Film und dieses & jenes

Kategorie: Musik (Seite 2 von 3)

„Vilnius“, das erste Album von Tom Schilling

Tom Schilling, fotografiert von Stefan Klüter.

„Diesen Namen muss man sich merken“, rät das Infoblatt der Plattenfirma. Aber man kennt man ihn doch schon längst: Schauspieler Tom Schilling, 35, trat als Jugendlicher am Berliner Ensemble auf, wurde 2000 mit der Literaturverfilmung „Crazy“ bekannt, spielte in „Elementarteilchen“ und zuletzt im Stasi-Spionage-Mehrteiler „Der geteilte Himmel“.
Sein vielleicht größter persönlicher Erfolg bisher ist „Oh Boy“, ein Film über das Dahindriften , das Abhängen, das Versacken. Der Film spielt keine kleine Rolle für Schillings Debüt als Musiker: Die Band Major Minors hatte 2012 unter dem Namen The Jazz Kids die Musik zu „Oh Boy“ aufgenommen und Schilling freundete sich mit den Musikern an, die nun seine Begleitcombo auf dem Album ist. „Vilnius“ heißt es und wird sich erst einmal gegen „Jetzt singt er auch noch“-Reflexkritiken durchsetzen müssen. Das könnte gelingen, auch wenn die ersten Kritiken nicht nur wohlwollend sind: einen „Kneipenfolk-Versuch“ etwa nennt der „Musikexpress“ das Album mit seinen zehn Stücken, von denen Schilling neun getextet und acht komponiert hat. Viel Liebeskummer und Melancholie ziehen sich durch die Texte, in denen Schilling gerne große Bilder malt, mit Mond, Schnee, Himmel, Sternen, Schatten und Licht, Morgenrot und Abendhauch.

 

Ein Gemälde von Gerhard Richter schmückt das Album-Cover.

 

Das kann manchmal prätentiös wirken, aber Schilling hebt das mit manchen drolligen Zeilen wieder auf, wie „Dann greif ich A-Moll – das Klavier ist verstimmt / Ich bin es wohl auch“. In der Single „Kein Liebeslied“, einem dahinratternden Chanson, besingt er freudig den Auszug der ehemaligen und wohl selten wahrheitsgetreuen Herzensdame – jetzt wird erst einmal die Wohnung geputzt, um ihre letzten Spuren zu tilgen.

Die Band spielt dazu eine Musik, die entgegen ihres Namens mit Jazz nichts zu tun hat: eher mit manchmal luftigen, manchmal rauen Klängen irgendwo zwischen rumpeligen Rock mit Nick-Cave-Aroma und Chanson. Das füllt auch die schwächeren Stücke mit einiger Spannung. „Ein Junge“ etwa mit etwas ungelenker Sentimentalität („Eine Träne tropft aufs Abendbrot“) erfreut mit einer satt vor sich hinschnaubenden Hammond-Orgel, das Liebeslied „Schwer dich zu vergessen“ mit schönen Streichern. Die Geister dürften sich am ehesten an der Ballade „Ja oder nein“ scheiden – dieses Duett mit der hier besonders kinderstimmigen Annett Louisan kann man als große Schnulze empfinden (als hätten sich Roy Black und Anita wiedervereint) – oder als herrlich gefühlige Pop-Perle. Keine kleine Leistung ist, wie Schilling und Band hier mit Bettina Wegners „Kinder“ umgehen. Da der Text um kleine Hände und kleine Seelen ohnehin aussagekräftig genug ist, singt ihn Schilling nicht tränenschwer, sondern eher gefühlvoll, aber pathosfrei  – und lässt ihn umso stärker wirken.

 

Tom Schilling & The Jazz Kids: Vilnius.
(Embassy of Music/Warner & Zebralution).

Konzerte in der Nähe:
8. Mai Heidelberg, 9. Mai Frankfurt.

 

Neues von Goldfrapp: „Silver Eye“

Alison Goldfrapp

Alison Goldfrapp. Foto: Goldfrapp

Was sind sie wohl diesmal? Folkpopper mit Blumen im Haar und einem Bett im Kornfeld, wie beim vorigen, auch schon drei Jahre alten Album „Tales of Us“? Oder 80er-Jahre-Nostalgiker wie bei der CD „Head First“ (2010)? Oder gar Herbstmelancholiker mit Vorliebe für flauschige Streicherteppiche wie bei Goldfrapps Debüt „Felt Mountain“, das jetzt auch schon 17 Jahre alt ist?

Gänzlich berechenbar ist sie nicht, die Arbeit des britischen Duos (Will Gregory/Alison Goldfrapp), auch wenn Goldfrapps leicht angeraute Stimme eine Konstante ist. Das neue, siebte Album „Silver Eye“ ist nun keine Neuerfindung im großen Stil, sondern weist zurück auf ihre vornehmlich elektronische Phase mit den CDs „Black Cherry“ und „Supernature“. Die große Überraschung fehlt also, dennoch ist das ein überwiegend spannendes Album – mit eingängigen, dabei aber nicht aufdringlichen Melodien und cleveren Arrangements irgendwo zwischen 70er/80er-Jahre-Nostalgie und der Elektronik von heute.

Gregory lässt die Synthesizer pulsieren, blubbern und jaulen, dass es eine Wonne ist. Die Rhythmen changieren zwischen elegant klackend und elefantös stampfend – manches erinnert vage an Giorgio Moroders Stöhn-Discohits mit Donna Summer wie „I feel love“. Andere Stücke wagen die große melodramatische Geste: „Zodiac Black“ etwa beginnt karg und zart, um sich dann, mit verrätselten Texten um Wasser und Dunkelheit, hochzuschrauben zur großen sphärischen Klangexplosion mit rhythmischem Wummern und entrückten Chören.

Nicht jedes der zehn Stücke ist derart gelungen, ein, zwei Songs wirken wie allzu routiniertes Füllmaterial. Das ist aber verschmerzbar angesichts des grandiosen Höhepunkts „Moon in your mouth“: eine Ode an Liebe und Leben, die in ihrem nostalgischen 80er-Elektronikkleid und mit wunderbarer Melodie direkt ans Herz geht – zum Heulen schön.

Goldfrapp: Silver Eye
(Mute).

http://www.goldfrapp.com

 

Alison Goldfrapp

 

 

 

Helge Schneider und seine Orgel: „Heart Attack No. 1“

 

Helge Schneider

 

Soll man das glauben? Studio-Alben aufnehmen, Filme drehen, Bücher schreiben – all das will Helge Schneider nicht mehr. Sagt er zumindest gerade und will nur noch auf der Bühne stehen. Sein neues Studioalbum (von weiteren Live-CDs darf man ausgehen) könnte also sein letztes sein. „Heart Attack No. 1“ ist eine Liebeserklärung an den Jazz und an Schneiders Hammond-Orgel, die das Album mit ihren mal schummrigen und schlurfenden, mal frisch und fröhlich dahinhüpfenden Klängen beherrscht.

Pete York zu Gast

Schneiders einziger Kollege hier ist der britische Schlagzeuger Pete York, in den 60ern bei der Spencer Davis Group und seit einigen Jahren regelmäßig mit Schneider aktiv. Drei von 14 Stücken stammen von Schneider und York, es sind weniger ausgefeilte Kompositionen denn rudimentäre Rahmen, die Schneider mit verschlungenen Orgel-Exkursen füllt, manchmal mit Vibraphonklängen und seiner Stimme. Die Texte dabei sind minimal; bei einem Stück reicht ein bluesparodistisch hingejaultes „My baby left me in the morning, yeaaaahhh!“, beim Titelstück skandiert er die Zeile „Heart Attack No. 1“ wie einst die Band des seligen Glenn Millers beim bekannten „Pennsylvania 6-5000“.

„Ju masst rimämber sis“

Die meisten Stücke sind verdiente Klassiker, ob nun „All of me“, „Mood Indigo“ oder „One for my baby“, die Schneider viel Gelegenheit zum lässigen Improvisieren geben – wobei sich mit dem spezifischen Hammond-Klang eine gewisse nostalgische Gemütlichkeit breitmacht: Kaffee und ein gutes Stück Herrentorte wären da nicht verkehrt. Sollte eine gewisse Gleichförmigkeit auf hohem Niveau den Hörer einlullen, wird ihn die skurrilste Nummer allerdings aufwecken wie ein Donnerschlag: Schneider nimmt sich „As time goes by“ aus dem Film „Casablanca“ vor und singt den Text mit ungeschmeidigstem Englisch und einer verhuschten Artikulation, als sei er ein Gebissträger ohne Haftcreme: „Ju masst rimämber sis – a kiss is tschast a kisss“. Für Puristen ein Härtetest, ein großer Spaß für alle anderen.

Helge Schneider & Pete York: Heart Attack No. 1 (Universal / Polydor).

 

Raunen, röhren, keuchen: Depardieu singt Barbara

Gérard Depardieu Barbara

 

Ob Gérard Depardieu jemals in Göttingen war? Zumindest besingt er die Stadt nun – über den Umweg von Barbara. Die französische Sängerin (1930-1997) feierte mit ihrem Chanson über die Unistadt, die sie Anfang der 60er Jahre bei einem Gastspiel besucht hatte, ihren zumindest hierzulande größten Erfolg. Nun ist der Klassiker eines von 13 Stücken Barbaras, die Depardieu auf CD gebannt hat. Vor 31 Jahren stand er mit der Kollegin im Musical „Lily Passion“ auf der Bühne; nach Depardieus Aussagen ein unvergessliches Erlebnis, wenn auch kein filmisch aufgezeichnetes – immerhin Fotos gibt es noch von diesem Gipfeltreffen. Der Motor der Hommage „Gérard Depardieu chante Barbara“  war aber nicht der Mime, sondern Pianist und Arrangeur Gérard Daguerre, lange der musikalische Vertraute von Barbara. Er arbeitete an einer überwiegend instrumentalen Hommage, Dépardieu hörte sich einige Aufnahmen an, wollte bei zwei Nummern singen, am Ende waren es 13 – Stück 14 ist ein instrumentaler Ausklang.

Werden sich nun Barbara-Fans und/oder Chanson-Puristen schwer tun mit dem gesanglichen Ausflug des großen Galliers? Wohl nicht. Denn das Album ist keine Hommage, die die Stücke gegen den Strich bürsten oder ganz neue Facetten herauskitzeln will, sondern eher eine traditionelle Huldigung. Zugleich ist es eine Liebeserklärung an die klassische Chansonkunst, die Assoziationen weckt an schwarze Bühnenroben und Rollkragenpullis, an große Gesten und kajalumrandete Sängerinnen-Augen.

Pianist Daguerre, manchmal begleitet von Streichern und Akkordeon, knüpft den Klangteppich, auf dem sich Depardieu genüsslich ausbreitet, dabei aber nicht versucht, sich als technisch versierter Sänger zu zeigen, sondern als gefühlvoller Interpret. Die Grenzen zwischen Gesang und Sprechgesang sind fließend, im Stück „Mémoire, mémoire“ etwa, wenn er bei „folie recluse“ das erste Wort noch melancholisch raunt, beim zweiten schon melodiös abhebt. Ein Ansatz, der sichs durch das gesamte Album zieht und ihm den Charme einer gewissen Unberechenbarkeit verleiht – auch wenn die musikalische Begleitung ganz traditionell ist. Mal beginnt Depardieu deklamierend und röhrt am Ende wie ein gallischer Tom Jones („Le soleil noir“), mal singt er ganz klassisch („La solitude“), mal keucht er: Beim rhythmisch hüpfenden „Une petite cantate“ gerät er außer Atem, dabei dauert das Stück nur zwei Minuten. Das sind wohl die Tücken des Wohllebens.

Nur einen Tiefpunkt gibt es: „L’aigle noir“ – glatt, melodramatisch, kitschig. Ein Höhepunkt ist das unsterbliche „Göttingen“: Diese Ode an die deutsch-französische Freundschaft geht ans Herz. Man glaubt Putin-Freund Depardieu die frohe Botschaft der Völkerverständigung – egal, ob er Göttingen nun kennt oder nicht.

Gérard Depardieu chante Barbara
(Erschienen bei Because/Warner).

 

„La La Land“ – das Album

La La Land

 

Ach, schade: Die schrillen, grenzparodistischen Neuversionen der 80er-Hits „I ran“ und „Take on me“, mit quietschigen Keyboards und über-enthusiastischem Gesang, sind nicht auf dem Album zum Film „La La Land“. Vielleicht hätten sie ja auch nicht hineingepasst in diese Kollektion nostalgischer, dabei ironiefreier Musical-Klänge aus einem hinreißenden Film, der mit 14 Oscarnominierungen reich (für manche überreich) beschenkt ist. Big-Band-Jazz, zarte Balladen, flotte Tanznummern und auch einen streicherumschmusten Walzer bietet dieses Album von Komponist Justin Hurwitz (Texte von Justin Paul und Benj Pasek).

Kennt man den Film nicht, der von der Liebe einer Schauspielerin und eines Musikers in Los Angeles erzählt, mag manche Nummer etwas bombastisch und kitschig wirken – vor allem „Someone in the crowd“ mit großem Chorgeschmetter. Aber hat man „La La Land“ gesehen, verbindet sich die Musik mit den Bildern im Hinterkopf und mit seiner bittersüßen Geschichte, die das ganz große Gefühl und die große Liebe beschwört, seine Figuren dann aber doch scheitern lässt, letztlich an sich selbst.

Charmant dabei ist, dass Schauspieler Ryan Gosling nicht der Stimmgewaltigste ist – bei der Los-Angeles-Liebeserklärung „City of stars“ trifft er nicht jeden Ton und wurschtelt vokal etwas vor sich hin. Das passt immerhin, im Film spielt er ja einen Pianisten. Aus dem Rahmen fällt nur ein Stück, „Start a fire“ von John Legend: Im Film ist es das tönende Beispiel dafür, dass der ambitionierte Jazzpianist sich nolens volens dem kompetenten, aber etwas langweiligen Kommerz andient – genau so klingt das Stück auch. Ein Fremdkörper auf einem ansonsten famosen Album.

La La Land: Original Motion Picture Soundtrack (Universal).
Die Szenenfotos stammen vom Verleih Studiocanal.

 

La la Land

La la Land

La la Land

La la Land

 

Hausbesuch bei Genetikk in der Saarbrücker „Factory“

Genetikk

Zwei ihrer Alben sind aus dem Stand auf Platz eins in Deutschland eingestiegen, die neue CD „Fukk Genetikk“ schaffte es auf Platz 6. Es läuft gut beim Saarbrücker HipHop-Duo Genetikk. Ein Hausbesuch bei Rapper Karuzo und Produzent Sikk in ihrer „Factory“. Ihre Masken blieben dabei im Kleiderschrank, aber Fotos gibt es nur maskiert.

Da wartet man doch gerne. Der Kaffee ist nachtschwarz und könnte Tote erwecken, die Bücher neben dem Sessel sind kiloschwere Edelbände über Architekten wie Le Corbusier und Vincent Van Duysen. Auch ein Beuys-Buch ist mitgestapelt. Das also ist, in einer Straße nahe am Saarbrücker Staden, die Schaltzentrale von Genetikk, einem der erfolgreichsten HipHop-Acts Deutschlands. Während das Duo im Raum nebenan noch ein Telefon-Interview gibt, kann man sich ein wenig umschauen in der „Factory“, wie es seine Zentrale in Anlehnung an Andy Warhol nennt.

Weiße Wände, Fachwerkbalken, ein Nobel-Rennrad (wenn auch mit plattem Hinterreifen); zwei Schreibtische, geschmackvoll beschallt von Soul und Electro. Eine E-Zigarette dampft, ab und an klingelt das Telefon: „Hikids, hallo?“ – keine berufsjugendliche Anrede, sondern der Name des Unternehmens, das Genetikk nebenher führen: ein Modelabel als Absicherung, um das ganze Team, insgesamt sieben Leute, zu ernähren, wenn gerade keine Tournee oder Albumveröffentlichung ansteht.

Das Telefon-Interview ist nun zu Ende; Karuzo, die Stimme von Genetikk, führt herum – in einem Raum stapeln sich Pakete sowohl mit „Hikids“-Textilien als auch mit Genetikk-Merchandise. Nebenan ist eine kleine schallisolierte Kabine mit Mikrofon, daneben ein Raum mit Klavier und Mischpult, das Studio. Musik, Merchandise und Management sind also unter einem Dach, Genetikk sind beneidenswert autark. „Es gibt Künstler, denen die Plattenfirma sagen muss, was sie aufnehmen, was sie anziehen und was sie im Interview sagen sollen“, sagt Karuzo, „wir zählen nicht dazu.“

Als Gesprächspartner sind Genetikk ein eingespieltes Duo, man kennt sich seit Schulzeiten am Deutsch-Französischen Gymnasium in Saarbrücken, machte zusammen Musik, fand ein Plattenlabel und den großen Erfolg. Karuzo übernimmt meist das Reden; Sikk wirft ab und an etwas ein – „wir sind die ersten Saarländer mit goldener Schallplatte seit Nicole – wäre das nicht ein interessanter Aufhänger?“ Interessant ist es jedenfalls, die beiden ohne ihre manchmal gruselverströmenden Masken zu sehen, die sie, wie Karuzo sagt, „anonym und gleichzeitig sofort wiedererkennbar“ machen; hinter denen kann man sich ja was auch immer vorstellen – aber demaskiert sind Genetikk zwei optisch attraktive, gleichzeitig unauffällige Mittzwanziger, denen man jederzeit den eigenen Wohnungsschlüssel anvertrauen würde, damit sie einem im Urlaub die Blumen gießen.

Dass das überhaupt überrascht, mag daran liegen, dass Genetikk in einem Musikgenre operieren, das gerne mit Schocks und Tabubrüchen arbeitet – als Erfolgsprinzip personifiziert etwa von Bushido, der kalkuliert provoziert und dabei zielsicher auf mediale Empörungsbereitschaft setzt. „Über Bushido wirst Du kein böses Wort von uns hören“, sagt Karuzo. Mit dem sei man aufgewachsen und großgeworden. „Die Plumpheit, mit der da manches rüberkommt, finde ich großartig. Das zieht er konsequent durch.“ Genetikk gehen da, auch auf dem gelungenen neuen Album „Fukk Genetikk“, anders, sarkastischer und doppelbödiger an HipHop-Themen wie Geld, Gewalt, Drogen und Sex heran; als kritische Ironiker wollen sie sich dennoch nicht verstanden wissen. „HipHop lebt wie die ganze Popkultur von Klischees“, sagt Karuzo. Mit denen spiele man gerne, „das Plumpe macht ja auch Spaß“. Zudem seien Geld und Sex ja tatsächlich „die Motoren der Welt. Das Banale, Profane hat beim Menschen eine uralte Tradition. Wir alle sind Steinzeit – das Stammhirn gibt den Ton an.“

Geld ist ja nichts Böses

Die vorigen Alben „D.N.A.“ und „Achter Tag“ sprangen aus dem Stand auf Platz eins der Albumcharts, „Fukk Genetikk“ immerhin auf die 6. Genetikk sind also ein blühendes Unternehmen; Geld ist für Karuzo „nichts grundsätzlich Böses. Andy Warhol sagte ja, dass Geldverdienen die schönste aller Künste sei.“ Für das Duo bringt das Geld vor allem Freiheit, selbstverwaltet unter einem Dach zu arbeiten und künstlerisch so gut wie nichts aus der Hand geben zu müssen. Und dass Saarbrücken aus Metropolensicht etwas abseits liegt, hat für Sikk den Vorteil, „das wir mit dem ganzen Zirkus nichts zu tun haben“.

Dass Plattenverkäufe rückläufig sind und selbst ein Nummer-Eins-Album nicht mehr ganz so profitabel ist wie noch vor Jahren, wissen Genetikk. Das junge Publikum hört das neue Album wohl meist auf Diensten wie Spotify, die nicht jeder Künstler schätzt, da die Tantiemen dort eher tropfen denn sprudeln. „So schlecht ist die Quote da gar nicht“, sagt Karuzo, „und man muss akzeptieren, dass sich das ganze Geschäft dahin und etwa zu iTunes verlagert“. Umso wichtiger zum Leben und Überleben sei das Konzertgeschäft – „und deshalb muss man live gut sein“, sagt Karuzo. 100 000 Euro haben sie in ihre kommende Show gesteckt, mit der sie im März in der Region auftreten. Es läuft also gut bei Genetikk. Und wenn es mal nicht mehr läuft? „Dann“, sagt Sikk, „treten wir bei Galas auf oder spielen zur Eröffnung von Autohäusern.“

„Fukk Genetikk“ ist bei Selfmade/Universal erschienen.
Konzerte: 11. März, Den Atelier in Luxemburg.
30. März, Garage Saarbrücken.

Fotos: Hell

 

Genetikk

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Ray Cokes erinnert sich – MTV, Madonna und die 90er

Die Autobiografie von Ray Cokes

In den 90ern war er der König des Musikfernsehens: Fast jeder Jugendlicher kannte MTV-Moderator Ray Cokes. von Karriere-Absturz, Depression und gemäßigtem Comeback erzählt der Brite in seiner Autobiografie.

Kennt ihn noch jemand unter 30? Eine Umfrage im Büro fällt ernüchternd aus – hält man Ray Cokes‘ Autobiografie jüngeren Kolleginnen und Kollegen unter die Nase, zucken die mit den Achseln. In den 90ern wäre das nicht passiert. Da war der Brite, wenn nicht der König der Welt, dann doch der von MTV – und damit der Jugendkultur. Cokes moderierte seine Kessel-Buntes-Sendung „Most Wanted“ mit einem Nicht-Konzept des gerade so kontrollierten Chaos‘. Heutige als frech geltende Moderatoren wirken gegen Cokes in seinem Zenit wie streberische Azubis der Lockerheit. Nur: Was macht Cokes heute? Und wieso backt er medial so mittelgroße bis kleine  Brötchen, dass nur noch Zeitzeugen von einst ihn kennen?

PC-Spiele und Pornos

Davon erzählt Cokes in „My Most Wanted Life“, einem munteren, lebens- und anekdotenprallen Werk mit klassischer Struktur: Aufstieg, Fall, Läuterung – und die zweite Chance. Cokes wächst in England auf, in Südafrika und auf Mauritius (sein Vater war Soldat und wurde oft versetzt); er verdingt sich in Belgien als Koch, entdeckt die Energie des Punks, landet beim Radio und dann beim jungen Musikfernsehsender MTV – damals noch keine Abspielstation hirnfreier Billigshows. Cokes wird inmitten großer Aufbruch- und Expansionsstimmung zum großen Star – bis er 1996 bei einer missglückten Live-Sendung auf der Reeperbahn das pöbelnde Publikum beschimpft und seine Chefs bei MTV gleich mit. Es kommt zum Bruch, Cokes fällt in ein tiefes Loch, tröstet sich lange mit PC-Spielen und Pornofilm-Konsum, gerät in eine Depression – und rappelt sich langsam wieder hoch. Heute ist er wieder regelmäßig zu sehen. Strahlt sein Ruhm auch nicht mehr so hell wie einst – Cokes hat die Höhen und Tiefen überlebt.

Robbie Williams ruft nicht mehr zurück

Davon erzählt er detailliert, manchmal etwas blumig-wortreich: Nach dem Vorwort gibt es auch gleich zwei Prologe. Aber die wilde Zeit bei MTV schildert er höchst lebendig, wobei man erfährt, wer pflegeleicht und sympathisch war (Phil Collins), unerträglich (die US-Bands Poison und Counting Crows), durchweg professionell (Madonna) und durchweg unhöflich (Bob Geldof). Nach einer kurzen Freundschaft, so sieht es zumindest Cokes, meldet sich Robbie Williams nicht mehr, aber The Cure spielen gagenfrei bei seiner Hochzeit, was die Ehe jedoch langfristig nicht gerettet hat. Cokes schont sich in seinen Beschreibungen nicht, etwa, wenn es um sein Versagen als junger Vater geht.

Das Klischee vom „eigenen Ding“

Ein wenig zu oft bemüht er das Klischee vom Moderator, der „immer sein Ding macht“ und „sich treu bleibt“. Dass er mittlerweile, von 2012 bis 2014, in der Jury einer Talent-Show saß, die er früher ablehnte, mag dazu nicht ganz passen. Aber Cokes kann es nach frustrierenden Jahren nun „genießen, kleinere Brötchen zu backen“. Das gönnt man ihm von Herzen – vielen Menschen hat er die 90er Jahre nicht unerheblich verschönt.

Ray Cokes: My Most Wanted Life. Die Autobiografie. (Auch in Englisch erschienen).
Schwarzkopf und Schwarzkopf, 400 Seiten, 19,95 Euro.

Fotos: Schwarzkopf und Schwarzkopf.

Ray Cokes und Robbie Williams

Da waren sie noch so etwas wie Freunde: Robbie Williams und Ray Cokes.

„Der Preis des Todes“ / „Assassinée“ mit Patricia Kaas

Patricia Kaas

Ob sie nicht wollte? Oder ob gute Angebote ausblieben? 2002 gab Patricia Kaas ihr Debüt als Schauspielerin, dem lange nichts folgte. „And Now … Ladies & Gentlemen“ hieß die Romanze, die in den Kinos, auch in den deutschen, wenig Eindruck hinterließ – trotz Filmpartner Jeremy Irons und Regisseur Claude Lelouch („Ein Mann und eine Frau“). Erst 2011 nahm Kaas wieder eine Rolle an – im französischen Fernsehfilm „Assassinée“. Der zählte bei den Nachbarn auf France 3 im Mai 2012 über fünf Millionen Zuschauer, lief unter dem merkwürdig geschraubten Titel „Der Preis des Todes“ Ende 2013 im Bayrischen Rundfunk und ist mittlerweile aud DVD erhältlich.
Kaas spielt eine Frau im französischen Hinterland, die den 20. Geburtstag ihrer Tochter vorbereitet. Während die Gäste schon im Garten feiern, wartet die Mutter auf die Tochter, die über Nacht nicht nach Hause gekommen ist. Unbehagen weicht wachsender Angst, bis die Mutter die Gewissheit hat – die Tochter ist ermordet worden, ihre Leiche wird an der Landstraße gefunden.
Es ist die Stärke des Films von Thierry Binisti, dass er sich wenig für die Lösung des Mordfalles interessiert: „Der Preis des Todes“ ist kein üblicher TV-Krimi. Vielmehr beschreibt er den Zusammenbruch der Eltern und ihre Ratlosigkeit gegenüber einem gründlich, aber langsam ermittelnden Polizeiapparat und einer Justiz, deren unpersönliche Arbeitsweise sie als kalt und gnadenlos empfinden. Der Untersuchungsrichter hat keine Zeit für die Eltern, sie bekommen nur den Rat, eine Abfindung zu beantragen: Geld als Entschädigung für den Tod der Tochter. Schnell kommen Mutter und Vater an ihre Grenzen, was sich bei ihnen unterschiedlich zeigt: Sie zieht sich innerlich von allem zurück, entfernt sich auch von ihrem Sohn und fixiert sich völlig auf die Suche nach dem Täter. Der Vater reagiert hilflos mit Aggression, bis er seelisch zusammenbricht. „Der Preis des Todes“ ist, natürlich, kein einfach zu sehender Film. Er rührt an Urängste, an elterliche Albträume und ist in manchen Passagen schwer zu ertragen: etwa wenn man als Zuschauer schon weiß, dass die Tochter nicht mehr lebt, aber die zunehmend panische Mutter immer noch nach ihr sucht.

Der Film ist dabei ganz auf Patricia Kaas und ihre Rolle zugeschnitten. Sie bietet eine gute Leistung als Zerbrochene, die ihre letzte Kraft aufbietet, um so etwas wie Gerechtigkeit und einen relativen Frieden zu finden. Sie rastet aus, bricht zusammen, ist manchmal eine selbstgerechte Furie, oft ein Häufchen Elend – das alles ist sehr gut und sehr natürlich gespielt.
Gewöhnen muss man sich aber an ihre Synchronisierung. In der deutschen Fassung von „And Now…“ hatte sich die Forbacherin selbst gesprochen, wodurch ihr rauchiges Timbre auch bei uns erhalten blieb, was sich mit ihrem Akzent im Umfeld deutscher Synchronsprecher aber etwas deplatziert ausnahm. In „Der Preis des Todes“ wird sie von der Schauspielerin Nina Kronjäger gesprochen, was von der Stimmlage her gar nicht mal schlecht passt – aber die Kaas klingt hier eben anders als gewohnt. Ihrer Leistung tut das keinen Abbruch, auch nicht das Ende des Films, das hektisch die losen Enden verknüpft, ungeschickt begleitet von einer Erzählerstimme. Für Kaas tut sich eine mögliche Zweit- oder Parallelkarriere auf.

Auf DVD erschienen bei EdelMotion.
Fotos: BR/EdelMotion.
Patricia KaasPatricia Kaas

Flirren und Brummen: Das Filmmusikalbum „The Childhood of a leader“ von Scott Walker

Scott Walker

Einst war Scott Walker als Stimme der Walker Brothers ein Teeniestar, dann begann er eine Solo-Karriere, die ihn vom melancholischen Edelpop zur Avantgarde führte. Sein jüngstes Album ist Filmmusik, die den Hörer herausfordert.

Verlässlich unberechenbar bleibt er. Musste man früher manchmal eine Dekade warten auf ein neues Album von Scott Walker, so ist der Amerikaner (der seit Jahrzehnten in London lebt) heute so produktiv wie seit den 60er Jahren nicht mehr: Damals legte er, nachdem er mit den Walker Brothers kurzfristig zum Teeniestar geworden war („The sun ain’t gonna shine anymore“), rasch seine melancholischen Solo-Meisterstücke „Scott“ bis „Scott 4“ (1967-1969) vor – Edelpop mit Orchester, bittersüßen Texten und Walkers göttlichem Bariton. Wem da nicht heute noch das Wasser in die Augen steigt, der muss gefühlskalt sein.

50 Jahre später klingt Walker (73 inzwischen) ganz anders, den Pop hat er lange hinter sich gelassen, seine Musik hat sich verfinstert; auf nachtschwarzen Alben wie „Tilt“ oder „The Drift“ singt er abstrakte Texte zu avantgardistischen Streicher- und Percussion-Klängen – letztere schon mal durch Schläge auf rohes Fleisch erzeugt. Dass er zuletzt mit der US-Düsterrockband Sunn O))) ein Album aufnahm („Soused“), war nur eine milde Überraschung; denn Walker ist alles zuzutrauen – außer dem, was sich manche alten Fans wünschen: ein spontan zugängliches Album.

Ein solches ist „The childhood of a leader“ auch nicht geworden: 18 rein instrumentale Stücke, manche kürzer als eine Minute, begleiten den gleichnamigen Film von Brady Corbet. Bei uns ist das Werk, das vom Faschismus des 20. Jahrhunderts erzählt, noch nicht gelaufen; die Musik ist nicht mit Bildern verbunden, steht für sich selbst – und verlangt ein offenes Ohr. Selten erklingt ein Schlagzeug oder ein Tasteninstrument, Walker lotet die Möglichkeiten der Streicher aus: Die lässt er manchmal in höchsten Tönen fast flirren und rauschen, perkussiv donnern, dann wieder in tiefsten Tönen brummen und dröhnen. Manchmal schält sich überraschend ein keckes Motiv heraus, manchmal ist es ein Soundtrack der Verzweiflung. Keine Musik für nebenher ist das, es bieten sich Kopfhörer und ein dunkler Raum zum Hören an. Im letzten Stück, „New Dawn“, klart sich die Düsternis dann doch noch auf, mit der freundlichsten Melodie dieses Albums, das einen fordert und letztlich doch belohnt.

Scott Walker: The childhood of a leader (4AD/XL).
Das Foto stammt von David Evans / 4AD.

Man muss ja nicht alles können – Prince als Filmemacher

 

 

 

 

Prince Blu-ray

Am Anfang volle Kinos und gute Kritiken. Am Ende? Schmähpreise und rote Zahlen. Die Karriere von Prince als Filmemacher war holprig. Seine drei Kinofilme erscheinen jetzt als Bluy-ray-Box und laden ein zu einem Blick zurück.

Merkwürdig verlief sie, die Kinokarriere von Musiker Prince. Drei Filme drehte er: erst einen Erfolg, dann einen mittleren Misserfolg, dann einen kompletten Flop. Nun erscheinen die Filme zusammen auf Blu-ray (der letzte erstmals) – eine gute Gelegenheit, sich an Prince, der im April im Alter von 57 Jahren starb, als Filmemacher zu erinnern. 1983/84 entstand „Purple Rain“, in dem Prince seinen Aufstieg als Musiker in Minneapolis nacherzählte; um Rivalitäten mit anderen Musikern geht es, um schwierige Familienverhältnisse, um Kreativität und brennende Ambition. Das begleitende Album machte Prince 1984 vom Kult- zum Superstar, während der Film der beste mit Prince bleibt – wohl, weil er ihn geschrieben, aber nicht inszeniert hat (es war Albert Magnoli).

Kamera: Michael Ballhaus

Schauspielerführung und Dramaturgie waren keine Stärken des Musikers, wie sich zeigen sollte. Der Erfolg von „Purple Rain“ jedenfalls war so groß, dass Prince 1985 rasch den nächsten Film drehte, an der Cote d’Azur und – überraschend – in Schwarzweiß: „Under the Cherry Moon“. Nach einer Woche Dreharbeiten entließ er die Regisseurin Mary Lambert und inszenierte selbst. Die Geschichte eines musizierenden Gigolos (Prince), der unter der Mittelmeersonne die Herzen schmelzen lässt, hat er nicht in den Griff bekommen – die Gags zünden selten, die Schauspielerei wirkt überzogen – was bleibt, sind die Musik, die atmosphärischen Bilder von Kameramann Michael Ballhaus und das Debüt von Kristin Scott Thomas.

Schlecht gealtert

Fans und Kritik konnten wenig anfangen mit dem Film – da ist es wohl kein Wunder, dass Prince beim nächsten Versuch scheinbar sichereres Terrain betrat: 1990 führte er „Purple Rain“ vage fort und erzählte in „Graffiti Bridge“ von Rivalitäten unter Nachtclubbesitzern und von sich selbst als Künstler auf Sinnsuche, begleitet von einem Engel und von lyrischen Visionen, die er an seine Wand pinselt. Der Film schafft sich seine eigene künstliche Welt – wo „Purple Rain“ noch tatsächliche Straßen in Minneapolis zeigte, Hinterhöfe und reale Clubs, da ist in „Graffiti Bridge“ alles nur noch Studio – mit knallbuntem Licht und Kunstnebel, den Prince mit dem Motorrad telegen durchfährt. Das raue Filmische von einst ist einer glatten Ästhetik gewichen, die schlecht gealtert ist und heute wie ein langes MTV-Video wirkt. Bei Konzertaufnahmen erwacht der Film zum Leben; erzählt Prince seine Geschichte, stolpert er ins Kunstgewerbe.

Ein Konzert mit Gary Numan, der einst „1999“ von Prince coverte

Kurios bleibt dieses Film-Trio und auch frustrierend, wenn man darüber spekuliert, was vielleicht hätte sein können – hätte Prince, der begnadete Musiker und Bühnenmensch, sich nicht selbst inszeniert, sondern sich einen Profi gesucht. Man muss ja nicht alles können.

Erschienen bei Warner. Extras: Videoclips zu den einzelnen Filmen und im Fall von „Purple Rain“ Hintergrundberichte.

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