Über Film und dieses & jenes

Monat: August 2022

„Day Shift“ von J.J. Perry

Jamie Foxx als Vampirjäger mit dem schönen Namens Bud Jablonski.  Foto: Parrish Lewis/Netflix

So kann Gentrifizierung auch aussehen: In Los Angeles nisten sich immer mehr Vampire in Immobilien ein, ganze Viertel drohen, Blutsauger-Quartiere zu werden. Zumindest die Stadtverwaltung weiß das und schickt deshalb im Geheimen Vampirjäger los. Das ist der Plot der Netflix-Produktion „Day Shift“, die der Streaming-Dienst wohl gerne zur Reihe ausbauen will, geht man vom Ende mit Potenzial für Fortsetzungen aus. Die sollten dann aber nicht so durchschnittlich sein wie diese leidlich unterhaltsame Kreuzung aus Buddy-Komödie und Horrorfilm, die dabei weder allzu witzig noch besonders gruselig ist.

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Jamie Foxx, Oscarpreisträger 2005 für die Titelrolle der Ray-Charles-Biografie „Ray“, spielt Bud Jablonski, einen Vampirjäger, der sich als Poolreiniger tarnt. Das Geschäft läuft mäßig, denn einst flog er wegen zu wenig Disziplin aus der Vampirjäger-Gewerkschaft und arbeitet jetzt inoffiziell, bei schlechterer Bezahlung. Das Privatleben ist kein Trost, denn seine von ihm getrennt lebende Frau will mit der gemeinsamen Tochter ins anscheinend günstigere Florida ziehen – es sei denn, Bud treibt in fünf Tagen die 10 000 Dollar Unterhalt für Schulgeld und Zahnspange der Tochter auf, die er ihr schuldet. Doch dafür muss Jablonski wieder in die Gewerkschaft; die aber stellt ihm als Aufpasser den jungen Seth (Dave Franco) an die Seite, einen exakt gescheitelten Anzugträger, der sich bestens in Verwaltungsvorschriften auskennt, aber noch nie einen Vampir aus der Nähe gesehen hat.

Stuntveteran J. J. Perry

Der Alpha-Mann und der bebrillte Sesselpupser müssen sich also erst einmal zusammenraufen; zugleich muss die Figur Seth viele Fakten über alle Arten von Vampiren in Richtung Publikum herunterrattern, ohne dass die am Ende besonders wichtig sind. Im Nacken sitzt dem Duo die Obervampirin (Karla Souza), deren blutsaugende Tochter Jablonski in der ersten Action-Szene getötet hat, die durchaus originell ist – eine große Schlägerei, in der allerlei Haushaltsgegenstände eingesetzt werden und sich das Knochengerüst der Vampire als grotesk dehnbar erweist. Inszeniert hat „Day Shift“ Debüt-Regisseur J.J. Perry, ein renommierter Stuntchoreografie-Veteran, jüngst aktiv bei den „John Wick“– und „The Fast and the Furious“-Filmen. So überrascht es nicht, dass die Actionsequenzen hier die (relativen) Höhepunkte sind – in den Dialogszenen tut sich der Film schwerer. Das Komödiantische wirkt plakativ, wenn es etwa zum Running Gag wird, dass sich der junge Kollege bei Feindberührung einnässt oder übergibt; die Szenen innerhalb der Kleinfamilie haben etwas von einer TV-Seifenoper; man spürt, dass das Inszenieren von Schauspielerinnen und Schauspielern nicht Perrys Stärke oder Interessensgebiet ist.

Gute „Predator“-Fortführung: „Prey“

Mehr Engagement zeigt Perry da bei einer rasant choreografierten Actionszene zur Halbzeit des Films in einem Haus, das sich als Vampirnest erweist – aus allerlei Zimmern, Fluren und Schränken tun sich da Blutsauger auf. Dagegen fällt dann das bestenfalls mittelgroße Finale ab. Überraschend ist, wie wenig Grusel der Film dem Vampir-Mythos abgewinnt. Die Blutsauger der unteren Hierarchie-Ebene sind lediglich anonymes Kanonenfutter für Jablonskis Schrotflinte in einigen immer gleichen Baller-Szenen, während die böse Ober-Vampirin eine ziemlich blutarme Figur abgibt – dass sie tagsüber, mit Sonnenschutz, als Immobilien-Unternehmerin arbeitet, ist noch einer der besseren Gags.

Da vergibt der Film viel Potenzial, auch wollen Komödie und Brutalität, Familien-Gefühligkeit und Härte selten zusammenpassen. „Day Shift“ ist beim Streaming gut aufgehoben – bei manchen Szenen zwischen der regelmäßigen Action würde man im Kino wohl etwas ungeduldig auf die Uhr schauen; zuhause kann man sich immer mal wieder Knabberzeug holen und wird in dieser Zeit den Film nicht anhalten wollen.

„Day Shift“ ist bei Netflix zu sehen.

„Prey“ – ein Prequel zu „Predator“


Amber Midthunder als Naru and Dane DiLiegro als Predator. Foto: David Bukach / 2022 20th Century Studios

Irgendwann konnte einem dieses Monster aus dem All schon leidtun: 1987 schlich es im Film „Predator“ erstmals durch den Dschungel, jagte dort aus Spaß an der Safari-Freude Menschen, legte sich dabei aber mit dem Falschen an: Arnold Schwarzenegger, in der Blüte seiner Jahre, auf der Höhe seiner Muskelpotenz und seiner glasklaren Logik – anlässlich von ein paar Tropfen neongrünen Außerirdischen-Bluts schloss er messerscharf: „Wenn es blutet, können wir es auch töten.“ Damit war das Ende des außerirdischen Jägers besiegelt. „Predator“ war damals ein mittlerer Kino-Hit, heute gilt der schnörkellose Film als Actionklassiker, dem neben Comics und Videospielen auch einige Arnold-freie Fortsetzungen folgten. Die hießen mal „Predator 2“, „Predators“ oder „The Predator“, zwischendurch trieben Verzweiflung und Ideenarmut das Studio Fox dazu, die Kreatur mit einem Monster-Kollegen gemeinsam ins Kino zu bringen – jenem Alien aus „Alien“. Nach dem schwachen Wiederbelebungsversuch „The Predator“ von 2018 war die Monsterreihe so tot wie die vielen Opfer des außerirdischen Jägers.

Kinostart wäre verdient gewesen

Durch diese Leichenhalle der überflüssigen Filme weht nun ein vergleichsweise frischer Wind, mit der bislang gelungensten Fortsetzung beziehungsweise Vorgeschichte: „Prey“ heißt sie, distanziert sich durch das Weglassen des Wortes „Predator“ schon von seinen Vorgängern und bietet einen cleveren Kniff. Er spielt nicht in der Gegenwart, sondern in Nordamerika vor 300 Jahren, das der Film in prächtigen Naturaufnahmen zeigt, denen man eine große Leinwand gewünscht hätte – warum der Film nicht ins Kino gebracht wurde, sondern direkt ins Streamingprogramm gepackt wurde, wissen die Götter oder die Entscheider bei Disney, denen die Reihe mittlerweile gehört.

 

Amber Midthunder als Naru auf der Jagd.  Foto: David Bukach / 2022 20th Century Studios

Im Film, inszeniert von Dan Trachtenberg („10 Cloverfield Lane“), hat die junge Comanchin Naru (Amber Midthunder) zwei Gegner: später den Außerirdischen, der in der Prärie Mensch und Tier jagt, von Anfang an aber das Patriarchat. Naru will auch jagen wie ihr Bruder und die anderen Comanchen, doch die Männer trauen ihr das nicht zu und sehen sie bei der Jagd lieber als Sanitäterin, da sie sich so gut mit Heilkräutern auskennt. „Warum willst Du jagen?“, fragt die Mutter. Die Tochter antwortet schmollmundig: „Weil alle denken, dass ich das nicht kann.“ Nun muss man „Prey“ nicht gleich als filmische Speerspitze des Feminismus bejubeln, denn komplexer als in diesem Dialog wird es nicht, aber diese Grundkonstellation ist reizvoll.

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Dass in den Wäldern ein unbekanntes Wesen umgeht, das die Nahrungskette aufwärts würdige Gegner zum Kampf sucht – nach Schlange und Wolf einen nicht völlig überzeugend computergetricksten Bären – ahnt Naru. Aber niemand will ihr glauben. Als man das endlich tut, wird es blutig – und filmisch spannend. Was „Prey“ mit dem ersten „Predator“ verbindet, ist die willkommene Einfachheit des Plots, ausgedacht von Drehbuchautor Patrick Aison. Im Film von 1987 trat eine Bande von US-Söldnern gegen den Jäger an, der ihr die Macho-Attitüde, die markigen Sprüche und das Vertrauen in ihre Hightech-Waffen schnell austrieb. Das war schnörkelloses Actionkino und gleichzeitig eine hintersinnige Parodie desselben, als den Über-Machos (außer Arnold) langsam der Angstschweiß den Männerbauch hinunterlief. Zurück blieben im Finale nur Schwarzenegger, reduziert auf Speer und Lendenschurz, contra Monster. So simpel wie effektiv. So ähnlich ist es, man ahnt es, auch bei „Prey“, wobei Naru mehr Grips als weiland Arnold einsetzen muss.

 

Amber Midthunder als Naru. Foto: 2022 20th Century Studios

Das Finale ist schon fast Routine, der Höhepunkt liegt eher in der Mitte des Films: Denn da treten ganz andere Jäger auf – französische Trapper, die keinerlei Interesse an den Ureinwohnern ihrer neuen Heimat haben und Naru in einen Käfig sperren. Tags darauf, als ihnen klar ist, was da jagend durch die Natur schleicht, binden sie sie an einen Baum, in der Hoffnung, so die Kreatur anzulocken. Diese Sequenz auf einem nebelverhangenen Hügel, auf dem die Trapper gegen den Jäger aus dem All gnadenlos scheitern, der allerlei Waffen mit sich führt und sich unsichtbar machen kann, gehört zu den besten und spannendsten der gesamten Reihe. Und man gönnt den Trappern ihren Untergang, da man weiß, wie sie mit den Ureinwohnern umgehen. Das ist ein schöner Kniff des Films: Zwar deutet der Abspann mit einer Animation von fiktiven indigenen Zeichnungen an, dass längst weitere Außerirdische unterwegs in die Prärie sind – aber wenn Naru am Ende ihrem Stamm sagt, dass man hier nicht mehr sicher sei, kann sie ebenso die Gefahr durch die Neu-Amerikaner meinen, die die Indigenen verdrängen wollen. Wenn man solche Feinde hat, ist ein Außerirdischer nicht das größte Problem.

„Prey“ ist bei Disney+ zu sehen, wie auch die anderen „Predator“-Filme – und jetzt auch auf Bluray und UHD zu haben, bei Disney/Leonine.

„Buba“ von Arne Feldhusen mit Bjarne Mädel

Buba Bjarne Mädel Netflix

Bjarne Mädel als Jakob Otto alias „Buba“. Foto: Netflix

Merkwürdig – warum zündet das Ganze nicht so richtig? Warum ist „Buba“ nie so gelungen, wie man anhand der Beteiligten erwarten dürfte, eigentlich müsste? Trotz Darsteller Bjarne Mädel, von dem man sich ja ziemlich alles ohne Risiko anschauen kann. Trotz Regisseur Arne Feldhusen, der mit Mädel die TV-Perlen „Der Tatortreiniger“, „Stromberg“, „Mord mit Aussicht“ und „Der kleine Mann“ gedreht hat.  „Buba“, ihre jüngste Zusammenarbeit, hat zwar ihre Momente, aber insgesamt enttäuscht diese Netflix-Tragikomödie.

Bierbauch und schlechte Laune

„Buba“ ist eigentlich eine Nebenfigur aus der Neflix-Serie „How to sell drugs online (fast)“: Jakob Otto alias Buba (Bjarne Mädel), ein blondierter Kleinkrimineller mit schlechter Laune und Bierbauch, der im fiktiven Städtchen Rinseln seinen Geschäften nachgeht. Diese Figur überlebt allerdings die erste Staffel der Reihe nicht, wegen eines Arbeitsunfalls sozusagen – er erschießt sich aus Versehen mit einer Pistole aus einem 3D-Drucker. „Buba“ erzählt nun, als neudeutsch „Prequel“, die Vorgeschichte: Wie der kleine Jakob zum großen Jakob wird und schließlich, in einer kleinen Rahmenhandlung, zum toten Jakob.

Das real existierende Fremdsprachen-Akzent-Syndrom

Die Kindheit in den 1980ern ist traumatisch: Denn während Jakob es sich bei einem Breakdance-Wettbewerb gut gehen lässt, bei dem auch Leonardo DiCaprio mitwirbelt (der 1984 tatsächlich bei einem Deutschland-Besuch bei einem Wettbewerb dabei war), sterben seine Eltern bei einem Unfall. Sein Bruder mit dem schönen Namen Dante überlebt mit einer Kopfverletzung, die ihn a) zum täglichen Schlucken einer Pillen-Kollektion zwingt und b) ihn fortan ein wunderbar schmieriges Österreichisch sprechen lässt – eine Folge des real existierenden Fremdsprachen-Akzent-Syndroms.

Netflix Buba

Bjarne Mädel (links) und Georg Friedrich.

Ob die Drehbuchautoren Sebastian Colley („Kroymann“, „How to sell…“) und Isaiah Michalski („King of Stonks“) diese skurrile Idee bemüht haben, um den Wiener Darsteller Georg Friedrich verpflichten zu können, oder ob erst die Rollen-Idee kam und dann die Besetzung, ist unwichtig: Friedrich, der mit Michael Haneke und Ulrich Seidl drehte, zuletzt im Kino in „Die große Freiheit“ zu sehen war, ist gewohnt exzellent. Kaum jemand spielt das liebgewonnene, wenn auch nicht mehr allzu originelle Klischee vom schmierigen Halbwelt-Ösi besser als er; der fleckige Bademantel, den er hier gerne trägt, ist bei ihm ebenso eine zweite Haut wie beim „Dude“ aus „The Big Lebowski“.

Kritik zu „Die Theorie von allem“

Das Verhältnis der mittlerweile erwachsenen Brüder ist so innig wie angespannt – denn Jakob hat aus seinem Schuldkomplex heraus die Theorie entwickelt, dass es ihm möglichst schlecht gehen muss, damit es dem Rest der Welt, vor allem seinem Bruder, gut geht. Eine Prämisse wie aus einem Märchen – und als solches bezeichnet sich auch selbst der Film, in dessen Welt sich Provinz-Mafiosi tummeln, die zwar aus dem heimischen Hinterland kommen, sich aber als Albaner ausgeben, „weil die Leute dann mehr Angst haben“. Bei diesen Pseudo-Albanern heuern die Brüder an und erpressen zum Einstand Schutzgeld, mit mal weniger, mal mehr Brutalität.

Zu viel Guy Ritchie?

Da wirkt es so, als hätten sich die Drehbuchautoren Guy Ritchies schräge Gangsterfilme wie „Bube, Dame, König, Gras“ und „Snatch“ ein oder zweimal zu oft angeschaut; ein Gefühl von Déjà-vu kommt auf. Wenn Gangster über rare Figuren aus Überraschungs-Eiern debattieren oder ihre Chefin (Maren Kroymann) in Seelenruhe und unter aller Augen ein Stück Torte ist, wirkt das manchmal bemüht skurril; die angestrebte Lässigkeit hat etwas Krampfiges. Und ob man die Szene vom Samenraub bei einem Pferd nun drollig oder lediglich derb findet, wird wohl davon abhängen, wie lange man die Pubertät schon hinter sich hat.

Lustige Kopfschüsse?

Natürlich schaut man Mädel und Friedrich gerne zu, wie sie in ihrer muffigen Wohnküche von einem besseren Leben träumen, wenn Dante grantelt, die Brüder müssten „jetzt mal groß denken“; wenn Jakob sich verliebt, weswegen ihn sofort die Sorge umtreibt, dass etwas Schreckliches passieren muss, da es ihm nun ausgesprochen gut geht. Eine Traumsequenz, untermalt von Georg Danzers „Weiße Pferde“ (das Wienerische verfolgt Jakob also auch in den Tiefschlaf), ist originell – aber das große Finale enttäuscht dann: mit hysterischen, neu hinzugekommenen Gangstern, einer bemühten Wendung und einer Schießerei, bei der man sich fragen darf, ob Kopfschüsse im Film so lustig sind, wie die Drehbuchautoren denken.

„Buba“ ist bei Netflix zu sehen, ebenso wie „How to sell drugs online (fast)“.
In der ARD-Mediathek kann man sich mit Bjarne Mädel einige „Tatortreiniger“-Folgen anschauen, außerdem „Sörensen hat Angst“ sowie „Sörensen fängt Feuer“ von und mit Mädel.

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