Über Film und dieses & jenes, von Tobias Keßler

Kategorie: Auf DVD und Blu-ray (Seite 1 von 12)

„Raumpatrouille“ auf Bluray und UHD – was bieten die Extras?

Das Bluray-Mediabook der "Raumpatrouille". Foto: Eurovideo

Das Mediabook der „Raumpatrouille“. Foto: Eurovideo

 

Ach, wie schön: Am 7. Dezember erscheint der deutsche Serienklassiker „Raumpatrouille“ restauriert erstmals auf Bluray und 4K UHD. (Mehr Angaben dazu ganz unten). Die Rezensions-Exemplare sind da – das restaurierte Bild sieht auf Bluray fabelhaft aus, der Unterschied zur antiken DVD ist enorm.

Wie aber sind die Extras? Reichlich, aber überraschend: Denn außer einem Booklet (das ich noch nicht habe und später vorstellen muss) gibt es keine neuen Extras; sondern Bonus-Material, das sich entweder schon auf der alten DVD-Edition der Serie befindet oder fast ausschließlich auf der DVD zum Film „Rücksturz ins Kino!“, die auch schon knapp 20 Jahre auf dem Buckel hat. Merkwürdig, dass man sich bei einer so aufwendigen – und gelungenen  – Restaurierung nicht stärker um neues Begleitmaterial bemüht hat. Warum nicht ein Interview mit Friedrich Georg Beckhaus (alias Atan Shubashi), dem letzten lebenden Darsteller der Besatzung? Beckhaus ist zwar Mitte 90, arbeitet aber immer noch und ist gerade als Synchronsprecher in „Killers of the flower moon“ zu hören. Oder ein Audiokommentar mit einer Filmkennerin, einem Filmkenner? Da wäre mehr drin gewesen – zumal das vielleicht die letzte physische „Raumpatrouille“-Veröffentlichung ist.
Auch überraschend und ärgerlich: Untertitel für Hörgeschädigte gibt es nur beim 2003er Kinozusammenschnitt „Rücksturz zur Erde“ – nicht bei der Serie.

Das Bonus-Material

Wie dem aus sei – das sind die Extras auf der neuen Bluray.

1 Bavaria Spezial (3.28) – ein Auftritt der Besatzung bei einer Bavaria-Feier mit dem Dank von Dietmar Schönherr dafür, dass „die kleine Orion der großen Bavaria zur Unsterblichkeit verhelfen durfte“. Dieser Auftritt findet sich auch auf der alten DVD der Serie.

Die folgenden Extras der Bluray finden sich auch auf der „Rücksturz“-DVD:

2 Musikvideo „Barfuss im Weltall“ (3.34)

3 „United Space Orchestra“ (3.48), ein 1987er Zeichentrickmusikvideo mit der Musik von Peter Thomas.

4 Die Enthüllung des restaurierten Brandenburger Tors 2002 (4.32) mit der Musik von Peter Thomas (und viel Werbung für Vattenfall).

5 Statement von Regisseur Michael Braun von 2003 (1.35) Er erzählt, wie Schönherr als Test einen Text voller technischer Details und „Raumpatrouille“-Slang so sprechen musste, als sei das Alltagssprache. Braun: „Er hat es perfekt serviert.“

6 Statement von Regisseur Theo Mezger von 2003 (2.03), der vier der sieben Folgen inszeniert hat. Er echauffiert sich darüber, dass ein Journalist damals, 1966, aus dem Bügeleisen im Kommandostand so eine große Sache gemacht habe. Die „Genialität“ des Ausstatters Rolf Zehetbauer habe „dieses Männlein“ nicht erkannt: „so ein Kaschper!“.

Mit der Musik von Peter Thomas und der Ausstattung von Rolf Zehetbauer: „Die Schlangengrube und das Pendel“

7 Die Trick-Experten Werner Hierl und Götz Weidner (1.41) erzählen 2003 von den Effekten, vom „Overkill“ mit Kaffeepulver und den Frog-Raumschiffen, die aus Zeitgründen so rudimentär aussähen wie Papierflugzeuge. „Die sind heute ein Lacher“, sagt Wiedner.

8 Statement Margit Bardy von 2003 (1.20). Die Kostümbildnerin erinnert sich daran, dass sie erst einmal die Texte des Drehbuchs nicht verstanden habe. „Macht nichts, Sie müssen nur fühlen“, habe ihr Regisseur Mezger gesagt. 38 Kostüme hat sie dann entworfen und sich gefragt, womit man 1965 schockieren könnte. Die Idee: „Die Knie zeigen. Das war eine Revolution.“ Eva Pflug habe sie schnell überzeugen können, ihr Kostüm zu tragen, „denn sie hatte gute Beine“.

„Die Geschichte einer Wohnwagenstadt“ mit Friedrich Georg Beckhaus

9 Statement Oliver Storz (1.54) von 2003. Der Autor erzählt, wie er keinerlei Interesse an „Raumpatrouille“ hatte, aber von der Bavaria sozusagen gezwungen worden sei: „Lass Dir was einfallen!“ (…) „Das war meine Lehrzeit.“  Über die jetzige „Wiederbegegnung mit meinen Dialogen will ich mich nicht äußern. Ich kann mir nicht mehr vorstelle, dass ich das war.“ (…) „Das war Räuber und Gendarm im Weltall.“

 

10 Statement Peter Thomas (1.12). Der Komponist erinnert sich auf dem Balkon seines Hauses am Luganer See an die Aufnahmen der Musik in fünf Tagen und sein Honorar über 20 000 Mark – „heute wären das 100 000“.

11 Rolf Zehetbauer (2.05). Der Ausstatter erinnert sich daran, dass er eigentlich nie Fernsehen machen wollte, bei der Idee einer Science-Fiction-Reihe aber doch sofort dabei gewesen sei. Nur sei das Budget so niedrig gewesen – „kein Geld“ – dass er kaum etwas habe entwerfen oder bauen lassen. Er musste unter anderem auf Sanitär-Innenausstattung zurückgreifen. „Über Nacht haben wir aus Plastikschalen neue Dekorationen gebaut“ – während Stanley Kubrick gerade mit großem Aufwand an „2001“ werkelte. „Wir armen Fernsehschweine.“

DVD „Tragödie in einer Wohnwagenstadt“ mit Friedrich Georg Beckhaus

12 Elke Heidenreich (0.44). Eine Leseprobe für „Rücksturz zur Erde“, bei der sie sich bei der Formulierung „Regierung der Welt“ das Lachen nicht verkneifen kann.

13 Englischer Kinotrailer (3.11). Ein ziemlich ironischer Trailer in englischer Sprache für „Rücksturz zur Erde“.

 

14 Deutscher Trailer (1.45) für „Rücksturz zur Erde“.

15 Musikvideo „Warp back to earth“ (3.58)

16 Premieren-Momentaufnahmen (6.08) von der „Rücksturz“-Kinopremiere Juli 2003 in München und Berlin.

Die Geschichte der „Hammer“-Filme

17 Szene (0.56) aus der letzten Episode in ungarischer Synchronfassung.

18 Szene (1.13) in italienischer Synchronfassung, wobei die Stimme von Eva Pflug extrem gut passt.

19 Eine fürs französische Fernsehen gedrehte Szene (2.09) mit Charlotte Kerr und dem französischen Darsteller Jacques Riberolles. Fürs französische Fernsehen wurde Kerr dann synchronisiert, für die deutsche Fassung trat Gerhardt Jentsch vor die Kamera.

Welches Bonus-Material wäre vorhanden gewesen, wurde aber nicht übernommen?

Das Spiel „Frog Invaders“, das man mit der Fernbedienung spielen  kann (und das nach 30 Sekunden langweilig wird), zu finden auf der alten Serien-DVD, ist nicht auf der Bluray – das ist absolut zu verschmerzen. Schade aber ist, dass ein Bonus der „Rücksturz“-DVD nicht übernommen wurde: die 70 Trick-Dias und Skizzen aus dem Archiv von Effekt-Mann Werner Hierl – da sieht man Raumschiffmodelle, Planetenlandschaften und künstliche Sternenhimmel.

 

„Raumpatrouille“ erscheint bei Eurovideo am 7. Dezember in diesen Versionen:

Bluray Mediabook: Ton: Deutsch Dolby Atmos (Serie); Deutsch DTS-HD MA 5.1 (Kinofilm). Audiodeskription (Kinofilm). Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte (Kinofilm). Bildformat: HD 1080i/25 (1,33:1 Pillarbox)

4K UHD Mediabook: Ton: Deutsch Dolby Atmos (Serie); Deutsch DTS-HD MA 5.1 (Kinofilm), Audiodeskription (Kinofilm). Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte (Kinofilm). Bildformat: UHD 2160p/25 (1,33:1 Pillarbox)

DVD: Tonformat: Deutsch Dolby Digital 5.1, Audiodeskription (Kinofilm). Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte (Kinofilm). Bildformat: 4:3 Vollbild (1,33:1)

 

„Raumpatrouille“-Seiten:

Raumpatrouille Orion | Facebook

https://www.orionspace.de

Raumpatrouille Orion Wiki | Fandom

 

 

„Sador – Herrscher im Weltraum“ – wie Roger Corman sich seinen „Krieg der Sterne“ bastelte

Die Heimkino-Ausgabe von "Sador - Herrscher im Weltraum".

Die Heimkino-Ausgabe von „Sador – Herrscher im Weltraum“.

 

Dank „Krieg der Sterne“ sausten Ende der 1970er viele Filme ins Weltall. Auch der begnadete Produzent Roger Corman mischte mit – mit seinem Händchen für Talente und niedrige Kosten. Sein Film „Sador – Herrscher im Weltraum“ ist jetzt wieder zu sehen – im Heimkino.

Hauptsache Weltraum! Am 25. Mai 1977 startet ein mittelgroßer Film namens „Krieg der Sterne“ in den US-Kinos, im Februar 1978 dann in Westdeutschland (in der DDR nie). Der Erfolg der Sternensaga mit kilometerlangen Raumschiffen, surrenden Lichtschwertern und einem röchelnden Bösewicht mit Helm in Wehrmachts-Optik, ist galaktisch. Flugs sausen viele Kinoproduzenten ins All: Die Besatzung von „Raumschiff Enterprise“ aus dem Fernsehen findet sich via „Star Trek – Der Film“ erstmals im Kino wieder; James Bond tauscht in „Moonraker“ den Smoking gegen einen Raumanzug. Kurz im Kino, länger dann im Fernsehen rauschen „Kampfstern Galactica“ und „Buck Rogers“ umher. Auch „Flash Gordon“ als kunterbunte Genre-Parodie. Für pubertäre Jungs mit einem Faible für Raumschiffe und galaktische Prinzessinnen ist dies eine gloriose Zeit.​

David Hasselhoff im All​

Auch jenseits Hollywoods will man dabei sein. In Japan bricht „Der große Krieg der Planeten“ aus; aus Italien, wo man gerne internationale Trends bedient (ob Sandalen-, Zombie- oder Söldnerfilm), kommt „Star Crash“: ein sympathisches Wunderwerk der antiquierten Spezialeffekte und überenthusiastischen Mimen – inklusive David Hasselhoff, der später im Fernsehen mit seinem Auto spricht und dann mit seinem geschmetterten „Looking for Freedom“ die Mauer zwischen DDR und BRD bröseln lässt.​

Trash-Klassiker „Turkish Star Wars“​

Ein Höhepunkt der Kunst des filmischen Abzockens: In der Türkei setzt man den Star Cüneyt Arkin mit einem Moped-Helm vor eine Leinwand, auf der mittels einer „ausgeborgten“ Filmkopie Szenen aus „Krieg der Sterne“ flimmern – der holprige Film findet unter dem inoffiziellen Titel „Turkish Star Wars“ viele Anhänger. Im All über der Türkei scheint das Urheberrecht so flüchtig zu sein wie Meteoritenstaub.​

Sybil Danning als Weltraumwalküre Saint-Exmin im Film "Sador - Herrscher im Weltraum".

Galaktisches Kostümgestaltung in „Sador“: Sybil Danning als Weltraumwalküre Saint-Exmin. Foto: Plaion​

In diesem Reigen der Imitate und Plagiate darf ein Mann nicht fehlen: US-Produzent Roger Corman, heute 97 Jahre alt. Seit Mitte der 1950er produziert er knallige Filme, im Auge stets Publikumstrends, Zeitgeist und niedrige Kosten. Viel flott Heruntergekurbeltes ist dabei, für den schnellen Konsum in Autokinos etwa, mit Titeln wie „Aufruhr im Mädchenwohnheim“ oder „Teenage Caveman“. Aber immer wieder schillern auch Perlen: nicht zuletzt seine bunten, wunderbar barocken Edgar-Allan-Poe-Adaptionen, meist mit Vincent Price. Oder sein Rockerfilm „Die wilden Engel“, der „Easy Rider“ von 1969 um drei Jahre voraus ist.

„Auslöschung“ von Alexa Garland auf Bluray 

Cormans vielleicht größtes Talent: sein Blick für bisher unentdeckte Talente. Die dürfen bei ihm filmen, wenn sie das Kommerzielle nicht aus dem Blick lassen und mit kleinen Gagen zufrieden sind. Etwa die späteren Großmeister Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, auch Jonathan Demme (später für sein „Schweigen der Lämmer“ berühmt) oder Joe Dante („Gremlins“); der dreht bei Talentschmied Corman im Kielwasser des „Weißen Hai“ seinen originellen Gruselfilm „Piranhas“ – kürzlich noch einmal im Saarbrücker Kino Achteinhalb zu sehen.​

Hommage an „Die glorreichen Sieben“​

Um sich nun an „Star Wars“ zu hängen, kauft Corman 1979 eine altes Holzfabrik, knaubt es zum Studio um und produziert für um die zwei Millionen Dollar (viel für Corman, wenig für ein Raumschlachten-Epos) den Film „Battle beyond the stars“. Der trägt bei uns den weniger epischen Titel „Sador – Herrscher im Weltraum“ und ist jetzt in einer mustergültigen Heimkino-Edition zu haben. Im Film bedroht ein Finsterling ein friedliches Volk auf dem Planeten Akir, dessen Name ziemlich schlüssig ist: Denn der Film ist eine Hommage an Akira Kurosawas Film „Die sieben Samurai“ (1954) und an jenen Western, der vor dem japanischen Original seinen (Cowboy-)Hut zog: „Die glorreichen Sieben“ von 1960, inszeniert von John Sturges.​

 

Robert Vaughn im Film "Sador - Herrscher im Weltraum".

Robert Vaughn, einst in „Die glorreichen Sieben“ zu sehen, einer Inspiration für „Sador“, als Söldner/Killer namens Gelt. Zwölf Jahre nach „Sador“ drehte er übrigens  einen „Tatort“ in Saarbrücken.​ Foto: Plaion

 

„Amazonen auf dem Mond“ auf Bluray

Bösewicht Sador will sich den Planeten unterwerfen – mit einer Waffe namens „Stellarkonverter“, was nicht ganz so bedrohlich klingt wie der „Todesstern“ bei „Star Wars“.  Und so macht sich der junge Shad (Richard Thomas, „John-Boy“ aus der TV-Serie „Die Waltons“) auf ins All, Hilfe zu holen. Zurück kommt er mit einer illustren Kleingruppe, die sich dem Diktator in den Weg stellt: darunter ein Weltraumcowboy (George Peppard), ein Echsenwesen, ein Quintett von Telepathen, eine blonde Walküre im knappen Textil (Sybil Danning) und ein Söldner auf der Flucht; den stellt, ziemlich stoisch, sinnigerweise Robert Vaughn dar, der bei den „Glorreichen Sieben“ mitschoss – und übrigens zwölf Jahre nach „Sador“ in Saarbrücken bei einem „Tatort“ mitspielte.​

Als „Avatar“ für James Cameron noch weit weg war​

Dass die Heldenreise dieser bunten Truppe zu einem guten Ende führt (wenn auch nicht für alle), überrascht nicht. Originell ist aber, wie dieser Film mit bunten Ideen und viel Talent gegen sein schmales Budget angeht, dank Cormans Auge für Begabung: Das witzige Drehbuch schrieb John Sayles, später Star-Autor/Regisseur des US-Independent-Kinos („Lone Star“); die wuchtige Musik komponierte ein damals junger Unbekannter namens James Horner, der später „Titanic“ und „Avatar“ untermalte – beides inszeniert von einem Mann, der bei „Sador“ noch kleinere Brötchen backte, als Designer und Bauer der Raumschiffe: James Cameron. Die Assistentin von Produzent Corman war damals Gale Anne Hurd. Sie und Cameron schrieben später zusammen „Terminator“, sie produzierte Camerons „Aliens“ und „Abyss“, ein paar Jahre miteinander verheiratet waren sie auch. Hollywood, so scheint es, ist ein Dorf.​ Regisseur Jimmy Murakami drehte nach „Sador“ keine Realfilme mehr, aber immerhin den Trickfilmklassiker „Wenn der Wind weht“.

Der Weltraumcowboy (George Peppard) und Shad (Richard Thomas), der Unterstützung für seinen bedrohten Planeten Akir sucht. Foto: Plaion

 

Wer sich in die Entstehungsgeschichte des Films versenken will, kann dies mit dem Bonusmaterial ausreichend tun: mit einem exzellenten Booklet von Stefan Jung über die Hintergründe der Dreharbeiten; mit einem aktuellen Interview mit dem scheinbar alterslosen Richard Thomas, der gerne zugibt, dass er es nie zum Filmstar gebracht hat; mit einem halbstündigen Rückblick auf die Dreharbeiten; und mit zwei Audiokommentaren – von Gale Anne Hurd und, sehr vergnüglich, vom Duo Sayles/Corman. Letzterer erzählt mit einigem Produzentenstolz, dass er die Weltraum-Effekte von „Sador“ in einem halben Dutzend späterer seiner Filme untergebracht hat. Gewusst wie – bezahlt waren die ja schon.​

Die Extras im Einzelnen:

1. Exzellentes Booklet von Stefan Jung, „Corman greift nach den Sternen“.
2. Audiokommentar mit Roger Corman und John Sayles
3. Audiokommentar mit Gale Ann Hurd
4. Rückblick „Space Opera on a shoestring“ (33 Minuten)
5. Interview mit Richard Thomas (15 Minuten)
6. US-Trailer (zweieinhalb Minuten)
7. Radiospot (eine halbe Minute)
8. Bildergalerie mit 127 Motiven – Plakate, Pressefotos, deutscher Werberatschlag.

Erschienen bei Plaion.

„Piranha – Der Fluss des Todes“: Für Trash-Liebhaber mit Geduld

Das nennt man wohl „truth in advertising“: Der Text auf der DVD-Hülle verkündet den gesamten Inhalt des Films, Todesfälle und Ergebnis des Finales inklusive, und nennt Darsteller William Smith den „einzig namhaften Schauspieler“ im Film. Dafür gibt es Sympathiepunkte. Der Film selbst hat es da etwas schwerer. „Piranha“ist eine C-Film-Billiggurke von 1972 um ein US-Trio, das sich in Venezuela umschaut, um Fotos zu machen und Diamantenminen zu besuchen. Im Dschungel begegnen sie einem Jäger namens Cariba (Smith) und ahnen deutlich später als der Zuschauer, dass diese Bekanntschaft seine Tücken hat.

„Flash Gordon“, die galaktische Kitschtorte

Der Film (prägnantester Satz: „Bier ist doch das beste Gesöff“) schindet bisweilen spürbar Zeit, um auf abendfüllende Länge zu kommen. Da wird eine simple Fahrt durch die Stadt zum Staatsakt. Und bei jedem Blick in Richtung Dschungel hagelt es „stock footage“-Tieraufahmen. Zugleich hat der Film dann doch seine Momente: Ein Motorradrennen durch die Natur ist überraschend rasant, mit schrägen Kameraperspektiven. Aber insgesamt muss man schon Geduld oder tiefe Trash-Liebe mitbringen. Als Extra gibt es die sieben Minuten längere US-Fassung in bescheidenster Qualität – dort ist das Finale (ohne Piranhas übrigens) nicht so abrupt und spürbar geschnitten wie in der deutschen Version.

Erschienen auf DVD bei Inter-Pathé (83/91 Min).

Gemütliche Routine: „Der goldene Schlüssel“ auf DVD

 

In den 1960ern war Frederick Stafford (1928-1979) so etwas wie ein Euro-Actionstar – durch flotte „OSS“-Agentenfilme im Bond-Windschatten und andere Abenteuerstreifen, gerne in europäischer Ko-Produktion. Karrierehöhepunkt war sein Auftritt in Hitchcocks 1969er „Topas“, für den Regisseur eher ein Tiefpunkt. „Der goldene Schlüssel“ von 1967, jetzt erstmals auf DVD, ist grundsolide B-Ware aus Frankreich. Stafford und ein Knastkollege fliehen aus dem Gefängnis – doch bei der Flucht werden sie von alten Bekannten des Freundes verschleppt: Nazis, mit denen der französische Freund während des Krieges kollaborierte und die wissen, dass er als Pilot einst Millionen gefälschter Dollars in Marokko versteckt hat. An denen haben sie ein gesteigertes Interesse – und Staffords Figur ist nicht ganz das, was sie vorgibt.

Schöner Schund: Ein Film über die legendäre Firma „Cannon“

Flott geht es los, schon nach zwei Minuten wird eine Knastschlägerei geboten. Peter van Eyck gibt einen charmant-öligen Nazi, und Kameramann Raymond Pierre Lemoigne (einige de-Funès-Filme) kleidet ebenso die tristen Knastkulissen wie das sonnige Marokko in gute Bilder. Aber die erste Hälfte mit Gefängnis, Flucht und Intrigen ist stärker als der finale Part in Nordafrika. Insgesamt schnurrt der Film aber angenehm flott durch. Und an einem guten Bild im Scope-Format kann man sich auch erfreuen.

Auf DVD bei Pidax erschienen.

„Frank Riva“ mit Alain Delon – ein halber Delon ist besser als gar keiner

Kino-Legenden sterben nicht – sie gehen mitunter zum Fernsehen. Nicht jede, aber unter anderem Alain Delon. Dessen ganze große Kino-Zeit endete in den 1970ern, auch durch den Tod filmischer Vaterfiguren wie Jean-Pierre Melville und Luchino Visconti. In den 1980ern hielten ihn vor allem Krimis  am Leben, in den 1990ern verwässerte die Karriere weiter. Nach seiner ersten TV-Serie „Fabio Montale“ von 2001 drehte er 2003/04 „Frank Riva“: sechs abendfüllende Teile, ganz zugeschnitten auf Delon. Er spielt einen Kommissar, der 25 Jahre nach seinem scheinbaren Tod in Paris auftaucht; sein Bruder wurde ermordet, Riva ermittelt nun wieder in dem Milieu der Drogenmafia, die ihn einst zum Untertauchen zwang.

Plot und TV-Optik reißen keine Bäume aus, dennoch hält Delon, damals Ende 60, das Ganze mit seiner Präsenz zusammen – und mit der Filmhistorie, die er mit sich herumträgt. Da wandelt eben nicht nur Frank Riva durch die Unterwelt, sondern auch der Mythos Delon. Älter und grauer als einst, aber doch sehenswert wie immer als harter Hund, den eine gewisse Melancholie umflort. Schade allerdings: Pidax veröffentlicht nur die erste Staffel mit drei Folgen, die drei weiteren hat das koproduzierende ZDF weder ausgestrahlt noch synchronisiert. Wer alles sehen will, muss zum Import greifen.

Erschienen bei Pidax.

PS Das hatte Regisseur Volker Schlöndorff bei seinem Besuch im Kino Achteinhalb über seine Zusammenarbeit mit Alain Delon zu erzählen.

„Flash Gordon“, die filmische Kitsch-Torte

Flash Gordon

Der Gute und der Böse: Sam Jones (links) als Flash und Max von Sydow als Ming.     Foto: Studiocanal

„Niemand lacht über meinen Flash Gordon!“ Das soll Produzent Dino De Laurentiis gebrüllt haben, als sich das Team seines Films bei den Dreharbeiten zu „Flash Gordon“ die frisch gedrehten Szenen anschaute – und immer wieder kicherte. So sehr, dass Regisseur Mike Hodges Kicher-Verbot erteilte, sollte Dino furioso in der Nähe sein. Hodges sah das ganze Unternehmen als knallige Science-Fiction-Komödie, De Laurentiis als großen ernsten SF-Abenteuerfilm. Getroffen haben sie sich filmisch in der Mitte, gelungen ist ihnen ein Werk, bei dem alles stimmt, obwohl nichts zusammenzupassen scheint. „Flash Gordon“, jener knallbunte Film von 1980,

Ein wackerer blonder Erdling

Ein Blick zurück ans Ende der 1970er Jahre. Der italienische Hollywood-Produzent De Laurentiis, der zuvor den Riesenaffen „King Kong“ filmisch wiederbelebt hat (volle Kassen, entsetzte Kritiker), besitzt die Rechte an den „Flash Gordon“-Comics von Alex Raymond, die in den 1930ern schon mal verfilmt wurden – und 1974 mit einem charmant getricksten Softporno namens „Flesh Gordon“ parodiert und erotisiert wurden. Um einen wackeren blonden Erdling geht es in den Comics, der auf dem fernen Planeten Mongo einem asiatisch wirkenden Bösewicht namens Ming zeigt, wo der Hammer der freien Welt hängt, da der Finsterling a) von seinem Glitzerpalast aus den Planeten Erde bedroht und b) die Freundin des Helden in seinem geräumigen Harem unterbringen will.

 

Flash Gordon

In Mings Folterkammer: Sam Jones als Flash Gordon, Melody Anderson als Dale Arden.  Foto: Studiocanal

Im Science-Fiction-Boom nach dem ersten „Krieg der Sterne“ von 1977 bekommt Di Laurentiis ein potentes Budget von 25 Millionen Dollar zusammen (damals viel Geld für einen Film) und beginnt die Vorproduktion mit einem ungewöhnlichen Filmemacher: Nicolas Roeg, Regisseur von „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ und „Der Mann, der vom Himmel fiel“, kein Mann des Kino-Mainstreams.

Roegs „große Plazenta“

Zuvor hatte der Produzent auch Sergio Leone und Federico Fellini im Sinn, deren Interesse sich aber in Grenzen hielt. Roeg nun schwebt eine bewusstseinserweiternde Weltall-Odyssee vor, ein psychedelischer Trip; spätestens bei seiner Beschreibung eines Raumschiff-Designs als „große Plazenta“, wird klar, dass er und Di Laurentiis in unterschiedlichen Galaxien leben.

Schöner Schund: Die Geschichte der Cannon-Studios

Abgang Roeg, Auftritt Hodges, den der Produzent unter anderem deshalb engagiert, wie er sagt, „weil er ein ehrliches Gesicht hat“. Dessen bekanntester Film ist bis dahin der eisige Nordengland-Krimi „Get Carter“ von 1971 mit Michael Caine. Hodges macht sich an die Arbeit, mit einer Besetzung zwischen Legende und Laie: Der Schwede Max von Sydow, bekannt für tränenschwere Ingmar-Bergman-Filme, spielt den bösen Ming mit großer Geste und schwerer Robe, während Di Laurentiis für die Heldenrolle einen nahezu Unbekannten verpflichtet – Sam Jones, der in einer US-Datingshow vor allem durch gutes Aussehen aufgefallen ist.

 

Flash Gordon

Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, auch wenn es nicht so aussieht: Prinz Barin (Timothy Dalton, links) und Flash Gordon (Sam Jones).  Foto: Studiocanal

 

Die Wahl zahlt sich erstmal aus: Der mimisch unerfahrene Jones verströmt genau jene unschuldige und naive Aura, die dem Regisseur vorschwebt. Timothy Dalton, sieben Jahre später James Bond, spielt einen heroischen Prinzen mit Errol-Flynn-Schnurrbart; Brian Blessed mimt den Anführer der mit Flügeln ausgestatteten Falkenmänner und frönt lustvoll dem Over-Acting. Wenn er lacht, sieht man 80 Zähne und Blesseds Mandeln; jeden Dialogsatz („Gordon’s aliiiiiive?“) deklamiert er oberhalb der Zimmerlautstärke.

„Raumpatrouille“ neu auf Bluray und UHD

Derweil schleicht Ornella Muti als libidonös hyperaktive Königstochter durch die wundersamen Dekorationen von John Graysmark: mal verkitschte Art déco, mal technoide Futuristik, während die Kostüme von Danilo Donati in Rot erstrahlen und so golden glitzern, dass man zur Augenschonung manchmal nach einer Sonnenbrille greifen möchte.

Sam Jones fliegt in die Ferien – und kommt nicht wieder

Während der Dreharbeiten im winterlichen London, wo besonders die Darsteller der Falkenmänner im Lendenschurz vor sich hin frieren, gehen die Diskussionen zwischen Produzent und Regisseur munter weiter, doch beide haben ein noch größeres Problem: Hauptdarsteller Jones fliegt in die Weihnachtsferien in die USA – und kommt nicht wieder. Denn seine Agenten machen ihn darauf aufmerksam, dass seine Wochengagen nicht ganz regelmäßig eintreffen; Di Laurentiis tobt, lässt sich aber nicht entmutigen – das meiste Pensum hatte Jones ohnehin schon abgedreht. Und für die Nachsynchronisation, nötig bei Szenen mit hohem Geräuschpegel, engagiert er einfach einen anderen Schauspieler als Sprecher. Problem gelöst.

 

Flash Gordon

John Graysmark entwarf die Bauten des Films, Danilo Donati die Kostüme.   Foto: Studiocanal

Die Erwartungen beim Filmstart sind hoch. Doch während „Flash Gordon“ in Europa gut läuft, sind die Kinos des wichtigen US-Markts kaum gefüllt. Das war‘s – auch für die Fortsetzungen, die Di Laurentiis schon im Hinterkopf hatte.

„Sador – Herrscher im Weltraum“ als Heimkino-Edition

Sieht man den Film heute, wirkt er nicht wie einer der vielen „Krieg der Sterne“-Imitationen von damals, sondern fast wie ein Anti-„Star Wars“. Während George Lucas seine märchenhafte, aus allerlei Mythen zusammengesetzte Handlung optisch vergleichsweise realistisch und mit biblischem Ernst („Möge die Macht mit Dir sein“) erzählt, schwelgt „Flash Gordon“ im parodistischen Kitsch, badet in Farben, lässt Funken sprühen, Sümpfe blubbern – und die britische Band Queen herzhaft musizieren. Deren bombastisch Filmmusik („Fläsch – aaahaaaaaaaa!“) passt wunderbar in den Kontext, vor allem zu einer Attacke flatternder Falkenmänner auf ein Fluggefährt, bei der sich Dröhngitarre, Donnerschlagzeug und die Action im Spielzeugland zu einem poppigen Gesamtkunstwerk vereinen. Vielleicht war es ein Segen, dass der Film keine Fortsetzungen nach sich zog – solche Glücksfälle lassen sich nicht wiederholen.

Bluray und UHD in verschiedenen Versionen bei Studiocanal.

 

Flash Gordon

Antikes Stück: der Trailer des Films auf Super 8.    Foto: Piccolo Film

„Polizeiaktion Dynamit“ von Gilles Grangier

 

An dieser bösartigen Suspense-Idee hätte auch Hitchcock seine finstere Freude gehabt, etwas Ähnliches hatte er 1936 in „Sabotage“ durchgespielt: Pariser Jungs laufen mit einem Fußball voller Dynamit durch die Stadt, ohne zu ahnen, dass ihr Spielzeug eine Bombe ist. Die Polizei weiß Bescheid – aber Paris ist groß. „Polizeiaktion Dynamit“, so der etwas reißerische deutsche Titel (der Originaltitel bedeutet eher „Missglückte Übergabe“) ist ein kleiner feiner Krimi von 1957 mit exzellenter Besetzung: Serge Reggiani spielt einen Drogenkurier, der aus dem Geschäft aussteigen will, Jeanne Moreau seine Freundin, und Gert Fröbe gibt, sieben Jahre vor „Goldfinger“, den Chef der Drogenbande. Im französischen Original heißt er Hans und flucht schon mal ein herzhaftes „Himmelherrgott!“, in der Synchro heißt er dagegen Jean.

Regisseur Gilles Grangier erzählt die Ermittlungsarbeit schnörkellos, während die Kommunikationstechnik wundersam antik wirkt: mit meterlangen Karteikästen und Polizisten, die stets Kleingeld und Telefonzellen für Anrufe ins Präsidium brauchen. Das Finale mit Bandenrazzia und Fußballfund bietet Action und Spannung, das Bild des 2021 restaurierten Films ist exzellent – und es gibt untertitelte Passagen, die einst im deutschen Kino nicht zu sehen waren.

Auf DVD erschienen bei Pidax.

„Das malvenfarbene Taxi“ von Yves Boisset

Verlorene Seelen an der irischen See: Gepflegte Melancholie zieht sich durch Yves Boissets 1977er-Film, in dem jede Figur ihre Abgründe hat – und ihre Gründe, sich hierher verkrochen zu haben. Da ist ein Pariser Schriftsteller, anscheinend in der Midlife-Krise. Ihn verbindet eine stille Männerfreundschaft mit einem jungen Amerikaner, anscheinend auf der Flucht vor seiner Familie. Ein extrovertierter Exilrusse mit scheinbar verstummter Tochter ist auch mit von der Partie.


Sie leben von einem auf den anderen Tag, man jagt und trinkt – und trauert irgendwie, jeder mit eigenem Motiv. In diese Runde der angeschlagenen Mannsbilder bringt eine Frau ziemliche Unruhe: die adelige Schwester des Amerikaners, die sich dem Personal ihres Hotels mit einem grandiosen Arroganz-Auftritt vorstellt, dem Pariser Schriftsteller mit einem ebenso grandiosen Oben-Ohne-Auftritt. Charlotte Rampling spielt die Prinzessin mit unnahbarer Unberechenbarkeit; auch sonst kann sich Boisset auf seine Darsteller verlassen, vor allem Philippe Noiret als Autor und Peter Ustinov als Exilrusse. Bittersüß ist dieser Film, in dem sich einige Lebenslügen entfalten. Der Off-Kommentar des Schriftstellers mag etwas prätentiös klingen, aber ansonsten hat dieses langsam vor sich hin köchelnde Drama einigen Reiz.

DVD von Pidax.

„In der Nacht des 12.“ von Dominik Moll

In der Nacht des 12. Dominik Moll

Die Ermittlungen bringen sie an ihre Grenzen: Yohan (Bastien Bouillon, links) und Marceau (Bouli Lanners).​ Foto: Ascot Elite

 

Ein Krimi im klassischen Sinne ist „In der Nacht des 12.“ nicht. Um Mitfiebern und -raten geht es nicht, das macht der Film schon anfangs in einer Texteinblendung klar: Jedes Jahr ermittele die französische Polizei in mehr als 800 Mordfällen, heißt es da. „Fast 20 Prozent davon bleiben ungelöst – dieser Film erzählt von einem dieser Fälle.“ Doch der Fall ist eben nur eine Seite. Es geht auch um die Ermittler, um die Gewalt, die sie im Beruf erleben, und wie sie damit umzugehen versuchen.​

Die brennende Frau

Eine junge Frau in einem Örtchen im Schatten der Alpen geht nachts von einer Party nach Hause, schickt noch eine Handybotschaft an ihre beste Freundin, bis ihr ein Vermummter entgegentritt. Er spricht sie an, übergießt sie mit Benzin, zündet sie an – die junge Frau rennt noch ein paar Meter, bricht zusammen, verbrennt. Eine Szene wie ein Schock, aber anders inszeniert als in anderen Krimis: Die entrückte, melancholische, chorale Musik zu den (wenigen) Bildern der brennenden Frau legt sich wie ein Schleier über diese Momente – bevor der Film nach einem harten Schnitt das Gesicht des Polizisten Yohan (Sebastien Bouillon) in Nahaufnahme zeigt: Er hat in einem Büro in Grenoble die Nachfolge des Abteilungsleiters angetreten; der Tod der jungen Frau wird zu seinem ersten Fall in Leitungsposition.​

Drehbuch nach einem Jahr Recherche

Der deutsch-französische Regisseur/Autor Dominik Moll („Die Verschwundene“) und sein regelmäßiger Autorenpartner Gilles Marchand haben sich in ihrem Skript an dem Buch „Ein Jahr bei der Kripo“ von Pauline Guéna orientiert – sie hatte 12 Monate lang polizeiliche Ermittlungen in Versailles beobachtet; Moll und Marchand nutzen die enorme Detailfülle des Buchs und die These, dass jeder Ermittler, jede Ermittlerin irgendwann einem Fall begegne, der sie besonders schmerzt und möglicherweise nicht mehr loslässt.​

In der Nacht des 12. Ascot Elite

Regisseur und Ko-Autor Dominik Moll.    Foto: Ascot Elite

Yohan und sein Team beginnen ihre Ermittlungen, die der Film in all ihrer Büro-Banalität zeigt, ob bei Diskussionen um Überstunden oder Smalltalk in der Kaffeepause, und in all ihrer Grausamkeit: Die Szene, in der Yohan und ein Kollege den Eltern von Clara die Todesmitteilung überbringen müssen, ist erschütternd und wirkt noch dadurch schmerzhafter, dass Regisseur Moll sie ganz schnörkelfrei inszeniert – ohne Musik, ohne Nahaufnahmen, in aller Ruhe und aller Tragik. Yohan hat da seinen ersten „Aussetzer“, wie er sagt; er fühlt sich, „als wäre ich tot“.​

Kritik zu „Pacifiction“ mit Benoit Magimel

Die Ermittlungen fördern viel menschliche Trostlosigkeit zutage. Die Männer, mit denen Clara sexuelle Beziehungen hatte, reagieren gleichmütig bis bizarr auf die Nachricht vom Mord. Einer zuckt hilflos die Achseln, ein anderer muss beim Verhör unvermittelt lachen, denn er „hat gerade an etwas anderes gedacht“. Ein Ex-Freund hat, nachdem Clara kein Interesse mehr an ihm hatte, einen Rap-Song veröffentlicht, in dem er „der Schlampe“ droht, „sie abzufackeln“. So wörtlich will er das gar nicht gemeint haben, „ich bin ja gegen Gewalt“, das „sind doch nur Worte“. Ein weiterer Ex-Liebhaber ist ein verurteilter Frauenschläger, dessen aktuelle Freundin es toleriert, dass ihr Freund nebenbei Clara „hart gefickt hat“, wie er sagt, und die Freundin gerne „Schlampe“ nennt.​

Männerwelt

Alibis haben alle Männer, und Yohan leidet zunehmend – ebenso am Stocken der Ermittlungen wie an der Gefühllosigkeit der Befragten und Verdächtigen. Zugleich muss er sich von einer Freundin Claras in einer der stärksten Dialogszenen vorwerfen lassen, dass bei den Fragen des durchweg männlichen Ermittlerteams die Idee mitschwinge, dass Clara durch ihr Sexualleben mit mehreren (und menschlich unangenehmen) Männern eine gewisse Mitschuld an ihrem Tod trage. Auch später gibt es einen prägnanten Dialog mit einer Polizei-Kollegin über Gewalt und eine Welt, in der meistens Männer morden und meistens Männer diese Morde aufklären.​

Kritik zu „Wild wie das Meer“ mit Cécile de France

Dies alles erzählt Regisseur Moll in aller Ruhe: ohne dramaturgisch aufgedonnerte Hektik, in langsamem Rhythmus, mit einer klaren Bildsprache, mit schnörkelfreien Dialogen. Hier zählt jedes Wort, sogar beim Kaffeeküchen-Gespräch im Büro. Das mag äußerlich schlicht wirken – eine Kritik wirft dem Film ungerechterweise eine Fernseh-Machart vor – aber im Inneren der Figuren brodelt es.​

Überrascher Zeitsprung

Yohan und sein älterer Kollege Marceau (Bouli Lanners) gehen unterschiedlich mit ihren Gefühlen um – der Jüngere dreht immer verbissener seine Runden auf einer nächtlichen Radrennbahn (symbolisch im Kreis), Marceau hat seine Nerven nicht mehr im Griff, lässt seine Frustration an dem Schläger aus – und muss die Abteilung verlassen. Nach einem überraschenden Zeitsprung von drei Jahren gehen die Ermittlungen wieder weiter. Jetzt mit einer Lösung?​

Dieser exzellent gespielte Krimi lädt zu einem Vergleich mit dem Kinofilm „Die Purpurnen Flüsse“ ein, sie gäben ein interessantes Doppelprogramm ab – ebenfalls ein französischer Film mit einem älteren und einem jüngeren Mord-Ermittler, vor der Kulisse der französischen Alpen. Doch während bei den „Purpurnen Flüssen“ die Alpenkulisse mit Drohnenflügen zelebriert wird und das Polizistenduo mit großer Geste ermittelt, sind bei „In der Nacht des 12.“ die Berggipfel in der fast dokumentarischen Bildgestaltung ziemlich weit weg, und die Ermittler wirken immer müder und zugleich rastloser. Das Leben kann brutal sein, legt der Film nahe, und jeder beziehungsweise jede muss den Weg finden, damit zurecht zu kommen.​

DVD und Bluray bei Ascot Elite.

« Ältere Beiträge

© 2023 KINOBLOG

Theme von Anders NorénHoch ↑