Gary Numan Savage BMG

Gary Numan, der Vermummte. Fotos: BMG

„Savage“ heißt das neue Album von Gary Numan, der damit seinen vierten (oder gar fünften? sechsten?) Frühling erlebt. Ein Blick auf das Album, aber ersteinmal auf eine kuriose und schwierige Karrriere. die eigentlich schon vor 36 Jahren totgesagt wurde.

Die Vorgeschichte

Saarbrücken Wahrscheinlich versteht er die Welt gerade selbst nicht mehr. In seiner Heimat England häufen sich die Interviews, einen Songwriter-Preis hat er bekommen, und die neue CD „Savage“ wird Gary Numan wohl den ersten Top-10-Einstieg in die britischen Album-Charts seit 35 Jahren (!) bescheren. (Kleine Aktualisierung – das Album ist auf Platz 2 eingestiegen.)

Nicht schlecht für jemanden, der über viele Jahre als Hass- wie Witzfigur galt und eine beispiellose Zickzack-Karriere erlebte, bei der man etwas ausholen muss: 1978 ist Gary Numan ein 20-jähriger Südlondoner, der von der Popkarriere träumt und auf seiner Gitarre Punk-Akkorde herunterschrubbt, um dem aktuellen Zeitgeist einen Plattenvertrag abzutrotzen. Das gelingt, und Numan lässt Ideologie und Stil des Punk schnell hinter sich, als er in einem Hinterhof-Studio einen Synthesizer entdeckt. Dessen düstere Klangfarben verbindet er mit Gitarren und seiner ungewöhnlichen, leicht metallischen Stimme, singt von Maschinen, Entfremdung, Vereinsamung und trifft offensichtlich einen Nerv: Die Single „Are friends electric“ erreicht 1979 Platz 1 in England, gefolgt vom Elektronik-Klassiker „Cars“, und macht Numan zu einem bizarren Popstar: Ein unsicherer Einzelgänger, mal schüchtern, mal großspurig, der sein schnell verdientes Geld ebenso schnell wieder bei bombastischen Shows voller Neonlicht und Nebelschwaden verpulvert und sich selbst auf der Bühne hinter großen Gesten und schwarzen Kostümen versteckt. Die öffentliche Aufmerksamkeit und die Attacken der wenig zimperlichen englischen Presse, die an seiner Musik kein gutes Haar lässt, setzen  Numan so zu, dass er sich zwei Jahre nach dem Durchbruch theatralisch vom Tourneeleben verabschiedet. Danach widmet er sich einer Haartransplantation, macht einen Pilotenschein und fliegt um die Welt – in Indien wird er wegen Verdachts auf Spionage verhaftet.

Numan Savage BMG

Numan aktuell beim Videodreh zur Single „My name is Ruin“.

Die schwierigen Jahre

Kleinlaut steht er zwei Jahre nach dem Konzert-Abschied wieder auf der Bühne, auch um sinkende Verkäufe anzukurbeln – den künstlerischen und kommerziellen Gipfel erreicht er nicht mehr. Die 80er und halben 90er bestreitet er vor stetig schrumpfender Publikumskulisse, mit mal gelungenen, mal desaströsen Alben, in denen er seine kühle Elektronik auch mit Funk und dezentem Jazz zu verbinden sucht. Die großen Ideen sind fern, in den Medien gilt Numan mit seinen Kostümierungen, mal blondiert, mal weißgekalkt, und seiner Bewunderung für die konservative Premierministerin Margaret Thatcher als Witzfigur.

Numan schmollt, verkracht sich konsequent mit Plattenfirmen und zählt die Schulden, die ihm das eigene zügig bankrotte Plattenlabel eingebracht hat – als Künstler hatte er unter anderem seinen Bruder, ein ehemaliges Bond-Girl und einen Rennfahrer unter Vertrag genommen. Neben der eigenen Musik verdingt er sich einige Jahre mit Kunstflug-Veranstaltungen in seiner Maschine aus dem Zweiten Weltkrieg. Doch Ende der 90er beginnt eine überraschende Renaissance: Bands wie die Foo Fighters oder die Smashing Pumpkins zitieren ihn als Einfluss, Tribut-Alben erscheinen, seine alte „Are friends electric“-Single wird in einer Version der Sugababes noch einmal eine englische Nummer 1.  Numan, dank dieser Tantiemen wieder schuldenfrei, wittert auch künstlerisch Morgenluft. Zwischen 1994 und 2006 erscheinen vier Alben, die an alte Glanztaten nicht direkt anschließen, die Numan aber eine Nische einrichten zwischen den Bands, die er damals beeinflusste und von denen er sich mittlerweile inspirieren lässt. „Splinter“ erreicht als erstes Album seit 1983 (!) die britischen Top 20 (wenn auch nur für eine Woche).

 

Gary Numan Savage

Verschnaufpause: Numan beim Dreh zu „My name is Ruin“ mit seiner Tochter Persia, die auf dem Stück auch mitsingt.

Das neue Album

Heute wohnt der 59-Jährige mit Frau und drei Töchtern in Los Angeles und geht regelmäßig auf Tournee: Mal mit den Hit-Alben von einst, mal mit neuer Musik. „Savage (Songs of a broken wo­rld)“ heißt nun das neue Album, laut Numan ein Konzeptalbum über die Welt nach dem Klimakollaps – textlich löst das Album das nicht ganz ein. Es bleibt vage, zumal bei Numan seit so manchen CDs die Welt untergeht, während sich im Hintergrund ein ungnädiger Gott ins Fäustchen lacht. (Warum der erklärte Atheist Numan so oft von Gott singt, wissen die, nunja, Götter).

Typische Songtitel wie „Broken“, „Bed of Thorns“ oder „When the world comes apart“ geben die Stimmung vor – mehr Moll geht kaum. Aber Numan und sein findiger Produzent Ade Fenton setzen diese Kompositionen des kollektiven Kollaps’  schlüssig und reizvoll in Szene: mit düster dröhnenden Synthesizern, tuckernden Rhythmusmaschinen, wuchtigen Donner-Gitarren und immer wieder überraschend eingängigen Refrains – so melodisch war der Weltuntergang bei Numan lange nicht. Auffällig sind viele orientalisch anmutenden Kompositionen; vor allem die erste Single „My name is ruin“, bei der Numan seine elfjährige Tochter als Sängerin eingeladen hat, weil sie die verschlungene Melodie besser trifft als er. Wirklich Neues bietet Numan nicht – aber so souverän war sein Händchen für dunkle Pop-Schönheit inmitten der großen Krise lange nicht.

Gary Numan: Savage (BMG).
Live: 25. 
10. Köln, 26. 10 Berlin.

 

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