Dara Lalo als Gal in einer Szene des Films "[T]oxygen", der im Weltkulturerbe Völklinger Hütte entsteht.

Dara Lalo als Gal in einer Szene des Films „[T]oxygen“, der im Weltkulturerbe Völklinger Hütte entsteht. Foto: Moritz Reitmann / [T]oxygen

Dreharbeiten im Weltkulturerbe Völklinger Hütte: Hier entsteht der Film „[T]oxygen“ über eine Welt, in der die Luft zum Atmen knapp wird.

Im nebligen Halbdunkel geht ein wenig die Sonne auf. „Gekauft! Danke!“, ruft Regisseur John Never erleichtert und sieht ziemlich glücklich aus. Vor zwei Monitoren sitzt er, in einem dunklen Gang der Völklinger Hütte, neben ihm Ko-Regisseurin Sabrina Döpp. Auf dem Bildschirm schauen sie sich an, was ein paar Meter weiter gefilmt wird: Maskierte Menschen mit klobigen Tornistern auf dem Rücken traben durch die Brennerbühne in der Sinteranlage, diffus ist das Licht, man riecht die alten Anlagen. Die Kamera von Vincent Schulist zieht in tiefer Position an den Menschen vorbei – was man auf den Monitoren sieht, ist beeindruckend: düster und atmosphärisch, als hätten sich die Filme „Blade Runner“, „Dark City“ und „Metropolis“ in Völklingen getroffen.​

Eigens ein „Nebelbeauftrager“ ist dabei​

„[T]oxygen“ heißt der Kurzfilm, der hier entsteht und eine knappe halbe Stunde lang werden soll. Es ist der dritte Drehtag von neun, erst einmal – und zugleich der aufwändigste, mit 20 kostümierten Komparsen, 50 Teammitgliedern und, wie Produzent Lukas Weishaar erzählt, einem offiziellen „Nebelbeauftragen“. Der Film führt in eine erschreckende Welt der Zukunft, in der sogar die Luft knapp wird. Damit die Menschen im Smog ihrer von Industrieanlagen zugewachsenen Welt nicht ersticken, gibt es noch ein paar Fabriken mehr; in denen wird die verrußte Luft gefiltert und wieder atembar gemacht. Der Lohn für die Arbeiterinnen und Arbeiter in diesen Sauerstoff-Kläranlagen: Luft zum Überleben.​

 

Gruppenbild mit Team, Statistinnen und Statisten bei den Dreharbeiten von "[T]oxygen". Foto: Moritz Reitmann / [T]oxygen

Gruppenbild mit Team, Statistinnen und Statisten.     Foto: Moritz Reitmann / [T]oxygen

Regisseur Never, Mediengestalter und Künstler, studiert „Media Art & Design“ an der Hochschule der Bildenden Künste Saar (HBK); er hat das Drehbuch geschrieben, kümmert sich um das Sounddesign und komponiert die Musik. Erste Eindrücke, auch einen filmischen Teaser, gibt es auf der Internetseite des Films, der unter dem Dach der HBK entsteht, aber doch um einiges aufwändiger ist als ein klassischer Hochschulfilm. Die Saarland Medien fördern mit 8000 Euro, die Hochschule Offenburg ist beteiligt, auch das Technik Museum Sinsheim unterstützt.​

 

Multitasking: Regisseur/Autor/Komponist John Never mit dem Heißkleber an einer Requisite. Foto: Moritz Reitmann / [T]oxygen

Multitasking: Regisseur/Autor/Komponist John Never mit dem Heißkleber an einer Requisite. Foto: Moritz Reitmann / [T]oxygen

Zudem haben die rührigen Filmemacher um Never und Co-Regisseurin Döpp, die an der HBK diplomiert hat, 5265 Euro per Crowdfunding angeworben, um das ambitionierte Projekt zu stemmen, das ohne eine gewisse Selbstausbeutung nicht möglich wäre. Jeder hier arbeitet auf Rückstellung, Geld gibt es keins zu verdienen – möglich ist das höchstens, wenn sich der Traum einer Fortführung erfüllen würde. Zwar sei „[T]oxygen“ in sich abgeschlossen, könnte zugleich aber auch der Beginn einer seriellen Erzählung sein, sagt Döpp. Also Stoff eventuell für einen Streaming-Anbieter oder TV-Sender? Alle hoffen es.​

 

Ko-Regisseurin Sandra Döpp. Foto: Moritz Reitmann / [T]oxygen

Ko-Regisseurin Sandra Döpp. Foto: Moritz Reitmann / [T]oxygen

Stahl aus Styropor​

Derweil schaut Ralf Beil in der Halle vorbei, Direktor des Weltkulturerbes, und ist sichtlich angetan von dem, was hier passiert. In der Mitte des Raums steht das Modell der Völklinger Hütte, ist nun aber abgedeckt von scheinbaren Eisenplatten. Doch die klingen beim Draufklopfen weniger massiv denn merkwürdig schmalbrüstig – kein Wunder, es sind Styroporplatten der Filmkulisse. Auf denen liegen Requisiten, die einen gewissen Retrofuturismus ausstrahlen. Die klobigen Bohrmaschinen und blinkenden Messgeräte wirken, als kämen sie aus der Zukunft und der Ära der industriellen Revolution zugleich.​

Von links: Set Designer und Executive Producer Martin Lambrecht, Regisseur/Autor John Never und Produzent Patrick Müller. Foto: tok

Von links: Set Designer und Executive Producer Martin Lambrecht, Regisseur/Autor John Never und Produzent Patrick Müller. Foto: tok

Der Nebel über der Brennerbühne lichtet sich langsam; die Komparsen traben an die frische Luft für ein Erinnerungsfoto, vorbei an einem kleinen Berg Schnittchen und einer Sauerstofftornister-Requisite, die an einer Wand lehnt; fünf Kilo schwer und mit einem blinkenden Display, das Regisseur Never selbst „gestaltet und zusammengelötet“ hat, wie er sagt.​

Kulissen in der Handwerkergasse​

Zeit für eine kurze Mittagspause und ein paar Schritte weiter in Richtung Handwerkergasse auf dem Hüttengelände. An einer Tür klebt ein Blatt Papier mit dem Hinweis „[T]oxygen Base“, neben einem Schild, das vermutlich mit dem Film nichts zu tun hat: „Bitte Pferde nicht füttern und anfassen.“ Hier in der Gasse ist unter anderem eine Kulisse des Films aufgebaut: Eine karge Schlafkammer mit minimal verputzten Backsteinwänden, einem staubigen Plattenspieler, Bücherregal und einem Bett, dem man den ein oder anderen Floh zutrauen würde. Eine kunstvoll abgewohnte Kulisse, gebaut von Martin Lambrecht, zuständig für Set Design, zugleich einer der Produzenten. Multitasking eben.​

Im Kulissenzimmer nebenan steht ein staubiges Keyboard mit allerlei kleinen Anbauten auf einer Werkbank. Hier lebt im Film die Hauptfigur Gal (gespielt von Dara Lalo), ein Arbeiter in einer Fabrik für Energiegewinnung und Luftfilterung. Sein Vater ist bei ihm, auf den Rollstuhl angewiesen und ohne Unterstützung – in dieser Zukunftswelt gibt es ebenso wenig frische Luft wie Sozialsysteme. Der Vater wird im Film auf der staubigen E-Orgel spielen, für ihn und den Sohn „eine Zuflucht aus der Einförmigkeit der Fabrik und der Welt“, wie Never sagt. Durch einen Zwischenfall in der Fabrik wird sich die Situation für Vater und Sohn weiter zuspitzen.​

Hoffen auf Festivals​

Nach diesen neun Drehtagen am Stück wird es im Sommer einen zweiten Drehblock geben, erklärt Produzent Patrick Müller: „In diesem Jahr soll der Film abgedreht sein, nach der Postproduktion werden wir ihn bei Festivals einreichen.“ Auch beim Saarbrücker Filmfestival Max Ophüls Preis. Und die Idee einer Weiterführung? „Ob das klappt, ist schwer abzuschätzen“, sagt Regisseur Never, „aber wir wollen die Geschichte unbedingt weiter erzählen.“ Wenn nicht filmisch, dann eben als Buch. „Aber es wäre sehr schade, wenn wir das nicht visuell machen können. Unsere Geschichte geht noch deutlich weiter – am Ende des Kurzfilms könnte es gleich mit dem Abenteuer weitergehen.“​

 

Ein Kulissenraum mit der antiken Heimorgel. Foto: tok

Ein Kulissenraum mit der antiken Heimorgel. Foto: tok

Doch die Muße, von Fortführung und einer Serie zu träumen, haben die Filmemacher zurzeit kaum. Die aktuelle Produktion ist ambitioniert, trotz Rückstellung der Beteiligten ist sie eng kalkuliert, Geld und Zeit sind so knapp wie der Sauerstoff im Film. „Wir hatten eine Diskussion, ob wir das Ganze nicht komplett runterbrechen und eine Nummer kleiner machen“, gibt Never zu, „aber das würde nicht gut aussehen. Das wollen wir nicht.“ So versucht man es eben mit vollem Einsatz. „Wir wollen ja auch zeigen, dass man so etwas im Saarland verwirklichen kann“, sagt Never. „Mein Fazit zurzeit wäre aber eher, dass es nicht wirklich funktioniert.“ Denn Never und auch Döpp haben letztlich eigenes Geld zugeschossen, Never nahm einen Kredit auf, wie er sagt, damit die Produktion so läuft, wie es in seinen Augen nötig ist. So sind Geldgeber, Sponsoren und Unterstützer aller Art weiterhin sehr willkommen. Die Mittagspause ist inzwischen vorüber – von der sonnigen Handwerkergasse geht es wieder ins Halbdunkel der Brennerhalle, die Zukunft wartet.​

Infos, Fotos, Musik und Produktionsentwürfe gibt es unter https://toxygen-film.de