"Medusa"

Trällern für Jesus und das Patriarchat: „Michele and the Treasures of the Lord“.  Foto: Drop-Out Cinema

Diese jungen Frauen wirken, als könne kein Wässerchen sie trüben. Doch wehe, wenn es Nacht wird und sie ihren Unschuldsblick hinter weißen Masken begraben. Da gehen die Damen, die sonst in der Band „Michele and the Treasures of the Lord“ zuckersüßen Pop zu Ehren Gottes trällern, auf die Jagd: auf Frauen, die nach ihrer Auffassung, sündigen – etwa durch Sex vor der Ehe. Da treten die unbarmherzigen Schwestern zu, filmen die erpresste Beichte und zählen dann die Likes im Internet. Bei einem Überfall aber gerät Bandenmitglied Mariana an ein überraschendes Opfer – es wehrt sich mit einem Messer, Mariana trägt eine Narbe auf der Wange davon, was sie in ihrem Umfeld nahezu zur Aussätzigen macht: Den Job im Schönheitssalon verliert sie, da man dort nur glatte Haut sehen mag; bei den Freundinnen, für die Schönheit das elfte Gebot ist, muss sie die Narbe mit ihren Haaren bedecken.

Um sich in der Bande wieder zu etablieren, plant sie einen Coup: Einst wurde eine allzu lebenslustige und allzu schöne Schauspielerin von einer Banden-Glaubensschwester mit Benzin in Brand gesteckt. Sie überlebte, hat sich aber wegen ihrer Entstellung zurückgezogen. Gelänge von ihr ein Foto, wäre das eine mediale Sensation. So macht sich Mariana auf die Suche – zuerst in einer Klinik für Komapatienten.

Grüße von Argento und Carpenter

„Medusa“ ist der zweite Spielfilm der Brasilianerin Anita Rocha da Silveira. Inspiriert – und beunruhigt – von wachsender Gewalt in ihrer Heimat durch ultraorthodoxe Gläubige gegen Andersdenkende und -lebende, hat sie eine bunte Groteske geschrieben: zwischen schwarzer Komödie und Horror, zwischen Satire und zorniger Anklage. Mit wundersamen Bildern im Breitwandformat (Kamera: João Atala) erschafft sie eine stilisierte Welt der Bonbon- und Neonfarben für die Jesus-Barbies; bei den nächtlichen Streifzügen pulsieren sämige Synthesizer-Klänge – da sind Dario Argento für die Optik und John Carpenter für die Musik durchaus Referenzen.

Als Mariana eine andere, liebevollere Welt entdeckt, sieht sie (und das Publikum) andere Farben – erdig, näher an der Wirklichkeit, da wird ein Wald zur Gegenwelt des ultrakonservativen Milieus, in dem Frauen engelsrein sein sollen, in dem Männer sich paramilitärisch kleiden und ihre Körper stählen – eine Wehrsportgruppe Christi? Um Glaubenskritik geht es der Filmemacherin nicht, betont sie, sondern um Religions- und Unterdrückungsstrukturen. Die betrachtet sie weniger analytisch denn manchmal plakativ, so dass der Sog der Bilder, gerade bei der Rebellion Marinas, besser gelingt als Erklärung und Erkenntnis. Aber das nimmt dem Film nur wenig von seiner Kraft.