Szene aus "Radical": Eugenio Derbez als Lehrer Sergio. Foto: Ascot Elite

Eugenio Derbez als Lehrer Sergio. Foto: Ascot Elite

Im Kino ist manches ja zu schön, um wahr zu sein. Was aber, wenn es schön und auch tatsächlich wahr ist (abzüglich ein wenig künstlerischer Freiheit)? „Radical – eine Klasse für sich“ ist so ein Fall. Um einen Lehrer geht es, der sich gegen ein starres Bildungssystem wendet, dabei Talente entdeckt und fördert, die sonst unbeachtet blieben – darunter eine nahezu geniale Schülerin, die an einem Müllplatz lebt.​

Diesen Lehrer und seine hochbegabte Schülerin gibt es tatsächlich, der Film von Christopher Zalla erzählt ihre Geschichte, die sich 2011 zutrug. Matamoros ist eine mexikanische Küstenstadt, eher staubig als blühend. Was blüht, ist der Drogenhandel; was staubt, sind die alten Bücher in der Bibliothek der lokalen Grundschule. Dort hat man sich damit abgefunden (teilweise bequem damit eingerichtet), dass allzu viel Ehrgeiz beim Lehren ohnehin nichts bringt: Wer die Schule nicht vorzeitig verlässt, weil er Geld für die verarmte Familie verdienen muss, wird von den Drogengangs angeheuert, mit Versprechungen einer finanziell gesicherten Zukunft oder schlicht mit Drohungen. Die Lehrkräfte deklamieren schnarrend Sätze über Disziplin, haben aber längst aufgegeben. Eine letzte Initiative war vor Jahren, Gelder für Schul-PCs einzuwerben, diese wurden bewilligt, versickerten aber im Korruptionsdickicht, bevor sie die Schule erreichten.​

„Wir lassen uns nicht begraben“​

Ein neuer Lehrer namens Sergio geht die Sache anders an, dreht (ziemlich symbolisch) die Tische im Klassenzimmer um, erklärt sie zu Rettungsbooten und versucht, Themen wie Masse, Volumen und Dichte lebensnah zu vermitteln. Sein Credo für die Klasse und für sich: „Wir lassen uns nicht begraben. Wir werden die beste Klasse der Welt sein.“ Das Kollegium ist befremdet bis entsetzt, nur der Schulleiter ahnt langsam, was der Lehrer vorhat. Aber die beiden stehen ziemlich alleine da.​

„Gondola“ von Veit Helmer

 

Szene aus Film "Radical": Paloma (Jennifer Trejo) und Nino (Danilo Guardiola). Foto: Ascot Elite

Paloma (Jennifer Trejo) und Nino (Danilo Guardiola). Foto: Ascot Elite

Wohlfühl-Formel​

Eugenio Derbez ist ein großer Star des mexikanischen Kinos und mit seiner integren Ausstrahlung eine passende Besetzung. Den beseelten Pädagogen nimmt man ihm jederzeit ab, auch die jugendlichen Darstellerinnen und Darsteller leisten Erstaunliches. Natürlich hört man gerne ein filmisches Hohelied auf Bildung und Individualismus, auf Menschlichkeit und Hoffnung. Und doch fällt dabei auf, wie formelhaft der Regisseur, zugleich Ko-Autor, erzählt. Man könnte den Film Szene für Szene nach Kalifornien verpflanzen, die Hauptrolle mit Robin Williams besetzen (der einst Vergleichbares in „Der Club der toten Dichter“ spielte) – und man hätte einen perfekten, stromlinienförmigen Hollywood-Wohlfühlfilm.​

Gedämpfter Realismus​

So gesehen hat es etwas Ironisches, dass der Film sich „Radical“ nennt, ist er doch so un-radikal wie möglich erzählt – wenn auch rundum kompetent. Und so geht er ans Herz, obwohl man spürt, wie kalkuliert er das tut, inklusive einer großen Krise kurz vor Schluss, aus der sich die Figuren zum Finale wieder erheben können. In der Zeichnung der Tristesse im Ort will „Radical“ nicht gänzlich realistisch werden – das tragischste Geschehnis des Films wird bewusst nicht im Bild gezeigt. Das kann man als gnädig empfinden oder auch als allzu zurückhaltend, als wolle man nicht mit zu viel Realität verschrecken. Seine Geschichte will der Film eben einem möglichst großen Publikum erzählen, was legitim ist.​