Über Film und dieses & jenes

Monat: Februar 2022

„War and Peas“ stellen in Saarbrücken aus: „Silly Empire“

Jonathan Kunz Elizabeth Pich "War and Peas" Tobias Keßler

Jonathan Kunz und Elizabeth Pich – „War and Peas“.   Fotos: tok

Aus Saarbrücken kommt ein international erfolgreiches Comic-Projekt: Unter dem Titel „War and Peas“ texten und zeichnen Elizabeth Pich und Jonathan Kunz kurze Geschichten über Leben und Tod, Liebe und Einsamkeit. Knapp 100 Arbeiten sind jetzt im Saarbrücker KuBa zu sehen.

So ein skeptischer Säugling. Eben noch weilte er im warmen Mutterbauch – jetzt ist er in der Welt und fragt sich, ob er die beste Zeit seines Lebens schon hinter sich hat. Ins Grübeln kommt auch der schnurrbärtige Bob. Auf die Frage, was er gerade so tue, antwortet er: „Triviale Aktivitäten, um mich von der Bedeutungslosigkeit meiner Existenz abzulenken.“ Und die göttliche Macht, die aus dem blauen Himmel herab spricht, weiß auch nicht wirklich weiter. Nach einem Lebensplan befragt, empfiehlt Gott einfach ein gutes Speise-Eis.

So sind eben das Leben und dessen diskutabler Sinn bei „War and Peas“. Unter diesem Titel zeichnen und texten Elizabeth Pich und Jonathan Kunz seit 2011 ihre Comic-Geschichten, so gut wie immer als kompakte Vier-Bild-Konstruktion. An der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK) haben sich die beiden kennengelernt und veröffentlichen jeden Sonntag eine neue „War and Peas“-Geschichte auf ihrer Internetseite, stets in Englisch – der Internationalität des Comic-Marktes halber (zudem lebte Pich in den USA, bis sie 14 war).

Der Erfolg ihrer Kunst ist groß – 282 000 Abonnenten bei Facebook, bei Instagram eine Million, seit Silvester. Das erste Buch ist auf dem deutschen Markt erschienen („Von Hexen und Menschen“), außerdem in den USA, in Frankreich und in spanischer Übersetzung. Jetzt zeigen Pich und Kunz, die beide in Saarbrücken leben, im KuBa Kulturzentrum eine Auswahl ihrer Werke. Mit um die 90 jeweils einzeln gerahmten Comicgeschichten, dazu zwei Skizzenbüchern zum Blättern und auch mit dem, womit sie ihre im Netz kostenlos anschaubare Kunst mitfinanzieren: Merchandise. Kaputzenpullis etwa mit „War and Peas“-Motiven, Mützen, Aufkleber und ein T-Shirt mit einem Slogan, der bestens passt in ihre immer etwas unsichere, unwägbare Welt: „100 % not sure“. Das Merchandise bei der Ausstellung zu zeigen, sei wichtig, sagt Jonathan Kunz, sei das doch ein wichtiger Aspekt des Lebensunterhalts, wenn man kostenlose Web-Comics veröffentlicht. Gerahmte und signierte Drucke wie in der Ausstellung könne man auch über die Internetseite des Duos kaufen, „so gesehen ist die Ausstellung wie ein Showroom, wir zeigen, was wir verkaufen“.

 

 

Die Kunst von „War and Peas“ ist reizvoll trügerisch. Der Zeichenstil mag betont reduziert und unschuldig wirken, doch der Inhalt ist nie harmlos, sondern hintersinnig und meist melancholisch getönt: Um Einsamkeit geht es oft, um Gefühle, die aneinander vorbei strömen, um schwierige Kommunikation, um den Tod – das alles unterfüttert mit schwarzem Humor und unerwarteten Pointen. Eine ebenso witzige wie berührende Mischung, in dem es eines nicht gibt, auch wenn manche Leserinnen und Leser das entdeckt haben wollen: Sarkasmus. „Nein“, sagt Pich, „den gibt es nie bei uns. Wir lachen nicht von oben über unsere Figuren oder kommentieren sarkastisch, wir fühlen immer mit unseren Figuren mit.“ Ob nun mit einem liebeskranken Roboter oder einer frustrierten Wolke, die sich, nach der Beleidigung durch einen Menschen, aus Rache bevorzugt über Hochzeitsfesten ausregnet.

 

Gehängt ist die Ausstellung nicht chronologisch oder thematisch, wobei es doch kleine Schwerpunkte gibt mit jenen Figuren, die sich über die Jahre als feste Charaktere etabliert haben: allen voran die libidinös lebenslustige Zauberin  „Slutty Witch“, wie sie in der englischsprachigen Ausstellung heißt (und „Schlampenhexe“ in der deutschen Buchfassung). Sie kann man begleiten, wenn sie zum Befremden ihrer Katze den Abend mit einem Vibrator verbringt oder ihrem Regal voller Totenköpfe ein weiteres Exemplar hinzufügt: diesmal unglücklicherweise den eines Psychologen, der mit klapperndem Gebiss kundtut, mit dieser Totenkopfsammlung fülle die Hexe bloß eine Leerstelle in ihrer lieblosen Existenz. Da ist er wieder – der Sinn beziehungsweise der Un-Sinn menschlichen Lebens. Und die Einsamkeit. „Die ist ein grundlegendes Thema bei uns“, sagt Elizabeth Pich, „sie ist eine Volkskrankheit“ – nicht zuletzt durch das Internet und die sozialen Medien, in denen Gefühle so schwer zu deuten seien. „Aber wenn man Web-Comics macht, kann man das Internet ja nicht ganz verteufeln.“

 

Humor und Melancholie sind in den Comics nicht zu trennen: Wenn etwa der leibhaftige Sensenmann, eine der festen Figuren, seine Runden dreht und bei einer älteren Dame auf dem Sofa hängenbleibt, bei Keksen und Kakao. Da wird dem Gevatter Tod wohl kurz die brutale Dimension seines Berufs bewusst – aber mitnehmen wird er die Dame doch. In einem anderen Comic muss eine Heuschrecke, ein junger Gottesanbeter namens Timmy, damit leben lernen, dass seine Mutter den Vater artgerecht  kurz nach Timmys Zeugung gefressen hat. Und was passiert, wenn er mal heiratet?

„Silly Empire“, albernes Reich nennt sich die Ausstellung. Wieso? „Weil wir uns eine Art Kosmos erschaffen haben“, erklärt Pich, „unsere Figuren leben in derselben Welt“ – und in gewisser Weise die beiden Künstler auch: Es wird humoristisch autobiografisch, wenn ein Autorenduo auf Empfehlung seines Publikums hin zur Therapie geht. Lustig seien die Comics ja schon, gibt die Therapeutin zu, aber den beiden könne man nicht mehr helfen; und ein anderer Therapeut stellt fest, dass sie mit ihren anatomisch unkorrekten Zeichnungen ihren Hochschul-Professor zum Weinen brächten. Aprops Hochschule: Kunz selbst hat einige Jahre an der HBK den Masterschwerpunkt Comic/Graphic Novel betreut, bis es keine Einigung mehr über eine langfristige Weiterbeschäftigung gab, da die HBK in einer „Planungsphase“ bezüglich des Masterschwerpunkts sei, wie sie mitteilte; demnächst wird Kunz die Hochschule verlassen.

Kunz und Pich planen derweil ein zweites Buch, das mit der Welt von „War and Peas“ nichts zu tun haben wird. Ein poetisches Werk in Reinform soll es werden, in nostalgischer Optik und angelehnt an ihre Arbeit „A Job is a Job“, die man auf der „War and Peas“-Seite lesen kann. Doch erst einmal gibt es die Ausstellung im KuBa, die laut Kunz so etwas ist „wie ein Gang durch unsere Gehirne“.

warandpeas.com

„Drive my car“ von Ryusuke Hamaguchi

Drive my car Oscars

Regisseur Yusuke Kafuku (Hidetoshi Nishijima) und die Fahrerin Misaki (Toko Miura).        Foto: REM

 

Eine große Überraschung war das schon. Ein japanischer Film, drei Stunden lang, erhält bei den Oscars vier Nominierungen: für das beste adaptierte Drehbuch, den besten internationalen (also nicht-nordamerikanischen) Film, für die beste Regie und als bester Film. Zwar wurde „Drive my car“ in Cannes 2021 mehrfach ausgezeichnet, die ungleich kommerzieller ausgerichteten Oscars sind eben etwas anderes als Festivalpreise. Das gibt diesem wundersamen und wunderbaren Film von Ryusuke Hamaguchi Aufmerksamkeit und einen gewissen kommerziellen Rückenwind, den er gut brauchen kann – ist doch „Original mit Untertiteln“ und „179 Minuten Laufzeit“ für manchen Kinogänger eher abschreckend denn animierend. Nur: Lässt man sich abschrecken, bringt man sich um eine sehr eigenwillige und beglückende Seh-Erfahrung.

Nachts und nackt beginnt der Film, wenn die Drehbuchautorin Oto ihrem Mann Yusuke, einem Schauspieler und Theaterregisseur, eine Geschichte erzählt, die sie nach den gemeinsamen Liebesnächten immer weiter spinnt: Um eine Frau geht es, die ihrer ersten Liebe nachspioniert, regelmäßig in das Haus des Angebeteten einbricht, um Dinge zu hinterlassen. Yusuke hört fasziniert zu, ein enges Band der Vertrautheit scheint diese beiden Eheleute miteinander zu verbinden. Doch als Yusuke eines Tages unerwartet nach Haus kommt, sieht er seine Frau innigst zugange mit einem anderen Mann auf dem Sofa. Ohne bemerkt zu werden, verlässt er die Wohnung wieder, verschweigt das Ganze gegenüber Oto (ebenso wie sie es tut). Als er just an dem Abend nach Hause kommt, an dem seine Frau etwas mit ihm besprechen kann, ist sie an einer Hirnblutung gestorben. Yusuke bleibt erschüttert und trauernd zurück – und im Ungewissen darüber, was seine Frau ihm mitteilen wollte.

Der rote Saab in Hiroshima

Erst hier, nach 40 Minuten, läuft der Vorspann von „Drive my car“, er ist wie ein filmischer Raumteiler, der auch den Bruch in Yusukes Leben widerspiegelt – und auch einen Zeitsprung von zwei Jahren. Yusuke nimmt das Angebot eines Bühnenfestivals in Hiroshima an, dort Tschechows „Onkel Wanja“ zu inszenieren. Bei den ersten Besetzungsgesprächen taucht überraschend auch ein junger Schauspieler auf, von dem Yusuke glaubt, ihn damals mit seiner Frau auf dem Sofa gesehen zu haben. Das setzt dem Witwer zu, ebenso irritiert ihn die Vorgabe des Festivals, dass er in Hiroshima nicht selbst seinen alten roten Saab fahren darf, sondern dass ihm eine Fahrerin zugeteilt wird – die zurückhaltende Misaki, die für ihn wider Erwarten zu einer großen Stütze wird.

Was in der knappen Inhaltsangabe etwas simpel klingt, ist im Film ganz anders: Regisseur und Ko-Autor Hamaguchi gliedert „Drive my car“, entstanden nach einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami, in lange Szenen und Gespräche – es sind die Herzstücke des Films, wenn Yusuke mit seiner Fahrerin, mit dem mutmaßlichen Liebhaber seiner Frau, mit einem Kollegen und dessen Frau minutenlang spricht. Um Liebe geht es, um Trauer und Tod (die Tochter von Oto und Yusuke ist vor Jahren sehr jung gestorben), um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit extremer Nähe zwischen Menschen. Muss körperliche Untreue ein Beleg für mangelnde Liebe sein? Wie gut kann man seinen Partner kennen, wenn es schon schwer genug fällt, sich selbst einigermaßen zu kennen?

Hamaguchi erzählt davon mit exzellenten Darstellern, denen man trotz Zurückhaltung die Seelenlage ihrer Figuren anmerkt, mit gelungenen Verschränkungen mit der „Onkel Wanja“-Inszenierung (ohne ein selbstgefälliges Meta-Ebenen-Spiel zu beginnen) – und vor allem in aller Ruhe. Hier wird viel gesprochen, im roten Saab, an der nächtlichen Hotelbar, im Esszimmer, auf einem verschneiten Hügel. Gefühlvoll ist das alles, aber nicht sentimental, die Melancholie ist spürbar, aber sie drängt sich filmisch nicht auf. Sicher, ein wenig Sitzfleisch braucht man für den Film – aber er wird einen tief berühren.

„Moleküle der Erinnerung“ von Andrea Segre

Zu Beginn treten sich die Touristen noch auf die Füße, fließen wie eine Welle des Fremdenverkehrs durch die Gassen Venedigs und werden quer über den Markusplatz gespült. Doch einige Filmminuten später ist Venedig eine ganz andere Stadt, wie in einer anderen Welt. Menschenleer, still, wie im Winterschlaf – Venedig im Corona-Lockdown. Denn als Regisseur Andrea Segre zu Dreharbeiten nach Venedig reist, gerät er in die Pandemie und sitzt von Februar bis April 2020 fest.

Eigentlich wollte er sich dokumentarisch mit dem Tourismus in der Stadt beschäftigen, so aber ist mit „Moleküle der Erinnerung“ ein ganz anderer Film entstanden, der nebenbei „Venedig, wie es niemand kennt“ zeigt, wie der zweite Teil des deutschen Titels verheißt. Dabei belässt es Segres Werk aber nicht bei eindrücklichen Bildern von einer in dieser Form unbekannten Lagunenstadt, es will auch kein filmisches Corona-Tagebuch sein – auch wenn es durchaus ein Stück Zeitdokument aus der Pandemie ist. „Moleküle“ ist eine sehr eigene und reizvolle Verbindung von Außenwelt und Innenleben, von Stadtporträt und Blick auf die eigene Geschichte.

 

Denn der früh gestorbene Vater des Regisseurs kam aus Venedig, hat die Stadt immer geliebt; diese Faszination konnte der Sohn nie ganz nachvollziehen – heimelig war Venedig für ihn nie. Segre, mit anderen filmischen Plänen angereist, aber nun im Lagunen-Lockdown,  spürt dem Leben und auch dem Tod des Vaters nach. Der war zwar liebevoll, hat stets aber eine gewisse Distanz zum Sohn gehalten, war oft mit sich beschäftigt – womöglich kein Wunder, litt er doch seit seiner Kindheit an einer Herzkrankheit und war sich bewusst, dass die ihn möglicherweise früh und ohne Vorwarnung umbringen wird.

Diese lebenslange, wenn auch nicht lieblose Distanz schmerzt den Sohn bis heute – doch das lässt er nicht in eine filmische Nabelschau münden, macht kein Befindlichkeitskino. Sein Film wirkt wie ein freischwebender Essay, er verbindet die Bilder des leeren Venedig mit alten Super-8-Aufnahmen des Vaters aus der Stadt der 1960er Jahre, mit vorgelesenen Briefen zwischen Sohn und Vater, Familienfotos und den Gedanken des Filmemachers aus dem Off. Wie ging sein Vater sein Leben an, von dem er wusste, dass es kein langes sein würde? Was bleibt, wenn wir sterben? Sind wir mehr als reine Materie? Und hat der Vater etwas geahnt, als er sich einen Tag frei nahm, um den mit seinem Sohn zu verbringen? Denn dies war die letzte gemeinsame Zeit der beiden.

Leben, Tod, Venedig und Tourismus

Parallel dazu streift Segre durch Venedig, sammelt Eindrücke; er spricht mit einem Fischer, der seine Arbeit als nahezu heiliges und meditatives Ritual empfindet, begleitet weibliche Gondoliere, die endlich einmal in Ruhe auf dem Wasser ihre Kreise ziehen können, jenseits der üblichen Touristen-Invasion – in der Stadt standen sich, vor Corona, 40 000 Bewohner Touristen in jährlich zweistelliger Millionenhöhe gegenüber. Nicht immer bringt Regisseur Segre diese Erzähl- und Gedankenstränge elegant in Einklang, da gibt es einige Brüche zwischen Familien- und Stadtgeschichte, zwischen Historie und Philosophie. Dennoch ist „Moleküle der Erinnerung“ ein faszinierender Film, der in aller Ruhe aber ohne Längen dahinfließt, während Segre auf der Tonspur sich sonor raunend Gedanken macht über Leben, Tod, Venedig und Tourismus. Dass er die selbst gestellten Lebensfragen nicht beantworten kann und das gerne zugibt, spricht nicht gegen ihn. Das Leben an sich ist eben, stellt Segre fest, so wie der abendliche Nebel in Venedig: ein wissenschaftlich erklärbares Phänomen, zugleich aber doch rätselhaft.

© 2024 KINOBLOG

Theme von Anders NorénHoch ↑