist, muss er Bettwäsche und Seife mitbringen. Denn an beidem mangelt es der Klinik. Und später wird er für das Personal nähen, um Medizin für den Vater zu bekommen und dessen Aufenthalt zu verlängern. Da ist der Film in manchen Augenblicken nicht ganz so sonnig, wie in jenen ans Herz gehenden Szenen, wenn Nikos sich aufmacht in ein nicht gänzlich neues, doch etwas anderes Leben.

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