Film und dieses & jenes, von Tobias Keßler

Kategorie: Auf DVD und Blu-ray (Seite 1 von 11)

„Flash Gordon“, die filmische Kitsch-Torte

Flash Gordon

Der Gute und der Böse: Sam Jones (links) als Flash und Max von Sydow als Ming.     Foto: Studiocanal

„Niemand lacht über meinen Flash Gordon!“ Das soll Produzent Dino De Laurentiis gebrüllt haben, als sich das Team seines Films bei den Dreharbeiten zu „Flash Gordon“ die frisch gedrehten Szenen anschaute – und immer wieder kicherte. So sehr, dass Regisseur Mike Hodges Kicher-Verbot erteilte, sollte Dino furioso in der Nähe sein. Hodges sah das ganze Unternehmen als knallige Science-Fiction-Komödie, De Laurentiis als großen ernsten SF-Abenteuerfilm. Getroffen haben sie sich filmisch in der Mitte, gelungen ist ihnen ein Werk, bei dem alles stimmt, obwohl nichts zusammenzupassen scheint. „Flash Gordon“, jener knallbunte Film von 1980, läuft nun, 43 Jahre nach seine Premiere, in der Reihe „Best of Cinema“ des Verleihs Studiocanal für einen Tag bundesweit wieder dort, wo er hingehört – auf einer großen Kinoleinwand.

Ein Blick zurück ans Ende der 1970er Jahre. Der italienische Hollywood-Produzent De Laurentiis, der zuvor den Riesenaffen „King Kong“ filmisch wiederbelebt hat (volle Kassen, entsetzte Kritiker), besitzt die Rechte an den „Flash Gordon“-Comics von Alex Raymond, die in den 1930ern schon mal verfilmt wurden – und 1974 mit einem charmant getricksten Softporno namens „Flesh Gordon“ parodiert und erotisiert wurden. Um einen wackeren blonden Erdling geht es in den Comics, der auf dem fernen Planeten Mongo einem asiatisch wirkenden Bösewicht namens Ming zeigt, wo der Hammer der freien Welt hängt, da der Finsterling a) von seinem Glitzerpalast aus den Planeten Erde bedroht und b) die Freundin des Helden in seinem geräumigen Harem unterbringen will.

 

Flash Gordon

In Mings Folterkammer: Sam Jones als Flash Gordon, Melody Anderson als Dale Arden.  Foto: Studiocanal

Im Science-Fiction-Boom nach dem ersten „Krieg der Sterne“ von 1977 bekommt Di Laurentiis ein potentes Budget von 25 Millionen Dollar zusammen (damals viel Geld für einen Film) und beginnt die Vorproduktion mit einem ungewöhnlichen Filmemacher: Nicolas Roeg, Regisseur von „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ und „Der Mann, der vom Himmel fiel“, kein Mann des Kino-Mainstreams.

Zuvor hatte der Produzent auch Sergio Leone und Federico Fellini im Sinn, deren Interesse sich aber in Grenzen hielt. Roeg nun schwebt eine bewusstseinserweiternde Weltall-Odyssee vor, ein psychedelischer Trip; spätestens bei seiner Beschreibung eines Raumschiff-Designs als „große Plazenta“, wird klar, dass er und Di Laurentiis in unterschiedlichen Galaxien leben.

Abgang Roeg, Auftritt Hodges, den der Produzent unter anderem deshalb engagiert, wie er sagt, „weil er ein ehrliches Gesicht hat“. Dessen bekanntester Film ist bis dahin der eisige Nordengland-Krimi „Get Carter“ von 1971 mit Michael Caine. Hodges macht sich an die Arbeit, mit einer Besetzung zwischen Legende und Laie: Der Schwede Max von Sydow, bekannt für tränenschwere Ingmar-Bergman-Filme, spielt den bösen Ming mit großer Geste und schwerer Robe, während Di Laurentiis für die Heldenrolle einen nahezu Unbekannten verpflichtet – Sam Jones, der in einer US-Datingshow vor allem durch gutes Aussehen aufgefallen ist.

 

Flash Gordon

Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, auch wenn es nicht so aussieht: Prinz Barin (Timothy Dalton, links) und Flash Gordon (Sam Jones).  Foto: Studiocanal

 

Die Wahl zahlt sich erstmal aus: Der mimisch unerfahrene Jones verströmt genau jene unschuldige und naive Aura, die dem Regisseur vorschwebt. Timothy Dalton, sieben Jahre später James Bond, spielt einen heroischen Prinzen mit Errol-Flynn-Schnurrbart; Brian Blessed mimt den Anführer der mit Flügeln ausgestatteten Falkenmänner und frönt lustvoll dem Over-Acting. Wenn er lacht, sieht man 80 Zähne und Blesseds Mandeln; jeden Dialogsatz („Gordon’s aliiiiiive?“) deklamiert er oberhalb der Zimmerlautstärke.

Derweil schleicht Ornella Muti als libidonös hyperaktive Königstochter durch die wundersamen Dekorationen von John Graysmark: mal verkitschte Art déco, mal technoide Futuristik, während die Kostüme von Danilo Donati in Rot erstrahlen und so golden glitzern, dass man zur Augenschonung manchmal nach einer Sonnenbrille greifen möchte.

Während der Dreharbeiten im winterlichen London, wo besonders die Darsteller der Falkenmänner im Lendenschurz vor sich hin frieren, gehen die Diskussionen zwischen Produzent und Regisseur munter weiter, doch beide haben ein noch größeres Problem: Hauptdarsteller Jones fliegt in die Weihnachtsferien in die USA – und kommt nicht wieder. Denn seine Agenten machen ihn darauf aufmerksam, dass seine Wochengagen nicht ganz regelmäßig eintreffen; Di Laurentiis tobt, lässt sich aber nicht entmutigen – das meiste Pensum hatte Jones ohnehin schon abgedreht. Und für die Nachsynchronisation, nötig bei Szenen mit hohem Geräuschpegel, engagiert er einfach einen anderen Schauspieler als Sprecher. Problem gelöst.

 

Flash Gordon

John Graysmark entwarf die Bauten des Films, Danilo Donati die Kostüme.   Foto: Studiocanal

Die Erwartungen beim Filmstart sind hoch. Doch während „Flash Gordon“ in Europa gut läuft, sind die Kinos des wichtigen US-Markts kaum gefüllt. Das war‘s – auch für die Fortsetzungen, die Di Laurentiis schon im Hinterkopf hatte.

Sieht man den Film heute, wirkt er nicht wie einer der vielen „Krieg der Sterne“-Imitationen von damals, sondern fast wie ein Anti-„Star Wars“. Während George Lucas seine märchenhafte, aus allerlei Mythen zusammengesetzte Handlung optisch vergleichsweise realistisch und mit biblischem Ernst („Möge die Macht mit Dir sein“) erzählt, schwelgt „Flash Gordon“ im parodistischen Kitsch, badet in Farben, lässt Funken sprühen, Sümpfe blubbern – und die britische Band Queen herzhaft musizieren. Deren bombastisch Filmmusik („Fläsch – aaahaaaaaaaa!“) passt wunderbar in den Kontext, vor allem zu einer Attacke flatternder Falkenmänner auf ein Fluggefährt, bei der sich Dröhngitarre, Donnerschlagzeug und die Action im Spielzeugland zu einem poppigen Gesamtkunstwerk vereinen. Vielleicht war es ein Segen, dass der Film keine Fortsetzungen nach sich zog – solche Glücksfälle lassen sich nicht wiederholen.

 

Flash Gordon

Antikes Stück: der Trailer des Films auf Super 8.    Foto: Piccolo Film

„Polizeiaktion Dynamit“ von Gilles Grangier

 

An dieser bösartigen Suspense-Idee hätte auch Hitchcock seine finstere Freude gehabt, etwas Ähnliches hatte er 1936 in „Sabotage“ durchgespielt: Pariser Jungs laufen mit einem Fußball voller Dynamit durch die Stadt, ohne zu ahnen, dass ihr Spielzeug eine Bombe ist. Die Polizei weiß Bescheid – aber Paris ist groß. „Polizeiaktion Dynamit“, so der etwas reißerische deutsche Titel (der Originaltitel bedeutet eher „Missglückte Übergabe“) ist ein kleiner feiner Krimi von 1957 mit exzellenter Besetzung: Serge Reggiani spielt einen Drogenkurier, der aus dem Geschäft aussteigen will, Jeanne Moreau seine Freundin, und Gert Fröbe gibt, sieben Jahre vor „Goldfinger“, den Chef der Drogenbande. Im französischen Original heißt er Hans und flucht schon mal ein herzhaftes „Himmelherrgott!“, in der Synchro heißt er dagegen Jean.

Regisseur Gilles Grangier erzählt die Ermittlungsarbeit schnörkellos, während die Kommunikationstechnik wundersam antik wirkt: mit meterlangen Karteikästen und Polizisten, die stets Kleingeld und Telefonzellen für Anrufe ins Präsidium brauchen. Das Finale mit Bandenrazzia und Fußballfund bietet Action und Spannung, das Bild des 2021 restaurierten Films ist exzellent – und es gibt untertitelte Passagen, die einst im deutschen Kino nicht zu sehen waren.

Auf DVD erschienen bei Pidax.

„Das malvenfarbene Taxi“ von Yves Boisset

Verlorene Seelen an der irischen See: Gepflegte Melancholie zieht sich durch Yves Boissets 1977er-Film, in dem jede Figur ihre Abgründe hat – und ihre Gründe, sich hierher verkrochen zu haben. Da ist ein Pariser Schriftsteller, anscheinend in der Midlife-Krise. Ihn verbindet eine stille Männerfreundschaft mit einem jungen Amerikaner, anscheinend auf der Flucht vor seiner Familie. Ein extrovertierter Exilrusse mit scheinbar verstummter Tochter ist auch mit von der Partie.


Sie leben von einem auf den anderen Tag, man jagt und trinkt – und trauert irgendwie, jeder mit eigenem Motiv. In diese Runde der angeschlagenen Mannsbilder bringt eine Frau ziemliche Unruhe: die adelige Schwester des Amerikaners, die sich dem Personal ihres Hotels mit einem grandiosen Arroganz-Auftritt vorstellt, dem Pariser Schriftsteller mit einem ebenso grandiosen Oben-Ohne-Auftritt. Charlotte Rampling spielt die Prinzessin mit unnahbarer Unberechenbarkeit; auch sonst kann sich Boisset auf seine Darsteller verlassen, vor allem Philippe Noiret als Autor und Peter Ustinov als Exilrusse. Bittersüß ist dieser Film, in dem sich einige Lebenslügen entfalten. Der Off-Kommentar des Schriftstellers mag etwas prätentiös klingen, aber ansonsten hat dieses langsam vor sich hin köchelnde Drama einigen Reiz.

DVD von Pidax.

Nordsee ist Mordsee: „The North Sea“ von John Andreas Andersen

The North Sea Koch Films

Im Katastrophenmodus auf der Bohrinsel, von links: Stian (Henrik Bjelland), Sofia (Kristine Kujath Thorp) und Arthur (Rolf Kristian Larsen). Fotos: Koch Films

 

Ach ja, die guten alten Klischees des Katastrophenfilms: Namenlose Statisten, die von Erdspalten verschluckt, von Lava oder kollabierenden Hochhäusern begraben werden. Nebenfiguren, die sich nicht selten heroisch opfern für die Hauptfiguren; die wiederum kommen immer wieder um Haaresbreite mit dem Leben davon und finden nebenbei noch die Zeit, Beziehungs- oder Familienprobleme zu lösen. Und sollte ein fluffiger Hund mitspielen, keine Sorge, wird der alles überleben.

Nun ist es nicht so, dass der norwegische Film „The North Sea“ solche beliebten Klischees gegen den Strich bürstet – im Großen und Ganzen köchelt er gemäß bewährter Genre-Rezepte. Aber alles wirkt hier ein wenig bodenständiger, weniger irreal als etwa vergleichbare US-Filme, die ihre Zerstörungs-Orgien mitunter ins Absurde steigern, wenn Helden jeden Wahrscheinlichkeiten und physikalischen Gesetzen trotzen, um ihre Lieben zu retten.

Seine Hauptfiguren stellt Regisseur John Andreas Andersen sehr ökonomisch vor, denn ihm bleiben nur zehn Filmminuten bis zum ersten Rumms: Die Kollegen Sofia und Arthur sind Spezialisten, die mit ihrem kleinen unbemannten Unterseeboot die Unterwasseranlagen von Bohrinseln kontrollieren. Als sie von einem Öl-Konzern angefragt werden und sofort eine Verschwiegenheitsklausel unterschreiben müssen, ahnen sie Schlimmes. Eine Bohrinsel ist innerhalb von zwei Minuten gesunken, nun sollen sie mit ihrem Apparat Menschen suchen, die in der Anlage auf dem Meeresgrund möglicherweise in Luftblasen überlebt haben.

 

Da gelingen dem Film atmosphärische, gespenstische Szenen, wenn das Kameraauge seine Kreise durch die gefluteten Räume zieht und ihm Ertrunkene entgegen schweben wie Geister. Die Rettung eines Überlebenden misslingt wegen einer Gasexplosion, aber es kommt noch schlimmer. Die massiven Bohrungen durch hunderte von künstlichen Inseln haben den Meeresboden der Nordsee instabil werden lassen, es droht eine weitere Katastrophe. Regierung und Krisenstab handeln schnell, alle Bohrinseln werden evakuiert, bevor viele von ihnen in einem sich auftuenden gigantischen Wasserstrudel versinken – auch ein Tanker, dem seine Aufschrift „Safety First“ nichts mehr nutzt.

Nur eine Person wird noch auf einer Bohrinsel vermisst: Stian, der Freund der U-Bootspezialistin – ein konstruierter Drehbuchkniff, den der Film dem Zuschauer dennoch ziemlich glaubhaft nahebringt. Sofia macht sich mit dem Kollegen Artur unerlaubt auf zur Bohrinsel, um den Liebsten zu retten, während das Meer um sie herum zu einem dunklen Ölteppich wird.

Sicher – dieser Rettungsversuch folgt gut geölter Spannungsmechanik: Das Trio rettet sich von einer schlimmen Situation in die nächste, die dann noch ein wenig schlimmer ist. Und warum der internationale Titel des Films nicht „The North Sea“ ist, sondern „The Burning Sea“, erfährt man auch noch – unter anderem durch apokalyptische Bilder. Doch das Trio übersteht die einzelnen Situationen nicht durch heroische Genialität, sondern schlicht durch Kompetenz und Professionalismus. Die Darsteller dabei sind exzellent, besonders Kristine Kujath Thorp als Sofia, Herz und Hauptfigur des Films. Es geht hier letztlich mehr um Personen als um computergenerierte Bilder der Verwüstung. Dem Film gelingt es auch, die gigantischen Dimensionen einer Bohrinsel nachvollziehbar zu machen, mit viel Stahl, Technik, labyrinthischen Gängen, unendlich viel Wasser rundum und ständiger Gefahr.

Eine gewisse Ökobotschaft liefert der Film dabei mit, wie gefährlich für die Natur das Ölgeschäft sein kann. Das ist nichts Neues, aber der Film tut auch nicht so, als wäre es das. Der Öl-Konzern und die Regierung sind nicht per se ein böser Kapitalismus-Polit-Komplex, sondern eher eine Truppe, die die verschiedenen Risiken abwägt: für die Menschen, für die Natur, für die Energieversorgung – und vielleicht auch für die nächste Wahl. Dass der Film da differenziert vorgeht und Figuren wie den Krisenmanager des Konzerns durchaus ambivalent anlegt, macht den Film interessant. Schön findet Bohrinseln ja niemand, selbst ihr Personal nicht, aber das Öl können wir ja gut gebrauchen.

 

Erschienen digital, auf DVD und Bluray bei: Koch Films.
Extras: Trailer

Edler Zwirn, feine Nase: Der schwedische Mehrteiler „Hjerson“

Hjerson (Johan Rehborg) und Sandberg (Anna Halström). Foto. ZDF / Edel Motion

Ermittlungsarbeit in der Küche: Hjerson (Johan Rehborg) und Sandberg (Anna Halström). Foto. ZDF / Edel Motion

„Das Letzte, was die Welt jetzt braucht, ist eine weitere Krimireihe im Fernsehen.“ Sagt die Hauptfigur einer weiteren Krimireihe im Fernsehen. Vielleicht soll diese Ironie auf der Meta-Ebene ja der Kritik den Wind aus den Segeln nehmen – angesichts einer unbestreitbaren TV-Krimi-Schwemme, nicht zuletzt aus den skandinavischen Ländern. „Hjerson“ heißt dieser Mehrteiler aus Schweden, dessen Ursprung in England liegt: bei Agatha Christie, der Königin des „Whodunit“, bei dem die minutiöse Aufklärung eines Verbrechens mit möglichst vielen Verdächtigten im Zentrum steht.

Christie (1890-1976) erfand nicht nur den Meisterdetektiv Hercule Poirot oder die Miss Marple, sondern auch eine Krimischriftstellerin namens Ariadne Oliver, die wiederum eine Hauptperson für ihre Krimis ersonnen hat: den schwedischen Ermittler Sven Hjerson. Und eben der ist die Titelfigur dieses ambitionierten Mehrteilers (vier mal 90 Minuten). Wie nahe der nun dem Werk Agatha Christies steht oder ob man sich vor allem mit ihrem Namen schmücken will, müssen deren Kenner beurteilen. Sehenswert ist „Hjerson“ jedenfalls, wobei sich die Serie abhebt von einigen anderen Krimis aus Skandinavien, bei denen Orte wie Seelenlandschaften gerne neblig trüb sind. „Hjerson“ ist bunter (wie seine Kleidung), filmisch verspielter und humoristischer – den Todesfällen und schicksalhaften Verstrickungen zum Trotz.

„Milf-Hotel“ füllt geistig nicht mehr aus

Zu Beginn steckt die TV-Produzentin Klara Sandberg (Hanna Alström) in der Krise – Trashformate wie „Milf Hotel“ füllen sie nicht aus, doch eine neue Idee beflügelt sie: Warum nicht eine halb-dokumentarische Krimi-Serie mit dem legendären Ermittler Sven Hjerson (Johan Rheborg) auf den Weg bringen, der einige der kniffligsten Fälle der schwedischen Kriminalgeschichte aufgedröselt hat? Das erste Problem: Hjerson hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, scheint unauffindbar. Das zweite Problem: Als Sandberg ihn aufspürt, hat er nicht das geringste Interesse, Teil einer TV-Serie zu werden. Er braucht die Welt nicht, seine erlesene Garderobe und der tägliche Gang zum Friseur (trotz schütteren Haars) sind ihm Lebensbegleiter genug. Doch flüchten kann er vor der TV-Produzentin nicht, befinden sich beide doch auf einer Fähre. Als dort ein Mord geschieht, kann Hjerson den alten Spürsinn nicht verdrängen (und die Fernsehfrau nicht loswerden).

Vor dem Hintergrund der Krimi-Handlung – etwa einem Todesfall bei Kino-Dreharbeiten – erzählen die Episoden von der beginnenden Freundschaft zwischen Ermittler und Produzentin, von deren etwas aus dem Tritt gekommenen Liebesleben und Hjersons schwieriger und verdrängter Kindheit, die er langsam aufblättert. Gerade dieser Strang ist interessant (manchmal interessanter als der Krimi-Plot), zumal Darsteller Rheborg die Kauzigkeit und die Ticks von Hjerson nicht überzieht – man fühlt mit ihm mit, trotz seiner immer mal aufblitzenden Arroganz und seiner scheinbaren Gefühlskühle.

Die erste Staffel von „Hjerson“ ist in der Mediathek des ZDF zu sehen und auf DVD bei Edel-Motion erschienen.
DVD-Extra: Ein kurzes Interview mit den Hauptdarstellern.

„OSS 117 – Liebesgrüße aus Afrika“ mit Jean Dujardin

OSS 117 Jean Dujardin Liebesgrüße aus Afrika

OSS 117 (Jean Dujardin) erkundet die Tierwelt Afrikas. Foto: Koch Films

„Jeder Mensch träumt davon, Franzose zu sein!“ So sieht es jedenfalls der französische Agent Hubert Bonisseur de la Bath  – alias OSS 117. Diese Erkenntnis deklamiert er gerne mit stolzespraller Brust, auch in russischer Gefangenschaft in Afghanistan an Neujahr 1981. Da und dort beginnt die mittlerweile dritte Komödie mit dem gallischen Oscar-Preisträger Jean Dujardin („The Artist“) als französischem Agent;  die Figur OSS 117 nahm ihren Anfang ab 1949 in Spionage-Romanen von Jean Bruce. Die wurden dann in den 1960ern fürs Kino verfilmt, als James-Bond-Imitate mit herrlich reißerischen Titeln wie „Pulverfass Bahia“ oder „Teufelstanz in Tokio“ – an den Glamour von 007 kamen sie allerdings nicht heran.

Jean Dujardin, einer der großen Stars Frankreichs zurzeit, drehte 2006 und 2009 die ersten beiden Komödien, teils Parodie auf Bond und das Spionage-Kino, teils Satire auf ungehemmten Chauvinismus und eine gewisse Dummheit: Frauen sind für OSS 117 nicht ganz ernst zu nehmen, auf andere Länder und Kulturen blickt er milde lächelnd herab – und dass es tatsächlich Franzosen gab, die nicht in der Résistance waren, hält er für ein böswilliges Gerücht. Zwei sehr charmante Filme sind das, denen das fast Unmögliche gelang: die Kinos zu füllen und zugleich eine gute Kritik in der cineastischen Bibel „Cahiers du Cinema“ zu bekommen. Parbleu!

Nun erscheint, 12 Jahre nach dem Vorgänger, das dritte Abenteuer bei uns im Heimkino – dessen deutscher Titel „Liebesgrüße aus Afrika“ erinnert an den Bond-Film „Liebesgrüße aus Moskau“, der Originaltitel klingt herrlich nach einem knallbunten 60er-Jahre-Agentenfilm: „Alerte rouge en Afrique Noir“. Die Mission diesmal: In einem afrikanischen Staat soll OSS 117 die drohende Rebellion gegen den Machthaber zerschlagen – der mag zwar ein Tyrann sein, aber er ist „ein Freund Frankreichs“, wie der Chef des Agenten ihm mitteilt – schließlich liegen in seinem Land Diamantminen, deren Erlöse nicht zuletzt in Richtung Paris fließen. OSS 117 nimmt die Arbeit auf, unter dem schönen Decknamen Émile Cousin, hat dabei aber Hilfe, die er gar nicht will: OSS 1001 (Pierre Niney), ein Nachwuchsagent voller Heldenverehrung für den legendären 117; die schwindet vor Ort dann allerdings, wird ihm die Inkompetenz des älteren Kollegen doch schmerzhaft deutlich.

„Aus Spaß spricht niemand Deutsch.“

Das ist der grobe Handlungsrahmen, den Drehbuchautor Jean-Francois Halin und Regisseur Nicolas Bedos mit einiger Situationskomik füllen und mit schönen schrägen Ideen – der Leopard des afrikanischen Tyrannen hört nur auf  Kommandos in gebrülltem Deutsch, weil das die effektivste Befehlssprache sei. „Aus Spaß spricht niemand Deutsch.“ Und die Titelsequenz ist eine sinnige Hommage plus Parodie an/über James-Bond-Titelvorspänne vor allem aus den 80ern.

Der grundlegende und große Reiz des Films – die deutsche Fassung besorgte Oliver Kalkofe – liegt aber darin, wie er ein konservatives Milieu zeichnet: Auf dem Weg ins Pariser Büro kommt OSS 117 an einem Wahlplakat des damals amtierenden Präsidenten Giscard d’Estaing vorbei und salutiert – ein Plakat weiter hängt das Bild des Rivalen Francois Mitterand, das OSS 117 in den Grundfesten erschüttert. Die Franzosen würden nie den Fehler machen, Mitterand zu wählen, spekuliert er – und wenn doch, dann müsse man sich einstellen auf „kein Privateigentum, Schlangen vor leeren Supermärkten, kein Wasser, aber sowjetische Panzer auf der Champs Élysées“. Es kam dann ja doch anders.

Im Geheimdienstbüro wird kollektiv gekichert über den Wunsch der afrikanischen Staaten, unabhängig zu sein. Vor Ort bemüht sich OSS nach Kräften, nicht als Rassist zu gelten, seien die Afrikaner in diesem Punkt „doch etwas empfindlich und humorlos“; lieber steckt er kleinen bettelnden Kindern Zigaretten zu, um großzügig zu wirken. Und es fallen Sätze, die man so oder ähnlich wohl auch schon mal gehört hat und die hier treffend vorgeführt werden: „Afrikaner sind fröhlich und tanzen gerne“, „Ich kann gar kein Rassist sein – sonst würde ich ja nicht Eure Kleidung tragen“ oder „Ihr seid mit so wenig so zufrieden“.

De Gaulle hilft gegen Impotenz

Neben der satirischen Veralberung von Kolonialismus und Rassismus geht es auch um die Midlife-Krise: Der 30 Jahre jüngere Kollege macht dem Agenten sein Alter deutlich klar, den hier auch überraschende Anfälle von Impotenz quälen. Da hilft nur eines (in einer sehr schönen Montage): an Frankreich denken, an Charles de Gaulle, an Düsenjäger, die über den Triumphbogen sausen – und schon ist das Problem des durchhängenden Eifelturms gelöst.

Die beiden ersten Filme mit OSS 117 haben möglicherweise die größeren Gags, bei „Liebesgrüße aus Afrika“ stellt sich eher ein Dauergrinsen ein als ein lautes Lachen. Aber in der Zeichnung seines Antihelden ist er konsequenter und am Ende überraschend finster: Das Herz für Rebellion und Demokratie entdeckt OSS 117 bis zuletzt nicht, er bleibt wie er ist: ein Mann der Realpolitik – und des Popo-Patschens im Büro als kernige Begrüßung.

Erschienen als DVD und Bluray bei Koch Films.
Fünf alte OSS-117-Filme (1963-1968) erscheinen im April bei der Riegelsberger Firma Pidax als DVD-Box.

Interview: Wie geht es weiter mit James Bond?

 

Vorsicht, Spoiler-Alarm! Wer sich den jüngsten Bond-Film „Keine Zeit zu sterben“ noch anschauen will und nicht weiß, wie er endet, sollte jetzt nicht weiterlesen. Über die Überraschungen des Films, den Mythos 007 und dessen ungewisse Zukunft haben wir mit einem Bond-Kenner gesprochen: Joachim Frenk, Professor für Britische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Uni Saarbrücken.

 

Wie überrascht waren Sie von „Keine Zeit zu sterben?“ Immerhin, drei Monate nach Filmstart darf man es ja verraten, wird Bond Vater – und stirbt im Finale.

FRENK Ich war sehr überrascht. Produktionsfirma und Verleih haben  eine exzellente Geheimhaltung betrieben, was bei einem Film über einen Geheimagenten ja eine gewisse Ironie besitzt. Mit Blick auf die vor der Premiere verbreiteten Informationen durfte man einen konventionellen Film vermuten: Bond muss aus dem Ruhestand heraus einen Wissenschaftler einfangen, der eine gefährliche Waffe konstruiert hat. Normale Bond-Kost also, auf Sicherheit gespielt. Dass die Figur Bond in diesem Film stirbt, ist eine Sensation. Denn es ist ein integraler Bestandteil der Bond-Formel, dass Bond immer überlebt, egal wie lächerlich gefährlich das alles ist und wie unwahrscheinlich, dass er lebend herauskommt. Diese Grundbedingung des Bond-Universums wird diesmal aufgegeben.

 

Professor Joachim Frenk.   Foto: Universität Saarbrücken/dpa

Hat Ihnen das gefallen?

FRENK Dramaturgisch ist das sauber geschrieben und von der Handlung her motiviert: Infiziert mit Nanobots weiß Bond, dass er seine Frau und sein Kind nie wird berühren können, weil er ihnen damit den Tod bringen würde. Dann stirbt er lieber. Das ist wie alles bei Bond – völlig verrückt und gleichzeitig in sich schlüssig. Erstaunlich ist auch diese Parallelisierung: Ein Darsteller gibt seine Rolle ab – es ist Daniel Craigs letzter Bond-Film – und damit stirbt gleichzeitig die Figur.

Das macht es dem nächsten Film und dem nächsten Darsteller nicht leicht. Wie kann Bond aus dieser dramaturgischen Sackgasse wieder herauskommen?

FRENK Es gibt viele Möglichkeiten, die auch bereits eifrig öffentlich diskutiert werden: Man präsentiert etwa frisch und fröhlich im nächsten Film einfach den nächsten Darsteller – nach dem Motto „Was kümmert uns der Plot des letzten Films?“. Oder wir bekommen jede Menge Prequels, die in der Vergangenheit vor Bonds Tod spielen. Oder der erzmaskuline Bond wird aufgelöst, und eine Frau spielt zwar nicht die Figur Bond, aber eine Agentin mit der Nummer 007, wie es „Keine Zeit zu sterben“ ja schon geschehen ist.

Da dürften viele Bond-Fans aus dem erzkonservativen Lager entsetzt sein. Deren Reaktionen bei Diskussionen in Internet-Foren über mögliche nicht-weiße oder nicht-männliche Bond-Darsteller sind oft ja schon hysterisch.

FRENK Denen müsste aber auch klar sein, dass die klassische Bond-Formel kaum noch ins 21. Jahrhundert passt, vor allem beim frühen Connery-Bond mit seinen sexistischen Sprüchen, der Schlüpfrigkeit und dem Verschleiß an Frauen. Die sind da hübsches Beiwerk, während der Mann sich durch die Welt ballert. Das wirkt heute alles fragwürdig und aus der Zeit gefallen. Es ist offensichtlich, welchen Spannungen die Bond-Formel heute ausgesetzt ist – einerseits gibt es den Markenkern eines Agenten, der seine Männlichkeit bestätigen und ausstellen muss, mit Gewalt und sexuellen Eroberungen. Andererseits passt das so nicht mehr ins 21. Jahrhundert. Wie geht man damit um? Kann man die Figur mit Ironie und Augenzwinkern einigermaßen retten? Oder mit moderaten Veränderungen? Wofür steht ein globales Publikum noch zur Verfügung?

Wie geht „Keine Zeit zu sterben“ da vor?

FRENK Der Film macht einige Anstalten, Bond im Blick auf das Thema Gender ins 21. Jahrhundert zu bringen. Bond verschleißt keine Frauen mehr, sondern ist ein unglücklich Liebender, sogar quasi ein treuer Ehemann und Vater. Und die attraktiven Damen, die ihm begegnen, haben ihren eigenen Kopf. Da überlappen sich Darsteller und Rolle, da Daniel Craig in diesen Dingen als bewusster Zeitgenosse gilt. All das sind Korrekturen, um die potenziell peinlichsten Bond-Momente zu entschärfen, so dass das Geschäft nicht aufgegeben werden muss. Die Filme haben ja Milliarden Dollar eingespielt. Solange Bond noch so ein Geschäft ist, wird man dabei bleiben und die Figur retten und modifizieren – nicht zwingend, weil man die Welt besser machen oder etwas Substanzielles über Geschlechterrollen sagen will, sondern weil man Geld verdienen möchte.

Amazon hat für acht Milliarden Dollar das Film-Studio MGM gekauft, dem die Teilrechte an den Bond-Verfilmungen gehört – was bedeutet das für 007? Eventuell Streaming-Serien bei Amazon Prime neben den regelmäßigen Filmen, die ja nur alle paar Jahre im Kino laufen?

FRENK Das wäre durchaus eine Möglichkeit. Wir haben ja auch eine „Herr der Ringe“-Streaming-Serie, obwohl es schon zwei Kino-Trilogien gibt. Erfolgreiche Kino-Reihen werden auf ihre Serien-Tauglichkeit hin abgeklopft. Die großen Player wie Amazon oder Netflix haben die Mittel, extrem aufwendige Serien zu produzieren, da sind enorme Summen im Spiel. Der verfilmte Bond hat übrigens im Fernsehen angefangen – 1954 mit einer Live-Adaption des Romans „Casino Royale“.

 

Daniel Craig und Regisseur Cary Joji Fukunaga bei den Dreharbeiten. Foto: Nicola Dove/DANJAQ/MGM

Wie ist Ihre Bilanz der Craig-Ära? Zuletzt gab es eine Über-Psychologisierung, und der in der Bond-Welt seit langem etablierte Bösewicht Blofeld wurde zu Bonds bösem Stiefbruder. Hat man sich da etwas verhoben?

FRENK Wenn man einen Bondfilm schaut, muss man bereit sein, alles Mögliche zu akzeptieren. Die Craig-Bonds haben sich wahnsinnig ernst genommen. Das Episodische ist verloren gegangen, alles musste einen großen Erzählbogen haben. Bei früheren Bonds ist immer ein Bösewicht vom Himmel gefallen, Bond musste die Welt retten und tat das im nächsten Film wieder. Dieses Episodische wurde bei Craig aufgegeben, es musste ein Überbau her, alles musste mit Bonds persönlicher Geschichte zusammenhängen. Das bedingt eine Ernsthaftigkeit, die bisher kaum Teil der Bondformel war. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum man diesen Bond jetzt sterben lässt – weil er so beladen ist mit Narrativ und im Grunde auserzählt. Blofeld ist tot, Bond ist am Ende seiner Selbstfindung – da ist es logisch, dass er stirbt. Vielleicht kehrt man jetzt wieder zurück zu einem episodischen Bond, ob nun im Kino oder in einer Amazon-Prime-Superproduktion. Wieder mit Tuxedo, Wodka-Martini schlürfend, die Welt rettend – wer weiß? In jedem Fall ist genug Produktionsbudget für alle Optionen vorhanden.

Die Figur Bond ist also unsterblich, ob er nun stirbt oder nicht?

FRENK Bond könnte recht schnell sterben. Was er nicht überleben würde, wäre eine Reihe von Misserfolgen. Wenn jetzt zwei, drei großproduzierte Filme oder eine Serie schief gingen, könnte recht schnell der Vorhang fallen. Wenn der Profit ausbleibt, wird das nicht lange toleriert.

Wie ist der Blick von „Keine Zeit zu sterben“ auf die Rolle Englands in der Welt? Wieder einmal rettet ein einzelner Brite die ganze Welt.

FRENK Bond war schon in den 1950ern ein Trostpflaster für eine Nation, die ihre Weltmachtrolle eingebüßt hat. Spätestens seit 1956 war klar, dass die Briten hinter den USA und der Sowjetunion bestenfalls noch eine leise zweite Geige spielten. So eine Figur wie Bond, der als Engländer beziehungsweise als Brite stets die Welt rettet, konnte darüber ein wenig hinwegtäuschen. Diese Tröstungsrolle wird vielleicht weiterhin willkommen sein, weil England durch den Brexit international viel Kredit verspielt hat.

Wenn man sich wie Sie die Bond-Filme als Wissenschaftler anschaut – sind dann die weniger geglückten Filme durch ihre Macken manchmal interessanter als die geglückten?

FRENK Das macht keinen Unterschied. Jedenfalls sind weniger gelungene Bondfilme nicht weniger interessant für die Analyse. Ich finde zum Beispiel, dass „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ von 1969, der heute viel Ansehen genießt und in „Keine Zeit zu sterben“ viel zitiert wird, kein starker Bond-Film ist. Aber er ist interessant, weil er sich getraut hat, gegen die klassische Formel anzugehen – mit Diana Rigg als liebende Ehefrau, die in Bonds Armen stirbt.

Haben Sie besondere Vorlieben in der Bond-Reihe?

FRENK Ich habe schon meine Favoriten, aber gar nicht mal einen Darsteller – sondern einfach Darsteller in bestimmten Filmen. Und auch mein Geschmack ändert sich. Im Moment würde ich sagen, dass Pierce Brosnans Filme mir gut gefallen haben – Brosnan ist in der Kritik manchmal nicht gut weggekommen. Ich finde auch diese These, dass an Connery als Ur-Bond niemand mehr herangekommen ist, falsch. Vergleicht man die alten Filme mit den Craig-Bonds, was Kamera, Effekte und Schauspiel angeht, liegen Welten dazwischen – das liegt einfach an der Entwicklung des Filmgeschäfts. „Dr. No“ von 1962 kann in keiner Weise mithalten mit „Keine Zeit zu sterben“  – das ist wie ein Moped und ein Ferrari. Das heißt nicht, dass die älteren Filme in sich schlechter sind. Sie sind allerdings unterschiedlich gut gealtert.

Haben Sie einen Favoriten, was den nächsten Darsteller angeht – oder die nächste Darstellerin?

FRENK Da bin ich ganz entspannt. Ich würde mir auch eine Jane Bond gerne anschauen, könnte mir aber vorstellen, dass es die Reihe nicht übersteht, wenn Zeitgeist und Bond-Formel zu weit auseinanderdriften. Ich sähe lieber eine Jane Bond im 21. Jahrhundert als einen Rückfall in die Connery-Ära, nur um die Formel zu retten. Wir brauchen jedenfalls keinen Retro-Bond in 1960er-Manier. James Bond sollte auch ohne Steinzeit-Chauvinismus und westlichen Zentrismus machbar sein.

„The Nest“ von Sean Durkin

 

Carrie Coon als Gattin, die das Blenden ihres Mannes langsam satt hat.  Foto: Ascot Elite

 

Morgens um sieben scheint die Welt noch in Ordnung. Vor dem Anwesen parken zwei Limousinen, ein Bild des finanziell gesicherten Friedens. Doch der Schein trügt, wie so oft in diesem meisterhaften Film über Geld und Status, Ehe und Familie. Rory (Jude Law) ist ein Broker in den 1980er Jahren, ein Mann des Ehrgeizes und des enormen Charmes, den er anknipsen kann wie eine besonders helle Glühbirne. Mit dem überzeugt er auch seine Frau Allison (Carrie Coon), die Zelte in den USA abzubrechen und in Rorys alte Heimat London überzusiedeln. Es ist der vierte Umzug in zehn Jahren. Der Chef seiner alten Firma dort habe ihn persönlich angeworben, sagt er – und lügt, denn er hat sich selbst angedient. Mit Tochter und Sohn ziehen sie nach England, Rory mietet ein Herrenhaus auf dem Land, in das gleich mehrere Familien passen würden. Groß ist es, aber auch düster und manchmal beklemmend – Regisseur und Autor Sean Durkin unterfüttert seine Familien- und Ehegeschichte da sogar mit einem Hauch des Übernatürlichen, bei dem auch ein Pferd eine Rolle spielt.

Erst einmal erscheint alles gut, Rory geht seinen Geschäften nach und hält bei Geschäftsessen protzige Reden mit Margaret-Thatcher-Nachhall: „Die Deregulierung zeigt den Leuten nur, was sie alles erreichen können.“ Seine Frau lässt derweil auf dem Anwesen Pferdeställe anlegen, um ein Gestüt zu betreiben. „Sei Dein eigener Boss“ war einer jener Sätze, mit denen Rory sie zum Umzug bewegt hat. Die Kinder versuchen sich derweil in den neuen Schulen einzuleben. Doch schnell klaffen Risse in der Landhaus-Fassade – die Arbeiter bleiben weg, weil Rory keinen Lohn mehr überweist. Auf dem gemeinsamen Konto sind gerade noch 600 Pfund. Rory, der ruhelose Blender, hat sich maßlos übernommen, während er auf das eine, ganz große Geschäft wartet, dass ihn wieder so reich machen soll wie er einst in den USA war: „Ich hatte mal eine Million Dollar“, erzählt Rory einem Taxifahrer in einem seltenen Moment der Offenheit. „Ich dachte, das wird immer mehr – aber es wurde immer weniger.“

Keine Szene zu viel, kein Satz überflüssig

„The Nest“ erzählt diese Geschichte über Blendwerk, über Lebenskompromisse und das Akzeptieren von Wahrheit grandios. Hier ist keine Szene zu viel, kein Satz überflüssig, bis in die kleinsten Rollen ist der Film perfekt besetzt. Jude Law spielt den Aufschneider nicht als Kapitalisten-Karikatur, er hat viele Zwischentöne. Der Film, umflort von jazziger Melancholie von Richard Reed Parry (aus der kanadischen Band Arcade Fire), legt dar, warum er so ist, wie er ist – es gibt eine kurze, überraschende und fantastische Szene mit seiner Mutter in London – Rory ist letztlich ein armes Würstchen, das einen ebenso anrühren wie abstoßen kann. Carrie Coons Figur der Ehefrau ist weit realistischer, sie hat ihren Mann schon mehr oder weniger durchschaut – Carrie Coon hat einige wunderbare Momente, etwa wenn der Ehefrau klar wird, dass der Umzug nach London auf einer Lüge ihres Mannes basiert, oder wenn sie ihn aus Enttäuschung gleich zwei Mal in einem Restaurant demütigt: wenn sie mit großer Geste das Teuerste auf der Karte bestellt, weil er ihr verschwiegen hat, dass das Konto nahezu leer ist; und dann vor Geschäftspartnern, als sie des Gatten pompösen Smalltalk („New York ist im Herbst besonders schön“) nicht mehr erträgt. Man kann es ihr nachempfinden, hat aber zugleich Mitgefühlt mit dem Bloßgestellten.

 

Blender und Pendler: Rory (Jude Law). Foto: Ascot Elite

Die beiden Kinder sind weniger zentrale Figuren, aber auch ihr neues Leben in England und in einem Haus, das ihre Schwierigkeiten atmosphärisch widerzuspiegeln scheint, wird durchdacht und sensibel erzählt. In einer dramatischen Nacht scheinen Familienleben und Ehe zusammenzubrechen, doch der Film gibt seinen Figuren noch eine Chance – in einer wunderbar atmosphärischen Szene, an einem diesigen englischen Morgen.

Erschienen auf DVD und Bluray bei Ascot Elite.
Bonus: Trailer und kurze Interviews.

Die Doku „In Search of the last Action Heroes“

Pralle, gut geölte Muskeln. Weniger pralle, eher schlichte Plots. Knackige Einzeiler von einsilbigen Helden. Und Explosionen, so groß wie die Leinwand. Das war das Rezept von vielen, wenn auch nicht allen Action-Filmen der 80er und 90er Jahre. Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone dominierten diese Herde der Alpha-Stiere, in der sich in den Rangordnungen darunter Kollegen tummelten wie Dolph Lundgren und Steven Seagal, Chuck Norris und Jean-Claude Van Damme, Michael Dudikoff und Jeff Speakman. Dem Actionkino jener Ära widmet nun der Brite Oliver Harper einen mehr als abendfüllenden Film: „In Search of the Last Action Heroes“ spürt fast zweieinhalb Stunden lang dem Genre nach und den Prügelknaben von einst.

Harper ist ein populärer Youtuber, der in sorgfältigen Mini-Filmen die Klassiker des Genres analysiert. Sein nun erster Langfilm, finanziert per Kickstarter, ist eine enorme Fleißarbeit: mit unzähligen Ausschnitten aus Filmen, Trailern und mit Statements von Gesprächspartnern. Gut, dass Harper nicht die üblichen Verdächtigen vor die Kamera holen wollte oder konnte: Kein Lundgren oder Van Damme, kein Stallone oder Schwarzenegger, die man schon öft hat reden gehört, sondern eher Filmschaffende hinter den Kulissen. Oder auch die aus der damals zweiten bis dritten Reihe, die heute entweder vergessen sind oder sich einer gewissen kultischen Verehrung von Actionfreunden erfreuen – etwa Cynthia Rothrock, mit der der Film beginnt und die sich vor allem in den 1980ern durch zahllose Video-Premieren boxte oder kickte. Sie hofft heute noch, gibt sie zu, auf eine Rolle in einem A-Film. Oder da ist der deutsche Actionmann Mathias Hues aus dem Ruhrpott, der sich durch Filme der mittleren und unteren Preisklasse schlug – seine prominenteste Rolle dürfte der böse Außerirdische im Lundgren-Film „Dark Angel“ von 1990 sein. Seine charmante Anekdote: Einst schlich er durch Videotheken in Los Angeles und räumte die Hüllen seiner Filme in den Regalen nach oben und stellte die von Van Damme nach unten.

„Less dialogue – more bodycount“

Wohlig nostalgisch ist dieser Blick zurück, der sich auch um Einordnung bemüht: James Bond als Urvater des modernen Action-Kinos, Steve McQueen als erster Action-Star der 1960er mit „Bullit“, Bruce Lee als Urvater des Kampfkunst-Films, der durch ihn erstmals auch im Westen populär wurde. Und eben die 1980er, in denen, wie Drehbuchautor Shane Black („Predator“) sagt, es ankam auf: „less dialogue – more bodycount“, weniger Dialog, mehr Leichen.

Die Fülle an Ausschnitten ist immens, aber auch problematisch. Das Ganze ist sehr schnell montiert , und die Gesprächspartner sagen oft nur einen oder zwei Sätze, gefolgt vom nächsten actionprallen Aussschnitt, gefolgt vom nächsten Gesprächspartner. Am Ende könnte man da als Zuschauer oder Zuschauerin so erschöpft sein wie ein 80er-Star nach seiner finalen Prügelei. Da werden etwa das „Blaxploitation“-Kino der 1970er mit seinen schwarzen Actionhelden und das stilprägende Hongkong-Actionkino der 1980er in wenigen Augenblicken minimal abgehandelt.

Etwas rastlos

So wird der Film eher zu einer etwas rastlosen Liebeserklärung als zu einer Analyse. Man hätte den Interviewten mehr Raum gewünscht – ob nun Regisseur Paul Verhoeven, der mit Schwarzenegger einst „Total Recall“ drehte, oder Regisseur/Autor Sheldon Lettich, der viel mit Van Damme gearbeitet hat. Oder Mark Goldblatt, der actionversierte Cutter von Genre-Klassikern wie „Terminator“ (1 und 2) und „Phantom-Kommando“. Oder Autor Steven E. De Souza, der mit dem ersten Teil von „Stirb langsam“ einen prägenden und endlos imitierten Actionfilm schrieb. Ihnen allen hätte man gerne länger und am Stück zugehört. Immerhin wird vieles angeschnitten – der Patriotismus der Reagan-Ära etwa, der sich auch in Filmen wie „Rambo II“ niederschlug. Oder das Aufkommen der Computer-Effekte, die aus tatsächlichen Schauspielern saltoschlagende Actionhelden machen konnte (siehe „The Matrix“). Ab da waren vor allem die mimisch begrenzten Muskelmänner in ihrer Existenz bedroht. Oder wie es Mathias Hues sagt: „Da wussten wir, dass wir erledigt sind.“

Erschienen bei Studio Hamburg.
Keine Extras.

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