Über Film und dieses & jenes

Monat: September 2022

„Alle reden übers Wetter“ von Annika Pinske

Alle reden übers Wetter

Clara (Anne Schäfer) im Lebensmittelladen ihrer Jugend.

 

Es ist wohl nur schlüssig, dass ein Film, der vom Gefühl des Nichtdazugehörens erzählt und von ständig spürbarer Distanz, sein Publikum auch auf Abstand hält – zumindest am Anfang. Ohne große Erklärung oder Exposition wird man hineingeworfen in eine etwas heruntergekühlte und spröde Welt, in der sich Gemeinheiten hinter wohlgedrechselten Formulierungen verbergen und Machtverhältnisse in scheinbar dahingesagten Nebensätzen zementiert werden. Willkommen in der akademischen Welt von „Alle reden übers Wetter“: Clara (Anne Schäfer) geht auf die 40 zu, promoviert gerade über Hegels Freiheitsbegriff, arbeitet an der Uni und müht sich redlich, es sich mit ihrer resoluten Doktormutter nicht zu verderben; mit ihrem Assistenten hat sie eine Affäre, trifft ihn bloß im Hotel und ist befremdet, als der liebeskrank bekennt: „Mir reicht das einfach nicht mehr.“​

Scham für die Herkunft aus der Provinz

Für Clara reicht es vollkommen, mehr will sie nicht, denn in dieser Welt scheint sie nicht angekommen zu sein. Ursprünglich kommt sie aus der ostdeutschen Provinz, in ihrer elitären Universitätswelt schämt sie sich dafür und erfindet, um beim Geplauder bei Sektempfängen scheinbar zu bestehen, eine Diplomatenlaufbahn für ihren Vater. Zugleich schämt sie sich für die eigene Scham und sprengt eine wohlfeile Konversation westdeutscher Akademikerinnen und Akademiker über die biografischen Umbrüche in der DDR mit der Bemerkung, ihr Vater habe sich nach dem Fall der Mauer erschossen.​

Kritik zu „Die Theorie von Allem“

Eine Atmosphäre der Kälte und der Spröde zieht sich durch das erste Filmdrittel. Die Dialoge (Regie und Buch: Annika Pinske) sind wunderbar doppelbödig, da verbergen sich hinter simplen Dienstbesprechungen kleine bis große Spitzen, hier werden ständig Pfründe abgesteckt. Und, das wird mehr als einmal klar, hier haben es Frauen schwer in Männerseilschaften; aber auch die Frauen untereinander schonen sich nicht – etwa in einer markanten Szene mit einem Mini-Auftritt von Sandra Hüller. Ob der Film in der Darstellung der akademischen Welt übertreibt? Pinske jedenfalls kennt das Milieu gut, hat Philosophie und Literaturwissenschaften studiert, bevor sie an der Volksbühne arbeitete und zeitweise als Assistentin von Regisseurin Maren Ade („Toni Erdmann“). „Alle reden übers Wetter“ ist ihr Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB).​

„Na, was macht die Hauptstadt?“

Die DVD des Films "Alle reden übers Wetter"

Es brodelt bei Clara, die nach außen hin immer beherrscht und etwas kühl auftritt, und so fährt sie gerne von Berlin zu ihrer Mutter aufs Land in die ehemalige DDR (gedreht wurde in der Gemeinde Krackow im Süden Mecklenburg-Vorpommerns). Nur: Anders als in Hollywoodfilmen, in der in der alten Heimat die Welt noch viel mehr in Ordnung ist als in der hektischen bösen Großstadt, findet Clara hier auch keinen wirklich heimischen Ort mehr. Ihre Mutter (famos: Anne-Kathrin Gummich) liebt sie, aber schon ihr flapsiger Satz „Na, was macht die Hauptstadt?“ ist ein Fingerzeig dafür, wie die alten Bekannte und Freunde ihren Weggang vom Land nach Berlin empfinden: als Verrat, als Zurücklassen.​

Interview mit Sandra Hüller

Die Mutter flüchtet sich gerne in Floskeln („Wie die Zeit vergeht“), vieles bleibt hier unausgesprochen, höchstens angedeutet. Kein Wunder, dass Claras alter Jugendfreund und aktuell Kneipenwirt (Max Riemelt), bekennt, dass er jemanden vermisst, mit dem er wirklich mal reden kann. Ein großes Thema des Films ist Kommunikation – hier zählt jedes Wort, jede Andeutung (und auch jedes Schweigen).​

Interview mit Regisseur Dominik Graf

Das Drehbuch spitzt möglicherweise zu: Da schneidet der Film von Rechtsextremen, die im Auto „Deutschland erwache!“-Rockmusik hören, zu den Älteren der Gemeinde, die sich zu muffiger Schlagermusik vor der „Parkschenke“ in den Armen liegen. Ist der Alkoholgehalt hoch genug, wird über das Versagen der Politik gespottet und dass es doch nicht überraschend sei, „wenn hier die Hütte mal brennt“. Ist das vielleicht übertrieben gezeichnet? Regisseurin Pinske ist in Frankfurt/Oder aufgewachsen, vieles verbindet ihre Biografie mit der Figur Clara.​

Hier steht die Luft

Vieles wird im Film angesprochen: Heimat, Freiheit, Identität, Ost-West-Distanz und das Frausein in einer männerdominierten Welt. Da droht der Film manchmal, ein wenig didaktisch zu wirken. Aber er gleicht das aus durch seine dichte Atmosphäre – man spürt förmlich, wie Luft steht – und seine famose Darstellerin Anne Schäfer, die nicht um die Sympathie des Publikums buhlt.​

DVD bei GrandFilm.

 

„Die Küchenbrigade“ von Louis-Julien Petit

Audrey Lamy Die Küchenbrigade

Köchin Cathy Marie (Audrey Lamy) bei der Ravioli-Schadensbegrenzung. Foto: Piffl Medien

„Arbeit gibt es überall!“, verkündet die Köchin Cathy Marie – und stapft mit großer Geste aus dem Sterne-Lokal. Dort hat sie sich gerade einmal zu viel mit ihrer Chefin angelegt. Doch so einfach ist das nicht mit der Stellensuche, und der Traum eines eigenen Restaurants rückt weiter weg als je zuvor. Nur eine Stelle tut sich auf, die die ehemalige Sous-Chefin allerdings als Abstieg empfindet: die Arbeit als Kantinenköchin in einem Heim für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Doch mangels Alternativen beißt sie sozusagen in den sauren Apfel, muss erstmal die Kantine auf ein hygienisches Mindestmaß bringen und dann tonnenweise leere Ravioli-Dosen entsorgen. Denn die hat ihr Vorgänger den Flüchtlingen vorgesetzt, in den Augen des Heimleiters eine logische Entscheidung. „Sie lieben Fußball und Ravioli, und deshalb bekommen sie Fußball und Ravioli.“ Außerdem bekomme er vom Staat bloß acht Euro pro Person pro Tag fürs Essen. Die Köchin versteht die Welt nicht mehr, duscht die nächsten Ravioli erst einmal ab und köchelt ihnen eine frische Soße. Doch eine Welle der Dankbarkeit brandet ihr weder von Heimleitung noch Bewohnern entgegen.

2018 hatte der französische Regisseur und Autor Louis-Julien Petit mit seinem Film „Der Glanz der Unsichtbaren“ von Obdachlosigkeit erzählt, von Gewalt gegen Frauen und von aufreibender Sozialarbeit – und das in Form einer Komödie, mit großem Erfolg in Frankreich. Auch in „Küchenbrigade“ will er wichtige, aber eben unkommerzielle Themen wie Migration, Integration, Abschiebung einem großen Publikum nahebringen – mit einigem Witz und mit Optimismus inmitten vieler Schwierigkeiten.

In dem Heim in Nordfrankreich – gedreht wurde an der Cote d’Opale – ist die Luft anfangs dick. Die mitunter störrische Köchin (Audrey Lamy) muss erst einmal den professionellen Abstieg verdauen und die papierdünnen Wände des Hauses ertragen lernen; der idealistische, aber etwas ermüdete Heimleiter (Francois Cluzet) hat auf keine Primadonna in der Kantinenköchin gewartet; und die Flüchtigen müssen ihre Abschiebung fürchten, wenn sie als Volljährige keine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle haben – die Frage, ob die Ravioli-Soße nun aus der Dose kommt oder frisch geköchelt wurde, ist für sie zweit- bis drittrangig.

Der Wohlfühl-Pegel soll oben bleiben

Und doch entwickelt sich langsam ein gegenseitiges Verständnis, als Cathy die jungen Männer in die Küchenarbeit einbindet, ihnen feste Strukturen gibt und das Leben im Heim etwas unterhaltsamer macht – auch wenn sie sich erst einmal durchsetzen muss. Ein junger Mann etwa erklärt ihr, dass bei ihm „zuhause nur die Frauen kochen“, und weigert sich, den Gemüseschäler auch nur anzufassen. Doch der Konflikt ist bald behoben, nachdem er ihr im Fernsehraum die Mannschaften einer afrikanischen Meisterschaft erklärt hat. Für die Köchin gilt: „In meiner Küche gibt es keine Religion, keine Sexualität, keine Nationalität.“ Und die jungen Männer halten sich ebenso daran wie der Film, denn hier brechen keine Konflikte wegen Glaubensfragen aus, es gibt keine Probleme mit den verschiedenen Sprachen, nicht mit Aggression, nicht mit eventuellen Traumata. Wenn der Film da eine flott geschnittene Küchenszene serviert, in der alle glücklich schnippeln und brutzeln, unterlegt von französischer Discomusik, wirkt er schon arg bemüht, den Wohlfühl-Pegel nach oben zu heben.

An anderen Stellen aber lässt der Film die wirkliche Welt einsickern – wenn einer der Jugendlichen, der einst ohne Papiere einreiste, von der Polizei abgeholt und abgeschoben wird; eine medizinische Analyse hatte ergeben, dass er wohl mittlerweile volljährig ist, und der Heimleiter konnte ihm trotz aller Mühe keine Ausbildungsstätte vermitteln. Eindrücklich ist auch die Szene, in der die jungen Männer in Cathys altem Restaurant essen und ihre Stimmen aus dem Off erzählen, woher sie kommen und welche Hoffnungen sie mit einem Leben in Frankreich verbinden. Reale Sätze sind das, keine Drehbuch-Fiktionen, denn besetzt sind diese Rollen mit tatsächlichen Flüchtlingen, die für den Film gecastet wurden und hier ihre Geschichte erzählen (und im Film famos spielen).

Im finalen Viertel der „Küchenbrigade“ macht Cathy bei einer ihr herzlich verhassten Koch-Fernsehshow mit, mit edlen Rezepten und einem cleveren Plan, der das schrill-bunte TV-Format zugunsten von etwas Realismus geradezu subversiv nutzen wird. Da wird es filmisch etwas hektisch, sehr optimistisch, aber dann doch nicht märchenhaft. Kochkunst rettet nicht jeden vor der Abschiebung.

„Das Leben ein Tanz“ von Cédric Klapisch – gibt es ein Leben nach dem Tutu?

Élise (Marion Barbeau) vor dem letzten Auftritt als Ballerina. Foto: Studiocanal  

Élise (Marion Barbeau) vor dem letzten Auftritt als Ballerina. Foto: Studiocanal  

Das schmerzhaft laute Krachen im Knöchel ist ein Schock – nach so viel Wohlklang, nach so viel Anmut, nach so viel wallenden Tutus. Erst einmal nimmt uns der Film, was man sich trauen muss, eine knappe Viertelstunde lang dialogfrei mit zu einer klassischen Tanzaufführung von „La Bayadère“. Die fließende Bewegung der Kamera führt hinter und auf die Bühne, zeigt die junge Elise beim Tanzen, beim Warten auf den nächsten Einsatz, beim Nachschminken der Garderobe.

„Entweder das – oder Sie tanzen nie wieder“

So mitreißend beginnt „Das Leben ein Tanz“, als Zelebrierung von Bewegung und Körperkunst – bis zu jenem falschen Auftreten von Elise nach einem großen Sprung. Die Knöchelverletzung verändert das Leben der Künstlerin auf einen Schlag; zugleich ist ihr Freund, ebenfalls beim Ballett, gerade aus ihrem Leben getänzelt, konnte sie ihn doch hinter der Bühne turteln sehen – just vor ihrem fatalen Sprung. Eine lange Tanzpause soll Elise nun einlegen, sagt ihre Ärztin, „entweder das – oder Sie tanzen nie wieder“. Für das hoffnungsvolle Talent ist der lange gehegte Lebenstraum erst einmal vorbei. Für die Erschütterte ist ihr Vater nicht die stabilste Stütze, hatte er ihr doch immer ein Jurastudium statt einer Tanzkarriere nahegelegt. Er ist ein Mann der vielleicht liebevollen Distanz, aber eben doch der Distanz. Und die Mutter, die Elise einst zu den Ballettstunden brachte, ist schon vor einigen Jahren gestorben.

Es geht in die Bretagne

Was tun – wenn man nicht mehr das tun kann, was man liebt? Elise verlässt Paris, um zur Ruhe zu kommen, und arbeitet bei einem Foodtruck einer alten Ballettkollegin: In der Bretagne schält sie Gemüse für eine Compagnie, die in einer Mischung aus Schlösschen und ländlichem Kulturzentrum zeitgenössischen Tanz probt. Leicht ist es nicht für sie, den Kolleginnen und Kollegen zuzuschauen, ohne selber tanzen zu können; doch sie findet Freundinnen, Freunde, eine neue Liebe – und möglicherweise einen Weg aus ihrer Krise.“

„Die Rumba-Therapie“ von Frank Dubosc

„Das Leben ein Tanz“ ist ein sehenswerter Film, denn die exzellente Machart triumphiert über den simplen Plot. Problemlos könnte man die Geschichte der gestrauchelten Tänzerin, die sich wieder hochrappelt und das Glück findet, nach Hollywood transportieren – als hochkommerzielles Tanz-Selbstfindungs-Melodram mit aufbauenden „Lebe Deinen Traum“-Dialogen. Der große Reiz von „Das Leben ein Tanz“ liegt nun darin, dass Regisseur Cédric Klapisch („L’Auberge Espagnole“, „So ist Paris“) eine potenziell kitschige Geschichte nahezu unkitschig auf die Leinwand bringt. Nicht zuletzt dank seiner jungen Hauptdarstellerin Marion Barbeau, Jahrgang 1991, seit 2018 Erste Tänzerin des Balletts der Pariser Oper. In ihrer ersten Filmrolle zeigt sie eine frische Natürlichkeit und trägt den Film mit ihrer Darstellung – und eben mit ihrer Tanzkunst. Anders als in vergleichbaren Filmen muss der Regisseur für die Bühnenszenen kein Double einsetzen, ein großer Gewinn.

Die zeitgenössische Tanzcompagnie im Film ist eine reale – die des Choreografen und Komponisten Hofesh Shechter, was dem Film eine gewisse Authentizität mitgibt, auch wenn Regisseur und Co-Autor Klapisch, der es seinem Publikum nicht unnötig schwer machen will, Begleiterscheinungen von Bühnenarbeit ausblendet: Hier gibt es keine Rivalität, keine geblähten Egos, keine Eifersüchteleien. Die Künstlerinnen und Künstler lieben vor allem den Tanz, genau wie der Regisseur, der ihn in einigen mitreißenden Szenen einfängt. Zwischendurch diskutiert die Truppe, ob das klassische Ballett nicht von gestern sei, ob man Tutus endgültig einmotten sollte. Die Antwort darauf ist die wundersame Szene eines klassischen Tanzes in der Küche, zwischen dem Herd und frisch geschältem Gemüse.

Manche Gefühlswirren wirken dramaturgisch etwas unterentwickelt, etwa wenn Elise umgehend und nahezu dialogfrei eine neue Liebe findet; oder wenn sie das etwas distanzierte Verhältnis zum Vater angeht, der ihr, wie sie ihm vorwirft, nie gesagt habe, dass er sie liebt. Das wäre blanker Arthouse-Kitsch, wäre es von Marion Barbeau und Dénis Podalydès nicht so gut gespielt. Der Vater wird aller Distanz zum Trotz noch eine Träne vergießen, wenn der Film mit einer grandiosen Ausdruckstanz-Sequenz endet. „Das Leben ein Tanz“ ist ein Liebesbrief an den Tanz, egal ob klassisch und modern – und zugleich ein Wohlfühlfilm, der einem die Gefühligkeit nicht aufdrängt.

DVD bei Studiocanal.

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