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Kategorie: Theater

„Winnetou“ als Live-Hörspiel in Saarbrücken

Winnetou Live Hörspiel Saarbrücken Feuerwache

Philipp Weigand (links) und  Thomas L. Dietz. Foto: Martin Kaufhold /Staatstheater

„Winnetou“ als Live-Hörspiel in der Alten Feuerwache von Saarbrücken.
Nach dem Roman von Karl May, Fassung von Eike Hannemann und Katja Prussas.
Inszenierung, Bühne und Kostüme: Eike Hannemann

 

Ja, natürlich erklingt sie, Martin Böttchers unsterbliche „Winnetou“-Sehnsuchtsmelodie aus den Filmen der 60er Jahre. Doch hier wird sie schräg geflötet, ironisiert, zerschreddert: Denn diese Live-Hörspiel-Bearbeitung von „Winnetou“ bürstet des Indianers wallendes Haar wonnig gegen den Strich. Es ist ein vergnüglicher Donnerstagabend in der Alten Feuerwache, mit Lust am Spiel und am Nonsens, eine helle Freude mit ein paar dunkleren Untertönen – wenn der Autor Karl May (1842-1912) über die Begriffe „Rasse“ und „Blut“ sinniert.

Wie beim Flohmarkt wirkt die Bühne. Zwischen Eimern und einer Kochplatte steht „Das große Buch der Indianer“, ein Reibeisen rostet neben einer Schreibmaschine, in Lederstiefeln stecken Vogelfedern – von hier aus führen Thomas L. Dietz und Philipp Weigand in den „Wilden Westen“, wie May ihn sich vorgestellt hat. Das Duo spricht mehrere Rollen, zimmert sich Klangkulissen  aus Wasser, Glasscherben und auch einigen Lauchstangen, die den Abend nicht überleben werden.

Dietz spricht vor allem den Erzähler May, der in der neuen Heimat zu Old Shatterhand wird, garstige Bleichgesichter trifft, aber auch Winnetou kennen/liebenlernt, für ihn „der beste, treueste und opferwilligste aller meiner Freunde“. Philipp Weigand übt sich für die Rolle des Sam Hawkins’ in angetrunkenem Sächsisch, während sein Winnetou eine klare, fast überartikulierte Diktion über die Steppe schallen lässt. Wer so edel ist, der nuschelt nicht.

Bestens eingespielt

Es ist ein Fest für die Darsteller, die auch zur Gitarre greifen (Dietz) oder sich an den Flügel setzen (Weigand, wie gerade auch in Jelineks „Licht im Kasten“). Bestens eingespielt ist das Duo, ist diese Aufführung doch seit einigen Jahren feste Bank am Staatstheater Nürnberg, von dem Weigand gerade nach Saarbrücken gekommen ist. Ab und an werfen sie sich wissende Blicke zu, als freuten sie sich gemeinsam auf die nächste Pointe. Gewedelte Blätter imitieren Vogelgeflatter, ein zerbröselnder  Bastkorb ein prasselndes Lagerfeuer. Die Darsteller nehmen diese Geräusche auf, spielen sie als Dauerschleife ab – der Klangteppich für ganze Szenen, die sie dann wieder mit einzelnen Geräuschen garnieren: am drastischsten das Herumstochern in einem Kürbis, das das Zerfleischtwerden durch einen Grizzly imitiert. Ein garstig schöner Einblick in die Kunst des Geräuschemachens.

 

Winnetou Live Hörspiel Saarbrücken Feuerwache

Philipp Weigand Foto: Martin Kaufhold

Atmosphärisch führt das den Zuschauer/Zuhörer in selige Kindertage zurück, als man in solche Hörspiel-Klangwelten mit Haut und Haar abtauchte – sinnigerweise steht  eine alte Schallplatte des legendären „Europa“-Labels auf der Bühne: „Winnetou III. 1. Folge“. Ab und an unterbricht ein kleiner Info-Einschub die Handlung: Dietz doziert durch einen antiken Lautsprecher, Weigand spielt dazu am Klavier, und man erfährt etwas  über den Grizzly als solchen, den Kampfschrei der Indianer und über die Ernährung im Wilden Westen – zu viel Eiweiß durch zu viel Fleisch.

„Bromance“

Ein Aspekt der Vorlage, der in den subtextfreien Verfilmungen nicht zu spüren ist, wird hier überdeutlich: Wie fließend ist die Grenze zwischen innigster Männerfreundschaft und Erotik? Die Darsteller spielen das besonders lustvoll aus, als Shatterhand dem gefangenen Winnetou die Fesseln durchschneidet: Mit viel Ohhh und Ahhh, Ächzen und Seufzen wird die Szene fast bis zum hormonellen Bersten erotisch aufgeladen. Kein Wunder, dass kurz auf das Paar Sissi/Franzl angespielt wird. Das Herz von Winnetous Schwester pocht wohl vergeblich für Shatterhand, der, wie er sagt, Winnetou gleich beim ersten Blick „lieb gehabt hat“.

 

Winnetou Live Hörspiel Saarbrücken Feuerwache

Thomas L. Dietz Foto: Martin Kaufhold

Ein grandioser Jux ist dieser Abend, aber dankenswerterweise nicht nur. Bei der Textbearbeitung haben Katja Prussas und Eike Hannemann (auch Regie, Bühne und Kostüme) einige Widerhaken verankert, indem sie heute durchaus befremdliche Passagen Mays übernahmen.   Er habe „die Roten kennen gelernt“, berichtet May/Shatterhand, und Winnetou sei „ein echter Typus dieser Rasse“. Als er die Schönheit von Winnetous Schwester beschreibt, lobt er, „von indianisch vorstehenden Backen­knochen“ sei „keine Spur“, „die feingeflügelte Nase“ hätte eher etwas Griechisches. Da passt es auch, dass die Indianer mit Klekih-petra bizarrerweise einen weißen deutschen Vordenker/Stammesintellektuellen haben. „Ein Deutscher!“ – sicher ist sicher. Am Ende bezeichnet Shatterhand die Apachen immer noch als „Wilde“ – und denkt sich nichts dabei. Guter Wille in Sachen Völkerverständigung und ein Denken in Rassen-Rastern schließen sich nicht unbedingt aus – was man ja auch, vielleicht zielt das Stück darauf ab, bei sich selbst überprüfen kann.

Termine: 8. und 28. Oktober, 4. November., 2. Dezember.
Karten: Tel. (06 81) 309 24 86.

 

https://www.staatstheater.saarland/

 

Elfriede Jelineks „Das Licht im Kasten“ in Saarbrückens Alter Feuerwache

Elfriede Jelinek „Das Licht im Kasten“ Saarbrücken Alte Feuerwache Raimund Widra, Martina Struppek, Marcel Bausch, Lisa Schwindling und Philipp Weigand. Foto: Martin Kaufhold / Staatsheater Elfriede Jelinek Das Licht im Kasten

Raimund Widra und Lisa Schwindling. Foto: Martin Kaufhold / Staatstheater

 

Das Saarländische Staatstheater zeigt Elfriede Jelineks „Das Licht im Kasten. Straße? Stadt? Nicht mit mir!“ in Saarbrückens Alter Feuerwache.

 

„Seien Sie nicht zu früh entsetzt!“ Ironisch warnte Dramaturgin Simone Kranz bei der Einführung vor der Premiere. „Es kann sehr anstrengend sein, Elfriede Jelinek in ihrer Genialität zu folgen.“ Nun, der Freitagabend in der Feuerwache war weder anstrengend noch entsetzlich, sondern vergnüglich und witzig – auch wenn man dem Text nicht die erwähnte Genialität zuschreiben würde.

In „Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)“ geht es, zumindest an der Oberfläche, um Mode, Modewahn, Modezirkus, Modeindustrie. Kein Drama im herkömmlichen Sinne, sondern eine gedankliche Stoffsammlung ohne konkrete Figuren; die Literaturnobelpreisträgerin spricht selbst von einer „Textwurst“. Bei deren Zubereitung auf der Bühne lässt sie den Theatern Freiheit. Die haben Regisseur Matthias Rippert und Dramaturgin Kranz genutzt, den Text um über die Hälfte gekürzt und ihm mehrere Figuren zugewiesen – Models, Modebewusste, Modeopfer, Modezaren und eine Frau, die man als das Gewissen des Ganzen deuten kann, eine Art Bühnen-Jelinek. Sie deklamiert, dass wir immer dasselbe wollen, „das Alte, aber ganz neu“. Ein Verkäufer verkündet einer Kundin das ästhetisch-gesellschaftliche Todesurteil: „In ihrer Größe gibt es das nicht mehr.“ Die Anatomie entscheidet, und Schlankheit geht über alles: „Nicht einmal beim Sterben erreiche ich mein Idealgewicht.“

Man weiß es

Pointiert sind diese Sätze, Dialoge, Gedanken – aber aufrüttelnd? Neu? Im Grunde weiß man das ja alles. Es ist, um im Bilde zu bleiben, ein alter Hut. Und ein Satz über die smartphoneversessene Generation wie „Die Jugend spricht nicht in Gesichter, sondern in Geräte“ ist eher pauschal kulturpessimistisch denn wirklich treffend. Bezöge sich das alles bloß auf die Mode und die textile Spaßgesellschaft, wäre der Text also etwas fadenscheinig. Tiefer greift er, wenn er die Mode als Zeichen einsetzt für die menschliche Sehnsucht, oft das sein zu wollen, was man nicht ist, so auszusehen, wie man es nun leider nicht tut. Man wird alt und vergeht, da hilft auch kein Designer-Leichenhemd. „Wir sind in uns eingeschlossen.“

Beim Verkünden dieser Botschaften vertraut Regisseur Rippert ganz auf die Sachkenntnis des Publikums. Wenn wir alle ohnehin wissen, dass wir vergänglich sind und uns auch die Mode nicht rettet, hilft auch kein tränenfeuchter Theaterabend – aber vielleicht ein beschwingter? Mit Lust an Inszenierung, auch am Jux? Es ist ein wonniger Abend der in Unterwäsche und Nylon leicht bekleideten Schauspieler; fünf von sechs sind frisch in Saarbrücken, und es ist eine Freude, ihnen zuzuschauen.

Herrlich gespielt

Marcel Bausch ist das einzige nicht neue Gesicht. Er trägt einen langen Zopf, der mitunter phallische Bedeutung gewinnt, staucht als Modezar ein Model zusammen, dem Zucker und Fett die Form genommen haben; ihm selbst geht es dabei aber gar nicht gut, denn er hat seinen liebsten Mantel verlegt, ausgerechnet den „körpernahen“, auch das noch. Für ihn ist Mode eine Frage von Leben und Tod, denn fair produzierte Textilien kann man sich nur leisten, wenn man sich nichts mehr zu essen kauft. Dann doch lieber Billiglöhne, Ausbeutung und lebensgefährliche Arbeitsbedingungen der anderen. Das nehmen wir ja jeden Tag in Kauf und verdrängen es.

Das alles wird in einem schlichten weißen Raum verhandelt (Bühne: Fabian Listz). Links ein tunnelartiger Eingang, der manchmal zur Schwelle zwischen Leben und Tod wird, rechts auf Bodenhöhe eine Batterie von Scheinwerfern, die ab und an wie Blitzlichter ihre Ladung kanonenartig verschießt.

 

Elfriede Jelinek „Das Licht im Kasten“ Saarbrücken Alte Feuerwache Raimund Widra, Martina Struppek, Marcel Bausch, Lisa Schwindling und Philipp Weigand. Foto: Martin Kaufhold / Staatsheater Elfriede Jelinek Das Licht im Kasten

Von links: Marcel Bausch, Verena Bukal, Martina Struppek und Philipp Weigand. Foto: Martin Kaufhold / Staatsheater

Wein-Heul-Wut-Anfall

Raimund Widra setzt komödiantische Glanzlichter mit einer ausufernden Körpersprache, er räkelt sich auf einer Bank raumgreifend angeberisch und erleidet später einen gnadenlos lang ausgespielten Wein-Heul-Wut-Anfall (Weltschmerz? Oder bloß Bauchschmerz?). Wie eine herrliche Pa­rodie auf hysterisches Kreisch-Theater wirkt das – mittendrin beginnt Widra zu trippeln wie ein Pferdchen, fast möchte man ihm eine Möhre reichen. Körperkomik bietet auch der rein mechanische Erotik-Exzess mit seiner Partnerin Lisa Schwindling. Da wackelt die Bank, Musiker Robert Pawliczek lässt dazu Volksmusik dudeln – Sex rettet uns also auch nicht. Martina Struppek gibt ein Mode-Opfer mit Tendenz zur Großmäuligkeit, das sich selbst noch als Asche in der Urne um die letzte Optik sorgt:  „Diese Schuhe musste ich mir einfach kaufen.“

Philipp Weigand, mit einem Rahmen aus Haaren ums Gesicht (Kostüme: Johanna Lakner)  mimt  einen glatten Modemenschen („Den Körper will ich haben, auch wenn ich krepiere“) und spielt am Klavier ein locker perlendes Medley aus „Sag mir, wo die Blumen sind“, „Let it be“ und „Götterfunke“ – die Untermalung eines Finales, das keines im strengen Sinne ist. Ratlosigkeit macht sich breit unter den Figuren, auch bei der Bühnen-Jelinek (Verena Bukal), die mehrmals betont, sie habe ja „auch keine Ahnung“ und sich auch über die eigene Arbeit lustig macht: „Warum habe ich das jetzt gesagt? Um zu zeigen, wie die Zeit vergeht. Sehr langsam.“

Endstation Warenkorb

Am Ende ist alles gesagt. „Mir sind jetzt auch die Begriffe ausgegangen“, heißt es da – nur zwei Möglichkeiten bleiben: das Anklicken von Produkten am PC, auf dass sich der Warenkorb füllt und der Körper kurzfristig die Glückshormone ausschüttet. Oder das blanke Entsetzen angesichts der banalen menschlichen Existenz. Mit großen Augen blickt die Quasi-Jelinek-Figur in die Welt, die sie nicht mehr versteht. Aber vielleicht bestellt sie ja auch noch etwas, wenn das Bühnenlicht erloschen ist. Es wäre banal, aber nur allzu menschlich.

Nächste Termine: 22., 23., 29. September, 4., 6., 10.  20., 27., 29. Oktober.

http://www.staatstheater.saarland

 

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