Wolfgang Staudte

Eine wechselvolle, schwierige Karriere: Er spielte als Komparse im berüchtigten NS-Hetzfilm „Jud Süss“, drehte dann mit „Die Mörder sind unter uns“ den ersten deutschen Nachkriegsfilm. Für die ostdeutsche Defa, das volkseigene Filmunternehmen der DDR drehte er unter anderem „Der Untertan“; in der jungen Bundesrepublik entstanden Filme wie „Rosen für den Staatsanwaltschaft“ oder „Kirmes“, wegen denen er oft als „Nestbeschmutzer“ angefeindet wurde – einen „verwirrten Pazifisten“ nannte ihn nicht etwa ein rechtes Blatt, sondern der „Spiegel“, zumindest noch 1951. In der Unterhaltungs-Filmindustrie hatte Staudte es schwer, während das junge deutsche Kino ihn als Repräsentant von „Opas Kino“ ignorierte. Später verschuldete sich Staudte als sein eigener Produzent so sehr, dass er fortan fast ausschließlich fürs Fernsehen arbeitete,  „Tatort“ und „Der Seewolf“ drehte – auch wenn ihn die „Zwergenschicksale“ des TV, wie er es sagte, nicht sonderlich interessierten.

Staudte, 1906 in Saarbrücken geboren und 1984 bei Dreharbeiten in Slowenien gestorben, gilt neben Helmut Käutner als wichtigster Regisseur des deutschen Nachkriegskinos – seine besten Filme verbinden präzise Gesellschaftskritik mit Filmkunst und, nicht zu vergessen, Unterhaltungswert; manchmal kann Staudte aber auch etwas didaktisch und moralisierend wirken.

Wolfgang Staudte Götze George Kirmes

Eine Szene aus „Kirmes“ mit Götz George und Juliette Mayniel.

An den Filmemacher erinnert nun ein neues, lesenswertes Buch, das in Zusammenarbeit mit der Saarbrücker Wolfgang-Staudte-Gesellschaft entstanden ist. „Nachdenken, warum das alles so ist“ (der Titel entstammt einem Zitat aus dem 1949er Film „Rotationen“) ist kein chronologisches Lesebuch von Karrierebeginn bis -ende, bietet auch keine komplette Filmografie, sondern setzt mit verschiedenen Beiträgen collagenhaft ein Bild Staudtes zusammen.

Der Saarbrücker Psychologe Siegfried Zepf beschäftigt sich mit „Der Unteran“, den Staudte 1951 in der DDR drehte und der erst sechs Jahre später im Westen lief, gekürzt um zehn Minuten – geschnitten war etwa das Ende, mit dem Staudte (losgelöst von der Vorlage Heinrich Manns) eine Verbindung vom deutschen Kaiserreich zum Zweiten Weltkrieg zieht.

Uschi und Andreas Schmidt-Lenhard von der Staudte-Gesellschaft beschreiben die kontroverse Wirkung jener Filme, die als Staudtes wichtigste gelten: neben dem „Untertan“ auch „Rosen für den Staatsanwalt“, „Kirmes“ und „Herrenpartie“, die allesamt das verdrängungswillige Deutschland kritisierten und, nicht überraschend, immer schwieriger zu finanzieren waren. Staudte drückte es so aus: Es sei schwer, „die Welt verbessern zu wollen mit dem Geld von Leuten, die die Welt in Ordnung finden.“ Und so nahm Staudte für seinen Polit-Krimi „Heimlichkeiten“ (1968) einen hohen Kredit auf – an dem Schuldenberg nach dem Misserfolg des Films schaufelte er bis zu seinem Tod.

 

Wolfgang Staudte Götze George Kirmes

Auch eine Szene aus „Kirmes“, den es bis heute nicht auf DVD gibt. Foto: Filmmuseum Berlin

Zu seinen sieben „Tatorten“ zählt auch „Tote tragen keine Wohnung“ (1973), den der Saarbrücker Psychologe Alf Gerlach exemplarisch untersucht; auch von der kontroversen Reaktion berichtet er: Durch die Geschichte von der Gentrifizierung eines Wohnviertels fühlten sich viele Immobilienmakler als monetäre Gierschlunde diffamiert – erst nach 19 Jahren strahlte der produzierende Bayerische Rundfunk den Film noch einmal aus.

Der Saarbrücker Filmwissenschaftler Nils Daniel Peiler beleuchtet Staudtes Arbeit im Synchrongeschäft: Er war Sprecher in der deutschen Fassung von „Im Westen nichts Neues“ (1930) und überwachte 1945 die Synchronisierung von Eisensteins „Iwan, der Schreckliche“; 25 Jahre später verpflichtete ihn der legendär wählerische Regisseur Stanley Kubrick, der den „Untertan“ schätzte, für die Synchronregie dreier seiner Filme: „Uhrwerk Orange“ (1971), „Barry Lyndon“ (1975) und „Shining“ (1980). Staudte berichtete damals lapidar von einem sehr überzeugenden Anruf Kubricks: „Er meinte, ich sollte.“ Er tat’s.

Eine gute Ergänzung der Beiträge sind die Erinnerungen an Staudte, die das Magazin „Filmdienst“ vor zehn Jahren zu Staudtes 100. Geburtstag sammelten und die hier nochmal abgedruckt sind:

Götz George, der mit 21 Jahren in „Kirmes“ spielte, erinnert sich an die erste Begegnung mit dem bekannt linken Staudte: an dessen nicht gerade antikapitalistisch wirkendem neuen Swimmingpool.

Oskar Lafontaine würdigt Staudte als „politischen Moralisten“, der „gegen den Strom der allgemeinen Geschichtsverdrängzung schwamm“.

Filmjournalist Peter W. Jansen beschreibt eine zufällige Begegnung mit Staudte Ende der 70er in der Kantine des Südwestfunks in Baden-Baden: einen „einsamen, verbitterten Mann“ traf er dort, der sich wunderte, dass „Münchner Bubis“ wie Fassbinder oder Alexander Kluge Filmförderung bekämen und er nicht.

Das Buch schließt mit einer Gegenüberstellung von Staudtes Werken und dem, was politisch in der jeweiligen Zeit geschah – sinnvoll und zwingend, sind seine Filme vom Zeitgeist ihrer Entstehung nicht zu trennen. Zeitlos macht sie das nicht, aber zu Zeitdokumenten.

 

Wolfgang Staudte – „Nachdenken, warum das alles so ist“. Herausgegeben von Alf Gerlach und Uschi Schmidt-Lenhard. Schüren Verlag, 256 Seiten, 24.90 Euro.

Buchvorstellung: Sonntag, 19. März, 15 Uhr, Camera Zwo (Sb). Es läuft Staudtes Bürokratie-Satire „Der Mann, dem man den Namen stahl“ aus dem Jahr 1944.

Informationen: www.wolfgang-staudte-gesellschaft.de

 

Wolfgang Staudte Götze George Kirmes

 

Zwei Filme Staudtes neu auf DVD

Nicht alle der wichtigsten Filme Staudtes sind auf DVD erschienen: „Herrenpartie“ und „Kirmes“, mit seine galligsten Gesellschaftskommentare“, fehlen bis heute; aber zumindest im Nebenwerk füllen sich die Lücken. „Gift im Zoo“ (1951) ist ein solider Krimi (DVD bei Filmjuwelen) mit interessanter Produktionsgeschichte: Staudte wurde während der Dreharbeiten auf staatlichen Druck hin entlassen, weil er sich nicht völlig von der Defa der DDR lossagen wollte (Hans Müller drehte zuende). Bezeichnend dabei: Während der Regisseur wegen DDR-Verbindungen entlassen wird, spielen Carl Raddatz und Irene Meyendorff die Hauptrollen – die Stars von Veit Harlans todesseligem NS-Prestigemelodram „Opfergang“ (1944).

 

1958 drehte Staudte „Madeleine und der Legionär“, der jetzt in einer DVD-Box (Studio Hamburg) mit fünf anderen deutschen Filmen erscheint (etwa „Romanze in Moll“). Staudte erzählt von drei Deserteuren der Fremdenlegion, die aus dem Algerienkrieg fliehen. Hildegard Knef spielt eine französische Ärztin, die dem Trio auf der Flucht begegnet. Der Film spricht sich deutlich gegen Krieg und Kolonialismus aus, vermittelt seine Botschaften aber nicht immer subtil, wenn etwa die Knef als Symbol eines guten Frankreichs (und Deutschlands) laut über die Welt nachdenkt: „Moderne heutige Menschen – sind wir das?“. Da stehen sich Handlung und Didaktik manchmal im Weg. Dennoch spannend und sehenswert.