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Musiker Stephan Mathieu: „Ein Werk darf auch verschwinden“

Stephan Mathieu David Sylvian

Der Saarbrücker Musiker Stephan Mathieu, jetzt ein sehr gesuchter Mastering Engineer mit Studio in Bonn.  Foto: Caro Mikalef

 

Der Saarbrücker Stephan Mathieu war mit seiner elektroakustischen Musik über Jahre erfolgreich – bis er mit dem Komponieren aufhörte, die letzten Alben verkaufte und seine Arbeiten aus dem Streaming-Angebot löschte. Ein radikaler Schritt? Nein, findet Mathieu.​

Es ist nicht einfach zu erklären. Eigentlich nimmt Stephan Mathieu aus Saarbrücken keine eigene Musik mehr auf; außerdem hat er alle seine Aufnahmen aus dem Streaming-Angebot herausgenommen. Seine um die 50 Alben und EPs presst er nicht nach. Tabula rasa. Und doch ist gerade ein Album herausgekommen, wenn auch ohne sein Zutun. Und obwohl der Saarbrücker keine Musik, keine Klangkunst mehr aufnimmt, ist der 55-Jährige doch täglich (und oft auch nächtlich) in seinem Bonner Tonstudio sehr beschäftigt – wohl mehr als je zuvor.​

Stephan Mathieu erklärt, wie das alles zusammenpasst. Über Jahre war er mit seiner elektroakustischen, eigenwilligen, bisweilen meditativen Musik international erfolgreich; seine Arbeiten veröffentlichte er seit 2012 über sein eigenes Label mit dem schönen Namen „Schwebung“. Doch im September 2022 machte er einen radikalen Schritt und zog  seine Musik aus dem Verkehr, auch im Streaming. „Meine Stücke dauern manchmal eine ganze Stunde lang. Beim Streaming ist die Aufmerksamkeitsspanne kurz, da wird schnell zum nächsten Stück weitergeklickt.“ Zu dieser Kultur der Schnelllebigkeit wollte er nicht beitragen, „die Konsequenz daraus ist, das Ganze verschwinden zu lassen“, sagt Mathieu – und lacht. Tragisch findet er das alles nicht, denn seine Interessen haben sich verschoben. „Und ich mag die Idee: Ein Werk darf auch verschwinden.“​

„Wandermüde“ von Stephan Mathieu und David Sylvian

Aufgetaucht ist allerdings gerade ein Album als Wiederveröffentlichung, das vor zehn Jahren erstmals erschien – und jetzt der Grund, dass Mathieu nach einigen Jahren wieder ein Interview gibt: „Wandermüde“, eine Zusammenarbeit von Mathieu und David Sylvian. Jener Engländer war mit seiner Band Japan in den 1980ern ein großer Popstar, wandte sich solo aber rasch von üblichen Musikstrukturen ab und dem Experimentellen zu, arbeitete unter anderem mit Holger Czukay von der deutschen Avantgarde-Band Can. 2011 stieß  Sylvian auf Mathieus Musik: „Er schrieb mir, dass er meine Musik sehr mag“, sagt er, „das war schon eine große Sache, denn Japan und Sylvians erste Solo-Aufnahmen waren sehr wichtig für mich“.​

 

„Wandermüde“ heißt das Album von David Sylvian und Stephan Mathieu. Vor zehn Jahren erschienen und vergriffen, wird es jetzt vom Label Grönland wieder veröffentlicht. Mathieu und Sylvian haben nach einem „heftigen Crash“ keinen Kontakt mehr. Foto: Grönland

Der Brite lud den Saarbrücker zum norwegischen Punkt Festival in Kristiansand ein, mit einer besonderen Aufgabe: Während Sylvian konzertierte, remixte, überarbeitete und verfremdete Mathieu per Computer die Live-Aufnahmen, die dann einem anderen Publikum in einem anderen Saal vorgespielt wurden. „Das Ergebnis hat Sylvian gefallen, er fragte mich dann, ob ich sein Album ‚Blemish‘ neu bearbeiten wolle.“ Mathieu wollte, und so schickte Sylvian ihm einige der Instrumentalspuren seines 2003er Albums, vor allem Gitarrenimprovisationen von ihm selbst, Derek Bailey und Christian Fennesz. Aus denen formte Mathieu dann „Wandermüde“, unabhängig von Sylvian: ein fließendes, pulsierendes, atmosphärisches Instrumentalwerk. Mit dem Original-Album hat das nur wenig zu tun – was ja auch Sinn der Sache ist.​

„Das war alles in allem ein wirklich schlechtes Erlebnis“

Herbert Grönemeyers Label Grönland, das sich unter anderem um die Arbeiten des legendären Produzenten (und ehemaligen SR-Tontechnikers) Conny Plank kümmert, bringt die klassischen Sylvian-Alben neu heraus, eben auch „Wandermüde“. Natürlich freut sich Mathieu jetzt über die Wiederveröffentlichung. Und doch: Spricht man mit ihm über David Sylvian, spürt man eine gewisse Zurückhaltung – es lässt  sich heraushören, dass eine spätere Tournee mit Sylvian, Mathieu und Gitarrist Christian Fennesz eine Rolle spielt bei Mathieus Rückzug vom Musikmachen, vielleicht sogar der Anfang von dessen Ende war. „Das war alles in allem ein wirklich schlechtes Erlebnis“, sagt er, „ein heftiger Crash zwischen drei sehr unterschiedlichen Herangehensweisen, um ähnliche Ziele zu erreichen“. Kontakt hatten Mathieu und Sylvian seitdem nicht mehr, auch nicht im Rahmen der „Wandermüde“-Wiederveröffentlichung.​

Seit 2017 nimmt Mathieu keine eigene Musik mehr auf und hat sich ganz einer Studioarbeit für Andere verschrieben, die man erklären muss: Mastering. „Das ist der letzte kreative Schritt, bevor ein Album oder ein Stück veröffentlicht wird. Ich stelle das Reproduktionsmaster her und bin so die letzte Kontrollinstanz, bevor ein Werk in die Welt entlassen wird.“ Wie sehr Mathieu eingreift, hängt vom Ausgangsmaterial ab. „Manche Projekte muss ich komplett auf den Kopf stellen, bei anderen geht es nur noch um den Feinschliff, die letzten fünf bis zehn Prozent, bevor etwas toll klingt. Der Großteil meiner Projekte liegt zwischen diesen beiden Extremen.“​

Mathieu, Vater von drei Kindern, lebt seit zehn Jahren in Bonn, aus familiären Gründen („Bonn hatte ich eigentlich nie auf dem Zettel“); den Großteil der 1990er hatte er in Berlin als Schlagzeuger verbracht, bevor er wieder nach Saarbrücken ging. 1999 verlieh ihm die Stadt einen Förderpreis, 2001 bis 2005 lehrte er an der Hochschule für Bildende Künste (HBK).​

Das sonnige Heimstudio​

In Bonn hat sich Mathieu über Jahre ein Mastering-Studio eingerichtet, das seit 2021 fertiggestellt ist und in dem er auch wohnt. „Ein akustisch wahnsinnig guter Raum. Ich höre hier gleich, ob es an etwas mangelt, was besonders gelungen ist und in welche Richtung ich das Material drehen kann, damit es die Vision meiner Artists und Labels perfekt transportiert. Viele Leute produzieren zuhause und haben dort nicht die idealen akustischen Bedingungen, um ihre Arbeit im Detail beurteilen zu können. In meinem Raum springen mich klangliche Defizite direkt an, die ich dann ausgleichen kann.“ Das Heimstudio bringt auch zeitliche Flexibilität mit sich, die er wegen der Kommunikation mit der internationalen Kundschaft gut gebrauchen kann. „Ich habe gerade zwei unterschiedlichen Projekte mit australischen Musikern fertiggestellt, die stehen auf, wenn es für mich Zeit wird, das Licht auszuschalten.“​

 

Stephan Mathieu David Sylvian

Ein Blick in das Mastering-Studio.    Foto: Stephan Mathieu

Die Kundenliste ist lang und stilistisch weit gefächert. Unter anderem mit den Komponistinnen Laurie Spiegel und Kali Malone aus den USA, Nine-Inch-Nails-Keyboarder Alessandro Cortini, SUNN O)))-Gitarrist Stephen O’Malley und dem finnischen Elektroniker Vladislav Delay. Genregrenzen gibt es bei Mathieu nicht. „Für mich ist jeder Sound gleichwertig, von einer Staubsauger-Aufnahme von 1969 bis zeitgenössischer Kammermusik.“ Das könnte mit seiner kosmopolitischen musikalischen Früherziehung in Saarbrücken zu tun haben. Mathieus Eltern waren Hausmeister auf dem Saarbrücker Campus für das Gästehaus und das Institut für Entwicklungshilfe. „Wir sind da 1968 hingezogen, als ich ein Jahr alt war“, sagt Mathieu, „zwei Häuser, die abgeschlagen von allem anderen mitten im Wald stehen“. Die Natur war schon mal ein Faktor, „davon steckt ganz viel in mir drin, der Wald ist ja ein akustisch enorm interessanter Raum“. Dazu wuchs er mit Kindern von Gastprofessorinnen und -professoren  aus aller Welt auf, aus den USA, Korea, England, Japan – ein großer kultureller Austausch.​

Bei Depeche Mode brennt der Pulli

Die Eltern hatten großen musikalischen Einfluss: Mathieus Mutter arbeitete in jenem Plattenladen, der dann zum seligen „Saraphon“ wurde, sein Vater kaufte bereits früh elektronische Musik, vom Franzosen Jean-Michel Jarre etwa oder vom Japaner Tomita. Ebenso liefen zuhause die Beatles, Kinks, die Beach Boys. Mit zehn Jahren hatte Mathieu eine eigene Sammlung von 200 LPs.​

In der nahen Aula auf dem Campus ging er „zu endlos vielen Konzerten“, oft bereits zu den Soundchecks – Mathieus Vater kannte den Hausmeister der Aula. Pat Metheny etwa sah er 1979 und 1981, „bei der ersten Tour mit seinem Gitarrensynthesizer, auf dem er ein für einen 13-Jährigen schier endloses Solo spielte, das wie ein Trompetenkonzert klang. Ringsum lagen Leute auf dem Boden und haben gekifft, das war schon ein tiefgreifendes Erlebnis.“  Ein Saarbrücker Konzert von Depeche Mode in der Uni der Aula 1982 bleibt ihm unvergesslich, auch weil sich eine Wunderkerze durch seinen neuen, hart ersparten Fiorucci-Pulli brannte.​

Frankfurter Konzertbesuche bei den Einstürzenden Neubauten haben „meine Auffassung von Musik total verändert“ und auch erweitert – Neue Musik tat es Mathieu, der damals noch Schlagzeug spielte, ebenso an wie Jazz und Improvisiertes. Die Entdeckung des Computers als Musikinstrument ließ ihn das Schlagzeug dann vergessen, zwischen 1997 und 2017 habe er „Tag und Nacht“ mit dem Computer gearbeitet, Klänge  erschaffen, verfremdet, Musik neu zusammengefügt.​

Und das ist jetzt alles vorbei? „Ich würde nie nie sagen“, gibt Mathieu zu, „aber das Verlangen, immer wieder eigene Musik zu schaffen, habe ich nicht mehr“. Die Arbeit als Mastering Engineer sei erfüllend – und selbst eine Kunstform. „Es ist ein wenig wie Bildhauen – da wird etwas geformt, entschlackt, Klänge werden präziser. Ich liebe meine Arbeit. Im Grunde mache ich weiterhin jeden Tag Musik.“​

Kontakt zu Stephan Mathieu:
www.schwebung-mastering.com

 

 

„Can and Me“ über Irmin Schmidt

Foto: Televisor Troika / Real Fiction Can and Me

Irmin Schmidt zu der Zeit von Can.   Foto: Televisor Troika / Real Fiction

 

Ein großes Glück, dass er beruflich nicht das wurde, was sich sein Vater so sehr gewünscht hat: Architekt. Mit Konstruktion und Form hat Irmin Schmidt dennoch lebenslang zu tun – als Musiker, Komponist, als umtriebiger Experimentierer, unter anderem als Gründer einer Band, die Musikgeschichte schrieb und auch im Ausland gefeiert wurde und wird: Can. Die Doku „Can and me“ widmet sich Schmidt, der im Film einen Satz sagt, der wie ein Lebensmotto klingt: „Kategorien interessieren mich nicht so doll.“ Hätten sie das getan, hätte er den flirrenden Can-Krautrock, Symphonisches, Elektroklänge und Filmmusik nicht derart mühelos unter einen (ziemlich großen) Hut bekommen. Mit Bildern eines Can-Konzerts in den 1970ern beginnt der Film: mit dampfenden Haschpfeifchen im Publikum, wallenden Haaren, Koteletten bis zum Schlüsselbein vor und auf der Bühne, mit hypnotisierenden Rhythmen. Dann ein harter Schnitt: Wir sind in der Provence, wo Schmidt, mittlerweile 85, in einem abgelegenen Haus lebt – die Lavendelbüsche rauschen im Wind, und Schmidt genießt das, was er morgens braucht, bevor er im Heimstudio an Klängen und Musik werkelt: Stille. „Für mich das wichtigste Geräusch.“

„Ich wollte es verstehen“

Mit Erzählungen Schmidts, Fotos und Archivaufnahmen blättert Filmemacher Michael P.  Aust das Leben des Musikers auf – beginnend mit Erinnerungen an Bombenangriffe (Schmidt ist Jahrgang 1937), an die Stimme Mussolinis im „Volksempfänger“ und die „Wunde meines Lebens“: Schmidts Vater ist zuhause ein „gütiger Mensch“, zugleich „Antisemit und Nazi“. Mit 14 verkauft Schmidt seine Spielzeugeisenbahn und schafft sich zwei Schallplatten an, von denen eine prägend wird für sein Leben: Strawinskys „Sacre de Printemps“, eine Komposition, die ihm Rätsel aufgibt: „Ich wollte es verstehen.“ Schmidts damaliger Berufswunsch: „Ein Dirigent, weltberühmt.“ Er studiert unter anderem bei Karlheinz Stockhausen, dessen Komposition „Gesang der Jünglinge“ ihn ebenso begeistert wie erschreckt.

Irmin Schmidt heute, mit Mitte 80. Foto. televisor Troika / Real Fiction

Irmin Schmidt heute, mit Mitte 80. Foto: Televisor Troika / Real Fiction

In dieser Zeit lernt er seine spätere Frau Hildegard kennen, die er ebenso als Feingeist beeindruckt wie durch Beweglichkeit – mit einem Flic Flac. Mittlerweile sind die beiden über 60 Jahre zusammen – und nebenbei ist „Can and Me“ auch ein berührender Film über die Langzeit-Liebe. Schmidts Karriere als Neuer-Musik-Feingeist im Rollkragenpulli scheint vorgezeichnet; doch bei einem Dirigierwettbewerb 1966 in New York findet er alles interessanter als den Wettbewerb selbst – zum Beispiel ein Treffen mit Komponist Steve Reich. In Schmidt brodelt es, „und aus diesem Brodeln entstand Can“.

Interview mit Musiker Stephan Mathieu

Über zehn Jahre ist der Band-Nukleus um Schmidt, Jaki Liebezeit, Holger Czukay und Michael Karoli zusammen, der Film zeigt Konzertmitschnitte und Interviews, auch aus den Filmarbeiten – darunter 1971 das Titelthema zum Krimi-Dreiteiler „Das Messer“, dessen Regisseur Rolf von Sydow die Musik nicht im Film haben will; die Rettung ist der Neunkircher Günter Rohrbach, damals ARD-Fernsehspielchef. Der entscheidet sich, so erinnert sich Schmidt: „Das bleibt.“

Gary Numan in Luxemburg

Man hört ihm gerne zu

Die Single wird ein Hit, aber langsam „verbraucht sich die Spannung, die es für so eine Gruppe braucht“, gibt Schmidt zu. Can driftet auseinander, Schmidt wendet sich mehr der Filmmusik zu, schreibt für „Tatorte“ und Wim Wenders, komponiert eine Oper, unter anderem, weil seine Heilerin, die ihn von Kopfschmerzen erlöst, ihm das rät. „Gormenghast“ ist laut Schmidt ein Publikumserfolg, „aber die Kritiker fanden es Scheiße“. Nicht nur hier erweist sich Schmidt als Freund des Unverblümten und des Unprätentiösen – ein großes Pfund für diese Doku. Diesem Herrn mit der Ausstrahlung eines lässigen Onkels oder Großvaters, hört man sehr gerne zu – ebenso wie seiner Frau, die sich bei Can um Organisation und Finanzen kümmerte, jetzt in der Provence das Unternehmen leitet – zum Beispiel, wenn es darum geht, alte Can-Aufnahmen durch Remix-Veröffentlichungen, etwa von Westbam oder Brian Eno, einem neuen Publikum nahezubringen. Melancholisch stimmt dabei, dass Schmidt der einzige noch lebende Can-Gründer ist; seine alten Kollegen sieht man im Film noch in Interviews, aber sie sind schon einige Jahre tot. Schmidt ist quicklebendig und bastelt in der Provence weiter an Klängen: In den letzten Bildern von „Can and Me“ durchsucht er Schubladen in seinem Studio – und klemmt dann Schrauben zwischen die Saiten seines Flügels.

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